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Individuelle und schulische Risikofaktoren und protektive Faktoren im Berufsorientierungsprozess 1

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Zusammenfassung1

Neben der Vermittlung von Fachkompetenzen zählt die Berufsorientierung zu den zen- tralen Aufgaben der Sekundarstufe  I. Anhand hierarchischer Mehrebenenanalysen, ba- sierend auf Daten von 461 Jugendlichen in der Nordwestschweiz, wird gezeigt, dass ne- ben individuellen Risiko- und protektiven Faktoren auch institutionelle und schulische Kompositionsvariablen sowie Unterrichtsmethoden die Chancen von Schülerinnen und Schülern beeinfl ussen, nach der Sekundarstufe  I direkt eine qualifi zierende Ausbildung zu beginnen.

Schlüsselwörter: Transition, Unterricht, Berufsorientierung, Risikofaktoren, protektive Faktoren

Individual and Academic Risk Factors and Protective Factors for Vocational Orientation

Abstract

In addition to teaching academic competence, schools have the task to prepare students for professional life. Results from hierarchical multi-level analyses with data from 461 adolescents in North Western Switzerland show that individual risk and protective fac- tors, institutional and composition variables as well as teaching methods infl uence the chance of students to start a qualifi ed training aft er compulsory school.

Keywords: transition, teaching, vocational choice, risk factors, protective factors

1. Einleitung und Fragestellung

Eine wichtige Aufgabe der Volksschule2 liegt in der Berufsvorbereitung, so dass die Schülerinnen und Schüler direkt nach der Volksschule in eine qualifi zieren- de Ausbildung (Gymnasium, Berufsausbildung) wechseln. Allerdings treten in der 1 Wir danken dem Bildungsraum Nordwestschweiz für die Förderung dieser Studie.

2 Volksschule bezeichnet hier die staatlich fi nanzierte obligatorische Schule.

Markus P. Neuenschwander/Noemi Schaff ner

Individuelle und schulische Risikofaktoren und protektive Faktoren im Berufsorientierungsprozess

1

103. Jahrgang 2011, Heft 4, S. 326-340

© 2011 Waxmann

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Schweiz nach der Volksschule rund 20% der Jugendlichen in ein Brückenangebot über (entspricht dem deutschen Übergangssystem) und rund 4% aus dem Aus- bildungs system aus (vgl. BFS/TREE 2003), wobei sich die Anschlussquoten zwi- schen den Kantonen und einzelnen Schulen deutlich unterscheiden. Jugendliche mit Migrations hintergrund und aus Schulniveaus mit Grundansprüchen (entspricht weit- gehend der Hauptschule in Deutschland) fi nden mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine qualifi zierende Anschlusslösung (vgl. Häberlin/Imdorf/Kronig 2004; Gaupp/

Lex/Reißig 2008). Außerdem erschweren individuelle Belastungslagen sowie Ver- zögerungen im Berufsorientierungsprozess das zeitgerechte Finden einer adäquaten Fortsetzung der Bildungskarriere resp. der weiteren Ausbildung (vgl. Herzog/Neuen- schwander/Wannack 2006). Protektive familiäre Faktoren erhöhen die Chancen auf eine passende qualifi zierende Anschlusslösung substanziell (vgl. Neuenschwander 2008). Doch insgesamt gesehen ist noch wenig bekannt, wie schulische protektive und Risikofaktoren in Wechselwirkung mit individuellen protektiven und Risikofaktoren die Chancen auf einen Direktübertritt in eine qualifi zierende Anschlusslösung be- stimmen.

1.1 Individuelle Risikofaktoren und protektive Faktoren

Im Folgenden wird der Übergang von der Volksschule in die Berufsausbildung als eine normative Entwicklungsaufgabe verstanden, deren Bewältigung von individu- ellen Risikofaktoren und protektiven Faktoren beeinfl usst wird (vgl. Herzog/Neuen - schwander/Wannack 2006; siehe Abbildung 1). Vor dem Übergang müssen sich die Jugendlichen berufl ich orientieren und einen Ausbildungsplatz fi nden. Sie müs- sen sich daher intensiv mit ihren eigenen Interessen und Fähigkeiten im Verhältnis zu angebotenen Ausbildungsgängen und berufl ichen Optionen auseinander setzen.

Diese Aufgabe ist insofern normativ, als dass sich alle Schülerinnen und Schüler eines bestimmten Alters damit auseinandersetzen müssen. Individuelle Risiko- faktoren sind Belastungen, die die Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe er- schweren (vgl. Spiess Huldi/Häfeli/Rüesch 2006). Dazu gehören unerwartete nega- tive bedeutsame Lebensereignisse, wie die Scheidung der Eltern oder der Tod einer Bezugsperson (vgl. Grob 1995). Lebensereignisse können Menschen aus der gewohn- ten Bahn werfen und das Treff en von berufl ichen Entscheidungen erschweren. Wenn Jugendliche mit negativen bedeutsamen Lebensereignissen konfrontiert sind, wird ihr Berufsorientierungsprozess verlangsamt.

Risikofaktoren wie bedeutsame negative Lebensereignisse können jedoch durch in- dividuelle protektive Faktoren neutralisiert werden. Diese dienen als Puff er, die die Jugendlichen gegen Belastungen schützen. Aus der Forschung zur Gesund heits- prävention ist bekannt, dass protektive Faktoren wie Intelligenz, günstige Strategien der Stressbewältigung und gute Beziehungen zu Bezugspersonen (ein unterstützen- des soziales Netzwerk) die somatische und psychische Gesundheit verbessern bzw.

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den schädigenden Einfl uss von Belastungen reduzieren (vgl. Antonovsky 1987).

Dem Verständnis des Übergangs als Entwicklungsaufgabe folgend wird vermutet, dass protektive Faktoren die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass alle Jugendlichen di- rekt nach der Volksschule in eine qualifi zierende Anschlusslösung übertreten (vgl.

Übersichten in Luthar 2003 und Opp/Fingerle/Freytag 2007). Wirksame protektive Faktoren im Zusammenhang mit der Berufsfi ndung sind zum einen gute Schulnoten, weil Plätze an Mittelschulen und Lehrstellen bevorzugt an Jugendliche mit gu- ten schulischen Leistungen vergeben werden (vgl. Imdorf 2007). Zum anderen be- einfl usst die den Jugendlichen eigene Strategie zur Bewältigung der Anforderung Berufsfi ndung die Chance auf eine Anschlusslösung. Endler und Parker (vgl.

1990) unterscheiden zwischen drei Bewältigungsstrategien: Die aufgabenorien- tierte Bewältigung bezeichnet ein Vorgehen, wonach anstehende Aufgaben plan- voll angegangen und kognitiv zu lösen versucht werden. Die emotionszentrier- te Bewältigung fokussiert hingegen auf das Ausdrücken von Gefühlen angesichts von Stresssituationen und Problemlagen. Die Vermeidung als Bewältigungsstrategie umfasst Ablenkungs- und Ausweichtaktiken mit der Folge, dass Problemlösungen nicht aktiv gesucht werden. Das aufgabenorientierte Vorgehen bildet somit im Unterschied zu den zwei anderen Bewältigungsstrategien einen zweiten protektiven Faktor im Berufsorientierungsprozess. Ein dritter protektiver Faktor für den Berufs- orientierungsprozess – neben den Noten und der Bewältigungsstrategie – ist die Elternbeziehung. Eltern sind wichtige Ansprechpartner und Beratungspersonen bei der Berufsorientierung und bei der Lehrstellensuche (vgl. Neuenschwander u.a., in Vorbereitung). Jugendliche mit einem guten Verhältnis zu ihren Eltern haben bessere Chancen, direkt nach der Volksschule in eine qualifi zierende Anschlusslösung über- zutreten.

Neben diesen persönlichen und familienbezogenen Risikofaktoren und protekti- ven Faktoren zählen auch die Lehrpersonen zu den protektiven Faktoren im Berufs- orientierungsprozess der Jugendlichen. Sie besprechen im Rahmen des Unterrichts mit den Schülerinnen und Schülern individuell die Erfahrungen, die diese im Rahmen ihrer Betriebspraktika, in der Schweiz „Schnupperlehren“ genannt, gemacht haben, und sie tragen damit zur Klärung der Berufsorientierung und Begleitung am Lehrstellenmarkt bei. Oft wird empfohlen, dass Jugendliche drei bis vier solcher Schnupperlehren absolvieren, in denen die berufl iche Eignung in der Selbst- und in der betrieblichen Wahrnehmung praktisch überprüft wird. Mayhack (vgl. 2011) zeigt zudem, dass der Berufsorientierungsprozess neben den voneinander unabhängigen Beiträgen der Eltern und der Lehrpersonen auch durch die Kooperation zwischen Eltern und Lehrpersonen begünstigt wird. Die Eltern-Lehrperson-Gespräche dürft en vor allem bei Verzögerungen und Schwierigkeiten im Berufsorientierungsprozess eine Rolle spielen, insbesondere wenn das Finden einer qualifi zierenden Anschlusslösung in Frage gestellt ist.

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1.2 Schulische Risikofaktoren und Unterrichtsmethoden

Neben individuellen Faktoren beeinfl ussen schulische Risiko- und protektive Faktoren die Chance auf eine qualifi zierende Anschlusslösung. In Weiterführung der Diskussion zum Einfl uss der Klassenkomposition auf die Schülerleistung und die Selektionsentscheidung in der Sekundarstufe I (vgl. Baumert/Stanat/Watermann 2006) werden institutionelle und kompositionelle Eff ekte auf die Chance zum Übertritt in eine qualifi zierende Anschlusslösung vermutet. Die Migration als Merkmal der Klassenkomposition hängt vom Einzugsgebiet der Schülerschaft ei- ner Schule ab und indiziert eine strukturelle Belastung der Schule, wenn die Eltern dieser Migrantinnen und Migranten eine geringe schulische Ausbildung vorweisen.

Wir vermuten, dass je höher der Anteil dieser Migrantinnen und Migranten in einer Klasse ist, desto belasteter sind die Lernmöglichkeiten im Unterricht und desto eher wird der Berufsorientierungsp rozess der einzelnen Schülerinnen und Schüler ver- langsamt. Unabhängig vom Migrantenanteil einer Schulklasse haben Jugendliche aus Schulniveaus mit geringen Anforderungen (vergleichbar der deutschen Hauptschule) schlechtere Chancen auf eine qualifi zierende Anschlusslösung (vgl. Häberlin/Imdorf/

Kronig 2004). Wenn Jugendliche aber aus Schulniveaus mit hohen Ansprüchen stammen (sog. Bezirksschule, in Deutschland vergleichbar einer Schulform, deren Ansprüche zwischen denjenigen der Realschule und des Gymnasiums liegen), so stei- gen ihre Chancen auf einen direkten Übertritt in eine qualifi zierende Ausbildung.

Da der Berufsorientierungsprozess der Jugendlichen von der Schule durch verschie- dene Unterrichtsmethoden begleitet und gefördert wird, um einen reibungs-

Ebene IndividuumEbene Klasse

negative Lebensereignisse

hoher Migrantenanteil in Klasse tiefes Schulniveau

gute Elternbeziehung guter Notendurchschnitt aufgabenorientierte Stressbewältigung

Kooperation Schule-soziales Umfeld

berufswahlspezifische Unterrichtsmethoden reguläre themenübergreifende Unterrichtsmethoden

Risikofaktoren Protektive Faktoren

qualifizierende Anschlusslösung

Abb. 1: Postulierte Belastungen und Ressourcen beim Übergang in eine berufsqualifi zierende Anschlusslösung

Quelle: eigenes Arbeitsmodell.

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losen Übergang in die Berufsausbildung zu sichern, können diese als protek- tive Faktoren interpretiert werden. Die Förderung der Berufsorientierung im Unter richt könnte institutionelle und kompositionelle Nachteile kompensieren (vgl.

auch Hattie 2002). Vier Unterrichtsmethoden, die zur Unterstützung des Berufs- orien tierungsprozesses konzipiert sind, werden evaluiert: (1)  Lehrpersonen infor- mieren über den Berufswahlfahrplan. Der Berufswahlfahrplan gibt das Timing vor, welche Schritte im Berufsorientierungsprozess in den jeweiligen Schuljahren vollzo- gen werden müssen. Oft wird zu Beginn des 7.  Schuljahres mit einem Elternabend der Start des Berufsorientierungsprozesses markiert. Im 8.  Schuljahr folgen mehre- re Schnupperlehren, und zu Beginn des 9.  Schuljahres werden die Bewerbungen an die Betriebe verschickt. In der Tat zeigten Herzog, Neuenschwander und Wannack (2006), dass das Timing des Berufsorientierungsprozesses ein wichtiger Erfolgsfaktor ist: Je früher Schülerinnen und Schüler mit der Lehrstellensuche beginnen, desto grö- ßer sind ihre Erfolgschancen. (2) Schulexterne, z.B. Personen, die Berufsausbildungen vertreten, halten im Unterricht einen Vortrag über mögliche Ausbildungswege. (3) In der Klasse wird das Verfassen von Bewerbungen angeleitet, geübt und überwacht (zum Beispiel im Deutschunterricht). (4) Lehrpersonen schlagen einem Jugendlichen eine konkrete Lehrstelle vor, für die sie bzw. er sich bewirbt.

Während sich die genannten Methoden spezifi sch auf den Berufsorientierungsprozess beziehen, können auch allgemeine Methoden zur Unterstützung der Berufs orien- tierung eingesetzt werden: (1)  Schülerinnen und Schüler verfassen im Deutsch- unterricht Aufsätze über Berufe und eigene berufl iche Interessen. (2)  Im (Deutsch-) Unterricht werden Texte gelesen und diskutiert, die für die Berufsorientierung be- deutsam sind. (3)  Lehrpersonen machen die Schülerinnen und Schüler mit Internetplattformen (zum Beispiel URL: www.berufsberatung.ch) bekannt, die die- se zur Unterstützung ihrer Berufsorientierung einsetzen können. Es wird davon ausgegangen, dass nicht die subjektive Schülerwahrnehmung dieser Methoden be- deutsam ist, sondern dass die aggregierten Schülerwahrnehmungen in einer Klasse den tatsächlichen Einsatz dieser Methoden abbilden, unabhängig von individuellen Erinnerungsverzerrungen.

1.3 Hypothesen und Studie

In der Studie geht es generell darum zu untersuchen, wie die Chance auf eine quali- fi zierende Anschlusslösung durch individuelle Risikofaktoren beeinfl usst und durch individuelle protektive Faktoren kompensiert werden kann bzw. wie schulstruktu- relle Nachteile durch die Intensität der Förderung im Unterricht aufgehoben werden können. Geprüft wird ein Modell, in dem Risikofaktoren und protektive Faktoren die Übertrittschancen in eine qualifi zierende Ausbildung erklären sollen. Die Vorhersage müsste also zutreff ender werden, wenn schrittweise neben den Risikofaktoren auch protektive Faktoren berücksichtigt werden, wobei die protektiven Faktoren den Eff ekt

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der Risikofaktoren nicht unterdrücken. Gemäß dem postulierten Modell werden fol- gende Hypothesen überprüft :

1. Individuelle Risikofaktoren wie negative Lebensereignisse erschweren das Finden einer qualifi zierenden Anschlusslösung.

2a. Individuelle protektive Faktoren wie gute Noten, aufgabenorientierte Problem- lösestrategie und gute Elternbeziehung erhöhen die Chance auf eine qualifi zieren- de Anschlusslösung.

2b. Die individuelle Begleitung der Schnupperlehre durch die Lehrperson sowie Eltern-Lehrer-Gespräche steigern die Chancen auf eine qualifi zierende An schluss- lösung.

3. Ein tiefes Schulniveau und ein hoher Migrantenanteil in der Klasse beeinträchti- gen die Chance auf eine qualifi zierende Anschlusslösung.

4a. Der häufi ge Einsatz spezifi scher Unterrichtsmethoden zur Förderung der Berufs- orientierung erhöht die Chancen auf eine qualifi zierende Anschlusslösung.

4b. Der häufi ge Einsatz fachübergreifender Methoden im Unterricht zum Berufs- orientierungsprozess steigert die Chancen auf eine qualifi zierende Anschluss- lösung.

2. Methode

Die Überprüfung der eingeführten Hypothesen basiert auf Daten aus dem Projekt

„Berufsorientierung an Schulen“ (vgl. Neuenschwander/Schaff ner 2010). Je Kanton wurden zwei Schulen gewählt, die sich aufgrund einer Ausschreibung gemel- det hatten und in der Frage der Berufsorientierung besonders engagiert waren. Die Datenerhebung fand im März 2010, zwei Monate vor Abschluss der obligatorischen Schulzeit (Ende 9.  Schuljahr), mittels einer standardisierten Onlinebefragung der Jugendlichen in den Schulklassen statt. Es wurden alle Schülerinnen und Schüler der Abgangsklassen der ausgewählten Schulen befragt. Die Gesamtstichprobe be- stand aus 461 Jugendlichen aus 44 Klassen (Durchschnittsalter: 15.4 Jahre) von acht Schulstandorten in den vier Nordwestschweizer Kantonen (Klumpenstichprobe). Die Stichprobe umfasste 18 Klassen des unteren Schulniveaus, 19 Klassen des mittleren Schulniveaus und 7 Klassen des oberen Schulniveaus.

Die individuellen Risikofaktoren wurden mittels eines Summenwertes von maximal 14, in den letzten zwei Jahren erlebten negativen Lebensereignissen (z.B. Scheidung der Eltern) operationalisiert (vgl. Neuenschwander/Frank 2009). Je höher dieser Wert ist, desto höher ist die Belastung der Jugendlichen.

Die individuellen protektiven Faktoren setzten sich zusammen aus der Qualität der Elternbeziehung (vgl. Neuenschwander/Frank 2009), der aufgabenorientierten

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Stressbewältigung (vgl. Endler/Parker 1990) und der Durchschnittsnote im Zeugnis am Ende des 8.  Schuljahres (6: sehr gut, 5: gut, 4: genügend, 3: ungenügend, 2: sehr ungenügend, 1: äußerst ungenügend). Zudem wurde die Kooperation zwischen der Schule und dem sozialen Umfeld als protektiver Faktor erfasst. Operationalisiert wurde die Kooperation durch die Anzahl der Gespräche zwischen der Lehrperson, den Eltern und den Jugendlichen in Bezug auf die berufl iche Orientierung und da- durch, ob die Erfahrungen der Jugendlichen während der Schnupperlehre mit der Lehrperson besprochen wurden (kategorial: ja vs. nein).

Zu den institutionellen bzw. kompositionellen Risikofaktoren (Level II: Klasse) gehörten der prozentuale Migrantenanteil in der Klasse und das besuchte Schulniveau (dreistu- fi g: unteres Schulniveau, mittleres Schulniveau, oberes Schulniveau). Das Schulniveau wurde dummy kodiert, das mittlere Schulniveau war die Referenzkategorie.

Die protektiven Faktoren auf Klassenebene (Level II) bestanden aus spezifi sch für die Berufsorientierung konzipierten Unterrichtsmethoden und regulären themenüber- greifenden Unterrichtsmethoden. Die Unterrichtsmethoden umfassten die Anzahl Lektionen (z-standardisiert) für die Besprechung des „Berufswahlfahrplans“ so- wie den prozentualen Anteil Jugendlicher, die angaben, dass ihre Lehrperson fol- gende drei Methoden im Klassenverband eingesetzt hatte: (1)  Informationsvortrag über mögliche Ausbildungswege durch Schulexterne, (2) Bewerbungsschreiben üben, (3)  Vermittlung einer Lehrstelle durch die Lehrperson. Zu den spezifi sch für die Berufsorientierung konzipierten Unterrichtsmethoden wurden die Jugendlichen au- ßerdem befragt, als wie hilfreich sie diese für den Berufsorientierungsprozess ein- schätzten (4-Punkte Skala: 1: gar nicht hilfreich, bis 4: sehr hilfreich). Die regulä- ren themenübergreifenden Unterrichtsmethoden wurden über den prozentualen Anteil Jugendlicher operationalisiert, die über die Anwendung sonstiger Methoden, um das Th ema Berufsorientierung zu bearbeiten, berichteten: (1)  Aufsätze geschrieben, (2) Texte gelesen, (3) Nutzung von Internetplattformen.

Als qualifi zierende Anschlusslösung galt der geplante Übertritt in (1)  eine dua- le Berufsausbildung, (2)  in ein Gymnasium oder (3)  in eine Mittelschule. Zu den nicht qualifi zierenden Anschlusslösungen gehörten sogenannte „Zwischenlösungen“

wie (1)  der Besuch eines 10.  Schuljahres, (2)  Sprach- und/oder Auslandaufenthalte, (3)  Praktika oder (4)  das Fehlen eines Plans zum Ausbildungsweg nach der obliga- torischen Schulzeit. Die abhängige Variable „qualifi zierende Anschlusslösung“ wurde kategorial (ja vs. nein) kodiert.

Nicht systematische fehlende Schülerangaben wurden mit der Soft ware Norm 2.03 von Schafer und Olsen (1998) geschätzt, wenn die abhängige Variable „qualifi zie- rende Anschlusslösung“ vorlag. Die Angabe zur abhängigen Variable fehlte bei zehn Jugendlichen.

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3. Ergebnisse

3.1 Qualifi zierende Anschlusslösungen

Von den befragten Jugendlichen planten 278 (61.6%) den direkten Wechsel von der Volksschule in eine qualifi zierende Ausbildung, 173 (38.4%) in eine nicht qualifi zie- rende Anschlusslösung.

In einem ersten Schritt wurden Korrelationen zwischen den postulierten Deter- minan ten der Berufsorientierung gerechnet. In Tabelle 1 sind die Korrelationen (Pearson) zwischen den Prädiktoren auf der Ebene Schüler/Schülerin (Level I) dar- gestellt. Die individuellen Risikofaktoren korrelieren negativ mit den individuel- len protektiven Faktoren im Bereich -.06  ≥  r  ≥  -.33. Für die Korrelationen zwischen der dichotomen Variable „Besprechung der Schnupperlehre mit Lehrperson“ wurden Punkt-biseriale-Korrelationen gerechnet. Insgesamt haben 273 Jugendliche (59.2%) die Schnupperlehre mit ihrer Lehrperson besprochen.

Tabelle 1: Interkorrelationsmatrix der postulierten Prädiktoren auf Individuumsebene

M Std. 1 2 3 4 5 6

1 Anzahl negative Lebensereignisse 3.15 2.45 1

2 Elternbeziehung 5.03 0.92 -.33** 1

3 Durchschnittsnote 4.65 0.40 -.13** .22** 1

4 aufgabenorientierte

Stressbewältigung 3.12 0.88 -.06 .16** .10* 1

5 Besprechung der Schnupperlehre

mit Lehrperson .01 .08 -.05 .09* 1

6 Anzahl Gespräche Eltern-Lehr-

person-Schüler/Schülerin 0.97 1.62 .05 .02 .01 .10* .23** 1 Legende: M: Mittelwert, Std: Standardabweichung, **: p<.01, *: p<.05

Quelle: eigene Berechnungen.

Zur Berechnung der Korrelationen auf Klassenebene (Level II) wurden die Daten pro Klasse aggregiert (Tabelle 2). Die Korrelationen mit den dichotom ausgepräg- ten Variablen des Schulniveaus wurden nach Spearman gerechnet, alle anderen nach Pearson. Wie in Tabelle 2 illustriert, korrelierte der Migrantenanteil pro Klasse (Risikofaktor) positiv mit dem unteren Schulniveau (Risikofaktor) und mit Ausnahme der Lehrstellenvermittlung negativ mit den Unterrichtsmethoden (protektiver Faktor), -.13 ≥ r ≥ -.39.

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Tabelle 2: Interkorrelationsmatrix der postulierten Prädiktoren auf Klassenebene

M Std. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

1 Migrantenanteil pro Klasse

28.51 20.89 1 2 unteres Schul-

niveau

.51** 1

3 mittleres Schul- niveau

-.22 -.73** 1

4 oberes Schul- niveau

-.39** -.36* -.38* 1

5 Unterrichtszeit für Berufswahl- fahrplan

0.01 0.57 -.18 -.06 -.05 .15 1

6 Infovortrag über Ausbildungs weg

45.85 32.35 -.13 .03 .12 -.20 -.26 1

7 Bewerbungs-

schreiben üben 92.49 14.02 -.40** -.34* .18 .21 .43** -.07 1 8 Vermittlung einer

Lehrstelle

19.25 19.60 .13 .26 -.10 -.22 -.07 .35* -.05 1 9 Aufsätze

geschrieben

26.10 19.45 -.19 .02 -.13 .15 .23 -.13 .06 .09 1

10 Texte gelesen

und diskutiert 49.96 26.25 -.39** -.03 .02 .02 .35* .04 .23 .20 .66** 1 11 Nutzung

von Internet- plattformen

36.83 25.12 -.21 -.16 .12 .05 .31* -.01 .16 .01 .43** .57**

Legende: M: Mittelwert, Std.: Standardabweichung, **: p<.01, *: p<.05

3.2 Determinanten der qualifi zierenden Anschlusslösung

Um die Klumpenstichprobe und mögliche Klasseneff ekte in der Auswertung zu be- rücksichtigen, wurden die Hypothesen mit hierarchischen logistischen Mehr ebenen- analysen mit der Soft ware Mplus (vgl. Muthén/Asparouhov 2009) getestet und die Modellpassung zwischen den einzelnen Gleichungen aufgrund des Log-Likelihoods und Akaikes Informationskriteriums (vgl. Gujarati 2003) verglichen. Mit dem hier- archischen Vorgehen können Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Variablen und Ebenen verdeutlicht werden. Im ersten Schritt wurde gezeigt, dass der individu- elle Risikofaktor der negativen Lebensereignisse signifi kant die fehlende qualifi zieren- de Anschlusslösung erklärt (siehe Tabelle 3). Die Hypothese 1 wurde damit bestätigt.

Wurden als zusätzliche Prädiktoren die individuellen protektiven Faktoren in die Gleichung miteinbezogen (siehe Schritt 2a), nahm der negative Einfl uss der Lebens ereignisse ab, blieb aber weiterhin signifi kant, wobei auch die individu- ellen Ressourcen signifi kant positiv mit der Anschlusslösung zusammenhingen (Bestätigung der Hypothese 2a). Die Modellpassung nahm dabei deutlich zu. Wurden nur die Lebensereignisse und die Kooperationsvariablen in die Regressionsanalyse ein- geschlossen (Schritt 2b), so veränderte sich der negative Einfl uss der Lebensereignisse auf die Anschlusslösung nur geringfügig. Der Einfl uss der Kooperationsvariablen war minimal und nicht signifi kant.

Quelle: eigene Berechnungen.

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Im dritten Schritt wurde der Zusammenhang der Risikofaktoren auf Klassenebene mit der Anschlusslösung überprüft . Die Modellpassung war höher, als wenn nur in- dividuelle Variablen in die Analyse mit eingeschlossen wurden. Der Migrantenanteil in der Klasse und der Besuch des niedrigen Schulniveaus im Vergleich zum mitt- leren Schulniveau hingen signifi kant negativ mit der Anschlusslösung zusammen, der Unterricht im höheren Schulniveau korrelierte im Vergleich zum mittleren Schulniveau signifi kant positiv. Erwartungsgemäß bildete der Migrantenanteil einer Klasse unabhängig vom unteren Schulniveau einen eigenen Belastungsfaktor. Die dritte Hypothese konnte somit bestätigt werden.

Bei Einschluss der spezifi sch für die Berufsorientierung konzipierten Unterrichts- methoden in Schritt 4a nahm der Zusammenhang der Schulniveaus mit der An- schluss lösung geringfügig ab, wobei der Einfl uss des Migrantenanteils unverändert blieb. Die Hypothese 4a konnte nicht für alle untersuchten Unterrichtsmethoden be- stätigt werden und die Modellpassung nahm geringfügig zu. In Schritt 4b wurden die regulären themenübergreifenden Unterrichtsmethoden anstelle der spezifi sch für die Berufsorientierung konzipierten Methoden in die Mehrebenenanalyse einge- schlossen. Die Modellpassung war im Vergleich zu Schritt 4a ein wenig schlechter;

auch blieben der Zusammenhang des Migrantenanteils und der Schulniveaus mit der Anschlusslösung unverändert signifi kant. Ein positiver Einfl uss auf das Finden einer qualifi zierenden Anschlusslösung konnte nicht bestätigt werden; die Hypothese 4b wurde somit verworfen.

Im fünft en Schritt wurden alle postulierten Prädiktoren in das Modell eingeschlos- sen. Die Modellpassung nahm im Vergleich zu den vorhergehenden Schritten deut- lich zu. Der Zusammenhang der individuellen und institutionellen/kompositionel- len Risikofaktoren mit der Anschlusslösung blieb weiterhin signifi kant; er nahm aber mit Ausnahme des Migrantenanteils ab (Lebensereignisse von b  =  -0.15 zu b = -0.09, unteres Schulniveau von b = -1.19 zu b = -0.84). Weiterhin signifi kant po- sitiv mit der Anschlusslösung zusammenhängende protektive Faktoren waren auf in- dividueller Ebene die aufgabenzentrierte Stressbewältigung und die Besprechung der Schnupperlehre mit der Lehrperson und auf Klassenebene die themenübergrei- fende Unterrichtsmethode (vor allem im Fach Deutsch): „Aufsätze geschrieben“.

Neu wurden auch die beiden Kooperationsvariablen signifi kant, wobei die Zahl der Eltern-Lehrpersonen-Gespräche mit der qualifi zierenden Anschlusslösung negativ zusammenhing. Off enbar werden Eltern-Lehrpersonen-Gespräche häufi ger durch- geführt, wenn das Finden einer qualifi zierenden Anschlusslösung gefährdet ist. Die Schulnote war nur noch tendenziell (p<.10) signifi kant. Nicht dargestellte Analysen zeigten, dass der Eff ekt durch die beiden Kooperationsvariablen auf Level 1 redu- ziert wird. Die Bedeutung der Note für das Finden einer Anschlusslösung kann durch Kooperationsvariablen kompensiert werden, was insbesondere die Chancen von schulleistungsschwächeren Jugendlichen erhöhen kann.

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Zu Kontrollzwecken wurden die gleichen sieben Mehrebenenanalysen mit der ab- hängigen Variable Berufsausbildung vs. andere Anschlusslösung wiederholt. Das Ergebnismuster war insgesamt sehr ähnlich. Ein Unterschied ergab sich für die Bedeutung der Schulniveaus, deren Koeffi zienten nicht oder schwach (p<.05) sig- nifi kant waren und deren Vorzeichen sich umdrehten: Jugendliche aus dem unters- ten im Vergleich zu den Jugendlichen im mittleren Schulniveau treten eher in die Berufslehre über, und Jugendliche aus dem oberen Schulniveau treten im Vergleich zu den Jugendlichen im mittleren Schulniveau eher nicht in die Berufsausbildung ein.

Zudem war der Faktor aufgabenorientierte Stressbewältigung nicht signifi kant.

Tabelle 3: Logistische Regressionsanalyse auf qualifi zierende Anschlusslösung (Regressionskoeffi zienten)

Jugendliche N=451

Klassen N=44 1 2a 2b 3 4a 4b 5

individuelle Belastungen (I)

Lebensereignisse -0.15** -0.10* -0.15** -0.09*

individuelle Ressourcen (I)

Elternbeziehung 0.42* 0.36†

Durchschnittsnote 1.08** 0.69†

aufgabenorientierte

Stressbewältigung 0.38* 0.41***

Kooperation Schule/soziales Umfeld (I)

Besprechung der Schnupper-

lehre mit Lehrperson 0.44† 0.55*

Anzahl Gespräche Eltern-

Lehrperson-Schüler/Schülerin -0.13 -0.17*

strukturelle Belastungen (II)

Migrantenanteil (Klasse) -0.02** -0.02* -0.02* -0.03**

unteres Schulniveau -1.19*** -1.08*** -1.26*** -0.84***

oberes Schulniveau 1.30* 1.06* 1.20* 1.14†

berufswahlspezifi sche Unterrichtsmethoden (II) Unterrichtszeit für

Berufswahlfahrplan 0.18 -0.29

Infovortrag über

Ausbildungsweg -0.01*** -0.01***

Bewerbungsschreiben üben 0.02* 0.02†

Vermittlung einer Lehrstelle 0.01 0.01

reguläre themenübergreifen-

de Unterrichtsmethoden (II)

Aufsätze geschrieben 0.02† 0.02*

Texte gelesen und diskutiert 0.01 -0.003

Nutzung von

Internetplattformen 0.01 0.01†

Level-2-Varianz 1.60* 1.53* 1.77* 0.32* 0.00 0.06 0.00

Loglikelihood -264.09 -248.79 -262.04 -249.48 -240.98 -242.21 -216.95

Akaike 534.18 509.58 534.09 508.96 499.96 500.42 469.91

Legende: (I) within-level, (II) between-level, ***: p<.001, **: p<.01, *: p<.05, †: p<.10 Quelle: eigene Berechnungen.

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3.3 Zufriedenheit mit den für die Berufsorientierung eingesetzten Unterrichtsmethoden

Die für die Berufsorientierung eingesetzten Unterrichtsmethoden wurden von den Jugendlichen dahingehend beurteilt, als wie hilfreich sie sie für die Berufsorientierung einschätzten. Als besonders hilfreich wurde von den Jugendlichen die Möglichkeit eingeschätzt, im Unterricht das Bewerbungsschreiben zu üben (m=3.22). Das Vermitteln einer Lehrstelle durch die Lehrperson wurde ebenfalls als hilfreich bewer- tet (m=3.14), obwohl die Mehrebenenanalyse keinen Zusammenhang zwischen die- ser Methode und der Chance auf eine Anschlusslösung gezeigt hat. Als eher mäßig hilfreich für die Berufsorientierung wurden das Besprechen des Berufswahlfahrplans (m=2.77) und der Informationsvortrag über Ausbildungswege durch Externe (m=2.44) beurteilt.

4. Diskussion

Die Ergebnisse der durchgeführten Analysen deuten darauf hin, dass protekti- ve und Risikofaktoren das Finden einer qualifi zierenden Anschlusslösung gut erklä- ren können. Das Belastungs-Ressourcen-Paradigma konnte erfolgreich Berufs orien- tierungs prozesse erklären. Komplementär zur umfangreichen Forschung zur sozialen Selektivität der Schule und Bildungsungleichheit (vgl. z.B. Gomolla/Radtke 2002) werden im vorliegenden Beitrag Berufsorientierungsprozesse unter dem Belastungs- Ressourcen-Paradigma (vgl. Herzog 1991) untersucht. Die Studie zeigt erstmals, dass gewisse, spezifi sch für die Berufsorientierung eingesetzte Unterrichtsmethoden die Chancen im Lehrstellenmarkt verbessern können, ohne jedoch die Nachteile eines tiefen Schulniveaus und einer ungünstigen Klassenkomposition damit aufzuheben.

Vielmehr stützen die Ergebnisse der hierarchischen Mehrebenenanalyse ein additives Modell, wonach individuelle protektive und Risikofaktoren sowie institutionelle und kompositionelle Faktoren den Übertritt in eine qualifi zierende Ausbildung unabhän- gig voneinander beeinfl ussen.

Erwartungsgemäß bestimmen das Schulniveau und der Migrantenanteil in ei- ner Klasse die Chancen im Ausbildungsmarkt wesentlich, insgesamt stärker als die untersuchten individuellen Einfl ussfaktoren. Der Eff ekt des Schulniveaus hängt zum einen mit der größeren Vielfalt von Ausbildungsoptionen nach einem hö- heren Schulabschluss zusammen. Denn nur Jugendliche aus Schulniveaus mit er- weiterten Ansprüchen erfüllen die Aufnahmebedingungen für eine Mittelschule oder ein Gymnasium, während Schülerinnen und Schülern aus Schulniveaus mit Grundansprüchen ausschließlich duale Berufsausbildungsgänge off en stehen. Zu beachten ist zum anderen die Signalwirkung des Schulniveaus (vgl. Bills 2003):

Berufs ausbildnerinnen und Berufsausbildner gewichten leicht lesbare allgemeine

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Leistungsindikatoren wie das Schulniveau bei der Lehrstellenvergabe stark. Ein ho- her Migrantenanteil in der Klasse dürft e zu Klassenprozessen führen, die den indivi- duellen Berufsorientierungsprozess verlangsamen oder hemmen, weil viele Migranten und Migrantinnen, die – wie in der vorliegenden Studie – in überwiegender Mehrheit Eltern mit niedrigen Schulabschlüssen haben, die Bedeutung von qualifi zierenden Anschlusslösungen unterschätzen und sich zu wenig engagiert und ineff ektiv mit ih- rer Berufswahl beschäft igen (vgl. Herzog/Neuenschwander/Wannack 2006). Die vor- liegende Studie erlaubt aber keine Aussagen über Migrantinnen und Migranten, de- ren Eltern hohe Bildungsabschlüsse haben.

Die Ergebnisse belegen den Einfl uss der verschiedenen Unterrichtsmethoden auf die Lehrstellensuche. Schulen können die Schülerinnen und Schüler nicht nur durch die Vermittlung von Fach-, Sozial- und Selbstkompetenzen auf das Erwerbsleben vorbereiten, sondern auch durch ein individuelles Coaching beim Finden einer Anschlusslösung. Schulen wirken sich auf die Bildungsverläufe der Schülerinnen und Schüler also nicht nur über die Vermittlung von fachlichen Kompetenzen und über die Selektionsfunktion aus, indem sie Jugendliche in verschiedene Ausbildungsgänge allokieren, sondern zusätzlich über ein individuelles Coaching im Ausbildungs- und Lehrstellenmarkt.

Überraschenderweise hing der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die durch ei- nen Vortrag von Schulexternen über mögliche Ausbildungswege informiert wor- den sind, mit dem Erhalt einer qualifi zierenden Anschlusslösung negativ zu- sammen. Möglicherweise ist dieses unerwartete Ergebnis ein Methodenartefakt (Multi kollinearität), weil das Item Vermittlung einer Lehrstelle mit dem Item Vortrag von Schulexternen korreliert. Allerdings wurde der Informationsvortrag von den Jugendlichen auch als nicht sehr hilfreich wahrgenommen. Die Daten erlauben nicht zu entscheiden, ob diese Methode zu einer Überforderung der Vortragenden führt, so dass die Methode kritisch bewertet wird, oder ob die Umsetzung der Methode in den von uns befragten Klassen nicht gut war. Im Gegensatz dazu wird die Unterstützung beim Verfassen von Bewerbungsschreiben als positiv bewertet und steigert die Chancen auf eine qualifi zierende Anschlusslösung.

In Übereinstimmung mit einem Befund von Mayhack (vgl. 2011) war der Zusammenhang zwischen der Anzahl Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern und der Anschlusslösung negativ. Off enbar werden solche Gespräche vor allem dann geführt, wenn der Berufsorientierungsprozess ins Stocken gerät. Bei Schwierigkeiten im Berufsorientierungsprozess wird als indizierte Maßnahme die Eltern-Lehrperson- Kooperation intensiviert. Die Variablen waren allerdings nicht signifi kant, wenn sie nur in Kombination mit den bedeutsamen Lebensereignissen getestet wurden.

Erwartungsgemäß hängen die Durchschnittsnote, die Elternbeziehung und die aufga- benorientierte Bewältigungsstrategie positiv mit der qualifi zierenden Anschlusslösung

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zusammen. Daher müssen diese Zusammenhänge in zukünft igen Studien genauer untersucht werden.

Einschränkend muss zum Schluss auf das Fehlen von Längsschnittdaten und die nicht-repräsentative Stichprobe, die auf acht Schulen basiert, hingewiesen wer- den. Die Ergebnisse sollten anhand einer großen, repräsentativen Stichprobe längs- schnittlich und in verschiedenen Bildungsstrukturen (Kantone, Länder) repli- ziert werden. Ebenfalls sollten weitere Risiko- und protektive Faktoren in ihrer Bedeutung im Berufsorientierungsprozess untersucht werden, um das Potenzial die- ses Erklärungsansatzes besser beurteilen zu können. Immerhin belegen die vorlie- genden Ergebnisse deutlich, dass der Erfolg von Berufsorientierungsprozessen aus dieser theoretischen Perspektive gut erklärt werden kann, und rechtfertigen weitere Forschungsanstrengungen.

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E-Mail: markus.neuenschwander@fh nw.ch

Noemi Schaff ner, MSc. in Psychologie, geb. 1983, wissenschaft liche Mitarbeiterin am Institut Forschung und Entwicklung der Pädagogischen Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz.

E-Mail: noemi.schaff ner@gmx.ch

Anschrift : Institut Forschung und Entwicklung, Pädagogische Hochschule, Fach hoch- schule Nordwestschweiz, Obere Sternengasse 7, 4200 Solothurn (Schweiz)

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