DAS M AG A Z I N F Ü R N AC H H A LT I G E L E B E N S KU LT U R JULI/AUG 2013
4/2013, P.b.b., Erscheinungsort St. Pölten, Verlagspostamt 3100, Zulassungsnummer: 05Z036431M, Ö: € 3,90, D: € 4,90
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54 — 03 2013 COVERSTORY 15 Millionen Jahre Erdgeschichte haben sich in die Oberfläche dieses tellerförmigen Moldaviten eingraviert. Entstanden ist das seltene Glasobjekt bei einem von zwei Meteoriteneinschlägen im heutigen Süddeutschland.
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C ˇeský Krumlov ist beeindruckend, zauberhaft, verspielt, geheimnisvoll. Genauso wie das neue Moldavitenmuseum mitten in der Altstadt von Krumau. Hier kann man seltene Relikte eines unglaublichen Bombardements aus dem Weltall bestaunen.
SABINE BLÖCHL
kosmisches böhmen
Böhmisch Krumau bietet alles, was man für einen gelungenen Familien- ausflug braucht. Ein UNESCO-ge- schütztes mittelalterliches Ambiente, einen krummen Fluss, auf dem man aufregende Kanu- oder Floßfahrten machen kann, und ein betriebsames Graphit-Bergwerk, das man unter be- stimmten Bedingungen sogar besichti- gen darf.
Seit 26. April ist Cˇesky´ Krumlov übri- gens auch Ausstellungsort der länder- übergreifenden Landesausstellung
„Alte Spuren – neue Wege“. Doch was
die wenigsten wissen ist, dass im Juni in der Altstadt von Krumau ein Mu- seum eröffnet hat, in dem man 15 Mil- lionen Jahre in die Vergangenheit rei- sen kann. In eine Zeit, in der sich ganz in der Nähe eine gewaltige Naturkatast- rophe ereignete und bei der äußerst seltene Relikte entstanden sind.
Superman lässt grüßen
Damals schlugen zwei Meteorite rund 250 Kilometer von Krumau entfernt in den Erdboden. Die Wucht war so groß, dass alles Leben im Umkreis von min- destens hundert Kilometern in Sekun-
denschnelle ausgelöscht wurde. Die Schockwellen der Explosionen fegten mit bis zu 600 km/h rund um den Erd- ball und waren auf der ganzen Welt zu spüren und zu hören.
Ein Teil des herausgeschleuderten Ma- terials raste bis zu 400 Kilometer weit durch die Luft, bevor es in unzählige Teile zersprang. Was darauf folgte, war ein glühend heißer Regen von wenigen Zentimeter großen, grünen Gesteins- gläsern, die ein wenig so aussehen, wie die grünen Kryptonite aus der Serie
„Superman“. Die meisten von ihnen
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Fotos: thinkstockphotos.de; Vít Kršul (3) (v.l.n.r.)
hagelte es über der Region Jihocˇesky´
kraj in Südböhmen nieder. Und weil man die zauberhaften kleinen grünen Steinchen besonders häufig in der Mol- dau oder in der Nähe des Flusses fin- den konnte, gaben ihnen die Menschen den Namen „Vltaviny“, auf Deutsch Moldavit.
Ein Stück versteinerte Geschichte Das Aussehen dieser flaschen- bis braungrünen Gesteinsgläser ist so un- gewöhnlich und selten, dass man den- ken könnte, sie kämen direkt aus dem Weltall. Tatsächlich sind sie aber irdi- schen Ursprungs und gehören zur Ka- tegorie der Tektite. Das sind Reste ge- s ch m o l z e n e r S a n d e, L e h m e u n d Gesteine, die unter besonders seltenen Bedingungen beim Einschlag von au- ßerirdischen Geschossen entstehen.
Vít Krsˇul, Obmann und Mitbegründer des „Muzeum vltavínu˚“ ist seit seiner Kindheit von diesen seltenen Zeitzeu- gen fasziniert. 2003 beschloss er nach
einem Geologiestudium an der Univer- stität Karlova, mit vier ehemaligen Stu- dienkollegen ein Museum in Krumau aufzubauen, das sich in einer noch nie dagewesenen Form mit diesem Thema beschäftigt.
Ende Juni ist dieser Traum Wirklich- keit geworden. Auf nur 150 Quadrat- metern, in einem ehemaligen Wirts- haus, in der Panská Straße Nummer 19. Alles ist hier verdichtet, so wie bei der Entstehung der Moldavite. Ich
treffe den großen, hageren Geologen vor der Museumseröffnung. In dem dunklen, geheimnisvollen Ambiente der Museumsräumlichkeiten beginnt er zu erzählen: „Tektite gehören zu
Weltweit einzigartig in Farbe, Transparenz und Oberfläche.
Blick auf Schloss Krumau und die UNESCO-geschützte Altstadt. Das Weltkulturerbe ist seit kurzem Heimat eines seltenen Weltnaturerbes.
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den seltensten Materialien, die es auf unserem Planeten gibt. Weltweit sind nur vier Gebiete bekannt, in denen man so etwas finden kann. Und eines davon – es ist übrigens das einzige in Europa – befindet sich direkt vor un- serer Haustür.“
Krsˇul lächelt und zeigt auf ein paar handtellergroße Stücke, die er mitge- nommen hat. Ein Teil davon wird spä- ter in den dafür vorgesehenen Vitrinen ausgestellt. „Typisch ist der Tropfen, den wir hier in verschiedenen Größen sehen“, erklärt Krsˇul. „Moldavite kön- nen aber auch durchgebogen oder flach sein, kugel-, teller- oder stäbchenför- mig. Je nachdem, wie sich das Material während des Fluges durch die Atmo- sphäre bewegt hat.“
Als die Sonne durch eines der wenigen Fenster blinzelt, nimmt der drahtige Mitdreißiger ein Exemplar aus der höl- zernen Schatulle und hält es gegen das
Licht. „So sehen Sie die grüne Farbe, das durchsichtige Material und die seltsam zerfurchte Oberfläche am besten. Diese Merkmale sind es auch, die Moldavite weltweit so einzigartig machen.“ Der ge- lernte Geologe betrachtet die verschmol- zenen Sand- und Lehmreste ehrfurchts- voll und wird andächtig still.
Via Smartphone durch die Zeit Kurz darauf legt er den Moldaviten zu- rück und blickt in den gewölbten Raum. „Unsere Ausstellung ist als in- teraktive Entdeckungsreise mit vielen audiovisuellen Elementen geplant. Da- mit wollen wir vor allem jüngere Men- schen in den Bann ziehen. Im Gegen- satz zu allen anderen Museen der Stadt können sich unsere Besucher nämlich auch spielerisch durch die Ausstellung führen lassen. Via Apps mit Smartpho- nes und Tablets.“
Völlig neu ist auch die inhaltliche Aus- einandersetzung mit der Thematik.
„In den Sammlungen, die es dazu be- reits in einigen tschechischen Museen gibt, werden Moldavite nur aus einer beschränkten Anzahl an Fundorten gezeigt“, so Krsˇul. „Ohne jeglichen Be- zug zur Entstehungsgeschichte oder der Bedeutung, die sie in der Kultur der Menschen gespielt haben. Bei uns gibt es einen Raum, in dem sich alles um Moldavite und Menschen dreht.
Hier erfährt man auch etwas über die Mythen und Legenden, die Verwen- dung in der Steinzeit, der Schmuck- und Kosmetikindustrie und in der Esoterik.“ E
Fotos: thinkstockphotos.de; Vít Kršul; Sabine Bloechl (2); Jan-Michael Lange (v.l.n.r.) WOHLFÜHLEN
Der Geologe Vít Kršul erfüllt sich mit dem Moldavitenmuseum einen Kindheitstraum.
Nicht jeder durchkämmt dem Boden mit Erlaubnis der Grundbesitzer, so wie hier.
Die meisten tun dies illegal und richten dabei immense Flur- und Waldschäden an.
Ein Alleinstellungsmerkmal des Moldaviten ist die ungewöhnlich hohe Trans- parenz. Dahinter steckt vor allem der geringe Anteil an Titan- und Eisendioxid.
Infos & Sehenswürdigkeiten:
Moldavitenmuseum: www.vltaviny.cz Länderübergreifende Ausstellung
„Alte Spuren – neue Wege“, bis 3.11.2013:
www.landesausstellung.com Ausstellung „Was wäre, wenn“
im Egon Schiele Atelier.