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Vortrag beim diözesanen Ordenstag 2017 im Stift Kremsmünster.

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Normal und anders

Vortrag beim diözesanen Ordenstag 2017 14. Oktober 2017, Stift Kremsmünster

Das Ordensleben in der Kritik der Reformation1

Seit dem Beginn der Neuzeit sind die Räte als Trias (d. h. das Ordensleben, die Gelübde) wie auch im einzelnen Gegenstand von Kritik. Erasmus von Rotterdam (1469–1536) macht in der Satire „Encomion moriae“ (id est stultitiae laus, 1511)2 die Religiosen auf eher unterhaltende und lächerliche Weise gering: Inhaltlich klagt er ihr Bemühen um Unterscheidung und Abhe- bung von den Laien an; diese Unterscheidung stuft er als pharisäisch ein; es scheint ihnen nicht zu genügen, dass alle ‚Christen‘ heißen. Durch eigene besondere Werke verdunkeln sie das Gebot der Liebe. Der scharfe Blick des Humanisten trifft auch die konkrete Praxis: einige Mönche haben zwar Horror vor dem Geld, gehen aber den Frauen und dem Wein nach, andere kompensieren die Gelübde durch kaufmännischen Erfolg. In der „Declamatio matrimonii“

(1518) stellt Erasmus die Ehe über die Jungfräulichkeit und macht dafür geltend, dass die Ehe ein Sakrament sei.

Martin Luther3 konfrontiert die Gelübde mit dem Wort Gottes, mit der Freiheit des Evangeliums, mit den göttlichen Geboten und der menschlichen Vernunft. Seit der Psalmenvorlesung (1512–

1513) ist Luther überzeugt, dass die Forderungen der Bergpredigt mit ihrem bindenden und unbedingten Anspruch an alle Christen gerichtet sind. Über die Taufe hinaus gibt es für ihn keine höheren Formen von Gelübden. So ist die Armut der Seligpreisungen kein bloßer Rat, sondern Einlassbedingung für das Reich Gottes, deren Nichtbefolgung in die Sklaverei treibt und in die Hölle bringt.4 Ein hartes Urteil trifft Franz von Assisi. Er macht – so Luther – aus dem Evangelium, das in sich das gemeinsame Gut aller Christen ist, eine partikulare Regel für wenige. Damit bringt er ein Schisma unter die Christen. Die Qualifikation ‚Rat‘ hat für die Armut kein Fundament.5 Die Selektion und Hervorhebung von drei besonderen evangelischen Räten führt nach Luther zu einer Ausklammerung anderer im Evangelium ausgesprochener Räte.

Die Gelübde werden dabei zu einer Form der Verweigerung von Glaube und Liebe.6 Durch

1 Manfred Scheuer, Die Evangelischen Räte. Strukturprinzip systematischer Theologie bei H. U. von Balthasar, K.

Rahner, J. B. Metz und in der Theologie der Befreiung, (StssTh 1) Würzburg 1990, 4-7.

2 Ausg. Schriften II, Darmstadt 1975, 143-157. Vgl. J.M.R. Tillard, Art. Consigli evangelici, in: DIP 2, 1661-1667; H.

Jedin, Geschichte des Konzils von Trient I, Freiburg 1949, 124-131.

3 De votis monasticis iudicium (Wartburg 1521), in: WA VIII,564-669. Vgl. B. Lohse, Mönchtum und Reformation.

Luthers Auseinandersetzung mit dem Möchsideal des Mittelalters, Götting 1963; J. Halkenhäuser, Kirche und Kommunität. Ein Beitrag zur Geschichte und zum Auftrag der kommunitären Bewegung in den Kirchen der Re- formation (Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien Bd. XLII, hg. vom Johann-Adam-Möhler- Institut) Paderborn 1978, 13-81. Vgl. ferner die Literaturhinweise zu Luthers Kritik am Mönchtum bei O.H. Pesch, Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie, Mainz 1988, 303.

4 WA VIII, 641f.

5 WA VIII, 581

6 WA VIII, 586f.

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das Gehorsamsgelübde dispensieren sich die Mönche von der universalen Demut; sie unter- werfen sich nur den Oberen, nicht aber Ihresgleichen oder Unterlegenen; sie sind auch nicht in allem untertan, wie vom Evangelium gefordert wäre.7 Zudem sieht der Reformator im Gehorsamsgelübde einen Skandal. Dem evangelischen Gehorsam sind nämlich Freiheit und Spontanität eigen. Das Gehorsamsgelübde ist geringer als die Freiheit des Evangeliums.8 Nur in der Keuschheit sieht Luther einen Rat.9 Der Zölibat als Gebot und Gelübde widerspricht für ihn diametral dem Evangelium. Wer aus diesem Rat ein Gebot macht, bringt sich um seine evangelische Frucht. Als Gebot fällt der Zölibat unter den Fluch des Gesetzes und unter das Verdikt der ‚Werkerei‘, die der Rechtfertigung allein aus dem Glauben widerspricht.

Konzil von Trient

Das Konzil von Trient hatte gegen die Herausforderungen Luthers auf theologischer Ebene nur eine dürftige Antwort. Am 8.10.1547 wurden sieben ‚Articuli haereticorum de votis monas- ticis‘ vorgelegt.10 Die Artikel betrafen die theologische Grundlage der Ordensgelübde: dass sie nicht der christlichen Freiheit zuwiderlaufen, dass sie nicht unerfüllbar und dass sie keine Ge- bote sind. Schließlich sollte die Überlegenheit des Standes der Jungfräulichkeit über die Ehe festgehalten werden. Beratungen der Konzilsväter über diese Artikel fanden weder auf dieser noch auf folgenden Sessionen statt. Die Arbeit des Konzils war in der Endphase stärker auf die praktische Ordensreform als auf die theologische Grundlage der Räte ausgerichtet.11 Einigkeit bestand unter den Konzilsvätern über den Vorrang des Standes der Keuschheit und des Zölibats vor der Ehe. Mit dem Ehedekret „Tametsi“ wurde als Canon 10 am 5.9.1563 ver- abschiedet: „Si quis dixerit, statum coniugalem anteponendem esse statui virginitatis vel coeli- batus, et non melius ac beatius manere in virginitate aut coelibatu, quam iungi matrimonio:

anathema sit“12 Das Konzil beruft sich dabei auf Mt 19,11 und 1 Kor 7,25f.38.40. Durch diesen Schriftbezug geht das Tridentinum indirekt auf ein reformatorisches Grundanliegen ein. Insge- samt sind aber auch sehr viele Fragen offengelassen. Nicht aufgegriffen ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ehelosigkeit und Vollkommenheit in der Liebe; nicht geklärt wird die Beziehung der Gelübde zur Taufe. Ausgeblendet ist das Zueinander von Ehelosigkeit und Nächstenliebe sowie die Dimension der Kirchlichkeit. Fatal ist die Reduktion der Räte auf die Ehelosigkeit; der Bezug der Jungfräulichkeit zu Armut und Gehorsam wird nicht geleistet. Nicht behandelt wird die charismatische Dimension der Ehe. Schließlich bleibt offen, auf welcher Ebene das ‚melius ac beatius‘ der Ehelosigkeit zu verstehen und wie es im konkreten Vergleich mit der Ehe zu denken ist.

7 Vgl. „Der Christ ist völlig freier Herr über alles und niemanden untertan. Der Christ ist ein allen völlig dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ (Traktat von der christlichen Freiheit (1520), in WA VII,49).

8 WA VIII, 645f.

9 WA VIII, 583-585.

10 CT VI/1, 520f.

11 Vgl. H. Jedin, Zur Vorgeschichte der Regularreform Trid. XXV, in: RQ 44 (1936) 231-281.

12 CT IX, 760 (DS 1810). Gegenüber dem ersten Entwurf vom 20.7.1563 („Si quis dixerit, matrimonium antponen- dem esse virginitati vel coelibatui, et non esse melius et beatius manere in virginitate et coelibatu, quam iungi matrimonio: anathema sit“ – CT IX,640) war noch der ‘status’ eingeführt worden. Damit sollte eine funktionale Begründung der Ehelosigkeit, die von Luther im Hinblick auf die Verkündigung des Wortes akzeptiert wurde, als nicht ausreichend erklärt werden.

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Kritik der Aufklärung

Die Kritik der Reformatoren am Räteleben bzw. Mönchtum wird in der Aufklärung aufgegriffen und weitergeführt.13 Auf wissenschaftlicher Ebene lösen Religionsgeschichte und Religions- wissenschaft die Theologie ab. So kommen die außerchristlichen religiösen Wurzeln des christlichen Mönchtums in den Blick.14 Die spezifisch christliche Gestalt der Nachfolge wird durch eine allgemein humanitäre Ethik abgelöst. So schreibt Kant: „Alles, was, außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu wer- den, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.“15 Ausdrücklich erwähnt er die „Eremi- ten-, Fakir- oder Mönchsstände“, die zwar alles, nur nicht ihre moralische Gesinnung Gott dar- bringen.16 Der Königsberger Philosoph hält es auch für eine Aufgabe der Aufklärung, alle kirch- lichen Standesunterschiede aufzulösen.17 Schließlich richtet sich die Aufklärung gerade gegen die „dunkle Mystik“. Gebet und Kontemplation – mit ein Wurzelboden für ein Leben in den Räten – werden auf ihre Nützlichkeit befragt. Sofern sie nicht pädagogisch relevant sind, wer- den sie als „Afterdienst“ disqualifiziert.18 So geraten im Gefolge der Aufklärung die Räte als Trias, wie auch Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam im Einzelnen unter Ideologieverdacht.

Der Wahrheitszeuge und der Menschenfresser (Sören Kierkegaard)

Einer total verbürgerlichten dänischen Staatskirche des 19. Jahrhunders gelten die sarkasti- schen Notizen S. Kierkegaards in seinem Tagebuch: „In der prächtigen Schlosskirche tritt ein staatlicher Hofprediger, der Auserwählte des gebildeten Publikums, vor einen auserwählten Kreis von Vornehmen und Gebildeten und predigt gerührt über die Worte des Apostels: Gott erwählte das Geringe und Verachtete. Und da ist keiner, der lacht.“19 Die Pfarrer sind für Sören Kierkegaard gleich Menschenfressern, und zwar auf abscheulichste Weise: „Was ist das Christentum des Neuen Testaments? Es ist die leidende Wahrheit. In dieser mittelmäßigen, jämmerlichen, sündigen, argen, gottlosen Welt muss – das ist die Lehre des Christentums – die Wahrheit leiden; deshalb ist das Christentum die leidende Wahrheit, weil es Wahrheit ist und auf dieser Welt ist.

Um deswillen litt darum sein Stifter nicht bloß den Tod am Kreuz, sondern sein ganzes Leben war von Anfang bis Ende Leiden; um deswillen litt der Apostel, um deswillen der Wahrheits- zeuge. Und nur Eines forderte der Erlöser, welch Gleiches nach ihm wieder der Apostel der Wahrheitszeuge, als das Einzige forderte: Nachfolge. Was aber tut ‚der Pfarrer‘? Dieser stu- dierte Mann ist ja kein Narr. ‚Ihm nachzufolgen, das wäre ein schöner Vorschlag für einen klugen Mann; da müsste zuerst die Veränderung mit dem klugen Mann geschehen sein, dass er närrisch geworden wäre, ehe es ihm beifallen könnte, sich auf so etwas einzulassen. Nein, aber ließe es sich nicht machen, dass man die Leiden dieser Herrlichen schilderte, ihre Lehre

13 Vgl. den Überblick bei Halkenhäuser, Kirche und Kommunität 108-112.

14 Vgl. K. Heussi, Der Ursprung des Mönchtums, Tübingen 1936.

15 I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (WW ed. W. Weischedel IV) 842.

16 A.a.O. 844

17 A.a.O. 785f.

18 A.a.O. 870

19 Sören Kierkegaard, Die Tagebücher. 3.Bd. X (1849) Düsseldorf 1968, 227.

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als Schulmeinung verkündigte, ließe sich das nicht derart machen, dass es ein so Erkleckli- ches abwürfe, dass ein Mann, der sein Leben genießen möchte, davon leben, sich darauf verheiraten und Kinder zeugen könnte, die davon ernährt würden? Das will heißen, ist es nicht möglich, die Herrlichen zu Geld zu machen, oder sie zu fressen, mit Weib und Kind davon zu leben, dass man sie frisst? … Und all das verdankt er: den Leiden der Herrlichen, dem Erlöser, dem Apostel, dem Wahrheitszeugen, davon lebt dieser Pfarrer, so frisst er, mit ihnen füttert er in frohem Lebensgenuss sein Weib und seine Kinder.‘20

Sören Kierkegaard führt den Abfall von dem, was Jesus Christus gewollt hat, auf den histori- schen Kompromiss zurück, der die Kirche schließlich zu einer dem bürgerlichen Leben und seinen Prioritäten eingepassten Wirklichkeit dieser Welt gemacht hat. Im Kern besteht das

„Verbrechen“ des kirchlich-bürgerlichen Christentums darin, dass man den religiösen Gewinn des Christseins einstreichen, aber den Anforderungen der Christusnachfolge sich entziehen will. „Die Gaunerei der ‚Christenheit‘ liegt ... darin, dass man die Gabe entgegennimmt – und der Verpflichtung ein Gottbefohlen wünscht, dass man Erbe der Gabe sein will, aber ohne die Verpflichtung zu übernehmen. Doch heuchlerisch wie mit allem in der Christenheit hat man so getan, als ob die Christenheit ja auch daran festhalte, dass Christentum eine Verpflichtung sei – man muss sich taufen lassen. Ah! das heißt eigentlich verflixt schnell mit der Verpflichtung fertigwerden! ... Nein, die Verpflichtung heißt: Jesu Christi Nachfolge.“ (325f.)

Und heute: der Anpassungs- und Transformationsdruck, der von der religiösen Marktsituation in der Spät- und Postmoderne ausgeht, ist nicht zu verkennen. Wie kann dann aber zwischen reaktionär-antipartizipativer und traditionalistischer Anpassungskritik einerseits und der pro- phetischen Kritik an der Verbürgerlichung der Kirche andererseits unterschieden werden? Wie kann die Parteinahme für das hohe Gut der vernünftig verantworteten Glaubensüberzeugung und für die Mitsprache in der Kirche vereinbart werden mit der Skepsis gegenüber den Logiken der Akzeptanzerzeugung? Die Arsenale der Kirchenkritiker sind wohlgefüllt mit Vorwürfen, die Kirche habe sich jeweils zur Anpassung an die „falschen“ gesellschaftlichen Mächte und Trends verführen lassen und dabei ihren Ursprung verraten, ja radikaler noch. Sie repräsen- tiere die geschichtlich unter Beweis gestellte Unmöglichkeit jener Vermittlung, die sie für ihren ureigenen Auftrag halte, der Vermittlung zwischen dem prophetischen Aufbruch Jesu - seiner Infragestellung der Welt und jeder religiösen Institution - und der „Welt“, in die hinein die Kirche wachsen, in der sie Akzeptanz finden wollte.

Normal und anders

Vom Genetiker Markus Hengstschläger stammt das Buch Die Durchschnittsfalle. Gene – Talente – Chancen:21 Die Mittelmäßigkeit ist der Liebling der Österreicher. Das führt unser Land in eine evolutionäre Sackgasse. „Der Durchschnitt hat noch nie etwas Innovatives ge- leistet. Da schwärmt ein Vater: ‚Mein Sohn ist so problemlos, ist noch nie negativ aufgefallen.‘

Aber auch positives Auffallen ist nicht erwünscht. Das wäre nämlich Stress. Die Gesellschaft arbeitet immer auf den Durchschnitt hin. Wie soll etwa eine Durchschnittsnote entscheiden, ob jemand ein guter Arzt wird? Der statistische Durchschnitt bringt nicht weiter und ist nicht zu- kunftstauglich. Eine repressive Egalität blendet das konkrete antlitzhafte Du mit der konkreten Wirklichkeit von Leid, Angst, Unterdrückung und Tod aber aus. Individualität hat keine Chance.

Was ist bei einem statistischen Durchschnitt mit dem konkreten Gesicht, mit dem Antlitz, mit

20 Sören Kierkegaard, Der Augenblick (WW Abt. 34) 311-314.

21 Ecowin Verlag, Wien 2012.

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dem Namen? Was mit der Zärtlichkeit und mit dem Eros, was mit der Schönheit, was mit dem Beten? Sind Zahlen arbeitslos? Haben Statistiken Probleme? Sterben Zahlen an Krankheiten?

In der Sache geht es um das Talent oder auch Charisma, also um das individuelle, besondere Wissen, Können und Handeln-Wollen jedes Einzelnen. Da fallen einem Plácido Domingo ein und Anna Netrebko, was die Stimme betrifft, oder Lionel Messi bei den Fußballern. „So ein Talent“, sagen die einen, „hat man, oder hat man nicht“. „Aber nein“, sagen die anderen, „alles kommt nur vom Üben, Üben und wieder Üben.“ So nehmen wir nach Hengstschläger nicht die Talente wahr, sondern nur die Erfolge, die wir mit ihrer Hilfe erzielen. Oder: Talente können nicht gewertet werden, weil wir nicht wissen, welches Talent in der Zukunft von Bedeutung sein wird. Wer würde von uns sagen: Diese Frau ist ein Genie in der Pflege, oder: der hat ein Talent zum Dienen?

– Gilt diese Kritik an der Mittelmäßigkeit, am Durchschnitt und an der Gleichmacherei auch für die Kirche? Hat unser Niveau des Gebetes, der Nachfolge und der Caritas Zukunft oder löst sich die Kirche mit ihren Grundvollzügen auf?

„Ein feines Gefühl lässt sich so wenig lernen wie ein echtes. Man hat es – oder hat es nicht“, so lautet ein Aphorismus von Theodor Fontane. So was hat man oder man hat es nicht!? Gilt das für ein feines Gefühl, für Ausstrahlung, für Talente, für Charisma, Selbstbewusstsein, Rhetorik, Liebesfähigkeit, für Musik und Religiosität, für Berufung und Sendung? „Sowas hat man“ ist ein Songtext von Böhse Onkelz: „Ich war zu groß, zu dick, zu blass / Zu irgendwas / KOMPLIZIERT / Quer über die Stirn tätowiert / Sowas hat man oder hat man nicht / Sowas ist man oder ist es nicht - alle Augen auf mich / Vom Prolet zum Prophet - ja sowas geht, wie ihr seht / Es ist ganz leicht - wenn man weiß, wie es geht / Heute begreife ich jedes Lied / Als einen Sieg / Über die Zeit / Über Herkunft und Vergangenheit.“ Oder ist jedes Lied, jedes Gebet, jedes Gespräch in der Pastoral ein Sieg über die Zeit, über die Herkunft und Vergan- genheit?

Berufung zur Heiligkeit

Im Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-9) spricht Jesus davon, dass die Saat teils auf den Weg fällt, wo sie dann von den Vögeln gefressen wird, teils auf felsigen Boden, auf dein sie keine Wurzeln fassen kann, und so bald verwelkt und verdorrt, teils unter Dornen, unter denen die Saat ersticken. Ein anderer Teil fiel auf guten Boden und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils dreißigfach. – Die Schriftauslegung der Kirchenväter und auch des Mit- telalters hat dieses Gleichnis auf Weisen der Heiligkeit und auf Stände der Kirche hin gedeutet.

Von einer dreifachen Vollkommenheit ist die Rede, einer höheren Form, einer mittleren und einer minderen. Hundertfache Frucht bringen die Märtyrer, sechzigfache die Jungfrauen und die Asketen, dreißigfache vielleicht noch die Verheirateten.22 Die Märtyrer galten nach den Aposteln als der Prototyp der Heiligkeit, von dem her alle anderen gemessen wurden. Jung- fräulichkeit, Askese oder auch die Pflege von Pestkranken wurden als unblutiges Martyrium verstanden. Der berufliche Alltag, die tagtäglichen Mühen in der Ehe konnten nur im Kontext eines minderen Christentums verstanden werden. Kein Wunder, dass die Rede von Heiligkeit in den Verdacht kam, den Großteil der Christen zu vernachlässigen oder als minderwertig zu betrachten.

Wohl hat das Vatikanum II die allgemeine Berufung zur Heiligkeit und die Berufung aller zur vollkommenen Liebe wieder in die Erinnerung gerufen. Bewusst wird diese Berufung im 5.

22 Thomas von Aquin, Super Evangelium S.Matthaei Lectura (ed. Marietti) Romae 1951, n.1053.

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Kapitel der Kirchenkonstitution vor die einzelnen Ausprägungen, z. B. im Ordensleben gesetzt.23 Zudem sieht die Pastoralkonstitution des Konzils vom Geheimnis der Inkarnation her keinen Bereich des Lebens, der Kultur und der Gesellschaft als wertneutral gegenüber dem Reich Gottes (GS 22). – Ich glaube nicht, dass ich die nachkonziliare Entwicklung falsch einschätze, wenn ich meine, dass die oben angeführten Abschnitte des Konzils wenig im kirchlichen Allgemeinbewusstsein rezipiert wurden. Es ist zumindest nicht generell so, dass seitdem alle und nicht nur die Ordensleben ein intensives geistliches Leben führen. Und teil- weise war es mehr ein frommer Wunsch als Wirklichkeit, das Evangelium in die Wirtschaft, in die Kultur, in die Wissenschaft einzupflanzen. Man wusste eher negativ und kritisch, was das nicht heißt. Das Verständnis von Christentum und Glaube hat sich nicht selten in eine abstrakte Allgemeinheit verflüchtigt.

„So erscheint das Bekenntnis zu den evangelischen Räten als ein Zeichen, das alle Glieder der Kirche zur eifrigen Erfüllung der Pflichten ihrer christlichen Berufung führen kann und soll.“

(LG 44) Das Ordensleben gibt dem Evangelium ein Gesicht und eine Stimme. Es geht nicht um eine falsche Arroganz oder um ein verkehrtes Elitedenken, sondern um Stellvertretung im christlichen Sinn. Stellvertretung heißt: „Einer trage des anderen Last.“ (Gal 6,2). Stellvertre- tung heißt: Räume des Gebetes, der Hoffnung und der Liebe eröffnen und offen halten, wo diese bei anderen verschlossen sind, wo nichts mehr erwartet ist, weil der Schmerz zu groß, die Erschöpfung zu stark, die Zumutung des Leidens zu massiv war. Stellvertretung heißt:

andere mitnehmen auf dem Weg, wie Jesus uns mitnimmt auf dem Weg zum Vater und zur Communio mit seinen Brüdern und Schwestern. Stellvertretung heißt auch: Ins Leere, ins Um- sonst hinein lieben, damit andere wieder liebesfähig werden und einen Lichtblick sehen. Ich bitte die Ordensgemeinschaften, dass sie stellvertretend Räume der Gastfreundschaft, des Gebetes, der Liebe und der Hoffnung offen halten, Menschen mitnehmen auf ihrem Weg, hel- fen, die Lasten der Menschen und der Kirche zu tragen.

Nachfolge Jesu

Das Konzil hat in der Kirchenkonstitution (LG 43) und im Dekret über die zeitgemäße Erneue- rung des Ordenslebens daran erinnert, dass „das Streben nach vollkommener Liebe auf dem Weg der evangelischen Räte in Lehre und Leben des göttlichen Meisters seinen Ursprung hat.“ (PC 1) „Letzte Norm des Ordenslebens ist die im Evangelium dargelegte Nachfolge Christi. Sie hat allen Institutionen als oberste Regel zu gelten.“ (PC 2) „Das Ordensleben (zielt) durch die Verpflichtung auf die evangelischen Räte vor allem anderen auf die Nachfolge Christi und die Vereinigung mit Gott ab.“ (PC 3)

„Orden – das ist für mich (immer noch) ‚Kirche im Brennpunkt.’“24 In den Orden geht es um die Identität der Kirche. Die ganze Kirche steht unter der Gnade und unter dem Imperativ der Nachfolge, aus der heraus ihre Identität erwächst. Die Orden stehen zur Großkirche und zu Gesellschaft in einer lebendigen Spannung. In ihnen geht es um die lebendige, gefährliche,

23 „Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden, zur Heiligkeit berufen gemäß dem Apostelwort: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“ (1 Thess 4,3; vgl. Eph 1,4). Diese Heiligkeit … drückt sich vielgestaltig in den Einzelnen aus, die in ihrer Lebensgestaltung zur Vollkommenheit der Liebe in der Erbauung anderer streben. ... Jedem ist also klar, dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind. Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschlichere Weise zu leben gefördert.“ (LG 39-40).

24 Johann Baptist Metz, Zeit der Orden? Zur Mystik und Politik der Nachfolge, Freiburg i. B. 1977, 91.

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innovatorische, schöpferische, prophetische, kritische, korrigierende, schockierende und prak- tisch gelebte Erinnerung, dass Christsein und Nachfolge zusammen gehören.25 Das Ordens- leben hat Zeichencharakter. In der gegenwärtigen Gesellschaft und Kirche gibt es seit einigen Jahren so etwas wie eine schleichende „Entchristologisierung“ des allgemeinen Glaubensbe- wusstseins, der Glaubens- Gebets- und Liedsprache innerhalb der kirchlichen Frömmigkeit.

Das Ordensleben ist eine konkrete und lebendige Erinnerung an Jesus. Dessen Christozentrik ist heilsamer Kontrapunkt gegenüber der Jesusvergessenheit in vielen Varianten der Spiritua- lität. Die evangelischen Räte sind die Lebensform Jesu, also des armen, keuschen und gehor- samen Jesus, die im Mysterium seines Sterbens und seiner Auferstehung gipfelt. In den Or- densregeln wird Jesus selbst mit seinem Evangelium zur Norm und Kriterium aller Spiritualität.

Die Orden erinnern an Jesus und geben dem Evangelium ein Gesicht. Die Lebensform der evangelischen Räte entspringt nicht primär einem asketischen Programm, auch nicht der Selbststilisierung der Subjekte. Ordensleute sind von Jesus Christus angesehene. „Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie abwendet, so auch Deine Liebe. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst. … Indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Und nichts anderes ist Dein Sehen als Lebendigmachen. … Dein Sehen bedeutet Wirken.“26 (Nikolaus Cusanus)

Nachfolge als Weg der Freude

Nachfolge Jesu ist ein Weg in die Freude. Es wäre Ideologie und Kälte, wenn man Liebe nur als kategorischen Imperativ versteht. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.“27 Spiritualität muss gegen Moralisierung die Liebe und Gnade Gottes als Vergebung und Versöhnung, als Ermächtigung der Freiheit und Liebe des Men- schen zur Geltung bringen. Nachfolge Jesu ist kein Moralismus zur Potenz; sie wurzelt in der Freundschaft mit Jesus und in der Faszination am Reich Gottes. Eine solche Liebe als Über- steigen und Verschenken ist höchstes Engagement von Freiheit und nicht deren Auslöschung.

Ohne Eros für Gott zerfällt Spiritualität in asketische Peitschenknallerei, in Moralismus. Nach- folge und Liebe sind ja nicht zuerst finstere Pflichterfüllung oder geplagte Sorge, sondern hin- gerissenes Lob und Entzückung.

Gnade ist dabei nicht billig. Für Dietrich Bonhoeffer ist die „Nachfolge Christi“ kritisches Krite- rium gegenüber einem bloß angepassten bürgerlichen Christentum: „Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament. ... Gnade ohne Preis, ohne Kosten. ... Also der Christ folge nicht nach, aber er tröste sich der Gnade! Das ist billige Gnade als Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Recht- fertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde lässt und umkehrt; nicht Vergebung der Sünde, die von der Sünde trennt. Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selber haben.

Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ... ist Absolution ohne persönliche Beichte.

Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, Mensch gewordenen Jesus Christus. ... Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder

25 Johann Baptist Metz, Zeit der Orden 10.38.

26 Nikolaus von Kues, De visione Dei/Die Gottesschau, in: Philosophisch-Theologische Schriften, hg. und eingef.

Von Leo Gabriel. Übersetzt von Dietlind und Wilhelm Dupré, Wien 1967, Bd. III, 105-111.

27 Th. W. Adorno, Stichworte, Frankfurt a. M. 1969, 99.

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gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt. ... Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes.“28

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

28 D. Bonhoeffer, Nachfolge (WW hg. von E. Bethge, Bd. 4, hg. von M. Kuske und I. Tödt), Gütersloh

21994, 29-31.

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