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Die DNA der Verschwörungstheorien | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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nun namentlich Bekannten wirft man vor, dass sie nur scheinbar Gutes im Schilde führen, in Wahrheit jedoch einem geheimen Plan folgen, der gegen das Gemeinwohl gerichtet ist. Ent- sprechend böse Absichten werden etwa Bill und Melinda Gates unterstellt, sie würden die Armut nur «vordergründig» bekämpfen.1

Die Problematik von Verschwörungstheorien mit dieser Ausrichtung ist, dass diese von vorn- herein Interessenpolitik als Verschwörung deuten. Gemäss dieser Denkweise funktioniert das demokratische System eben nicht, weil es unterwandert wurde.

Boom im 18. Jahrhundert

Verschwörungstheorien sind kein neues Phä- nomen – auch wenn man ob der medialen Be- richterstattung meinen könnte, dass wir heut- zutage in einem konspirativen Jahrhundert leben. Zumindest seit der Antike finden sich Verschwörungstheorien im politischen und ge- sellschaftlichen Diskurs als Strategie sowie als Sinngenerierung. Sie treten vermehrt in Krisen- zeiten, also in Zeiten von Unsicherheit, auf.

Die wirkmächtigsten Verschwörungstheorien haben häufig eine antisemitische Prägung. Ins- besondere der angebliche Einfluss von jüdischen Geldgebern im Hintergrund ist ein Stereotyp der (europäischen) Kulturgeschichte – heutzu- tage finden sich zum Beispiel in verschiedenen kulturellen Repräsentationen verschwörungs- theoretische Anspielungen auf die Familie Rothschild.2

Ein Boom hinsichtlich Verschwörungs- theorien fand im 18. Jahrhundert statt. Im Vordergrund vieler Debatten dieser Zeit standen die Nützlichkeit des aufklärerischen Denkens und die Rolle der Wirtschaft und der Unternehmer im Hinblick auf ihr gesellschaft- liches Wirken. Gerade Jesuiten, die sogenannte Indianerreduktionen in Übersee unterhielten,

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teckt der US-Milliardär Bill Gates hinter der Corona-Pandemie? Ist der Investor George Soros schuld an der Flüchtlingskrise? Waren die Amerikaner gar nie auf dem Mond? Und ist Ex- Präsident Barack Obama gar nicht in den USA geboren? Verschwörungstheorien sind zu einem medialen Schlagwort geworden. Sie haben grösstenteils den Sinn, durch den Blick hinter die Kulissen vorher Unerklärliches erklärbar zu machen. Verschwörungstheorien unter- stellen häufig, dass korrupte Eliten die Zügel in der Hand haben und schlussendlich machen können, was sie wollen. Viele Anhänger von Verschwörungstheorien glauben an geheime

«Netzwerke», die hinter verschlossenen Türen Gesetze beeinflussen. Sie stellen demgemäss oft die Fragen «Wer ist schuld?» und «Wem hat das genützt?».

Verschwörungstheoretiker degradieren gan- ze Regierungen zu Instrumenten dieser Netz- werke, und Politik sehen sie als Vollzug eines Plans mächtiger Hintermänner. Auch Lobbyis- mus deuten sie als bewussten, regelgeleiteten Plan einer Verschwörung von Mächtigen, die ihre Identität geheim halten wollen. Im Kern solcher Verschwörungstheorien finden sich Strippenzieher, die hinter den Kulissen be- stimmen, was wirklich passiert. Neben Persön- lichkeiten wie Politikern sind dies häufig Wirt- schaftstreibende oder Unternehmer. Wichtig für Verschwörungstheoretiker ist, deren Identi- tät offenzulegen.

Anschliessend kommt ein weiteres Stilmittel von Verschwörungstheorien zum Zuge: Den

Die DNA der Verschwörungstheorien

Viele Verschwörungstheorien richten sich gegen «korrupte» Eliten, die «geheime Pläne»

hegen. Sie folgen oft den gleichen Mustern.  Claus Oberhauser

Abstract  Wie funktionieren Verschwörungstheorien, und welcher Zusam- menhang besteht im Hinblick auf Politik und Wirtschaft? Verschwörungs- theorien folgen wiederkehrenden Mustern. Sie zielen oft auf das Gemein- wohl ab und richten sich gegen «korrupte» Eliten, denen man unterstellt, sich im Geheimen verschworen zu haben. Verschwörungstheorien operie- ren im Modus der moralischen Empörung und verhindern dadurch häufig eine sachliche Auseinandersetzung.

1 Compact Education Group (2020); Butter (2018).

2 Routledge (2020).

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KEYSTONE

Schild der verschwörungsideologischen Q-Anon- Bewegung an einer Kundgebung in den USA.

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unterstellte man in verschiedenen europäi- schen Ländern, dass sie «habgierig» seien, sich also bereicherten, oder von Rom gelenkt sein würden. Letztlich bezeichnete man sie als

«Staat im Staat». Dies ist ein gängiges Motiv von Verschwörungstheorien. Heutzutage ist häu- fig die Rede von einem «deep state», also einer international ausgerichteten Organisation im Untergrund, die die Geschicke des Staates be- stimmt. Im 18. Jahrhundert wurde die öffentli- che Hetze gegen die Jesuiten so stark, dass sich Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 gezwungen sah, den Orden aufzuheben.

«Skandalöses» Königshaus

Viele Verschwörungstheorien des 18. Jahr- hunderts richteten sich direkt gegen den Ein- fluss aufklärerischer Wirtschaftsweisen. Ein häufiges Feindbild waren die sogenannten Physiokraten – eine ökonomische Gruppierung, die den Landwirtschaftssektor als wichtigste volkswirtschaftliche Basis betrachtete. Am Vor- abend der Französischen Revolution erschienen zahlreiche verschwörungstheoretische Texte, in denen dem Minister und überzeugten Physio- kraten Anne Robert Jacques Turgot unterstellt wurde, Anhänger einer gross angelegten Ver- schwörung der Aufklärer zu sein.

Der Auslöser war Turgots Wirtschafts- politik: Er hatte den Getreidemarkt liberalisiert, um das Staatsdefizit zu reduzieren. In der Folge brach Panik aus, und die Mehlpreise stiegen stark an. Bald hiess es, korrupte Spekulanten und Interessengruppen, die sich gegen das Ge- meinwohl verschworen hatten, seien dafür zu- ständig, dass die Mehlpreise ins Unermessliche steigen würden. In sogenannten Mehlkriegen gingen Tausende auf die Strasse, Turgot wurde entlassen und der Getreidehandel wieder staat- lich reguliert.

Für das französische Königshaus war der Schaden aber angerichtet: Kritiker forderten immer lauter politische Reformen. Vermehrt

Literatur

Butter, Michael (2018). Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungs­

theorien.

Compact Education Group (2020). Leitfaden Verschwörungstheorien.

Routlege (2020). Routledge Handbook of Conspiracy Theories, Michael Butter und Peter Knight (Hrsg.).

Claus Oberhauser

Professor für Geschichtsdidaktik, Pädagogische Hochschule Tirol, Innsbruck

erschienen «Skandalchroniken», also Geschich- ten über das skandalöse und korrupte Handeln des französischen Königshauses. Mit anderen Worten: Verschwörungsdenken ist stark mit moralischer Empörung verbunden.

Transparenz als Gegenmittel

Diese historischen Beispiele zeigen eindrück- lich: Verschwörungstheorien über Lobbyisten oder Interessenpolitik folgen Mustern. Oft ste- hen der Vorwurf eines «deep state» sowie die Profitgier von Unternehmern und Spekulan- ten – zulasten des Volkes – im Raum. Weitere wiederkehrende Elemente sind korrupte Eliten, internationale Netzwerke und eine moralische Empörung.

Heisst dies aber nun, dass Verschwörungs- theorien, die sich mit dem Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen befassen, ins Reich der Mythen zu verbannen sind? Nein, keineswegs. Natürlich gibt es genügend Bei- spiele, welche starke Einflüsse beweisen. Viel eher sollte man daran denken, dieses Phäno- men multiperspektivisch zu betrachten und zu entskandalisieren. Transparenz und geregelte Legalisierung waren schon immer die Antago- nisten des Geheimen und der Verschwörung.

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