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Lebensspuren

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A R B E I T S K O P I E A R B E I T S K O P I E

Horst Schreiber

Einleitung

Der Wohnungsmarkt in Innsbruck war frei, die deutschnationale Mehrheit im Gemeinderat vertraute der Selbstregulierung des Marktes. Ergebnis: Die Spekula- tion war groß, das Angebot leistbarer Wohnungen gering, die Mieten überteuert.

Der Sturz der Monarchie, die Einführung der Demokratie, Wahlen und schließ- lich der politisch völlig neu zusammengesetzte Gemeinderat, in dem die Sozial- demokratie ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, machten es möglich: Erstens die Beschlagnahmungen von Zimmern und Wohnungen, um sie Wohnungs- suchenden gegen angemessene Miete anbieten zu können. Zweitens neue Woh- nungen zu bauen und Notwohnungen herzurichten. Die bürgerliche Mehrheit bevorzugte die Förderung von Wohnbau für Menschen, die Eigenmittel hatten, und nicht für die Armen, in denen sie Asoziale und Arbeitsscheue erkannte. Der forcierte Wohnungsbau der Nationalsozialisten behob die Wohnungsnot nicht, zu lang waren die Versäumnisse, zu groß der Zuzug, besonders aus Südtirol. Im Krieg fehlten die Ressourcen, ab 1943 legten alliierte Bomber die Stadt in Schutt und Asche. In Zeiten materieller Bedürftigkeit und der Spekulation, schreibt Sabine Pitscheider in ihrem Beitrag „‚Die entsetzliche Wohnungsnot‘– Notizen zu Inns- brucks Geschichte 1919–1945“ reagierten öffentliche Stellen mit gesetzlichen Ein- griffen, „um HausbesitzerInnen an die soziale Pflicht, die mit Eigentum verbunden ist, zu erinnern und Solidarität vorzuschreiben.“

Wenige Menschen sind es nur mehr, die über Flucht und Vertreibung wäh- rend der nationalsozialistischen Diktatur berichten können. Marion Fischer ist eine von ihnen. Sie lag fast noch in den Windeln, als die Odyssee ihrer Fami- lie begann, nach Triest, Ferramonti, Arsiero, über die Berge in die Schweiz. Die Lager in Italien waren weitaus humaner als jene des Deutschen Reiches. Familie Klein überlebte aber nur deshalb, weil sie von Menschen Hilfe bekam, die sich an ihrer jüdischen Herkunft nicht stießen. Don Frigò etwa, ein Geistlicher, Rinaldo Arnaldi, ein Widerstandskämpfer wie seine Schwester Maria, Fluchthelferin und Unterstützerin der Partisanen. Das Leben als Flüchtling in der Schweiz erinnert in Umrissen an heute: Das Land war ein Hafen der Hoffnung, vielen bot es Sicherheit;

private Helferinnen, staatliche Förderungen und internationale Organisationen garantierten ein materielles Durchkommen. Doch dann machte sich Abneigung breit, bei Behörden und in der Bevölkerung, sie machten Grenzen dicht, zu viele Flüchtlinge begehrten Einlass. Die Kehrseite Schweizer Flüchtlingspolitik erlebte auch Familie Klein: Benachteiligung und Beschämung, Trennung voneinander, ein Leben am Rande, Abschiebung, die drohte. Die – erzwungene – Rückkehr nach Österreich war bitter, die Entscheidung, nach Innsbruck zu ziehen, ein Irrtum.

Hier lebten nicht, wie angenommen, weniger Nazis als in Ostösterreich. Bis heute besucht Marion Fischer, nunmehr 82 Jahre alt, Schulen, um jungen Menschen ihre Geschichte zu erzählen. Weil es jetzt sogar notwendiger sei denn je, findet sie, die

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Denunziation von Flüchtlingen empört sie. Das Porträt einer Frau, die nie auf- gibt und das Leben unbändig liebt, trotz allem und gerade deshalb, entwirft Horst Schreiber in seinem Beitrag „Marion Fischer, Überlebende des Holocaust: Ich bin so dankbar, dass wir mit dem Leben davongekommen sind.“

Sie versinnbildlichte den aufgeklärten Humanismus des Bürgertums, jenseits von Klischees und elitärer Einstellung. Ihrer Vertreibung aus Innsbruck und dem sorgenfreien Leben als Kind einer wohlhabenden Familie, Mitbesitzerin des Kauf- hauses Tyrol, damals Bauer & Schwarz, konnte sie Positives abringen. Sie sah einen Gewinn in ihrem erzwungenen Lebenslauf, der sie vor Klassendünkel bewahrt hatte.

Ihre große Liebe, die sie fand, scheint einem Hollywood-Film entsprungen. Tiefe Hingezogenheit ab dem ersten Augenblick des Aufeinandertreffens, die Unmöglich- keit, eine Beziehung leben zu können, die Politik, die alle Bande kappt, jahrelange Trennung, dann ein Wiedersehen als Test der Gefühle und sofortige Heirat bald nach dem Krieg. In Rom. Der kommunistische Bürgermeister ließ es sich nicht neh- men, den Akt der Verehelichung selbst vorzunehmen, ihn rührte die Liebesromanze Holocaust-Überlebender. Erika Schwarz, die in Israel den Namen Judith Shomrony annahm, starb letztes Jahr im August, wenige Tage nach ihrem 100. Geburtstag. Ihr widmet Horst Schreiber einen Nachruf: „Ein Leben in Zufriedenheit trotz Flucht und Vertreibung: Erika Schwarz/Judith Shomrony (1918–2018)“.

Überall in Westeuropa, wo das deutsche Heer Gebiete erobert und besetzt hatte, waren nach Ende des Krieges Racheakte gegen Frauen, die mit Wehrmachts- soldaten Beziehungen hatten, weit verbreitet. Die Männer sahen ihre Ehre und die ihrer Nation besudelt, die Frauen waren Verräterinnen, ihre Kinder Bastarde. Ob in Frankreich oder Italien, in Holland, Dänemark oder Norwegen, in Städten oder Dörfern, die Vorgangsweise war stets ähnlich: Die selbsternannten Moralwächter entkleideten und demütigten Frauen, rasierten ihnen die Haare ab, beschmierten sie mit Hakenkreuzen, trieben sie durch die Straßen, stellten sie auf öffentlichen Plätzen zur Schau. Der Mob johlte und gaffte, die Menge spuckte und tobte. Die Kinder der Schande fielen der Ächtung anheim. Die Auswirkungen von Diskri- minierung und sozialem Ausschluss sind eine weitaus geringere Bildungsrate, aber eine deutlich höhere Zahl an psychischen Erkrankungen und Selbstmor- den in der Gruppe der Kinder von Wehrmachtssoldaten in den ehemals deutsch besetzten Staaten als in der Gesamtbevölkerung. Im besetzten Österreich war nach 1945 eine derart unmittelbare Verfolgung von Frauen, die mit alliierten Soldaten Beziehungen unterhielten, nicht möglich, obwohl viele Männer gerne diesen Weg beschritten hätten. Doch auch in Tirol war die Bandbreite feindseligen Vorgehens gegen diese Frauen und ihre Kinder groß, das Leid der Betroffenen immens. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Erfahrungen der Töchter und Söhne von Soldaten, die Österreich von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit haben, ist noch jung, hat aber bereits zahlreiche Forschungsergebnisse hervorgebracht;

in Tirol stehen sie noch weitgehend aus. Flavia Guerrini hat sich zum Ziel gesetzt, diese Forschungslücke in Westösterreich zu schließen. Spannende Einsicht in ihre Arbeit vermittelt der Beitrag „‚… weil ich kann nichts dafür und ich habe das Leben leben müssen, in das sie mich reingestellt haben.‘ Einblicke in die Lebens- geschichten von Besatzungskindern in Tirol“.

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