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Die deutsch-schwedischen Beziehungen 1939-1945.

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Sven Radowitz

Die deutsch-schwedischen Beziehungen 1939-1945.

Das Kleinstaatsparadigma auf dem Prüfstand

Die bisherigen Forschungsergebnisse zu den deutsch-schwedischen Beziehungen stammen zum größten Teil aus Schweden und sind in ihrem Urteil einigermaßen einhellig: Das an Bevölkerungszahl und Industrieproduktion dem Deutschen Reich in jeder Hinsicht klar unterlegene Schweden habe sich aufgrund der strategischen Lage ab April 1940 nicht mehr den deutschen Forderungen entziehen können. Mit den deutschen Besatzungstruppen in Dänemark und Norwegen, durch das Ab- schneiden vom Weltmarkt mit der Skagerraksperre und aufgrund des Ausscheidens der Westmächte als politischer und militärischer Faktor in Skandinavien sei der schwedischen Demokratie nur noch die Wahl zwischen einer Anpassung an die neue Lage und damit dem Eingehen auf die deutschen Forderungen oder einer deutschen Besetzung geblieben. Weitere Optionen und Zwischenabstufungen tau- chen in der Argumentation so gut wie nicht auf1.

Einer umfassenden kritischen Analyse mussten sich die Vertreter des Klein- staatsparadigmas bisher jedoch ebenso wenig stellen, wie sie mit der deutschen Strategie in Skandinavien konfrontiert wurden. Auch eine konsequente Einbettung der deutsch-schwedischen Beziehungen der Jahre 1939 bis 1945 in den Gesamt- zusammenhang des Krieges wurde bisher nicht in ausreichendem Maße vorge- nommen. Wird daher sowohl die schwedische als auch die deutsche Perspektive als Ausgangsbasis für eine Analyse gewählt, so erscheint es gewinnbringend, das aus schwedischer Sicht durchaus plausible Kleinstaatsparadigma sowie weitere auf dieser Interpretation fußende bisherige Deutungsmuster kritisch zu hinter- fragen2.

1 Als Beispiel sei an dieser Stelle auf zwei zeitlich weit auseinander liegende, entscheidende Veröffentlichungen der Vertreter des Kleinstaatsparadigmas verwiesen. Vgl. Wilhelm Carlgren, Svensk utrikespolitik 1939-1945, Stockholm 1973; Kent Zetterberg, Det neutrala Sveriges skuld och ansvar. In: Historia, krig och statskonst. En vänbok tili Klaus-Richard Böhme. Red. av Kent Zetterberg och Gunnar Äselius, Stockholm 2000, S. 319-356. In Schweden steht vor allem Alf W. Johansson dem Kleinstaatsparadigma kritischer gegenüber, das Gleiche gilt für Klaus Wittmann sowie - in abgeschwächter Form - für Hans-Jürgen Lutzhöft und John Miller West. Vgl. Alf W. Johansson, Neutralitet och modernitet. Andra världskriget och Sveriges nationella identitet. In: Horisonten klarnar.

1945 - Krigsslut. Red.: Bo Huldt och Klaus-Richard Böhme, Stockholm 1995, S. 203-225;

Alf W. Johansson, Den nazistiska utmaningen. Aspekter pä andra världskriget, 5. uppl., Stockholm 2000; Klaus Wittmann, Schwedens Wirtschaftsbeziehungen zum Dritten Reich 1933-1945, München 1978; Hans-Jürgen Lutzhöft, Deutsche Militärpolitik und schwedi- sche Neutralität 1939-1942, Neumünster 1981; John Miller West, German-Swedish Rela- tions 1939-1942, Denver, CO 1976.

2 Die nun folgende Auseinandersetzung mit den deutsch-schwedischen Beziehungen wäh- rend des Zweiten Weltkrieges basiert auf der ausführlicheren Analyse im Zuge meiner Dissertation »Schweden und das >Dritte Reich< 1939-1945: Die deutsch-schwedischen Beziehungen im Schatten des Zweiten Weltkrieges«, Hamburg 2005. Aus Platzgründen ist daher oftmals nur eine Auswahl der Literatur, vor allem aber der verwendeten Quellen angegeben.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 1-20 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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Der Zweite Weltkrieg schien bei seinem Ausbruch im September 1939 für Stock- holm trotz einer Verschlechterung der Sicherheitslage durch den Hitler-Stalin-Pakt ein noch verhältnismäßig gut kalkulierbares Risiko dargestellt zu haben. Geografisch getrennt vom eigentlichen Konfliktherd nahm die Regierung den Kriegsausbruch relativ gelassen. Stockholm hatte aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges Kon- sequenzen gezogen und frühzeitig mit der Einlagerung blockaderelevanter Roh- stoffe begonnen, deren ausbleibender Import als schwerwiegendste Kriegsfolge angenommen wurde, verfiel über diese ökonomischen Bestrebungen hinaus jedoch nicht in hektische Aktivitäten. In der Vorkriegszeit hatte die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und dem Bauernbund das deutsche Angebot eines Nichtangriffs- paktes zurückgewiesen, die 1936 einsetzenden Wiederaufrüstungsbestrebungen wurden mit Kriegsausbruch ebenso wenig verschärft, wie es zu umfassenden Einbe- rufungen kam3.

Lediglich auf dem Gebiet der Kriegshandelspolitik entfaltete Schweden nennens- werte diplomatische Aktivitäten, um sowohl gegenüber den Alliierten als auch ge- genüber dem Deutschen Reich seine Handels- und Versorgungsinteressen abzusi- chern. Mit einer vorbeugenden Kriegshandelspolitik sollten die negativen Kriegs- folgen aus dem Ersten Weltkrieg, das Wirken der Blockade der Westmächte auch auf die schwedische Volkswirtschaft, im kommenden Krieg verhindert werden.

Gleichzeitig galt die politische Priorität der Regierungskoalition innenpolitischen und wirtschaftspolitischen Zielen. Die wirtschaftliche Krise, die - so die Wahrneh- mung der Regierung - Mitauslöser für die politischen Krisen in Europa und damit für das Aufkommen autoritärer Systeme mitverantwortlich war, sollte sich nicht in Schweden durch die Folgen einer Blockade wiederholen4.

Die deutsche Reichsführung und hier insbesondere die Wehrwirtschaftsplaner konnten die Entwicklung der deutsch-schwedischen Beziehungen nicht so gelassen sehen wie die schwedische Regierung. Aufgrund der zumindest im Bereich der Eisenerzgewinnung gescheiterten Substitutionsanstrengungen im Verantwortungs- bereich des Vierjahresplans blieben die schwedischen Exporte für die deutsche Kriegswirtschaft äußerst wichtig und wurden in ihrer Bedeutung von den Planungs- stäben sogar noch überschätzt. Gleichzeitig galten die schwedischen Erzlieferungen je nach Gegnerkonstellation zumindest aus Narvik, eventuell aber auch aus Nord-

3' Zu den im Großen und Ganzen und vor allem im Vergleich zum Deutschen Reich erfolg- reichen schwedischen Rohstoffeinlagerungen vgl. Gunnar Olsson, Det ekonomiska försvaret och krigsmaktens försörjning. In: Sveriges militära beredskap 1939-1945. Red.:

Carl-Axel Wangel, Stockholm 1982, S. 444-465; Olle Mänsson, Industriell beredskap. Om ekonomisk försvarsplanering inför andra världskriget, Stockholm 1976; Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA), R113981, Ha Pol, Akten betreffend wirtschaftliche Verteidi- gungsbereitschaft (Schwedens) vom 15.5.1936 bis 31.1.1942. Zur Ablehnung des deutschen Nichtangriffspaktangebots vgl. PA, R 987, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 1; zu dem Mobilisierungsgrad der schwedischen Streitkräfte vgl. Carlgren, Svensk utrikespolitik (wie Anm. 1), S. 14—24; Carl-Axel Wangel und Nils Palmstierna, Mobiliseringen i September 1939. In: Sveriges militära beredskap (wie Anm. 3), S. 77-92.

4 Gunnar Hägglöf, Svensk krigshandelspolitik under andra världskriget, Stockholm 1958, S. 9-12; Wittmann, Schwedens Wirtschaftsbeziehungen (wie Anm. 1), S. 147-150; Alf W.

Johansson, Per Albin och kriget, Stockholm 1985, S. 35-37; Karl Molin, Konflikt och samförstand i svensk inrikespolitik under andra världskriget. In: Stormaktstryck och smästatspolitik. Aspekter pa svensk politik under andra världskriget. Red.: Stig Ekman, Stockholm 1986, S. 11.

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Schweden als militärisch nicht zu sichern, wobei zusätzlich mit politischem Druck aus London und Paris auf Stockholm zu rechnen war5.

Damit geriet Schweden zwar in eine Situation, in der die beiden sich gegen- überstehenden Kriegsparteien in Bezug auf den schwedischen Erzexport ins Deut- sche Reich mit diametral entgegenstehenden Interessen aufwarteten, dennoch war die schwedische Verhandlungsposition, die durch ein mögliches Ausspielen der jeweiligen Forderungen gegeneinander wiederum gestärkt wurde, komfortabel.

So erreichte Stockholm gegenüber Berlin mit der Absicherung der schwedischen Brennstoffzufuhr auch problemlos sein Hauptanliegen, war im Gegenzug allerdings dazu bereit, die deutschen Importwünsche vor allem bei dem im Zentrum des Inte- resses stehenden Rohstoff Eisenerz zu befriedigen. Mit diesem Ergebnis der Kriegs- handelsverhandlungen war bereits in den ersten Kriegsmonaten 1939 die grund- legende Basis der deutsch-schwedischen Beziehungen gelegt worden. Das tragfähige Fundament eines herausragenden beidseitigen Handelsinteresses sollte bis 1944 die Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen entscheidend prägen.

Mit dem russischen Angriff auf Finnland und dem daraus resultierenden Winter- krieg gelangte der Krieg auch nach Skandinavien, und damit geriet Schweden in politische Bedrängnis. Die Existenz Finnlands als neutraler Puffer zwischen der schwedischen Ostgrenze und der Sowjetunion war ein erstrangiges schwedisches Sicherheitsinteresse. Stockholm war demzufolge stark an der militärischen Behaup- tung sowie der politischen Unabhängigkeit Finnlands interessiert und daher dazu bereit, die finnischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Hierfür bedurfte es jedoch ab eines gewissen Grades der Unterstützung entweder der Alliierten oder aber des Deutschen Reiches. Denn das erst zum Ende des Ersten Weltkrieges von der Sowjetunion unabhängig gewordene Finnland benötigte vor allem Kriegsma- terialien und Truppen, und diese Abgänge mussten entweder durch Importe schnell kompensiert werden oder die schwedische Landesverteidigung nachhaltig schwä- chen. Es war nicht anzunehmen, dass die Krieg führenden Großmächte Schweden Ersatz für das nach Finnland entsandte Material ohne politische Gegenleistungen gewähren würden. Die Alliierten, die ihrerseits die Chance zur Ausweitung des Krieges und damit zur Entlastung der - allerdings noch ruhigen - Westfront sahen, zielten bereits auf den Kriegseintritt Schwedens und Norwegens auf Seiten der Westmächte6. Für deutsche Waffenlieferungen, die als Ersatz für eine massive schwedische Unterstützung ebenfalls vorgesehen werden konnten, war ebenfalls mit politischen, wirtschaftlichen oder militärpolitischen Forderungen zu rechnen.

Durch die militärische Entwicklung auf dem finnisch-russischen Kriegsschau- platz blieb Stockholm jedoch die finnische Niederlage oder die Seitenwahl erspart.

Aufgrund des für Finnland positiven und überraschenden Kriegsverlaufes waren die am eigenen Bedarf orientierten Waffenlieferungen aus schwedischen Beständen kurzfristig ausreichend, Moskau erklärte sich erneut zu Verhandlungen bereit, und

5 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), RW 19/3993, Eisenerzversorgung Deutschlands, insb. Eisenerzzufuhr aus Schweden im Kriege, Planungen, Forderungen, Untersuchungen, Transportprobleme, Bd 1:1938-1940; BA-MA, RW 19/2346, Beurteilung der Rohstofflage bei einer längeren Kriegsdauer 1939; BA-MA, Wi I F 5/405, Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt, Zusammenarbeit mit den Reichsbehörden.

6 Alf W. Johansson, Mineringar och »hälpexpeditioner«. Västmakternas planer gentemot Skandinavien 1939-1940. In: Urladdning. 1940 - Blixtkrigens är. Red.: Bo Hugemark, Stockholm 1990, S. 32-42.

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innenpolitisch wurde das Land durch die Bildung einer bis auf die Kommunisten alle Parteien umfassenden Sammlungsregierung gestärkt7.

Insgesamt wurde jedoch die Entwicklung in Skandinavien in der schwedischen Forschung sicherlich zu Recht als bedrohlich beschrieben8. Dies ist, wie ein Blick auf die deutsche Seite zeigt, jedoch nur eine Seite der Medaille. Zwar fürchtete Schweden das Eingreifen der Alliierten und daraufhin des Deutschen Reiches im hohen Norden, aber auch Berlin hätte bei einer möglichen Kriegsausweitung vor erheblichen Problemen gestanden. So musste die Wehrmachtführung davon ausge- hen, dass, sollte Schweden tatsächlich in den Krieg auf Seiten der Alliierten und Finn- lands eintreten, dieses Vorgehen zuvor mit London und Paris sowie Oslo abgestimmt worden wäre und somit die Wehrmacht in Skandinavien auf die Gegnerschaft der voll mobilisierten Streitkräfte Norwegens und vor allem Schwedens sowie auf alli- ierte Verbände treffen würde9.

Gleichzeitig boten die Witterungsverhältnisse für die deutsche Seite unüberwind- liche Schwierigkeiten. Im Winter 1939/40 war nahezu die gesamte Ostsee aufgrund von Eisbildung nicht schiffbar, deutsche Truppen hätten sich also über Land von Dänemark bis nach Nordskandinavien vorkämpfen müssen, während die Alliierten die eisfreie Küste Norwegens und die leistungsfähigen Bahnlinien im Norden hätten nutzen können. An ein erfolgreiches Luftlandeunternehmen war gerade in Nordschweden für die Wehrmacht nicht zu denken. Diese Ausgangsbedingungen hätten dazu geführt, dass Berlin die besonders wichtigen schwedischen Erzliefe- rungen verloren hätte und die nordschwedischen Gruben im Besitz der Alliierten verblieben wären, die damit ihren Blockadezielen ein großes Stück näher gekommen wären. Damit waren lediglich die Westmächte in Skandinavien in einer aussichts- reichen Position, konnten sich aber gegen das gemeinsame Interesse Stockholms, Oslos und Berlins, eine Kriegsausweitung auf skandinavisches Territorium nicht zuzulassen, nicht durchsetzen.

Jenseits aller verbalen Drohungen konnte die Lage aus deutscher Sicht damit sehr bedrohlich werden. Weder ein russisches Vorrücken an die schwedische Ost- grenze noch eine alliierte Intervention in Skandinavien hätten militärisch verhindert werden können,. Gleichzeitig war ein politisches Einwirken auf die Sowjetunion aufgrund des geheimen Zusatzprotokolls des Hitler-Stalin-Paktes ebenfalls undenk- bar, sodass auch in Berlin die Erleichterung angesichts der Friedensverhandlungen deutlich spürbar war10.

7 Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 57-76; Krister Wahlbäck,—

Finlandsfragan i svensk politik 1937-1940, Stockholm 1964, S. 207-324.

8 Vgl. z.B. Wahlbäck, Finlandsfragan (wie Anm. 7); Carlgren, Svensk utrikespolitik (wie Anm. 1), S. 62-78.

9 Aufgrund der deutschen Quellen ist bereits Ende 1939 gerade für den Fall einer Winter- kriegführung von einem durchaus großen Respekt der Wehrmachtführung vor der Leis- tungsfähigkeit des schwedischen Militärs auszügehen. Vgl. BA-MA, RHD18/254, kurzer Überblick über die Heere der nordischen Staaten, Stand: August 1939. Eine Zusammen- arbeit mit den Alliierten ließ ein Engagement im hohen Norden im Winter sicherlich noch gefährlicher erscheinen.

10 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP), Serie D, Bd 8, Nr. 654; Klaus A. Maier, Horst Rohde, Bernd Stegemann und Hans Umbreit, Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent, Stuttgart 1979 (= Das Deutsche Reich und der Zweite Welt- krieg, 2), S. 31. Gegen diese Position lässt sich der Einwurf Hitlers ins Feld führen, dass Berlin nun der Vorwand für ein Eingreifen in Skandinavien abhanden gekommen sei.

Vgl. Lagevorträge des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler 1939-1945. Hrsg.

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Mit dem finnisch-russischen Frieden und der Demobilisierung des alliierten Hilfskorps für Finnland wurde der deutsche Angriff auf Dänemark und Norwegen erneut möglich. Um diesen hauptsächlich von Raeder im Zuge eines angestrebten wehrmachtinternen Machtgewinns und verbesserter Chancen der hoffnungslos unterlegenen Kriegsmarine im Tonnagekrieg angestrebten Angriff konstruktiv in den deutschen Gesamtkriegsplan integrieren zu können, durften am Angriff auf Dänemark und Norwegen nur so wenig Verbände wie irgend möglich teilnehmen11. Vor diesem Hintergrund durfte Schweden, sollte die Operation »Weserübung« von Erfolg gekrönt sein, nicht seine neutrale Haltung aufgeben und mit seinen im Ver- gleich zu den beiden angegriffenen skandinavischen Nachbarländern deutlich stär- keren Streitkräften in den Krieg eintreten. Zudem hätte der Verlust der schwedischen Erzlieferungen bei einem Kriegseintritt Stockholms die deutsche Kriegswirtschaft schwer belastet12.

Vor diesem Hintergrund sind die deutschen Forderungen während der Opera- tion »Weserübung« an Stockholm neu zu interpretieren. Besonders Hitler kam es trotz der militärischen Krise in Narvik vor allem darauf an, sich der schwedischen Neutralität zu versichern. An eine Ausweitung der Operation auf Schweden war aufgrund der geplanten Westoffensive nicht zu denken, und daher befand sich Schweden zumindest theoretisch in der Lage, die deutschen Forderungen nach einer Unterstützung der eigenen Kriegsanstrengungen ohne Konsequenzen abzu- lehnen13. So erlebten beide Seiten bis zum Abschluss der Kämpfe in Narvik Anfang Juni 1940 die Situation als sehr kritisch, wobei es jedoch für Schweden mit der staat- lichen Souveränität um deutlich mehr ging als für das Deutsche Reich, für das ein

von Gerhard Wagner, München 1972, S. 86; Wolfgang Wilhelmus, Det tyska anfallet mot Skandinavien. In: Urladdning (wie Anm. 6), S. 66. Dem ist jedoch die Planlingskonzeption des deutschen Angriffes auf Dänemark und Norwegen, die in hohem Maß auf die Über- raschung und Überrumpelung des nicht mobilisierten Gegners setzte, entgegenzuhalten.

Mit einem vollständig mobilisierten norwegischen und schwedischen Militär sowie stärkerer Präsenz der Westmächte in Skandinavien wäre eine erfolgreiche Durchführung von »Weserübung« mit den vorgesehenen Kräften jenseits der deutschen Möglichkeiten gewesen.

11 Carl Axel Gemzell, Om krigskonsten och dess gränser. Reflexioner kring stormakternas militära planering mot Skandinavien fore den 9 april 1940. In: Urladdning (wie Anm. 6), S. 19-26. Stellan Bojerud hat herausgearbeitet, dass von den eingesetzten Heeresverbänden lediglich die 3. Gebirgsdivision bei Narvik einen erstklassigen Verband darstellte und es sich bei dem Rest um zweit- oder gar drittklassige Verbände handelte. Vgl. Stellan Bojerud, Norgefälttäget 1940. In: Urladdning (wie Anm. 6), S. 123.

12 Walther Hubatsch, Unruhe des Nordens. Studien zur deutsch-skandinavischen Geschich- te, Göttingen 1956, S. 185; Earl F. Ziemke, The Northern Theater of Operations 1940-1945, Washington 1959, S. 38 f.; BA-MA, RH 2/2938, Schriftwechsel Militärattache Stockholm 1939-1942; BA-MA, RW19/3094, Eisenerzversorgung Deutschlands, insb. Eisenerzzufuhr aus Schweden im Kriege, Planungen, Forderungen, Üntersuchungen, Transportprobleme, Bd 2: 1938-1940. Zur Bewertung der schwedischen Landesverteidigung aus deutscher Sicht vgl. BA-MA, RHD 18/255, Orientierungsheft Schweden, Stand Februar 1940.

13 Transisteringsfrägan och därmed sammanhängande spörsmäl april-juni 1940, Aktstycken utgivna av Kungl. Utrikesdepartementet. Handlingar rörande Sveriges politik under andra världskriget, Stockholm 1947, S. 29-39 und S. 43 f.; Gunnar Hägglöf, Samtida vittne, Stockholm 1972, S. 50 f.; Riksarkiv Stockholm (RA), Gösta Bagges samling, minnesan- teckningar, vol. 1; PA, R1045, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Skandinavien.

Diese Lageeinschätzung aus deutscher Sicht wurde zwar auch der schwedischen Diplo- matie kommuniziert, jedoch konnte die Sammlungsregierung natürlich nicht damit rech- nen, dass es sich hierbei um eine ehrliche und offene Einschätzung handelte. Vgl. RA, HP 39 A 1545, Stormaktskriget allmänt.

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Scheitern in Norwegen vor dem Hintergrund des erfolgreichen Verlaufs des West- feldzugs weniger schwer ins Gewicht gefallen wäre.

Für Stockholm fiel die alliierte Niederlage in Norwegen mit der im Westen zusammen. Zwischen den Evakuierungen aus Dünkirchen und Narvik lagen nur wenige Tage. Diese Siege verschoben auch die Machtverhältnisse in den deutsch- schwedischen Beziehungen. Stockholm war fortan von den Alliierten isoliert und von deutschen Besatzungstruppen umringt. Für die Vertreter des Kleinstaatspara- digmas stellten die Monate zwischen April und Juni 1940 die Weichen für die Aus- gestaltung der deutsch-schwedischen Beziehungen bis 194414. Doch ein Blick auf die deutsche Seite zeigt wiederum, dass diese Verschiebung nicht ganz so funda- mental ausfiel.

Zwar ist von einem deutschen operativen Sieg im Westen und Norden auszuge- hen, mit dem britischen Widerstandswillen rückte jedoch das zu erreichende Kriegs- ziel erneut in weitere Ferne, was sich nach den deutschen Verlusten zuerst bei der Kriegsmarine in Norwegen, die nun zwar über hervorragende Ausgangsbasen, aber nicht mehr über die entsprechenden Schiffe verfügte, und wenige Monate später beim gescheiterten Versuch, die Luftherrschaft über Südengland zu gewin- nen, verdeutlichte. Hitler und der Wehrmachtführung fehlte jedes brauchbare und realistische Konzept zur Beendigung des Krieges, während sich Großbritannien stärker auf die anlaufende Hilfe aus den USA stützen konnte15. Wollte die Wehr- machtführung wider Erwarten doch noch mit der Niederlage Großbritanniens ihr Kriegsziel erreichen, so konnte sie sich auch nach den Siegen im Westen und Norden sowohl aus wirtschaftlichen wie auch aus militärischen Erwägungen heraus keinen weiteren Krieg mit Schweden leisten, auch wenn er für Stockholm zweifelsfrei mit einer Niederlage hätte enden müssen. Daher war die deutsche Verhandlungsposi- tion bei den Transit- und Wirtschaftsverhandlungen vom Juni 1940 nicht völlig übermächtig16.

Doch kamen den deutschen Verhandlungsdelegationen die psychologischen Folgen der ungeahnten militärischen Erfolge sowie eine Neubewertung des Natio- nalsozialismus auf Seiten der Konservativen in Schweden zur Hilfe. Während die mit einer absoluten parlamentarischen Mehrheit ausgestattete Sozialdemokratie noch unter dem Schock der Niederlagen der westlichen Demokratien stand und eher die vordergründigen deutschen Siege als die ungelösten strategischen Grundpro- bleme Berlins sah, setzten Teile der Konservativen inzwischen auf das »Dritte Reich«

als potenziellen Gegenspieler der Sowjetunion und waren zu einer weit reichenden Kooperation bereit. Die schwedische Einwilligung in den neu ausgehandelten Wehrmachttransit auf schwedischen Bahnlinien begriffen Außenminister Christian Günther, Bildungsminister Gösta Bagge, der schwedische Gesandte in Berlin Arvid

14 Carlgren, Svensk utrikespolitik (wie Anm. 1), S. 183-190.

15 Andreas Hillgruber, Hitlers Strategie, Politik und Kriegführung 1940-1941, Frankfurt a.M. 1965, S. 78 f., 274 f. sowie 389; Bernd Jürgen Wendt, Deutschland 1933-1945: Das

»Dritte Reich«. Handbuch zur Geschichte, Hannover 1995, S. 486 f.; Gerhard Schreiber, Bernd Stegemann und Detlef Vogel, Der Mittelmeerraum und Südosteuropa, Stuttgart 1984 (= Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, 3), S. 516-528.

16 Auch in Schweden wurde dieser Sachverhalt durchaus erkannt. Vgl. RA, HP 1 Ct 317, Politik allmänt, Tyskland. Dennoch war sich die Sammlungsregierung über die Intentionen Hitlers im Unklaren, und aufgrund des bisherigen Kriegsverlaufs war ein vorsichtiges Vorgehen gegenüber dem unberechenbaren und ebenso erfolgreichen deutschen Diktator zweifelsfrei angebracht.

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Richert, Oberbefehlshaber Olof Thörnell und eventuell auch König Gustav V. als notwendige Grundlage für die Verwirklichung ihres auf das Deutsche Reich gestützten, finnlandaktivistischen außenpolitischen Programms17.

Insgesamt erreichte der deutsche Sondergesandte Karl Schnurre in mehreren Ver- handlungsrunden letztendlich mehr, als das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), von dem die Initiative ausging, erwartet hatte. Über 1000 Wehrmachtsoldaten konn- ten täglich einen geschlossenen Bahntransit über Schweden nutzen, Wehrmacht- depots in Luleä, Gävle sowie Kohlelager in Sundsvall und Härnösand entstanden;

ein rein formal unbegrenzter und nur aufgrund technischer Möglichkeiten gede- ckelter Gütertransit versorgte ferner die Besatzungstruppen in Norwegen mit Nach- schub und Kriegsmaterial. Die Wehrmacht konnte im sogenannten Hufeisenverkehr über schwedisches Terrain Soldaten von Narvik nach Trondheim und in umgekehrte Richtung verlegen, und das Armeeoberkommando (AOK) Norwegen durfte die schwedischen Kommunikationseinrichtungen uneingeschränkt nutzen18.

Während sich auf dem Gebiet der Militärpolitik das Deutsche Reich auf ganzer Linie durchsetzen konnte, ohne Gegenleistungen zu erbringen, war der schwedische Widerstand auf dem Gebiet der Kriegshandelspolitik, die weiterhin das außen- politische Kerninteresse Stockholms bildete, beachtlich und deutet gleichzeitig den auch in der Situation vom Sommer 1940 noch vorhandenen Handlungsspielraum an. Die deutsche Wirtschaftsdelegation, die eilig verfasste und daher oftmals inkon- sequente wirtschaftliche Neuordnungspläne auch in Schweden vertreten sollte, konnte sich mit diesen in Stockholm nicht durchsetzen. Gleichzeitig musste das Deutsche Reich für eine Ausweitung der schwedischen Exporte seinerseits adäquate Gegenleistungen erbringen. Von dem nun durch den Ausfall der polnischen Liefe- rungen zusätzlich angestrebten Import von 1,5 Mio. t Kohle und Koks erreichte die schwedische Delegation eine Lieferzusage über 1,2 Mio. t. Zwar konnte Berlin Preiserhöhungen für seine Exportwaren sowie die Aufhebung der noch 1939 aus- gehandelten vertraglichen Obergrenze für den Erzexport von 10 Mio. t durchsetzen, doch war sich die deutsche Verhandlungsdelegation realistischerweise darüber im

17 Johansson, Per Albin och kriget (wie Anm. 4), S. 180-191; Per G. Andreen, De mörka ären. Perspektiv pä svensk neutralitetspolitik vären 1940-nyäret 1942, Stockholm 1972, S. 51; West, German-Swedish Relations (wie Anm. 1), S. 259; RA, Gösta Bagges samling, minnesanteckningar, vol. 1; PA, R 1544, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Diplomatenbesuche, Bd 7.

18 LutzhÖft, Deutsche Militärpolitik (wie Anm. 1), S. 97-102; ADAP, Serie D, Bd 10, Nr. 14 und 60. Durch die Möglichkeiten der vollständigen Dechiffrierung lag es jedoch auch im schwedischen Interesse, der deutschen Wehrmacht Telegrafenkabel zur Verfügung zu stellen. Bereits wenige Wochen nach dem Beginn von »Weserübung« war zumindest der schwedische Verteidigungsstab durch die Entschlüsselung genauestens über die Lage aus deutscher Sicht informiert. Diese Informationen wurden jedoch aus politisch moti- vierten Gründen nur teilweise an das Außenministerium und die Regierung weiter- gegeben. Vgl. Krigsarkiv Stockholm (KA), Beredskapsverket, Avdelningen 9, Handlingar som har tillhört Per Edwin Sköld, vol. 1; Lars Ulfving, Geheimschreiberns hemlighet.

Arne Beurling och den svenska signalspanningens framgängar. In: I örkanens öga. 1941 - osäker neutralitet. Red.: Bo Hugemark, Stockholm 1992, S. 183-216; Förbindelserna mellan chefen för lantsförsvarets kommandoexpedition och tyske militärattachen i Stock- holm 1939-1945, Aktstycken utgivna av Kungl. Utrikesdepartementet, Handlingar rörande Sveriges politik under andra världskriget, Stockholm 1946, S. 49.

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Klaren, dass dieses nur ein Erfolg auf dem Papier war, da höhere Importmengen für die angestrengte deutsche Kriegswirtschaft unbezahlbar blieben19.

Gleichzeitig konnte Berlin nicht verhindern, dass Stockholm auf der Suche nach neuen Handelspartnern engere Kontakte in Richtung Sowjetunion knüpfte und be- reit war, Moskau im Gegensatz zu Berlin einen Handelskredit in Höhe von 100 Mio.

Kronen zu gewähren. Mit dieser Neuausrichtung erteilte Stockholm nach der ver- balen Ablehnung einer wirtschaftlichen Inkorporation den deutschen »Neuropa- plänen« auch die praktische Absage. Auf eine Reorientierung auf den Weltmarkt zielten auch die schwedischen Bestrebungen u m einen erneuten Westhandel über den Hafen von Göteborg. Da sich das inzwischen auf einen Angriff auf die Sowjet- union festgelegte und daher alle wirtschaftlichen Ressourcen einsetzende Deutsche Reich von einem schwedischen Überseehandel ebenfalls ökonomisch einiges ver- sprach, willigte Berlin im Februar 1941 in diese schwedischen Bestrebungen, die der deutschen Europakonzeption widersprachen, ebenfalls ein20. Damit verhandelte der »Kleinstaat« Schweden in wirtschaftspolitischen Fragen auf Augenhöhe mit dem im Zenit seiner militärischen Macht stehenden Deutschen Reich und verwei- gerte sich einer über das eigene Interesse hinausgehenden Kooperation. Auf außen- politischen Handlungsfeldern jenseits der Kriegshandelspolitik sah sich die Samm- lungsregierung jedoch gezwungen, nahezu vollständig auf die deutschen Forderun- gen einzugehen bzw. begrüßte teilweise diese politischen Zugeständnisse.

Mit der Niederlage der deutschen Luftwaffe über Südengland und mit dem be- reits im Sommer, spätestens aber im November 1940 getroffenen Entschluss zum Angriff auf die Sowjetunion im Jahr 1941 verschlechterte sich die strategische Lage des Reiches nicht nur insgesamt, sondern auch in Skandinavien. Als Marinebasis war die norwegische Küste nach dem Gewinn der französischen Atlantikküste auf- grund ihrer Länge und der Schwierigkeit, die Fjorde vor Landungsoperationen zu schützen, eine Belastung geworden. Solange es vordergründig u m eine Landung auf den britischen Inseln gegangen war, konnten von Norwegen aus wenigstens noch Diversifizierungsunternehmen geplant werden. Mit dem vorgesehenen Einsatz des Gros der Heereskräfte im Osten und der Aufgabe des Invasionsvorhabens er- wies sich Norwegen vorrangig als eine Belastung für die angespannten Wehrmacht- kräfte21. Während des als Blitzkrieg geplanten Angriffs auf die Sowjetunion stand - obwohl auch kleinere Offensivoperationen aus Nordnorwegen und Nordfinnland heraus geplant wurden, bei deren militärischer Konzeptionierung Schweden noch

19 PA, R 106007, Ha Pol, Handakten Clodius, Akten betreffend Schweden, Bd 5; PA, R113839, Ha Pol, Akten betreffend Handelsverhältnis zu Deutschland. Regierungsaus- schüsse (Schweden); Hägglöf, Svensk krigshandelspolitik (wie Anm. 4), S. 135 f.; Witt- mann, Schwedens Wirtschaftsbeziehungen (wie Anm. 1), S. 187-195.

20 PA, R 995-998, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 2; PA, R106242, Ha Pol, Handakten Wiehl, Akten betreffend Schweden, Bd 5. Der Göteborgverkehr blieb zwar bis 1944 theoretisch ein Ansatzpunkt, um Druck auf Stockholm auszuüben, aufgrund der Möglichkeit, diesem mit einem alliierten Gegendruck zu begegnen, und dem deut- schen ökonomischen Interesse an dem schwedischen Überseehandel erwies er sich als Druckmittel schon im Herbst 1941 als inadäquat. Vgl. PA, R1000, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 3.

21 Hillgruber, Hitlers Strategie (wie Anm. 15), S. 390; Lagevorträge (wie Anm. 10), S. 174-186.

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eine entscheidende Rolle spielen sollte22 - die Küstenverteidigung im Vordergrund.

Adäquate Einheiten bzw. Reserven für den Fall einer englischen Landung in Nor- wegen während des Feldzuges in Russland standen weder dem AOK Norwegen noch dem OKW zur Verfügung23. Waren bereits britische Landungskräfte allein eine Gefahr für die unzureichend ausgestatteten Besatzungstruppen in Norwegen, so musste eine militärische Zusammenarbeit Londons und Stockholms die Situation für die Wehrmachtführung noch verschärfen.

Und dass das schwedische Militär in den Augen deutscher Beobachter an Bedeu- tung in Skandinavien gewann, sich damit die Situation in Skandinavien aus deut- scher Sicht mit dem Nichterreichen des angestrebten Kriegsziels und dem gleich- zeitigen Anwachsen der militärischen Schlagkraft der bisherigen und zukünftig möglichen Gegner mehr und mehr verschärfte, belegen zahlreiche deutsche Quellen bis in die höchste Führungsebene der Wehrmacht24. Mit dem Winterkrieg und noch einmal verschärft nach dem deutschen Überfall auf Dänemark u n d Norwegen setzte in Schweden eine bis dahin in dieser Intensität unbekannte Aufrüstung ein, die in der Folgezeit die militärische Schlagkraft der Streitkräfte systematisch Jahr für Jahr deutlich steigern sollte25.

Daher kann nach dem 9. April 1940 in dem Angriff bzw. schon in dem unumstöß- lichen Angriffsentschluss auf die Sowjetunion die zweite Wendemarke in den deutsch-schwedischen Beziehungen lokalisiert werden. Militärische Ressourcen für einen Angriff auf Schweden oder auch nur für die Abwehr alliierter Landungen in Norwegen standen nicht mehr zur Verfügung, bei einer alliierten Invasion hätten keinerlei erfolgreiche Maßnahmen gegen einen schwedischen Kriegseintritt ergriffen werden können und gleichzeitig benötigte die völlig überspannte deutsche Kriegs- wirtschaft die schwedischen Exporte weitaus dringender als das immer stärker eigene Ressourcen ausbeutende und auf Substitution von Mangelgütern setzende Schweden die deutschen Lieferungen. Die aus deutscher Sicht angenommenen Konsequenzen waren in jeder Hinsicht fatal. Gerechnet wurde mit dem militärischen Verlust ganz Skandinaviens einschließlich Finnlands, der Seehoheit der Roten und vor allem der schwedischen Flotte auf der Ostsee und damit aufgrund des Fehlens eines adäquaten Ausbildungsreviers für die U-Boot-Mannschaften mit dem Zusam- menbruch des Atlantikkrieges sowie aufgrund der ausbleibenden Importe aus Schweden mit massiven Produktionseinbrüchen26.

22 Der Aufmarsch der Angriffsverbände und damit letztendlich auch die Größe der Angriffs- streitmacht im hohen Norden hing aufgrund der Witterungsverhältnisse und der geografi- schen Bedingungen teilweise von der schwedischen Bereitschaft ab, die deutschen Divi1

sionen auf den schwedischen Bahnlinien zu transportieren.

23 Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab) 1940-1945, Bd 1:1.8.1940-31.12.1941, zsgest. und erl. von Hans-Adolf Jacobsen, Frankfurt a.M. 1965, S. 1007-1013.

24 Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 244-256 und 331-335.

25 Ebd., S. 143-241. Das Ergebnis dieses hier nicht in allen Einzelheiten beschreibbaren Auf- rüstungsprozesses brauchte den qualitativen Vergleich mit den Großmächten nicht zu

\ scheuen. Aus deutscher Sicht war daher Stockholm ab etwa Mitte 1943 immer mehr dazu in der Lage, auch ohne die Hilfe der Alliierten die deutsche Besatzungsherrschaft in Dänemark und Norwegen zu beenden oder zumindest stark zu gefährden. Ähnliches gilt für die wehrwirtschaftliche Versorgung des Militärs und allgemein für die Blocka- defestigkeit der gesamten Nationalökonomie; auch hier verbesserte sich die Ausgangslage Schwedens signifikant.

26 Ebd., S. 304-330.

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Auch wenn Hitler die Gefahren einer alliierten Landung in Norwegen, seiner Ansicht nach die »Schicksalszone« des Krieges, überzeichnete und auch die von ihm als sicher angenommene Bereitschaft Schwedens, in diesem Fall auf Seiten der Alliierten in den Krieg einzutreten, in den Bereich des Spekulativen zu verweisen ist, so war das Bedrohungsgefühl auf der höchsten deutschen Führungsebene real, ohne dass trotz des vorhandenen Willens eine militärische Lösung des Problems von deutscher Seite aus möglich war. Die Anweisungen der Wehrmachtführung an das AOK Norwegen im Falle einer alliierten Landung in Bezug auf Schweden wa- ren daher nur folgerichtig: »Vermeidung auch nur des Anscheins einer Verletzung der schwedischen Hoheitsrechte«27.

Damit hatte sich die einst aus deutscher Sicht zumindest potenziell mögliche militärische Bedrohung Schwedens durch die Wehrmacht in ihr Gegenteil verkehrt.

Es war nicht mehr das Deutsche Reich, das den Schein einer militärischen Bedro- hung aufrechterhalten konnte, sondern vielmehr Schweden, das die deutsche Herr- schaft in Skandinavien massiv bedrohte. Stockholm gewann also zumindest aus deutscher Sicht ab Herbst 1941 zügig seinen ursprünglichen Handlungsspielraum zurück und erweiterte diesen im Vergleich zu den Monaten vor April 1940 noch beträchtlich. Galt das Kleinstaatsparadigma in der Zeitspanne von der deutschen Besetzung Dänemarks und Norwegens bis zum Scheitern der deutschen'Blitzkriegs- konzeption im Herbst/Winter 1941, wie beispielsweise an der Ausgestaltung der Kriegshandelspolitik zu sehen war, bereits nur eingeschränkt, so ist es für den fol- genden Zeitraum eindeutig zurückzuweisen. Sicherlich verfügte das Deutsche Reich im Vergleich zum Königreich Schweden im Ganzen betrachtet über die weit- aus größeren Ressourcen, hatte aber aufgrund der Überspannung der eigenen Kräf- te gegen eine in ihrem wirtschaftlichen und militärischen Leistungsvermögen viel- fach überlegene Gegnerkoalition in Skandinavien weitaus weniger Potenzial zur Verfügung als der Kleinstaat Schweden. Durch den Dauerdruck der Allüerten auf nahezu alle Fronten der »Festung Europa« war es der Wehrmachtführung ebenfalls unmöglich, mittelfristig ausreichende Kräfte für einen Angriff auf Schweden freizu- machen28. Damit erweisen sich die aus schwedischer Sicht oftmals für eine Begrün- dung des Kleinstaatsparadigmas herangezogenen militärischen Machtverhältnisse bei einer Einbettung in den Gesamtzusammenhang des Krieges aus deutscher Sicht als bedeutender schwedischer Trumpf29.

Trotz des größeren Handlungsspielraums kam es im Zuge des deutschen Uber- falls auf die Sowjetunion im Juni 1941 zu einem weiteren Eingehen Stockholms auf die deutschen Forderungen. Durch die geografischen Verhältnisse in Nordskandina- vien und die auf Hitlers Initiative ausgeweiteten Angriffsziele im Nordraum stand die Wehrmachtführung vor einem logistischen Problem. Sowohl für die Verlegung der in Südnorwegen stationierten 163. Infanteriedivision nach Finnland als auch dauerhaft für den Unterhalt der Angriffsverbände des AOK Norwegen waren schwedische Transportleistungen auf den Bahnlinien sowie - bei der angenomme-

27 Lagevorträge (wie Anm. 10), S. 343-351; BA-MA, RM 7/1753, Handakten I b, Ostsee, Schweden 1941-1944; Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Bd 3/1, Frankfurt a.M. 1965, S. 199 f. Vgl. ausführlicher Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 304-330.

28 BA-MA, RH 20-20/73, Weisungen, Fernschreiben 1943.

29 Diese Situation richtig zu erkennen, war für die Sammlungsregierung jedoch alles andere als einfach. Vgl. S. 16 und 18 f.

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nen Aktivität der Roten Flotte in der Ostsee - Nutzungsrechte der und ein gleich- zeitiger Schutz in den schwedischen Hoheitsgewässern unabdingbar. Damit ent- schied die schwedische Haltung mit über die Ausgestaltung der Angriffspläne auf Karelien und die Kolahalbinsel, wobei jedoch die deutschen Einflussmöglichkeiten auf Schweden denkbar gering waren30. Gleichzeitig ist aber zu bemerken, dass aus deutscher Sicht die schwedische Haltung in dem geplanten Blitzfeldzug nur eine Marginalie darstellte.

Durch eine gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Süden allzu nachgiebige Politik kurz vor dem deutschen Angriff im Osten im April und vor allem im Mai 1941 weckte die schwedische Regierung und Administration erneut deutsche Be- gehrlichkeiten. Besondere Bedeutung hatten hierbei die Bestrebungen der aktivis- tischen Militärs sowie die Aktivitäten des schwedischen Außenministers Christian Günther. Wieweit die mündlichen Zusagen des schwedischen Außenministers ge- genüber dem deutschen Sondergesandten Karl Schnurre vom Mai 1941 letztendlich gingen, bleibt weiterhin ungeklärt. Der bisher einzig herangezogenen deutschen Darstellung des Stockholmer Militärattaches Bruno von Uthmann wurde in der schwedischen Forschung bisher wenig Vertrauen entgegengebracht. Günther habe hiernach Schnurre einen Militärvertrag angeboten. Aufgrund der oftmals unseriösen Berichterstattung Uthmanns wird bezweifelt, dass der schwedische Außenminister so weit gegangen ist, auch wenn die Tendenz des Gespräches sicherlich richtig wie- dergegeben wäre31. In den deutschen Quellenbeständen ist jedoch nicht nur die Version Uthmanns erhalten, sondern auch eine handschriftliche Gesprächsnotiz Karl Schnurres. Schnurre zitiert Günther nicht mit dem Wort »Militärvertrag«, da- für habe der schwedische Außenminister, so Schnurre, einen »politischen Vertrag«

und u.U. die Bundesgenossenschaft Schwedens im heraufziehenden Krieg gegen die Sowjetunion in Aussicht gestellt32. Zwar ist auch die Berichterstattung Schnurres nicht über jeden Zweifel erhaben, jedoch ist zu bedenken, dass der Verfasser dieser zweiten, unabhängigen Uberlieferung im Zweifelsfall derjenige sein würde, der die deutschen Forderungen gegenüber der Sammlungsregierung durchzusetzen hatte. Es konnte also nicht im Interesse Schnurres liegen, Erwartungen zu schüren, die er später nicht einzulösen in der Lage gewesen wäre.

Ebenso passte die Äußerung Günthers - ähnliche, aber nicht so konkrete Formu- lierungen fand der Leiter der politischen Abteilung des schwedischen Außenminis-

30 BA-MA, RW 4/575, Chefsachen Barbarossa (Februar-Mai 1941); Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Bd 1 (wie Anm. 23), S. 299 und 362; Franz Halder, Kriegstagebuch, Bd 2, Stuttgart 1962, S. 316-320; RA, HP 1 Ct 317, Politik allmänt, Tysk- land. Hitler hatte sich nach einigem wehrmachtsinternen Gezerre sowie einem englischen Raid auf den Lofoten bezüglich Schweden Mitte März 1941 festgelegt: »Vom Schweden können wir nichts erwarten, denn wir können ihm nichts bieten.« Auch die strikte schwe- dische Haltung in der sogenannten Märzkrise um einen erhöhten Personentransit in Richtung Nordnorwegen trug zu der desillusionierten Haltung der deutschen Führung bei. Für eine kurze Zusammenfassung der in der schwedischen Forschung besonders beachteten Märzkrise vgl. Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 294-297.

31 Alf W. Johansson, I skuggan a ν operation Barbarossa, Attidyder och stämningar 1940/1941. In: I örkanens öga. 1941 (wie Anm. 18), S. 92 f.; Alf W. Johansson, Svensk medgörlighet, Ljus över Günther och Per Albin inför operation Barbarossa. In: Historisk Tidskrift, Stockholm 1984, S. 391-400.

32 BA-MA, RH 2/2938, Schriftwechsel Militärattache Stockholm 1939-1942. Vgl.

ausführlicher: Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 299-303.

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teriums, Staffan Söderblom, gegenüber dem Leiter des Skandinavienreferats der politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, Werner von Grundherr - in das kon- servative Konzept einer außenpolitischen Neuausrichtung Schwedens. Sowohl Außenminister Christian Günther als auch sein Kabinettskollege und Bildungs- minister Gösta Bagge waren nach der Antizipation des deutsch-russischen Gegen- satzes aufgrund ihres Finnlandaktivismus ab Herbst 1940 mehr und mehr dazu bereit, Schweden an die sich abzeichnende Kriegskoalition aus Finnland und dem Deutschen Reich heranzuführen33.

Am Morgen des 22. Juni präsentierte der in Stockholm weilende Karl Schnurre die nicht gänzlich überraschenden deutschen Forderungen an Schweden im Hin- blick auf den soeben ausgebrochenen Krieg. Die deutschen »Wünsche« betrafen vor allem vier Bereiche: das Transportwesen, die Möglichkeit der Benutzung der schwedischen Nachrichteninfrastruktur, Überflugrechte sowie Marinefragen. Dabei ließen der deutsche Außenminister Ribbentrop in Berlin gegenüber dem schwedi- schen Gesandten Arvid Richert sowie auch Karl Schnurre in Stockholm deutlich erkennen, dass es sich um begrenzte und vor allem nicht gegen Schweden gerichtete, sondern nur auf eine Unterstützung der deutsch-finnischen Kriegsanstrengungen zielende Forderungen handelte. Konkret sollte die 163. Infanteriedivision von Oslo über die schwedischen Bahnlinien nach Haparanda transportiert und ein Güter- transit analog den Bestimmungen für den Warenverkehr nach Norwegen auch für Finnland eingerichtet werden. Die Luftwaffe verlangte Überflugrechte für einzelne Kuriermaschinen und ausgewiesene Notlandeplätze, die Kriegsmarine das Ausle- gen von Minensperren vor Öland und Äland, sowie Nutzungsrechte für die schwe- dischen Hoheitsgewässer und für nicht von Schweden genutzte Handelsschiff- tonnage34. Die Forderungen waren eindeutig nicht politisch motiviert, sondern aus den militärischen Notwendigkeiten im Nordraum heraus entstanden.

Auf schwedischer Seite war innerhalb der Sammlungsregierung zum einen die Erleichterung groß, dass die deutschen Ziele zumindest für die Dauer des Ostfeld- zuges nicht auf die schwedische Souveränität zielten, zum anderen zerbrach an dieser für Stockholm eigentlich positiven Entwicklung die innere Geschlossenheit der Regierung. Dieser Prozess manifestierte sich vor allem an der Bewertung der neuen Kriegsgegner. Während die konservativen Kräfte in der Regierung, Teile des Außenministeriums, der König und in eindeutig noch stärkerem Ausmaß das Mili- tär Finnland und seinen »Abwehrkampf« gegen die Sowjetunion in den Vorder- grund stellten und vor allem den Zusammenhang des neuen Krieges im Osten mit dem im Westen negierten, sahen in erster Linie die Sozialdemokraten, aber auch

33 Johansson, Per Albin och kriget (wie Änm. 4), S. 237; RA, Gösta Bagges samling, mirmesanteckningar, vol. 2. An eine direkte Kriegsteilnahme dachten die beiden Politiker - im Gegensatz zu so manchem ranghohen schwedischen Militär - allerdings eher nicht.

Gleichzeitig trat aufgrund des politisch zentralen und auch stark emotionalisierenden Ziels der Hilfe für das von Russland bedrängte Finnland eine rationale außenpolitische Analyse bei den Finnlandaktivisten in den Hintergrund. So wurde der Zusammenhang der Unterstützung des erwarteten deutschen Angriffs im Osten mit einer klaren außen- politischen Stellungnahme gegenüber den westlichen Demokratien verdrängt. Damit stellte aufgrund seiner Position vor allem der schwedische Außenminister 1941 ein hohes außenpolitisches Sicherheitsrisiko dar.

34 RA, HP 1 CT 318, Politik allmänt, Tyskland; RA, Gösta Bagges samling, minnesanteck- ningar, vol. 2.

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Teile der Liberalen in der Sowjetunion nun den neuen Bündnispartner der Alliierten und damit die Macht, die Europa vom Faschismus befreien könnte35.

Die deutschen Forderungen vom 22. Juni 1941 lösten in Stockholm die soge- nannte midsommarkrisen36 aus, die als schwerste Belastungsprobe für die All-Parteien- Regierung während der gesamten Kriegsjahre gilt. Die Befürworter einer Anlehnung an das Deutsche Reich setzten sich massiv für die Bewilligung der deutschen An- liegen ein, und die auch 1941 eher auf innenpolitische Ziele ausgerichteten Sozial- demokraten, die über die absolute parlamentarische Mehrheit verfügten, scheuten das Risiko einer Regierungskrise mit der eventuellen Folge des Auseinanderbre- chens der Koalition in einer Phase außenpolitischer Spannungen37.

Die entscheidende Person im Ringen um die schwedische Stellungnahme zu den deutschen Forderungen war der schwedische Ministerpräsident Per Albin Hansson. Dieser konnte vor dem Hintergrund der Garantie der Einmaligkeit des Transits einer ganzen deutschen Division über schwedisches Territorium seine Reichstagsfraktion auf ein Eingehen der Wünsche der parlamentarischen Minderheit festlegen und damit den Fortbestand der Sammlungsregierung sichern sowie die zukünftige Grenze des Nachgebens festzurren, während die Konservativen ihren größten außenpolitischen Sieg der Kriegsjahre erringen konnten. Daher fällt die innenpolitische Bewertung der midsommarkrisen ambivalent aus38.

Unter Hinzuziehung einer stärker außenpolitischen Komponente ist dieses Urteil jedoch noch einmal zu hinterfragen. Denn zum einen erwiesen sich die schwe- dischen Zugeständnisse aufgrund der Länge des Krieges insgesamt als viel weit- reichender als der Transit der 163. Division, zum anderen gab die schwedische Re- gierung den deutschen Forderungen ohne substanziellen Druck nach und wählte somit im Juni 1941 zwischen Moskau und Berlin auch gegenüber London das

»Dritte Reich«. Die deutsche Führung hingegen konnte mit dem Ergebnis äußerst zufrieden sein. Während Hitler eine schwedische Unterstützung bereits nicht mehr erwartet hatte - sondern vielmehr bereits begann, Schweden als eine militärische Bedrohung zu sehen und dem Diktator auch keinerlei Druckmittel verblieben, um gegenüber Stockholm doch noch das gewünschte politische Resultat zu erzielen, fiel ihm zumindest in Schweden ein politischer Sieg überraschend leichtfertig zu.

Die schwedischen Möglichkeiten, zu den deutschen Forderungen im Juni 1941 ein- fach »Nein« zu sagen, waren jedenfalls im Vergleich zu der auch nicht aussichtslosen Situation im Juni 1940 deutlich größer. Damit lässt sich die schwedische Außen- politik 1941 nicht mehr als ein Nachgeben unter Zwang, sondern seitens der Kon-

35 Sven Grafström, Anteckningar 1939-1944. Red.: Stig Ekman, Stockholm 1989 (= Kungl.

Samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens historia, 14), S. 336;

AD AP, Serie D, Bd 13,1, Nr. 16; RA, Utrikesnämnden, Memorialprotokoll 1941-1950, A 2:5:; RA, HP 1 Ab 35, Politik allmänt, Sverige. Im konservativen Lager vermengten sich bei Angriffsbeginn noch stärker als zuvor antibolschewistische mit finnlandaktivis- tischen Zielen und führten letztendlich zu der Bereitschaft, die zuvor im Krieg nicht voll- zogene Seitenwahl zwischen den Alliierten und den Achsenmächten zugunsten letzterer zu treffen. Als Beispiel lassen sich hier die Politikempfehlungen des schwedischen Ge- sandten in Berlin, Arvid Richert, anführen. Vgl. RA, HP 1 Ct 318, Politik, allmänt, Tyskland.

36 Krise der Mittsommertage. Zur Literatur zur midsommarkrisen vgl. Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 361 f.

37 Johansson, Per Albin och kriget (wie Anm. 4), S. 260-270.

38 Alf W. Johansson, Den nazistiska utmaningen. Aspekter pä andra världskriget, 3. uppl., Stockholm 1993, S. 161.

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servativen vielmehr als eine positive Anpassung an die erwarteten neuen Verhält- nisse in Europa charakterisieren. Die Sozialdemokraten hinderten die Konservativen letztendlich nicht an dieser Stellungnahme.

In der schwedischen Forschung gelten die Zugeständnisse vom Juni 1941 gleich- zeitig auch als der Wendepunkt der schwedischen Außenpolitik. Nach midsommar 1941 sei Stockholm nicht weiter auf Berlin zugegangen und habe sich den weiter- gehenden deutschen Forderungen zunehmend verweigert. In der Regierung seien die proalliierten Kräfte nun die bestimmenden geworden. Alf W. Johansson fasste die schwedische Politikwende in dem Satz zusammen: »Die schwedische Politik wandte sich, bevor das Kriegsglück sich wandte39.« Diese These hat in einigen Poli- tikfeldern - wie bei der schwedischen Weigerung, dem Dreimächtepakt beizutreten, der Übernahme der sowjetischen diplomatischen Vertretung gegenüber Berlin so- wie dem Ringen um das Verbot der schwedischen kommunistischen Partei - in jedem Fall ihre Berechtigung40. In Bezug auf andere Politikfelder kann die These von der generellen Politikwende Stockholms im Sommer 1941 zurückgewiesen werden.

So kam es bis Mitte 1942 zu weiteren Zugeständnissen beim Gütertransit, der seinen quantitativen Höhepunkt im zweiten Halbjahr 1942 erreichte, und auch die Zahl der gestatteten Uberflüge stieg aufgrund der permanenten Missachtung der Rege- lung durch die deutsche Luftwaffe41. Die deutsche Kriegsmarine vermochte im Sommer 1941 die Ausgestaltung der Nutzungsrechte für die schwedischen Hoheitsgewässer ebenfalls zu ihrem Vorteil zu verändern. Die schwedische Marine richtete einen Eskortdienst für deutsche Nachschubschiffe ein, deutsche Kriegs- schiffe und Truppentransporter konnten nun wie die Handelsschiffe ebenfalls die schwedischen Hoheitsgewässer auf ihrer Route nach Finnland befahren. Bis Novem- ber 1941 eskortierte die schwedische Kriegsmarine auf diese Weise Schiffe mit einer Gesamttonnage von 420 000 BRT und die schwedische Marine wurde zu einem Befehlsempfänger der deutschen Geleitstellen degradiert42. Aufgrund der defensiven Strategie der Roten Ostseeflotte kam es aber 1941 zu keinen militärischen Zusam- menstößen mit der schwedischen Marine, die sich aus dem Engagement der schwe- dischen Kriegsmarine für den Schutz des deutschen Nachschubes leicht hätten entwickeln können, und auf die große Teile der schwedischen Marine auch hofften.

Eine derartige Situation wäre nur noch schwer für die Sammlungsregierung zu kontrollieren gewesen und hätte ein großes Risiko dargestellt, im Herbst 1941 in den Krieg hineingezogen zu werden. Was der Sammlungsregierung noch 1941 erspart blieb, geschah 1942. Die sowjetischen Seestreitkräfte trugen eine U-Boot-Offensive

39 Ebd., 5. Aufl., Stockholm 2000, S. 236.

40 PA, R 997-998, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 2; RA, Gösta Bagges samling, minnesanteckningar, vol. 2. Auch lehnte die Sammlungsregierung Ende Juli 1941 den Eisenbahntransport einer weiteren Division ab. Diese wurde jedoch auf dem Seeweg von schwedischen Marineeinheiten eskortiert. Vgl. AD AP, Serie D, Bd 13,1, Nr. 172.

41 PA, R 106243, Ha Pol, Handakten Wiehl, Akten betreffend Schweden, Bd 6; PA, R 1012, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 6; PA, R1005, Büro des Staats- sekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 4; Äke Thulstrup, Det tyska kurirflygningama genom svensk luftrum under det andra världskriget. In: Historisk Tidskrift (wie Anm. 31), S. 431-435.

42 AD AP, Serie D, Bd 13,2, Nr. 530; Alf W. Johansson, Transiteringar, eskorteringar och det svenska territorialvattnet. Marina frägor i de svensk-tyska relationerna 1941-1942. In:

Stormaktstryck och smästatspolitik (wie Anm. 4), S. 145-148.

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in die Ostsee vor, und aufgrund des schwedischen Verhaltens 1941 erhielten die Kommandanten den Befehl, deutsche Schiffe auch in schwedischen Hoheitsgewäs- sern anzugreifen, schwedische Schiffe aber zu verschonen43. Die schwedische Regie- rung war bemüht, den militärischen Konflikt nicht zu einem politischen ausufern zu lassen, die schwedische Kriegsmarine führte - wenn auch nicht mit allen zur Ver- fügung stehenden Kräften - jedoch auf der Ostsee im Sommer 1942 einen regel- rechten U-Boot-Krieg gegen die russischen Einheiten und schützte äußerst effektiv die eigene, aber auch die deutsche Schifffahrt auf der Ostsee. Auch wenn natürlich der Schutz der eigenen Hoheitsgewässer eine Selbstverständlichkeit darstellte, so kam Stockholm Berlin weit entgegen. Die Vorrechte in den schwedischen Hoheits- gewässern wurden nicht aufgehoben, während russischen Schiffen bereits das Uberfahren der Territorialgrenze nicht gestattet war. Gleichzeitig hatte Berlin die Sammlungsregierung bereits zuvor aus ihren Geleitverpflichtungen entlassen.

Stockholm nahm also seinen reichlich vorhandenen politischen Handlungsspiel- raum nicht wahr und stellte sich in den Dienst der deutschen Kriegsanstrengungen.

Erst ein hoher Verbrauch an Brennöl, britischer Druck und die Verlagerung der U-Boot-Aktivitäten an die deutlich schlechter geschützte Südküste der Ostsee führ- ten im Herbst 1942 zum Ende des unerklärten, aber de facto geführten, U-Boot- Krieges auf der Ostsee44.

Auch auf ökonomischem Gebiet kam es zu weiteren schwedischen Zugeständ- nissen. Im Herbst 1941 konnte das AOK Norwegen größere Posten an Winteraus- rüstung und Kfz für die Versorgung der deutschen und finnischen Angriffsverbände mit Nachschub aufkaufen bzw. anmieten. Zudem gewährte zur gleichen Zeit die schwedische Handelsdelegation in den Verhandlungsrunden mit ihren deutschen Gesprächspartnern dem »Dritten Reich« Kredite in einer Höhe von insgesamt 365 Mio. Kronen45. Der Höhepunkt der Exporte bei den aus deutscher Sicht beson- ders kriegswichtigen Gütern Eisenerz und Kugellager wurde erst 1943 erreicht46. Ungeachtet des Handelsvertrages für 1944 war die Sammlungsregierung zudem be- reit, über das mit den Alliierten ausgehandelte Maß mit zweifelhaften Methoden

43 Lars Ulfving, Sjökriget Sverige - Sovjetunionen. Det inofficiella kriget i Östersjön mellan Sovjetunionens ubätsvapen och Sveriges flotta sommaren och hosten 1942. In:

Vindkantring. 1942 - politisk kursändring. Red.: Bo Hugemark, Stockholm 1992, S. 229-242.

44 Ebd., S. 256; Johansson, Transiteringar, (wie Anm. 42); Jürg Meister, Der Seekrieg in den osteuropäischen Gewässern 1941-1945, München 1958, S. 52.

45 PA, R 999-1001, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 3; Wittmann, Schwedens Wirtschaftsbeziehungen (wie Anm. 1), S. 268-273.

46 Diese Entwicklung des Handels ist jedoch nicht nur typisch für die bilateralen deutsch- schwedischen Beziehungen. Auch der Handelsumfang der anderen europäischen neu- tralen Staaten mit dem Achsenraum erreichte erst 1942/43 seinen Höhepunkt. Vgl. Chris- tian Leitz, Nazi Germany and Neutral Europe during the Second World War, Manchester 2000, S. 178-189. Christian Leitz charakterisiert dabei den schwedischen Erz- und Kugellagerexport vor der spanischen Wolframausfuhr als wichtigsten handelpolitischen Kriegsbeitrag der neutralen Staaten. Für die Finanzierung des deutschen Außenhandels war jedoch das schweizerische Bankwesen entscheidend. Damit trugen nach Christian Leitz nicht nur Schweden, sondern sämtliche in Europa verbliebene neutrale Länder, die 1943 etwa 18 % der deutschen Importe beisteuerten, zur Verlängerung des Krieges bei.

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der Handelsbilanzfälschung unter der Hand zusätzliche Waren an das Deutsche Reich zu verkaufen47.

Aufgrund der schwedischen Außenpolitik kann nicht mehr von einem einheit- lichen Zeitpunkt ausgegangen werden, von dem ab sich die schwedische Politik wie- der den Alliierten zuwandte. Die Phase der Politikwende lässt sich auf den Zeitraum vom Sommer 1941 bis Mitte 1944 datieren. Entscheidend für den Zeitpunkt einer schwedischen Politikwende war jedoch oftmals das Eigeninteresse Stockholms. So war der Handlungsspielraum der Sammlungsregierung aufgrund der deutschen Abhängigkeiten von den schwedischen Exporten im Bereich der Kriegshandels- politik mit am größten und dies der Regierung gleichfalls bekannt. Und dennoch kam es gerade auf ökonomischem Gebiet aufgrund des Eigeninteresses zu einer besonders späten Abkehr vom »Dritten Reich«, für die es auch noch des massiven alliierten Drucks bedurfte. Damit widersprechen auch das Durchsetzen des schwedischen Eigeninteresses und die deutsche Abhängigkeit von den schwedi- schen Exporten, die in der deutschen Führung sogar als noch stärker wahrgenom- men wurde, als sie der Realität entsprach, dem Kleinstaatsparadigma.

Wie sehr sich die Machtverhältnisse in Skandinavien aus deutscher Sicht mit dem Scheitern der deutschen Blitzkriegskonzeption im Winter 1941 /42 vor Moskau, Leningrad und im Südabschnitt der Front verändert hatten, belegen nicht nur die strategisch-militärischen Lageeinschätzungen der obersten Militärführung, sondern auch die Ausgestaltung der Beziehungen im Februar 1942. Im Laufe des Herbstes 1941 kamen in Schweden Gerüchte auf, nach deren Inhalt die Wehrmacht für das kommende Frühjahr einen Angriff auf Schweden plane. Gleichzeitig rechnete vor allem Hitler in der »Schicksalszone« des Krieges, an der norwegischen Küste, mit einer allüerten Landung. Dieses Bedrohungsgefühl steigerte sich auf beiden Seiten bis zum Februar 1942. Stockholm fürchtete den deutschen Präventivschlag, Berlin bei einer alliierten Landung in Norwegen den schwedischen Kriegseintritt. Beson- ders das Auswärtige Amt machte die deutschen Befürchtungen deutlich. Sowohl Staatssekretär von Weizsäcker als auch der Leiter des Skandinavienreferates, Werner von Grundherr, verdeutlichten ihren schwedischen Gesprächspartnern ihre Sorge vor einem schwedischen Kriegseintritt bzw. vor einer alliierten Landung in Skandi- navien48. Während für Schweden mit der in Berlin als glaubhaft angesehenen Erklärung, Schweden werde sich gegen jeden Angreifer verteidigen, die Februar- krise beigelegt werden konnte und sich das Deutsche Reich mit dieser erneuerten Neutralitätsbekundung mehr als zufrieden gab, versuchte nun das Auswärtige Amt den erneut aufkommenden Gerüchten massiv entgegenzutreten, um Schweden nicht in die Flucht nach vorn und in den Krieg zu treiben49.

Vor diesem Hintergrund war Berlin 1942/43 auch nicht mehr in der Lage, schwe- dische Kurskorrekturen zugunsten der Alliierten aufzuhalten, sofern sich die Samm-

47 Ebd., S. 359; Martin Fritz, Wirtschaftliche Neutralität während des Zweiten Weltkrieges.

In: Schwedische und schweizerische Neutralität im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Rudolf L. Bindschelder [u.a.], Basel, Frankfurt a.M. 1985, S. 69-72. Die deutschen Lieferschwie- rigkeiten boten gleichwohl schon im Sommer 1943 gute Ansatzmöglichkeiten, um die Rekordausfuhr zu verhindern. Diese Chance ließen die schwedischen Unterhändler jedoch ungenutzt. Auf anderen Gebieten ging die schwedische Regierung 1942/43 jedoch eindeutiger gegen deutsche Interessen vor. Vgl. S. 16 f.

48 RA, HP 1 Ct 321-322, Politik allmänt, Tyskland; PA, R 1002, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 3.

49 PA, R1005, Büro des Staatssekretärs, Akten betreffend Schweden, Bd 4.

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lungsregierung erst einmal zu einem solchen Schritt entschlossen hatte. Weder bei der Auslaufgenehmigung für die von Großbritannien gecharterten norwegischen Schiffe im Hafen von Göteborg im April 1942 noch bei der Aufkündigung des Tran- sits von Wehrmachtangehörigen im August 1943 oder bei der Abwicklung der letzten militärpolitischen Zugeständnisse 1944 verblieben dem Deutschen Reich über leere Drohungen mit dem Zorn Hitlers hinaus adäquate Reaktionsmöglich- keiten50. Auch stand die Reichsregierung dem ab 1942 deutlich verstärkten schwedi- schen Engagement vor allem für die skandinavischen Opfer des deutschen Terror- regimes hilflos gegenüber, sodass die schwedische Hilfe für die Bevölkerung der skandinavischen Nachbarländer und Finnland in der zweiten Kriegshälfte beacht- lich anwachsen konnte51.

Insgesamt ist damit festzustellen, dass dem Kleinstaat Schweden auch in den Jahren der größten deutschen Machtentfaltung ein deutlich größerer Handlungs- spielraum zur Verfügung stand als die Sammlungsregierung ausnutzte. In einem Längsschnitt betrachtet lässt sich zudem konstatieren, dass sich nach den Sommer- monaten 1940 der schwedische Handlungsspielraum stetig erweiterte, bereits spätestens 1941 /42 wieder den Handlungsrahmen von 1939 erreichte und danach trotz der Skagerraksperre und der Umringung Schwedens mit deutschen Besat- zungs- bzw. Angriffsverbänden eine bessere Position ermöglichte als bei Kriegsaus- bruch. Die Basis hierfür bildeten vor allem die sich vor dem Hintergrund der Ge- samtkriegslage deutlich verschlechternde deutsche Lage, die schwedische Aufrüs- tung, die Professionalisierung der Militärführung durch den stetigen Austausch der prodeutsch-defätistischen Führungselite, die gesteigerte schwedische Blockade- festigkeit sowie die deutlich gestärkte wehrwirtschaftliche Grundlage. Ab Anfang 1942 boten sich Schweden aus deutscher Sicht politische und militärische Hand- lungsoptionen, die weit über das Maß vom September 1939 hinausreichten. Militä- risch konnte Stockholm zumindest im Zusammenspiel mit London, Washington und vor allem Moskau, so die Befürchtungen des OKW, die deutsche Besatzungs- herrschaft in ganz Skandinavien beseitigen und zudem die Herrschaft auf der Ost- see erringen. Auf einer Stufe unterhalb des schwedischen Kriegseintrittes wären die ökonomischen Folgen einer handelspolitischen Eskalation für die deutsche Kriegs- ökonomie ebenfalls gravierend gewesen, während Stockholm eine deutsche Total-

50 Dennoch wurde freilich sowohl 1941 als auch 1943 von deutscher Seite der Göteborg- verkehr zeitweilig unterbrochen. Dies geschah jedoch vor allem 1943 aufgrund von Zwängen, denen sich die deutsche Reichsführung zuvor ohne eine direkte Notwendigkeit ausgesetzt hatte, und die nun ihr Gesicht wahren musste. Der Abbruch wurde jedoch besonders 1943 vorsichtig vorgenommen und es wurde versucht, die Situation nicht eskalieren zu lassen. Vgl. Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 458-482. Zum Göteborgverkehr vgl. Nikolaus Rockberger, Göteborgstrafiken. Svensk lejdtrafik under andra världskriget, Stockholm 1973.

51 1945 Ars svenska hjälpexpedition tili Tyskland. Eörspel och förhandlingar, Aktstycken utgivna av kungl. utrikesdepartementet, Stockholm 1956; Paul A. Levine, From Indifference to Activism, Swedish Diplomacy and the Holocaust 1938-1944, Stockholm 1996; Graf Folke Bernadotte, Das Ende. Meine Verhandlungen in Deutschland im Frühjahr 1945 und ihte politischen Folgen, Zürich, New York 1945; Radowitz, Schweden und das

»Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 543-578.

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blockade, die freilich auch die Gefahr einer militärischen Eskalation beinhaltete, deutlich besser und länger hätte überstehen können52.

Diese strategischen, militärischen und wirtschaftlichen Grundannahmen legten Berlin eine in jeder Hinsicht defensive Außenpolitik gegenüber Stockholm nahe.

Da in dem Handlungsfeld der höchsten Eskalationsstufe mit dem Ende der deut- schen Besatzungsherrschaft über Skandinavien die Konsequenzen am weitrei- chendsten waren und alle unter der Schwelle des schwedischen Kriegseintrittes liegenden Szenarien stets die Gefahr einer weiteren Eskalation in Richtung des militärischen Befreiungsschlages beinhalteten, blieb Berlin nur noch die Taktik der leeren Drohungen mit dem Zorn Hitlers, die aber gleichzeitig wieder so relativiert werden mussten, dass der befürchteten Zuspitzung vorgebeugt wurde.

Aus schwedischer Sicht ergaben sich damit weit reichende Möglichkeiten. Zwar wollte die Sammlungsregierung begreiflicherweise den Kriegseintritt unbedingt vermeiden, doch auch unterhalb dieser Schwelle bestanden für Stockholm zahlreiche Handlungsoptionen, ein schwedisches »Nein« selbst bei den aus deutscher Sicht kriegswichtigen Eisenerzlieferungen, hätte - ganz im Gegenteil zu den Spekula- tionen Kent Zetterbergs - nicht zu einem deutschen Angriff geführt53. Es war vor allem das Deutsche Reich, das in Skandinavien viel mehr zu verlieren hatte als das schwedische Erz. Eine deutlichere Politik gegen das »Dritte Reich«, die zudem die Beziehungen zu den Alliierten wie zu den skandinavischen Nachbarländern deut- lich verbessert hätte, wäre ohne jedes Risiko möglich gewesen.

Dennoch nutzte die Sammlungsregierung diesen Handlungsspielraum nur marginal aus. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur und können nur in ihrer Gesamtheit die schwedische Außenpolitik gegenüber dem »Dritten Reich« erklären.

Von zentraler Bedeutung war in jeder Phase eine wenig realistische Wahrnehmung des »Dritten Reiches«. Zum einen kam es - wie bereits die Begriffsbildung zu den zentralen Ereignissen in den deutsch-schwedischen Beziehungen verdeutlicht54 - losgelöst vom Kriegsverlauf und seinen Implikationen zu einer Überbetonung des Bedrohungspotenzials durch die deutsche Wehrmacht. Zum anderen fiel es gerade den älteren konservativen Schichten schwer, zwischen dem aus ihrer Sicht positiv besetzten deutschen Kaiserreich und den preußischen Kulturtraditionen sowie dem Wesenscharakter des Nationalsozialismus zu unterscheiden55. Gerade an der Überbetonung der militärischen Gefahren hatte der schwedische Verteidigungsstab, der teilweise auch aus politischen Gründen zu einer Überbewertung tendierte und vor allem nicht den Zusammenhang zwischen einer aus deutscher Sicht verschlech- terten Kriegslage und dem damit gleichzeitigen Sinken der militärischen Gefahr für Schweden erkannte, sondern im Gegenteil von einer dadurch steigenden Gefahren- lage ausging, entscheidenden Anteil. Auch wurden unter der Regie des Verteidi- gungsstabes die erstklassigen Einblicksmöglichkeiten in die Lage aus deutscher

52 Bundesarchiv (BA), R 3101/33275, Untersuchung Blockadefestigkeit Schwedens vom Oktober 1943; BA-MA, RM 7/1753, Handakten 1 b, Ostsee, Schweden 1941-1944;

Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Bd 3/1 (wie Anm. 27), S. 1073.

53 Kent Zetterberg, Svensk säkerhetspolitik 1943. En balansakt pä slak lina mellan de krigförande. In: Nya fronter? 1943 - spänd väntan. Red.: Bo Hugemark, Stockholm 1994, S. 86.

54 Narmkkrisen, marskrisen, midsommarkrisen,februarkrisen.

55 Zetterberg, Det neutrala Sveriges (wie Anm. 1), S. 334; Gunnar Äselius, Sweden and Nazi Germany. In: Sweden's relations with Nazism, Nazi Germany and the Holocaust. Ed. by Stig Ekman and Klas Ämark, Stockholm 2003, S. 21-30.

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Sicht, die sich durch die Dechiffrierung sämtlicher deutscher Kommunikation erga- ben, nicht hinreichend ausgenutzt56. Zudem war die Sammlungsregierung, die trotz der Dechiffrierung bezüglich der Intentionen Hitlers stets in Unsicherheit war, geneigt, den aus damaliger Sicht unberechenbaren Diktator nicht über Gebühr reizen zu wollen. Diese vorsichtige Politiklinie vertrat nicht zuletzt der schwedische Ministerpräsident Per Albin Hansson.

Innerhalb der Sammlungsregierung verfolgten die Parteien stark unterschied- liche Interessen. Während die mit einer absoluten Mehrheit ausgestatteten und dem Nationalsozialismus am kritischsten gegenüberstehenden Sozialdemokraten mit dem weiteren Ausbaus des Wohlfahrtsstaates und einer gleichzeitigen Auf- rüstung - Ziele, die leichter in handelspolitischer Kooperation mit dem Deutschen Reich zu erreichen waren - innenpolitische Prioritäten setzten, die sich außen- politisch lediglich auf die Handelspolitik auswirkten, stand für die Konservativen ein finnlandaktivistischer außenpolitischer Politikentwurf mit im Vordergrund.

Die Prioritäten sowohl der Sozialdemokraten als auch der Konservativen ließen sich also kombinieren und legten damit die außenpolitischen Grundzüge fest. Vor einer Sprengung der Sammlungsregierung hatten vor allem wiederum die Sozial- demokraten Angst und waren daher gerade in der ersten Kriegshälfte zu größeren Zugeständnissen bereit. Sowohl die eigene Regierungsbeteiligung als auch das Einbinden der bürgerlichen Parteien erschien der schwedischen Sozialdemokratie auch vor dem Hintergrund der autoritären Tendenzen in den alten, konservativen Eliten wie den Hofkreisen oder der Militärführung unabdingbar.

In der zweiten Kriegshälfte beeinflussten zusätzlich vor allem die wirtschaftli- chen Nachkriegsinteressen Stockholms sowie das Fehlen eines überregionalen außenpolitischen Konzeptes für die Nachkriegszeit, das eine Verbesserung der Beziehungen zu den künftigen Siegermächten, vor allem aber zu den skandinavi- schen Nachbarländern, nahe gelegt hätte, die vorsichtige Außenpolitik Stockholms.

Die eigenen Handlungsspielräume zu erkennen, war bereits alles andere als einfach, sie wahrzunehmen, lag oftmals vor dem Hintergrund der eigenen Einschätzungen zum vorhandenen Handlungsspielraum nicht im Interesse der Sammlungsregie- rung. Denn vor allem den Sozialdemokraten war nicht bewusst, dass ein Erreichen ihrer politischen Hauptanliegen auch mit einer weitaus festeren Politik gegenüber dem »Dritten Reich« möglich gewesen wäre.

56 Radowitz, Schweden und das »Dritte Reich« (wie Anm. 2), S. 392^410; KA, Beredskapsverket, Avdelning 9, Handlingar som har tillhört Per Edvin Sköld, vol. 1;

Ulfving, Geheimschreiberns hemlighet (wie Anm. 18), S. 183-216; Wilhelm Carlgren, Svensk underrättelsetjänst 1939-1945, Stockholm 1985, S. 68-80.

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