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Stoffliche Abgrenzungsfragen: Handelt es sich um Arzneimittel, Lebensmittel oder Kosmetika?

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Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 1

Stoffliche Abgrenzungsfragen:

Handelt es sich um Arzneimittel, Lebensmittel oder Kosmetika?

Gerald Kesseler

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Inhaltsverzeichnis

1. Rechtliche Grundlagen und Definitionen 2. Praxis und Rechtsprechung

3. Besonderheiten der stofflichen Abgrenzung bei klinischen Prüfungen

(3)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 3

Rechtliche Grundlagen

Klinische Prüfung, § 4 Absatz 23 AMG

„Klinische Prüfung

bei Menschen ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder

Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen. (…)“

Teil der Entscheidung über die Genehmigungspflicht ist die Feststellung der Arzneimitteleigenschaft

VG Köln, Urteil vom 8. April 2014, Az. 7 K 3150/12

Ist das Prüfpräparat ein Arzneimittel, oder handelt es sich beispielsweise um ein Lebensmittel, Medizinprodukt,

Kosmetikum? Was wird untersucht?

(4)

Rechtliche Grundlagen

Arzneimittel, § 2 Absatz 1 AMG

„Arzneimittel

sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind

oder

2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen

oder

b) eine medizinische Diagnose zu erstellen“.

§ 2 Absatz 3a AMG (sog. „Zweifelsfallregelung“):

„Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 (z.B. Lebensmittel, Kosmetika, Medizinprodukte) fallen können.“

(5)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 5

Rechtliche Grundlagen

Arzneimittel, § 2 Absatz 3 AMG

„Arzneimittel sind nicht

1. Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches,

2. kosmetische Mittel im Sinne des § 2 Abs. 5 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches,

(…)

7. Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 des

Medizinproduktegesetzes, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b,“

Zwei Arten von Lebensmittels besonders im Fokus: Nahrungsergänzungsmittel

(NEM) und Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (LBMZ)

(6)

Rechtliche Grundlagen

Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel Artikel 2 Verordnung (EG) Nr. 178/2002

„Im Sinne dieser Verordnung sind „Lebensmittel“

alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen

erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden“

§ 1 Absatz 1 NemV

„Nahrungsergänzungsmittel im Sinne dieser Verordnung ist ein Lebensmittel, das 1. dazu bestimmt ist, die allgemeine Ernährung zu ergänzen,

2. ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellt und

3. in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in

abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht wird.“

(7)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 7

Rechtliche Grundlagen

Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, LBMZ Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe g) VO (EU) Nr. 609/2013

Laut Definition sind:

„Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke

unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, einschließlich Säuglingen, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht;“

• Patienten mit Phenylketonurie mit spezifischem Eiweißbedarf

• Patienten mit Niereninsuffizienz mit Eiweißrestriktion

• Patienten mit Malabsorption bei Zöliakie

(8)

Rechtliche Grundlagen

gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, „Claims“

Artikel 2 Absatz 2 Verordnung (EG) NR. 1924/2006

„5. „gesundheitsbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem

Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht;

6. „Angabe über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass der Verzehr einer Lebensmittelkategorie, eines Lebensmittels oder eines Lebensmittelbestandteils einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Krankheit beim Menschen deutlich senkt;“

Verordnung definiert keine eigene Kategorie Lebensmittel, sondern betrifft Werbeaussagen auf Lebensmitteln (→ Die Frage, ob das beworbene

Lebensmittel verkehrsfähig ist, bleibt unberührt)

(9)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 9

Rechtliche Grundlagen

Kosmetische Mittel

Art. 2 Abs. 1 a) VO (EG) Nr. 1223/2009

„„kosmetisches Mittel“:

Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den

Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder

überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen;“

(10)

Abgrenzungsfälle klinischer Prüfungen

Klinische Prüfung eines

Arzneimittels?

Oder…

… LBMZ zur Ernährung von

Patienten

… für Claims auf Lebensmitteln für

gesunde Verbraucher

… Mittels zu überwiegend kosmetischem

Zweck

… üblichen Lebensmittels an

gesunden

Verbrauchern

oder Patienten

(11)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 11

Inhalt

1. Rechtliche Grundlagen und Definitionen

2. Praxis und Rechtsprechung

3. Besonderheiten der stofflichen Abgrenzung bei

klinischen Prüfungen

(12)

Auslegung des Arzneimittel-Begriffs

Arzneimittel, § 2 Absatz 1 Nr. 1 AMG

„Arzneimittel

sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind“

• Arzneimittel nach der Bestimmung, sogenannte Präsentationsarzneimittel Definition erfasst üblicherweise Produkte, die „schlüssig, aber mit Gewissheit den Anschein eines Arzneimittels erwecken“

• Zweckbestimmung des Herstellers, Gebrauchsanweisung, Verpackung, begleitende Informationen, Internet

• Bekanntheit beim Verbraucher (u.a. allgemeine Verkehrsauffassung bzw.

bestehende Handelsbräuche

• Sonstige Informationen zum Produkt oder enthaltenen Stoffen

Aber: Anders bei der Frage, ob Prüfpräparat in klinischer Prüfung ein Arzneimittel ist

(13)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 13

„Arzneimittel

sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, (…)

2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder

a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen“

• Arzneimittel nach der Funktion, sogenannte Funktionsarzneimittel

1. „durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung“

2. „um (…) wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen“

Auslegung des Arzneimittel-Begriffs

Arzneimittel, § 2 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG

(14)

Pharmakologische Wirkung

„ die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind der Faktor, aufgrund dessen die mitgliedstaatlichen Behörden ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten dieses Erzeugnisses zu beurteilen haben, ob es im Sinne des Art.1 Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines

Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel dazu bestimmt ist, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer Diagnose oder zur

Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden.“

EuGH Urteil vom 09. 06 2005, Rs. C-211/03

(15)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 15

Pharmakologische Wirkung

„Eine Wirkung ist pharmakologisch, wenn sie in einer Wechselwirkung

zwischen den Molekülen des betreffenden Stoffes und einem gewöhnlich als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil besteht, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Wirkstoff blockiert, bildlich gesprochen also nach dem "Schlüssel-Schloss-Prinzip“ abläuft.“

OVG NRW, Beschluss vom 11.06.2007, 13 A 3903/06

„Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil“

EuGH, Urteil vom 06.09.2012, Az. C-308/11

(16)

Pharmakologische Wirkung

• Medizinisch-pharmazeutische Definition gut umschreibbar durch Zusammenspiel von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im menschlichen Körper

• Definition anwendbar auf jeden Stoff, unabhängig davon, ob als Arzneimittel oder als Lebensmittel zugeführt

• Wie soll zwischen „pharmakologischer Wirkung“ und

„ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung“ unterschieden werden?

Rein naturwissenschaftliche Betrachtung kein ausreichendes

Kriterium für die Abgrenzung von Arzneimittel zu Lebensmitteln

(17)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 17

Funktionsarzneimittel

§ 2 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG

Gerichte haben unbestimmte Rechtsbegriffe wie „pharmakologische Wirkung“

oder „beeinflussen“ konkretisiert, um Abgrenzung insbesondere zu Lebensmitteln vorzunehmen

„Pharmakologische Wirkung im Sinne des AMG“

„Eine pharmakologische Wirkung ist eine gezielte Steuerung von Körperfunktionen von außen, sie ist nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleichbar, bei der der Körper die benötigten Bestandteile selbst identifiziert und modifiziert.

Auch müssen die erhebliche Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und das Vorliegen erheblicher pharmakologischer Wirkungen durch belastbare wissenschaftliche

Erkenntnisse belegt sein.

Zwar ist kein positiver Wirksamkeitsnachweis erforderlich, wie er Voraussetzung einer

Arzneimittelzulassung wäre, es muss aber zumindest ein halbwegs gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand vorliegen, der einen tragfähigen Rückschluss auf die Wirkungen des jeweiligen Produktes erlaubt“

BVerwG, Urteil vom 25.07.2007, 3 C 21.06

(18)

Funktionsarzneimittel

§ 2 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG

„dessen Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann, keine

nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel besitzt und damit nicht als ein Erzeugnis eingestuft werden kann, das die physiologischen Funktionen im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2001/83 wiederherstellen, bessern oder beeinflussen könnte“

EuGH, Urteil vom 15.11.2007, C-319/05 Knoblauchextraktpulver

„Dabei darf das Kriterium der Eignung, physiologische Funktionen durch die genannten Wirkungen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, nicht dazu führen, dass Erzeugnisse als

Funktionsarzneimittel eingestuft werden, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, aber keine nennenswerten physiologischen Auswirkungen haben und seine Funktionsbedingungen somit nicht wirklich beeinflussen.“

EuGH, Urteil vom 15.01.2009, C-140/07 „Red Rice“

„Stoffe, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen

beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um Rauschzwecke hervorzurufen, und dabei

gesundheitsschädlich sind, entsprechen nicht der Definition gem. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG“

EuGH, Urteil vom 10.07.2014, C-358/13 und C-181/14

(19)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 19

Erhebliche Beeinflussung der Körperfunktionen

Funktionsarzneimittel

§ 2 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG - Zusammenfassung

Wechselwirkung zwischen Molekülen, i.d. R. Substanz -

zellulärer Bestandteil

Durch wissenschaftlich belastbare Daten belegt

Der Gesundheit zuträglich

(20)

Funktionsarzneimittel

Beispiele Abgrenzungsentscheidungen Lebensmittel:

• Alpha-Liponsäure, 300 mg / d ≡ 1,5 kg Molkepulver / 2,4 kg frischer Spinat → Arzneimittel

OVG Münster, Beschluss vom 27.01.2015, Az. 13 A 1872/14

• Melatonin, 0,5 mg / d ≡ 5 t Gurken / 1 t Bananen → Arzneimittel

OVG Münster, Beschluss vom 10.12.2014, Az. 13 A 1202/14

• Knoblauch-Extrakt mit 0,95-1,05% Allicin, 370 mg / d ≡ 7,4 g frischer Knoblauch → kein Arzneimittel

EuGH, Urteil vom 15.11.2007, Az. C319/05

• Vitamin E, 268 mg (400 I.E.) / d, kein „Vergleichs-Lebensmittel“ genannt → Arzneimittel

BVerwG, Urteil vom 25. 7. 2007 – 3 C 22.06

Erheblichkeitsschwelle keine starre Grenze, sondern immer auf konkreten Fall bezogen zu bewerten

Kosmetisches Mittel:

• 0,12% Chlorhexidin in Mundspüllösung, Dosierung unterhalb von Arzneimitteln und kürzere / seltenere Anwendung → Wirkung nicht nennenswert → kein Arzneimittel

BGH, Urteil vom 05.10.2010 - I ZR 11/14

• 0,5 % Campher und 0,094 % Menthol in Salbe, deutlich unterhalb von Arzneimitte-Monographien + in Anspruch genommene Wirkung „wohltuend“ und zur Pflege → „Erheblichkeitsschwelle“ nicht erreicht, weitere Wirkungen nicht nachgewiesen → kein Arzneimittel

(21)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 21

Inhalt

1. Rechtliche Grundlagen und Definitionen

2. Praxis und Rechtsprechung

3. Besonderheiten der stofflichen

Abgrenzung bei klinischen Prüfungen

(22)

Erfordernis klinischer Prüfungen

• Klinische Prüfungen sind für kosmetische Mittel, Claims und LBMZ erforderlich

• Bei Kosmetik: Wirksamkeitsbeleg von ausgelobten Wirkungen, Sicherheit (§ 27 Abs. 1 LFGB, Art.

3 und Art. 10 VO (EG) Nr. 1223/2009)

• Claims müssen Zulassungsverfahren durchlaufen und werden durch EFSA geprüft (Art. 10 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1924/2006)

• LBMZ müssen wirksam sein (bisher § 14b Abs. 1 DiätV, bald Artikel 2 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 2016/128 (ab 2019 Erfordernis eines Dossiers beim Inverkehrbringen)

• Allgemeine Forschung im Bereich Ernährungsmedizin, Biochemie und Ernährungsphysiologie

„Studienzentrum für Humanernährung

Äpfel gegen Krebs? Tofu gegen Hitzewallungen? Rotwein gegen Herzinfarkt? – Können Lebensmittel einen Beitrag für eine gesunde Ernährung leisten? Am Studienzentrum für Humanernährung des Max Rubner-Instituts wird diese Frage bearbeitet.“

https://www.mri.bund.de/de/institute/physiologie-und-biochemie-der-ernaehrung/studienzentrum/

(23)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 23

Arzneimittel-Einstufung

Besonderheiten bei der stofflichen Einstufung

Üblich: Es müssen belastbare Daten („Studien“) zum Beleg der pharmakologischen Wirkung vorgelegt werden

Hier: Daten sollen durch eine geplante klinische Prüfung

womöglich erst gewonnen werden. Belege können daher fehlen / Wirkung ist (noch) nicht substantiiert nachgewiesen

Üblich: Zur Einstufung als (Präsentations-)Arzneimittel sind

Produktverpackung, sonstige Informationen sowie Kenntnisse und Erwartungen von Verbrauchern heranzuziehen

Hier: Prüferinformationen sind ausschlaggebend. Auch kann

Prüfpräparat außerhalb der klinischen Prüfung z.B. als NEM oder

kosmetisches Mittel vertrieben werden, aber in der Prüfung durch

andere Dosierung/Art der Anwendung als Arzneimittel gelten

(24)

Klinische Prüfungen

Prüfpräparat Lebensmittel?

• Wenn in klinischer Prüfung an Gesunden eine ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung eines Stoffes gezeigt werden soll, dann sollte seine Aufnahme in Art und Menge auch mit üblichen Lebensmitteln möglich sein

„in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel“,

„Erheblichkeitsschwelle“

Wäre eine ernährungsspezifische Wirkung über der Erheblichkeitsschwelle begründbar?

• Zwar knüpft die allgemeine Lebensmitteldefinition keinen Ernährungs- oder Genusszweck an einen Stoff, um ein Lebensmittel zu sein; auch NEM müssen nicht „sinnvoll“ sein

Aber: In der Zielsetzung einer klinischen Prüfung muss deutlich

werden, ob therapeutischer oder ernährungsspezifischer Zweck

verfolgt wird

(25)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 25

Klinische Prüfungen

Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke

• LBMZ sind für Patienten bestimmt, gleiche „Zielgruppe“ wie Arzneimittel → klinische Prüfungen für LBMZ an Patienten mit bestimmter Krankheit

Aber: Nicht Behandlung der Krankheit ist Zweck vom LBMZ, sondern Ernährung („Diätmanagement“, zur „Ernährung (…) bestimmt“,

„medizinisch bedingter Nährstoffbedarf“)

„Der Hinweis auf Diätmanagement von Krankheiten, Störungen oder Beschwerden, für die das Lebensmittel bestimmt ist, sollte nicht als Zuschreibung einer Eigenschaft hinsichtlich der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit gelten“

Art. 9 Abs. 4 sowie Erwägungsgrund Nr. 25 der Verordnung (EU) Nr. 609/2013

Wenn eine klinische Prüfung mit Stoffen durchgeführt wird, die auch Nährstoffe sind bzw. in der Nahrung vorkommen, bedeutet dies nicht automatisch, dass Prüfpräparat kein Arzneimittel darstellt!

Positionspapier des BVL und des BfArM - Charakterisierung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke (bilanzierten Diäten)

Scientific and technical guidance on foods for special medical purposes, EFSA

Bekanntmachung der Kommission über die Einordnung von Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke, Europäische Kommission

(26)

Klinische Prüfungen

Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke

• Wenn in klinischer Prüfung Patienten das Probandenkollektiv bilden und Wirkung auf spezifische Krankheit untersucht werden soll, ist in der Regel Eigenschaft als Präsentationsarzneimittel erfüllt.

Aber: Im Falle von klinischer Prüfung für LBMZ kann auch „sonstiger medizinischer Nährstoffbedarf“ untersucht werden. Gegenstand aktueller Diskussion:

• Liegt ein Nährstoff vor oder Stoff mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung? Welche Stoffe fallen unter die Begriffe?

• Wie weit ist der Begriff „Bedarf“ zu fassen?

• Ist Erheblichkeitsschwelle für LBMZ anwendbar (nach Art. 2 Abs. 2g VO (EU) Nr. 609/2013 ist Voraussetzung für LBMZ, dass gerade eine Zufuhr über Modifizierung der normalen Ernährung nicht möglich ist)?

Positionspapier BVL / BfArM; Guidance, Bekanntmachung …

(27)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 27

Klinische Prüfungen

Health-Claims

• Health-Claims für Lebensmittel müssen eine nachgewiesene Ursache- Wirkungs-Beziehung aufweisen,

• Bewertung erfolgt durch die EFSA (Ablehnung vieler beantragter Claims zu

„Botanicals“ aufgrund unzureichender Daten)

• Claims z.B. für Nährstoffe wie Vitamine oder Mineralstoffe, Fettsäuren, Ballaststoffe, aber auch sekundäre Pflanzenstoffe,

Aber: Wenn eine klinische Prüfung mit Stoffen durchgeführt wird, die

auch Nährstoffe sind bzw. in der Nahrung vorkommen, bedeutet dies

nicht zwingend, dass Prüfpräparat kein Arzneimittel darstellt!

(28)

Klinische Prüfungen

Health-Claims

• Health-Claims sind nur für Lebensmittel für Gesunde zulässig, nicht für LBMZ (vgl. Art. 7 delegierte VO (EU) Nr. 2016/128, ab 2019)

Klinische Prüfungen für Claims sind an gesunden Probanden durchzuführen

• Health-Claims zielen auf Erhaltung / Unterstützung des gesunden Körpers ab

• „Niacin trägt zur Erhaltung normaler Haut bei“

• „Mangan trägt dazu bei, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen“

• „Linolsäure trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei“

• „Calcium trägt dazu bei, den Verlust an Knochenmineralstoffen bei postmenopausalen Frauen zu verringern. Eine geringe Knochenmineraldichte ist ein Risikofaktor für durch Osteoporose

bedingte Knochenbrüche.“

• „Pflanzensterole senken/reduzieren nachweislich den Cholesterinspiegel. Ein hoher Cholesterinwert gehört zu den Risikofaktoren der koronaren Herzerkrankung“

(29)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 29

Einstufungsbeispiele

• Studie mit Resveratrol zur Untersuchung einer rezeptorvermittelten Wechselwirkung mit Zielprotein Cytochrom P450 Oxidase 1A1 im Glioblastomgewebe. Es wird erhofft, dass durch Blockierung der Arylhydrocarbonrezeptoren die Invasivität reduziert wird und das Tumorwachstum verlangsamt wird.

• Resveratrol ist ein sekundärer Pflanzenstoff (Polyphenol) und kommt in üblichen Lebensmitteln wie Weintrauben, Pflaumen, Erdnüssen vor.

→ Lebensmittel?

• untersucht werden pharmakologische Eigenschaften des Stoffes mit

therapeutischer Zweckbestimmung bei Patienten – Arzneimitteldefinition ist erfüllt

Einstufung als genehmigungspflichtige Studie nach AMG

(30)

Einstufungsbeispiele

• Untersucht wir der Effekt von Capsaicin (eingesetzt wird Speisewürze Tabasco) auf neurophysiologische und funktionelle Parameter des

Schluckaktes, vermittelt über TRPV1-Rezeptoren bei Gesunden. In den

Nervenendigungen des Rachens, Mundhöhle und Kehlkopf wird Substanz P freigesetzt und steigert Schluckreflex. Möglicherweise sind die Ergebnisse dieser Untersuchung wichtig für die Behandlung von Dysphagien.

• Tabasco ist ein übliches Lebensmittel. Capsaicin hat pharmakologische Effekte und kommt sowohl in Lebensmitteln als auch in Arzneimitteln vor (Wärmepflaster)

• Weder Unbedenklichkeit, noch Wirksamkeit sollen untersucht werden, sondern der Wirkmechanismus von Tabasco an gesunden Probanden → keine therapeutische Zweckbestimmung / für Lebensmittel übliche

Zufuhrmenge – Prüfpräparat ist Lebensmittel

Keine genehmigungspflichtige Studie nach AMG

(31)

Gerald Kesseler| BfArM im Dialog: Abgrenzung klinische Prüfungen | 04.09.2018 | Seite 31

Einstufungsbeispiele

• Es wird die enterale Gabe von Glutamin (0,5 g Glutamin / kg Körpergewicht / Tag) an Patienten mit schweren, lebensbedrohlichen Verbrennungen

untersucht. Bei fast allen kritisch kranken Patienten findet sich ausgeprägte Erniedrigung der muskulären Glutamin-Konzentration; zum Teil auch ein pathologischer Abfall des Glutamin-Plasmaspiegels

• Glutamin üblicher Protein-Bestandteil vieler pflanzlicher und tierischer Lebensmittel→ LBMZ?

• Zufuhrmenge durch Prüfpräparat übersteigt Aufnahme über Nahrung zwar deutlich, Menge wird vom Körper aber benötigt und wäre durch „übliche“

Lebensmittel auch nicht zuführbar. Es liegt ein „sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf vor“, Prüfpräparat ist kein Arzneimittel

Keine genehmigungspflichtige Studie nach AMG

(32)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Kontakt

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Abteilung 1 – Sachgebiet Abgrenzung

Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3 53175 Bonn

Ansprechpartner Gerald Kesseler

Gerald.kesseler@bfarm.de www.bfarm.de

Tel. +49 (0)228 99 307-3398 Fax +49 (0)228 99 307-5900

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