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Ferdinand Seiht Hussitischer

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(1)

Hussitischer Kommunalismus

I.

Vor

dreißig Jahren

habe icheine

Untersuchung

„zurStruktur einerRevolution"

publiziert.

Es

ging darum,

einensehr

ausgeprägten,

abervonderdeutschen For-

schung

seit Generationen nicht bearbeiteten

gesellschaftlichen Formierungspro-

zeßzu

untersuchen,

derschließlichvom

Ausgangspunkt

einer

religiösen

Reform

bis zumAusbruch

innergesellschaftlicher

Gewaltzuführenimstandewar. Es

lag

mir

daran,

den

Ursprung

und die

Wege

einer solchen

Formierung

in einzelnen

Themenkreisenam

Quellenbefund

zu

analysieren,

sodaßvonvornherein daspro-

grammatische

Denken zur Debatte stand und nicht eine

Ereignisfolge,

die mir

hinlänglich

bekannt schien.Eshandelte sichumdiehussitische Revolution.

Mein Buchaus dem

Jahr

1965 fand unerwartet freundliche Aufnahme bei der tschechischen

Forschung.

ImRückblick darf ichsagen,daßindergesamtenhisto- rischen Fachliteratur kein anderes deutsches Buch so ausführliche Rezensionen auf tschechischerSeite

ausgelöst

hat. Das Buch wurde auch auf deutscher Seite freundlich

begrüßt,

aberes war hier leider nichtimerwünschten Maß

imstande,

eine

umfangreichere Beschäftigung

mitdenso

quellenträchtigen Jahrzehnten

des

böhmischen

Spätmittelalters anzuregen1.

Immerhin: Der

Begriff

einer hussiti-

schen

Revolution,

den seinerzeit

gleichermaßen

die Marxisten in der DDR wie konservativere deutscheKennerderwestlichen

Revolutionsgeschichte ablehnten,

ließ sichdurchmeine

Strukturanalyse

wohlein

wenig befestigen.

DieDiskussion

darumfreilich konnte ich wegen der

mangelnden

deutschen Sachkenntnis allein mittschechischen

Kollegen

führen. Icherinneremichgerndieser

Diskussion,

die

mir

jahrzehntelange kollegiale Verbindungen einbrachte,

namentlich mit dem

heute wohl bestentschechischen

Sachkenner,

der sich soebenmitder bisherum-

fangreichsten Hussitengeschichte ausgewiesen hat,

mitFrantisek Smahel2.

1 Eine

glückliche

Ausnahme bildetFranzMachilek,der sich dem ThemavondenKommen-

tarendesLudolfvonSaganher näherte(LudolfvonSaganundseine

Stellung

inder Ausein-

andersetzung

umKonziliarismus undHussitismus,München1967)und derinzwischen mit einerFüllevonDetailstudienzuden besonderen deutschenKennerndererstenJahrzehnte

des15.JahrhundetsinBöhmen zählt.

2 Zu Oeuvreund PersönlichkeitvonFrantisek Smahelführtwohlambesten dieFestschrift

ausAnlaßseines60.

Geburtstages:

Husitstvi

-

Reformace

-

Renesance[Hussitismus

-

Refor-

(2)

Meine

Analyse

von 19653 war semantisch orientiert. Die

Begriffsanalyse

richtete sich auf das nomenklatorische Selbstverständnis der

Hussiten;

auf ihre

Diskussionumdas bellum

justum

zuihrer

Verteidigung,

also auch auf die Recht-

fertigung

von „innerer Gewalt" mit dem herkömmlichen Instrumentarium des

Defensivkrieges;

auf ihr nationales Selbstverständnis als einer

„tschechischen

Reformbewegung"

nach den

bisherigen Auffassungen;

und auf den neuen

Orga- nisationsbegriff,

den sienach den

Ursprüngen

für ihre

Bewegung

fanden undder

offensichtlicheinrevolutionäres

Gegenstück

zu

bisherigen Organisationsformen

darstellen sollte: auf die Gemeinde.

Der

Gemeindebegriff

als sozusagen

„antifeudalistische"

revolutionäre Selbst-

organisation

hat mich auch

später

nochin

einigen

Arbeiten

beschäftigt,

vorallem

in einem Buch über diefrühen

europäischen

Revolutionen4. Überdies schien es

mir immerwieder

bemerkenswert,

daß auch in derGeschichte der

europäischen Utopie

seitThomasMorus wieauchinder deutschen

Reformationsutopie Begriff

und

Organisationsformen

der

„Gemeinde"

eine

große

Rolle

spielten5.

Andere,

namentlichansüddeutschem Materialausdörflichem und städtischem Selbstverständnisorientierte

Wege ging

PeterBlickle inden letzten

Jahrzehnten.

Ersuchtesieebenso

aufweitertragende politische

Strukturen anzuwenden.Seinen

Begriff

von

„Kommunalismus",

wieerihnvor

einigen Jahren

inder Historischen Zeitschrift

vorstellte,

will ich deshalb hier auch gerne übernehmen6. SeinerVor-

stellung,

ein solcher Kommunalismussei besonders im 16.

Jahrhundert

wirksam

geworden,

namentlichin

Verbindung

mitder deutschen

Reformation,

könnteich

zwar meinerseits noch das

Beispiel

der

Utopie

von einer „Neuen

Wandlung",

offenbar ein

zeitgenössischer Revolutionsbegriff,

von 1527

beisteuern,

die meist

unterder Autorschaft des

Nürnberger

Buchdruckers

Johannes Hergot

läuft7.Ich

möchte hier aber Blickles

Begriff,

im vollen Sinne des reformatorischen Auf-

bruchs,

um hundert

Jahre

vordatieren. Ich möchte

zeigen,

daß Blickles

Begriff geradeso

schonimhussitischen Böhmen anzuwenden

ist,

und im

übrigen

will ich

auch die

Anmerkung

nicht

unterdrücken,

daß erwohl offenbar schon seit dem 12.

Jahrhundert

in den

politischen

Strukturen und

Auseinandersetzungen

der

mittelalterlichen GesellschafteineRolle

spielt,

mitunterauch

da,

wo manfrüher

einmalvon

„Zunftkämpfen" gesprochen

hat. Zweifellos

gehört

er nach meinem

mation

-

Renaissance]. Sborník k60. narozeninámFrantiska Smahela. Hrsg.vonJaroslav Pánek,MiloslavPolívka,Noemi

Rejchrtová,

3Bde.

(Praha

1994).Zuseinerkürzlich erschie-

nenen

vierbändigen Hussitengeschichte (Frantisek

Smahel, Husitská revoluce [Diehussiti- scheRevolution],Prag1993)demnächstmeineRezension inder Zeitschrift Bohemia.

3FerdinandSeibt,Hussitica. ZurStruktureinerRevolution(Köln,Graz 1965)als Beiheft8

zumArchiv für

Kulturgeschichte,

erschienen noch einmalinunveränderter,aberum

einige

Quelleneditionenerweiterter

Auflage

(Köln,Wien1992).

4 FerdinandSeibt,RevolutioninEuropa. UrsprungundWegeinnerer Gewalt.Strukturen, Elemente,

Exempel

(München1984).

5FerdinandSeibt,Utópica

-

Modelle totaler

Sozialplanung

(Düsseldorf1972).

6PeterBlickle, Kommunalismus, Parlamentarismus,

Republikanismus,

in: Historische Zeit- schrift242(1986)529-556,bes.533.

7Darüber zuletzt mein

Beitrag

zum

Historikertag

1994in ZHF(imDruck).

(3)

Dafürhalten zu

jenen Themenkreisen,

denen man mit einer zielbewußten und

klug

indie

zeitgenössische Begriffswelt eingepaßten Forschung

auchals Mediae- vistnoch vieles

abgewinnen

kann8.

Inihrer

Fixierung

auf die

großen

Liniender

politischen

Geschichte hat sich die

Forschung lange

Zeit bisherkaum mitdem

Begriff

der„Kommune" befaßt. Und doch erscheintsozusagendas gesamteWortfeld bei näherem Zusehen unentbehr- lich für das Verständnis der

Herrschaftsstrukturen,

sowohl im abendländischen wieauch im

aufgeklärten, ja

schließlichnochimmodernen und

zeitgenössischen Europa.

Dabei

zeigt

diese

Begrifflichkeit

für ihr rechtes Verständnisganz

wichtige Wandlungen,

ebenso wie für die

gesellschaftspolitische Diskussion,

die solche

Wandlungen jeweils

hervorbrachte. Mehr noch: Eben nicht nur ihre Definition

untersich wandelnden

Umständen,

sondern die

Wortbildung

selbst ist bereitsein

wichtiger Aufschluß,

dennes

geht

dabeiumeinendie

Jahrhunderte

weit

übergrei-

fenden

Begriff,

dem man sozusagen eine axiale

Bedeutung

für unsere gesamte

neuere

Gesellschaftsentwicklung

zuschreibenkann.Eben deshalbbietetdieganze

Gesellschaftsgeschichte

seitdem Aufbruch eines

gewissen, begrenzten,

in seinen

Umrissen aber schon

lange

bekannten

gesellschaftlichen

Pluralismus des letzten

Jahrtausends

einwillkommenes

Beobachtungsfeld

dafür. Er stehtin dieserHin-

sicht also den

großen

und

wichtigen Leitbegriffen

der abendländischen Gesell- schaft nicht

nach,

diewirallmählicherstin den letzten

Jahrzehnten

zudiskutieren und in ihrer

Entwicklung verfolgen gelernt

haben. Und

das,

wobei einüberaus

reiches

Quellenmaterial

einesolche Diskussion erlaubt9. Auch dieKommunedarf also

jedenfalls beanspruchen,

inihrer

Definition,

inihrem

Begriffswandel

und in

dem

jeweiligen Diskussionsgeschehen

den Adel derLatinitätansichzutragen,so daßsie demtheoretischen

Sprachgebrauch

auchinder

Sprache

der Gebildetenzu-

gänglich

war. Darüber hinaus brachtees die

Bedeutung

und die

gesellschaftliche

Funktion dieses

Begriffs

mit

sich,

daß sich

Übersetzungen

undVariantenauchin

die

Volkssprachen

einführten. Wir habenes also im deutschen Umfeld bald mit

„gemeinde"

und „meente" zu tun, mit

„Allgemeinheit"

im dörflichen wie im

städtischen

Verständnis,

mit

entsprechenden Zugehörigkeitskriterien

und mit

politischen Konsequenzen.

Wir beobachten dabei einen

Weg

zur Fundamental-

politisierung

mit Hilfe dieses

Sprachgebrauchs,

aber wir können ebenso das

Organisationsgeschehen

aus der Ständewelt daran

verfolgen.

Otto Brunners

„Landesgemeinde" gehört längst

zum Grundwissen für die

Beobachtung spät-

mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Staatlichkeit.

8Ich kann hiernuranmerken,daß nachmanchen

übersteigerten

Erwartungendoch die elek- tronische

Datenverarbeitung gerade

imBereich derSemantik

große

Einsichten

verspricht,

undeswird hoffentlichnichtallzu

lange

dauern,bisman

Quellenausgaben

auch auf Disket-

tenbenützen kann.

9DazuHeideWunder,Diebäuerliche GemeindeinDeutschland(Göttingen 21986).Zurge- nerellen

Entwicklung

imstädtischen Bereich GerhardDilcher,Kommuneund

Bürgerschaft

als

politische

Idee der mittelalterlichen Stadt, in Iring Fetscher und

Herfried

Münkler (Hrsg.),

Pipers

Handbuch der

politischen

Ideen(München,Zürich1993)311^146.

(4)

IL

Befand Karl Boslvor

zwanzig Jahren,

daß die Kommune in Italienim 12.

Jahr-

hundert als

wichtiges

Element des

„europäischen

Aufbruchs" dann vollendet

sei,

wennsich cónsulesund

populus,

seiesauchuntereinem

podestä,

vomStadtherrn

gelöst hätten,

so

gilt Vergleichbares

auch schonetwafürdieselbe Zeit inFlandern.

Und natürlich wird alles überwölbt von der Einsicht Wilhelm Ebels über die

Bedeutung

desstädtischen Schwurverbandes bei dieser

Gelegenheit.

KnutSchulz

erinnerte 1992daran mitder

Feststellung:

Die Kommune sei einSchwurverband der BewohnereinesPlatzes10.

Es

genügt,

andiese Einsichten zu erinnern. Siewerden zumindest im Bereich der

Stadtgeschichte

wohl auch weiterhin die

Forschung

orientieren. Der alteBe-

griff

der städtischen

und,

namentlichim

Zusammenhang

mitder

Dorfforschung

im

Landesausbau,

auch der dörflichen Kommunität ist aber weder umfassend noch unveränderlich. Auch kennter nach denKriterien eines solchen „Kommu- nalismus" seineAusnahmen. Karl Bosletwahat zuletzt noch1980

festgestellt,

daß

esin

Rom,

im

Gegensatz

zu den oberitalienischen

Entwicklungen,

eben

„keine Kommunebildung" gegeben

habe11. Andererseitsläßt sich auch hierumdieMitte des 12.

Jahrhunderts

eine

Bürgerschaftsbewegung beobachten,

die der Sache nach

an

Kommunebildungen

in

allgemeinem

Verständnis in Oberitalien erinnert12.

Auch diesen

Untersuchungsgang

magmanderDiskussion überlassen.

Wichtig

für

unsere

Fragestellung

ist

jedoch,

daßdieKommuneim

Spätmittelalter

sich verselb-

ständigt

und nicht mehr ihre

Auseinandersetzungen

mitStadtherren

führt,

diesie

meist

siegreich

hinter sich

gebracht hatte,

sondern daß sie in

Polarisierung

mit

dem Stadtrat geratenist: Rat und Gemeinde

-

diese Formel aus dem deutschen

Spätmittelalter

hat

augenscheinlich

ihre Parallelen weithin13.

Blickles

Beobachtungen

einer

„kommunalen Bewegung"

in mehreren Arbei-

ten,zuerstwohlineiner

Darstellung

der Reformation als einer

„Revolution

des

gemeinen

Mannes",richteten sich auf diese

Organisationsform

in

Verbindung

mit

einer

besonderen,

ebenmitder

religiösen Legitimation14.

Denn die

übliche,

seit

dem12.

Jahrhundert spätestens

theoretisierte

Rechtfertigung

für das

„kommunale

10 KnutSchulz, „Dennsie lieben die Freiheitso sehr...". Kommunale Aufstände und die

Entstehung

des

europäischen

BürgertumsimHochmittelalter(München1992)6.

11 KarlBosl,AufbruchEuropas (München1980)182.

12DarüberJürgen Strothmann,DieStadt nebenPapstundKaiser. Der

Herrschaftsanspruch

der römischen

Bürgerschaft

zurZeitder Staufer(Ms.Diss.Bochum1996).

13Fürdiedeutschen Verhältnisse dieUmschau in derBochumerDissertationvonGudrun Gleba, Die Gemeindealsalternatives

Ordnungsmodell.

Zur sozialen und

politischen

Diffe- renzierung des

Gemeindebegriffes

in deninnerstädtischen Auseinandersetzungen des 14.

und15.

Jahrhunderts

(Köln,Wien1989).

14PeterBlickle, DieRevolution desGemeinenMannes(München1980).Zum

Begriff

auch

die Bochumer DissertationvonRobertLutz,Werwarder GemeineMann? DerdritteStand in der Krisedes

Spätmittelalters

(München,Wien1979).

(5)

Anliegen,"

nämlich das

„bonum commune",

waroffensichtlichnicht hinreichend fürein

Aufstandsbegehren15.

Ineinem solchen Sinn

sprach

von

„Kommunalismus"

und

„kommunaler

Be-

wegung"

PeterBlickleinmehreren

Arbeiten,

zuletzt1995.Dabei richteteerseine Aufmerksamkeit besonders auf die deutsche

Reformation,

in der ereine „Kom-

munalbewegung" beobachtete,

die sich

religiös

zu

legitimieren

wußte und eben

dadurcheine

tiefere,

einerechtlich

überlegene,

alsoeinerevolutionäre Rechtferti- gung

fand,

die dasbisher

beanspruchte

bonumcommune

überstieg.

Blickle hat in

einigen

Arbeiten davon

gesprochen,

daß es ohne einesolche

Legitimation

keine

wirklichen,

nämlichkeinedenUmsturzder

gegenwärtigen Gesellschaftsordnung rechtfertigenden,

mithin also revolutionären

Entwicklungen geben

könne. Ich

möchte michdieser

Auffassung

mit Nachdruck

anschließen,

aber ich will dabei darauf

hinweisen,

daß ich eben

gerade

vor

dreißig Jahren

das

religiöse Legitimati- onsproblem

imHussitismus imeinzelnen

verfolgt

habe undinder Diskussion der

Prager

hussitischen

Magister

umdas bellum

iustum,

also umdie

Rechtfertigung

des

„inneren",

des revolutionären Widerstandeszur

Selbstverteidigung

der hussi-

tischen

Bewegung,

imeinzelnen

darlegen

konnte16.Einesolche

„religiöse Legiti-

mation" kennzeichnet alle frühen

europäischen

Revolutionenvom 15.

Jahrhun-

dert bis zum 17. Der verharmlosend sogenannte

„Prager

Ständeaufstand" von 1618 zählt auch noch dazu. Erst in der

englischen

Revolution eine Generation

später

und offensichtlich auch unter dem Einfluß der

fortgeschrittenen gesell-

schaftlichen Diskussionin

jenem

Lande tauchen nebendemhinreichend bekann-

ten

religiösen

Momentauch naturrechtliche

Argumentationen auf,

umdas

„über- legene

Recht der Revolution" zu

erläutern,

den ständischenWiderstand biszum

Königsmord

zu

rechtfertigen und,

sozusagen am linken

Flügel

der

Bewegung,

auch

egalitäre Forderungen

zu entwickeln17. Um all dieses Verständnis und um

die zeitlicheDimensionmöchte ich Blickles

„Kommunalismus"

erweitert

wissen,

und es scheint mirüberdies noch sehr

erfolgversprechend,

im Sinne des freilich

vonMollat und Wolff

kräftig

akzentuierten

Begriffs

von

„populären

Revolutio-

nen" auchdas 14.

Jahrhundert

nach

entsprechenden,

das bonumcommuneallein

übergreifenden

Ansätzen der

westeuropäischen „Revolutionswelle"

von 1381

noch einmalzu

überprüfen18.

Fürdie

Beobachtung

selbst oder für die

Entdeckung

von

Gemeindebildungen

als einem besonderen hussitischen

Organisationsprinzip

kann man bereits den

ersten modernen

Hussitenhistoriographen

Franz

Palacky heranziehen,

den

bekannten „Vater der tschechischen

Historiographie"

vor

einhundertfünfzig

15Zum„bonumcommune" die BochumerDissertationvonPeterHibst, Utilitas

publica

GemeinerNutz - -

Gemeinwohl.

Untersuchungen

zurIdee eines

politischen Leitbegriffs

von

der Antike biszumspätenMittelalter(Frankfurta.M.,NewYork1991).Überdiesvomsel- benAutoreinAufsatzimArchiv für

Begriffsgeschichte

33(1990)60-96.

16 DazuSeibt,Hussitica,Kap.2.

17 Dazuders.,RevolutioninEuropa,bes.72ff.

18AndréMollat,

Philippe Wolff, Ongles

bleus,JacquesetCiompi.Lesrévolutions

populaires

enEuropeauxXlVeetXVesiècles(Paris 1970).

(6)

Jahren.

Aber er merkt nur anund

beschreibt,

er

geht

mit keiner

Analyse

in die

Tiefe. Ein deutscher

Historiker,

der

einzige wohl,

der sich intensiver mit den Hussiten

befaßte,

hatvor

einhundertzwanzig Jahren

einenguten Teil der Zusam-

menhänge

schon recht treffend

angesprochen.

Das war Friedrich von

Bezold,

dessen

Darstellung

auch allein bis heute die Ehre einer tschechischen

Überset-

zung widerfuhr19. Er schreibt 1874, die Gemeinden seien die

ursprüngliche Grundlage

des

Taboritentums,

der

Inbegriff

der

gläubigen

Brüderund Schwe-

stern. Und er

fügt

ganz

scharfsichtig

hinzu: Solche Gemeinden bildeten sich

anfänglich

nurauf kurze Dauerund für

religiöse

Zwecke. Aber das

Prinzip

sei

bestehen

geblieben

und auf

politische

Verhältnisse

übertragen

worden20. Mir

scheinteine solche Einsicht auch imHinblick auf die in den

folgenden

einhun-

dert

Jahren

errungenen Erkenntnisse über die Struktur der hussitischen Bewe- gung ganz beachtlich.

Allerdings

erscheint die

einseitige Zuschreibung

des Ge-

meindeprinzips

allein fürdie taboritische

Bewegung,

das heißt für den räumlich wie ideellvom

Prager

Hussitismusweithin unterschiedenen

„linken Flügel"

der

Revolution,

zu

eng21.

Ivan Hlavâcek hat

einiges

zum Aufschluß des Gemeinde-

prinzips

ineiner

umfangreichen

Studieüber die hussitischen

Landtage beigesteu-

ert,die

gerade

vor

vierzig Jahren

erschien22.Umdiese

Zeit,

1958

nämlich,

hat der namentlich umrechts- und

strukturgeschichliche Fragen

soverdiente Hussiten-

forscher

Jiri Kejr angelegentlich

ebenfalls auf die besondere

Notwendigkeit hingewiesen, Bedeutung

und Funktion des hussitischen

Gemeindebegriffs

be-

sonderszuerforschen23.

III.

Worum

geht

es im einzelnen? Welche

Bedeutung

hat der wechselweise indrei

Sprachen

überlieferteTerminus

„communitas", „universitas",

tschechisch

„obec",

„Allgemeinheit"

oder

„Gemeinde",

inkonkreten Funktionen?Eristnatürlichim tschechischen

Sprachgebrauch

seit

langem bekannt,

ist durchaus älter als die

gemeinderechtlichen Organisationen

im

Zusammenhang

mit demLandesausbau

19Friedrich von Bezold, Zur Geschichte des Hussitenthums. Culturhistorische Studien

(München1874).

20Bezold,ZurGeschichte desHussitenthums,66.

21 Eineneue deutsche

Darstellung

schriebJiriKejf, Die Hussitenrevolution(Berlin 1988).

Einekonzise und treffende Übersicht stellteFranz Machilek zusammen in:

Theologische Realenzyklopädie,

Bd.15(Berlin,NewYork1987)710-735.Wünschenswertwäreeinedeut- sche

Übersetzung

der soeben erschienenen

umfangreichen

tschechischen

Hussitengeschichte

vonSmahel,Husitská revoluce.

22IvanHlavâcek,Husitskésnëmy [Hussitische

Landtage],

in:Sbornik

historicky

4(1956) 71-110;ders.,Dva

pfïspëvky

k

diplomatice prazskych

mëstzahusitstvi[ZweiBeiträgezur

Diplomatie

der Prager Städte während des Hussitismus], in:

Zápisky katedry

ceskoslo-

venskych

dëjinaarchívníhostudia7(1963)71-87.

23JiriKejf, Právnízivotvhusitské Kutnéhöre[Das Rechtslebenim hussitischenKutten-

berg]

(Prag1958).

(7)

namentlich des 13. und 14.

Jahrhunderts, gewinnt

aber in dieser Zeit eine ver-

gleichbare Bedeutung

wieimbenachbarten

Bayern, Sachsen,

Schlesien

auch, abge-

sehenvon den

Beiträgen

zum

Begriffsverständnis,

dieaus den kirchlichenKom-

munitäten,

den

Mönchsgemeinden

und

Kollegiatkapiteln

bekannt sind.

DieneueStoßkraft

entsteht,

weil sich der Hussitismusals eine

religiöse

Bewe-

gungformiert.ErsammeltseineZuhörerschaftüber

Predigt

und

Gottesdienst,

in

jedem

Fall also in kirchlichen

Organisationsstrukturen,

von der

Kanzel,

oder

sogarkonkretim Rahmen der

Pfarrgemeinde,

da

nämlich,

wodieKelchkommu- nion vermittelt werden soll24. In

gemeindlichen

Strukturen erlebten die neuen

Gläubigen

ihre

Hinwendung

zur neuen

Lehre,

durch

„ihre" Prediger,

durch

„ihre" Priester,

dieseit1415 dieKelchkommunion

spendeten,

durch

„ihre" Magi-

ster,die ihrerseits wiederumeineaufderGemeindestruktur basierende Kirchen-

organisation

zuerrichten suchten.UndimRahmen dieser Gemeinden alleinwar

zunächst die

Rechtfertigung

für die Abkehrvonderalten

Kirche,

bald aberauch

fürdieAbkehrvonder alten

politischen Ordnung

zufindenund die

Zuwendung

zuetwas

Neuem,

das manschließlich auchmitGewaltzu

verteidigen

hatte. Die

Entwicklung

ist bekannt. Daß sie

gerade

unter einem

gemeindlichen

Struktur-

prinzip

sobesonders

erfolgreich

ablaufen

konnte,

wird

allerdings

auch heute noch

von Kennern nicht immer

gehörig hervorgehoben.

Das

lag

bereits inder Natur

der hussitischen

Propaganda,

dienuneben einmal eine

Kanzelpropaganda

gewe-

senistunddeshalbandie Strukturender

Pfarrgemeinde anknüpfte.

Es

lag

ebenso

amKernstück deshussitischen Bekenntnissesseit1415,ander

Kelchkommunion,

diezuerstbekanntlichinder kleinen KircheSt.Martinin

Prag Zustimmung fand,

beimPfarrerwiebeiseinerGemeinde.

Mankanndie Einzelheiten für den deutschenLeserkürzer fassen.Dennauchin der deutschen Reformation ist in den letzten

Jahrzehnten

die

Bedeutung

der

Pfarrgemeinde hinlänglich hervorgehoben worden, angefangen

mitder Akzentu-

ierung

eines

„linken Flügels"

der Reformation durch HeinoldFastundmitexem-

plarischen Untersuchungen

von

„Gemeindereformation"

als

Gegenstück

zur

„Ratsreformation",

womitdieAufmerksamkeitvomkirchlichenzumstädtischen

Organisationsprinzip,

vonder

Pfarrgemeinde

alsozur

Stadtgemeinde

wechselte25.

Die

Bedeutung

der

Pfarrgemeinde

für die

Ausbreitung

des Hussitismus unter-

strichvorkurzem noch einmalFrantisekSmahelinseinemmagnum opusmitder

These,

daß

augenscheinlich

das

geringere

Echo der

Reformbewegung

inMähren

mitderfesteren

Organisation

derkatholischen

Pfarrgemeinden

indiesem

gleich-

24 Diese

Entwicklung

istoftbeschriebenworden,

abgesehen

vonKejf,Právní zivotundMa- chilek(s.Anm.21)umfassendin einerwestlichen

Sprache

vonHoward

Kaminsky,

A

History

of theHussiteRevolution

(Berkeley,

Los

Angeles

1967),tschechisch kürzlichvonSmahel,

Husitskárevoluce.

25HeinoldFast,Der„linke

Flügel"

derReformation

(Hamburg

1962),gewann mit seinem Buch einen

Begriff

für die

Gesamtentwicklung

undihre

„Flügel"-Bildungen. Beispiele

für

„Gemeindereformation" untersucht die Bochumer Dissertationvon Wilhelm Wettges, Re-

formation und

Propaganda.

Studien zur Kommunikation des Aufruhrs in süddeutschen Reichsstädten(München1978).

(8)

sprachigen

böhmischen Nachbarland

zusammenhänge26,

ausdem immerhin eine nichtunerhebliche Anzahl einzelner

profilierter

Verfechter des Hussitismus be- kannt

ist,

aber kaum derÜbertrittganzerGemeinden.

Es

gibt

nichtnurHussens

„Predigtgemeinde"

inder

Prager Bethlehemskapelle,

die bekanntlich keinePfarrkirchewar,es

gibt

auchimLaufe der

folgenden Jahre

die

Übertragung

des

Begriffs

aufeine

Gruppe

von

Anhängern,

die sich mehroder minder lokalisieren ließ. Die bekannte

Kelchprozession

im

Juli

1419, die zum

Sturm auf das

Prager

Neustädter Rathaus führte und damit zur

Initialzündung

einer

Revolution,

unternahmim

zeitgenössischen Sprachgebrauch

eine „commu-

nitas

wyklifistarum"27.

Dieneuen

Gläubigen aber,

die ihre

ursprünglichen

Pfarr-

gemeinden

meidenmüssenoder diein

großer

Zahl füreineweit

umfangreichere Organisation demonstrieren,

übernehmen den

Gemeindebegriff

ebenso undinti-

tulieren ihrbekanntes Manifest 1417mit den Worten:

„My,

obecnaBzihofese-

braná

...", „Wir,

dieauf dem

Berge

Bziversammelte Gemeinde"28.Damithat sich die „communitas fidelium" deutlichvom

ursprünglichen

kirchlichen

Organisati- onsbegriff gelöst.

Dieserneue

Begriff geht

nunmitsamtdem

gehörigen

Selbstverständnis auchin die

großen

hussitischen Manifeste ein.

Wichtig

für die rechte

Einschätzung

des

Gemeindebegriffs

istdie

Tatsache,

daß die

„Hussiten"

diese

Bezeichnung

ausder

Inquisitionsnomenklatur

durchaus nichtschätzten29. Siewollten lieber die besse-

renChristen

sein,

oder siebezeichneten sich eben alsdie Gemeinde der Gläubi- gen. Der

Gemeinde-Begriff

verschwand erst nach dem Basler

Konkordat,

nach

dem

Kompromiß

mitder

allgemeinen

Kirche also und der

folgenden,

unsicheren

Epoche

einerinnerböhmischenToleranz.Erblieb bezeichnenderweise

gerade

da

erhalten,

wosich das

Anliegen

des

religösen

Aufbruchs imHussitismus amrein-

stenentwickelte. Da erhielt sichder

Begriff „Gemeinde"

biszum

heutigen Tag:

Die Unitas

fratrum,

die

„Gemeinde" eben, „der

Böhmischen und Mährischen

Brüder" nach bekannter

Vorgeschichte,

wurde schließlich

überhaupt

zum

Begriff

fürdieseneuechristliche

Glaubensgemeinschaft,

bisheute.

IV

Der Gebrauch des

Begriffs

für die

religiöse Allgemeinheit

und für die

Pfarrge-

meindeneinerseitsundandererseits für die

Stadtgemeinde

imselben Zusammen-

hang changiert.

Waren

ja

doch vielerorts zu

jener

Zeitbeide nachihrem

Umfang

identisch.Nur

wenige größere Städte,

die drei

Prager

Städtevor

allem,

umschlos-

sen

jeweils

mehrere

Pfarrgemeinden

und bildetenselbereine

übergreifende Orga-

26Smahel, Husitskárevoluce,hier Bd.1,152.

27Jaroslav Goll (Hrsg.), Vavfince z Bfezové kronika husitská [Die Hussitenchronik des LorenzvonBrezová],in: FontesrerumBohemicarum,Bd.5(Prag1893)329-534, hier460.

28Frantisek

Palacky

(Hrsg.),Archiv

Cesky,

Bd.3(Prag1949)205.

29Seiht,Hussitica,Kap.1.

(9)

nisationseinheit;

eine weltlichein

jedem

Fall. Und indiesem

Zusammenhang,

in

der

politischen Entwicklung nämlich, geht

esbei dieser

Begrifflichkeit

dann auch

um den Dualismus zwischenRatund Gemeinde. Schon

Palacky

hatte ihn beob- achtet.BereitsvorderHussitenzeitwar ervirulent. Schon damals schufmannäm- lich für die

Auseinandersetzung

der

Bürgergemeinde

mitihremRat

kleinere,

be-

weglichere

Ausschüsse undunterschiedetwaeine „seniorcommunitas" vonder

„maior

communitas"30. Dabei hatteimstädtischenGanzenschonvorder Revolu-

tionsbewegung

die

„große

Gemeinde" ein

entsprechendes,

sozusagenauch

legis-

latorisches Gewicht wie im

übrigen Mitteleuropa

auch. In ähnlicherWeise war

auch diePositionihres

Gegenspielers,

des

Rates, längst ausgeprägt,

wobeiaugen-

scheinlich ein

gewisser

Transfer von Ratswissen auch familiären

Beziehungen folgte,

wie sie sicham

Beispiel

des Kaschauer Stadtschreibers Hans

Hebenstreyt

über

Prag

bis nach

Nürnberg verfolgen

lassen31.Eine

gewisse Einbindung

vonde-

legierten

Funktionen im Rat

geradeso

wieauchin der Gemeindeist also keines- wegs eineBesonderheitdeshussitischen

Böhmens;

wohl aber die

folgende

Profi-

lierung:

Dennbei den

Urkunden, geschäftlichen Nennungen

und Manifesten nach demRevolutionsausbruchvon 1419wird da aufeinebesondere FormelWert ge-

legt,

nach der nichtnurderStadtratvertreten

sei,

sondernebenauch die

zugehö- rigen

Gemeinden dieses oder

jenes Ortes,

vornehmlich natürlichin

Prag,

wo die

Gemeinden der Alt-undNeustadt

zeitweilig

auch ihre

Vereinigung

beschlossen.

Das istgarnicht verwunderlichundganzgutzudurchschauen.Esbildet sicheine Formelaus,die vornehmlich auch das Gesandtenwesen umfaßt: „...da

mögen

aus

EurerStadtZweivomRatundZweivonderGemeindekommen."32Dashatsich indieserFormvorderRevolution nicht feststellen lassen. Besonders

auffällig

für

die Position inden

Prager

Gemeinden sind natürlich auchdie Beschlüsseüber die

Enteignung

aller

Geflohenen,

nach

altem,

durchaus herkömmlichem

Stadtrecht,

nun aberim

Zusammenhang

mitder für

Prag

charakteristischen

Verbindung

der

deutschenPatrizier mitderalten Kirche und

umgekehrt

zwischen dem revolutio- närenAufbruch

und,

namentlichinder

Neustadt,

der tschechischen

Sprachzuge- hörigkeit.

Vielleicht

schlug

das schonzuBuchein

jenen Verhandlungen,

die

König Sigis-

mund als der

präsumptive Thronfolger

nach dem TodseinesHalbbruders Wenzel 1419/20 mitdenAufrührern führte.DaswarendieerstenSchrittevonGemeinde-

politik

bei noch

vorsichtigerem

TaktierendesRates. Der Ratwandte sichanden

König

mit einem

Kompromißpapier

und

fügte hinzu,

das seien nun eben seine

Vorschläge.

Es

gäbe

aber auch nocheine

Stellungnahme

der

Gemeinde,

die Ihre

30 Ebd.,Kap.4,136;danach

vgl.

diedetaillierteren

Untersuchungen

vonKarel

Hruby,

Socio-

logicky

model husitskárevolucevhranicích

politického

systému

prazskych

mëst[Dassozio-

logische

Modell der hussitischenRevolution im Rahmendes

politischen

SystemsderPrager Städte],in:

Sociologicky

casopis3(1967)575—590;ders.,Senior communitas

eine revolutio- näreInstitution derPragerhussitischen

Bürgerschaft,

in: Bohemia13 (1972)9^43.

31 Dazu demnächst eineArbeitvon Maria Tischlerüber die Kaschauer

Ratsordnung

von

1404in der Reihe

„Veröffentlichungen

des

Collegium

Carolinum".

32 Goll,VavrincezBrezovékronika,458.

(10)

königliche Majestät

nicht übelnehmen wolle. DieGemeinde tratalso schon we-

nige

Wochen nach demerstenAusbruchvonGewaltimOktober 1419mit ihren

eigenen Vorschlägen

neben

diejenigen

ihrer

eigentlich beauftragten

und bevoll-

mächtigten

städtischen

Sprecher,

neben ihren

eigenen

Rat. Und

Sigismund

nahm

dann auchwirklich die

gemeindlichen Vorschläge „übel",

aber die

Kraft,

die da- hinter

steckte,

warbereitsso

stark,

daßsiederRatnicht beseite schieben konnte.

DieKonfrontationnahm ihren Lauf.Ein

Kompromiß

warnicht mehrzufinden.

DieStärkederGemeindemitden

zugehörigen

Votenvon

Volksversammlungen

wuchs erklärlicherweise nach denerstenmilitärischen

Auseinandersetzungen

von

1420, und seinen

Höhepunkt

erreichte dieser Prozeß unter dem Exmönch

Jan

Zelivsky, Johann

von

Seelau,

einemostböhmischen

Zisterzienser,

der in

Prag

als

VolkstribunimBewußtsein besonderer

Auserwählung

die GemeindezumInstru-

ment seiner Diktatur werden ließ. Wieder darf ich die konkrete

Entwicklung übergehen,

um

lediglich

die

entsprechende

Formel zu

präsentieren: Jener Jan

Zelivsky befragte

nämlich

Abtrünnige

voreinem

Versöhnungsakt

im gesamten Ambiente einer solchen

kleinräumigen

und sozusagen unmittelbaren Massen- diktatur nach der Formel:

„Petis,

ut dominusDeus et communitas ista tibipar- cant?"33 Gottund die Gemeinde! Das ist eine

Machtergreifung

im tiefsten Ver-

stand,

wie ihn die

zeitgenössische Legitimierung

der Revolution nur

überhaupt

zur

Verfügung

stellen konnte.

Jeder

Kenner

weiß,

daß

Zelivsky

damit sich selbst

ausdemHerzen

gesprochen

hatte. Deraufdiese Weise

übergangene

Ratließ bald

den

unbequemen

Volkstribun ineinem zweifelhaften Verfahren

hinrichten,

und

die

Machtstellung

erloschmit seinerPersönlichkeit. Dennoch versuchte sich sein

Nachfolger

Wilhelm

gelegentlich

noch einmal mit derselben

Formulierung.

Sie

konntein

Prag

danach aber keine Tradition mehrbilden.Anderswardie Entwick-

lung dagegen

bekanntlichinTabor.Im ganzen

jedenfalls

istes kein

Wunder,

daß

auch schon die Intention einer besonderen

gemeindlichen Mitsprache

über das

herkömmliche Maß hinaus die anderthalb

Jahrzehnte

der revolutionären böhmi- schen

Entwicklung

bestimmte und

danach,

mitder Restauration sozusagen, aus dem

politischen Sprachgebrauch

verschwand.

V.

Ich habemir seinerzeitvor

dreißig Jahren einigermaßen

Mühe

gegeben,

umdar-

zutun,daß die hussitische Revolution nichtnureinen

egalitären Flügel ausbildete,

dem man eben

jene Bezeichnung

herkömmlicherweise und schon

lange

vor der

marxistischen

Historiographie

auch

zusprach.

Daswarbesonderszu

jener Zeit,

in

der die

europäische Historiographie

auch die französische Revolution vornehm- lich an ihrem

egalitären Anspruch

maß34. Der

europäische Vergleich zeigt

nun

33 Constantinvon

Höfler,

Geschichtsschreiber der hussitischenBewegunginBöhmen,Bd. 1

(Wien1856)458.

34Nach

gründlicher Analyse

bezweifelte offenbarzuerstCraneBrintondas

allgemein

egali-

(11)

aber auch nocheinanderes

Anliegen

vonRevolutionen. Dieses

Anliegen

revolu-

tionärer

Bewegungen

richtetsich nichtnurauf

gesellschaftliche Egalität,

wie das

der

Mythos

von 1789

verhieß,

sondern vornehmlich und bei manchen älteren

Ereignissen

sogar ausschließlich auf eine

Umordnung

der

Ständegesellschaft35.

Den niederen mit dem Hochadel

gleichzustellen;

den hohen Adel neben die

Dynastie;

die

stadtbürgerliche

Weltvorden niederen

Adel;

oder denKlerusaus-

zuschließen aus der

Ständepyramide,

das sind

unterschiedliche, vielfältige,

aber

bisins20.

Jahrhundert verfolgte

Revolutionsziele. Bei

einigem

Nachdenken sind

es sogar selbstverständliche

Revolutionsziele,

denn erklärlicherweise kann eine

Ständegesellschaft

ebenauchnurdurch denUmsturzständischer

Ordnungen

re-

voltiert

werden,

unddieserUmsturz muß keinesfallsim Sinnemoderner

Egalität

vonoben bis untenlaufen.

Auch diese ständische

Ordnung

alsoisteine

Strukturfrage

der hussitischenRe- volution. Sie istnatürlich nicht nurein Kennzeichen des böhmischen Hussitis-

mus, sondern einesvonmehreren

Krisenphänomenen,

das um 1400die gesamte kirchlich

gebundene,

ständisch

geordnete

und monarchisch

regierte

Welt mit

großer

Deutlichkeit befällt. Aber das wärein einem weiteren

Zusammenhang

zu

diskutierenund vornehmlichgegen

Krisenbegriffe

zu

stellen,

die manfrüherein-

seitig

der modernen Nationalökonomie entlehnt hat36.

VI.

Wie

spiegelt

sichnundas durch die Revolution krisenhaft

erschütterte,

umsturz-

gefährdete, ja umgestürzte Gesellschaftssystem

in den hussitischen Texten?

Gehenwir einmalvon der

generellen Überlegung

aus, daß eine

jede

ständische

täre

Anliegen

der Revolutionvon1789:

Europa

imZeitalterderfranzösischen Revolution

(Leipzig

1935).Zum

Jubiläum

von1989

folgten

diesem Zweifelnunmehrere andere undvor- nehmlichauchfranzösischeAutoren,

hervorragend

unterihnenFrançoisFuret.

35 Ich habe mich um

gehörige Beispiele

in meiner

Darstellung

der frühen

europäischen

Revolutionen bemüht(s.Anm.4),51ff.Fürdengesamten

Entwicklungsprozeß

der„Moder-

nisierung"

muß mandabeifreilichstetsden

gesellschaftlichen

Wandeldurch „Reform"vor

Augen haben,oftaus

gleicher

Wurzel.Fürseine

gegenwärtige

Bewertunginder deutschen

Reformationsforschung vgl.

Heinz

Schilling,

Die Reformation

-

ein revolutionärer Umbruch oder

Hauptetappe

eines

langfristigen

reformierenden Wandels?, in: Konflikt

und Reform.Ulimann Festschrift für Helmut

Berding, hrsg.

von

Winfried Spekkamp

undHans-Peter

(Göttingen

1995)26-40.

36NochimmerfehlteineKrisendiskussion der

spätmittelalterlichen

Gesellschaft. Gemein-

sammit

Winfried

Eberhard habe ichsie inden Bänden Europa 1400.Die Krise des

Spät-

mittelalters(Stuttgart 1985)undEuropa 1500.

Integrationsprozesse

imWiderstreit.Staaten, Regionen,Personenverbände,Christenheit(Stuttgart1987)anzuregenversucht.Wenigsach-

kundige Anmerkungen

wiesoebendievon Hartmut Boockmann in einemLiteraturbericht in der HZ(1995)nützenunsererEinsichtnicht,abervielleicht sind siealsErinnerungandie

Notwendigkeit

einersolchen DiskussionnichtohneNutzen. Einen gutenEinblick inden Stand der

Krisenforschungen,

wiesie

Spätmittelalter

und früheNeuzeit verbinden,liefert

aber

Schilling,

DieReformation.

(12)

Ordnung

allein schon durch die bloße

Nennung

denunteren

Rängen

einenPlatz

und damit

Anerkennung

zuweist.Noch heute reden wir inunbewußter Erinne- rung von

„Rang

und Stand". Nach dieser

Voraussetzung

können wir zunächst

einmal

beobachten,

daß die

aufdrängenden

Kräfte im

Ständegefüge überhaupt

ständische

Rangreihen

wachsen

lassen;

daß siebisher nicht

„namhafte" Gruppen aufnehmen;

daß dieseneuen

Gruppen

vornehmlich nach dem

Gemeindeprinzip

benannt

werden;

daßes sich dabeiteils auch wirklichum

„Gemeinden" handelt,

nämlich um nun zur

politischen Mitsprache aufdrängende Städte,

Städtebünde und selbst auch Dörfer. Und daß am Ende alles

weitgehend

wieder so zurück-

genommen

wird,

wieesvorrevolutionärwar.Dasheißtmitder

Neigung,

allenfalls

den

Hochadel,

die Baroneoder

Magnaten,

zu

„nennen",

und dazu

lediglich

pau-

schal

„alle

GemeindedesganzenLandes".

Allerdings

trittdann

schließlich,

gegen

Ende des 15.

Jahrhunderts,

zur

begrifflichen Bekräftigung

derausder

politischen

Geschichte

längst

bekannten

Behauptung

des Hochadels über alle anderen ständi- schen Elemente auch eine

Neuerung

imVokabularein: Aus der nichtweiter im

einzelnennennenswerten

„Landesgemeinde"

werden imTschechischen

jetzt

die

„Stände",

aus der

„obec

zemská" „stawowé". Mit diesem

Begriff

ist auch eine

gewisse Übereinstimmung

mit der

übrigen

ständischen

Entwicklung

in

Europa hergestellt

worden:

„l'état", „der

Staat",

„the

state",

„lo

stato" entstammt be- kanntlich dem absolutistischen Selbstverständnis.Nurdie Niederländer wahrten den

ursprünglichen

Plural.

Zur

Analyse

des

quellenmäßigen Niederschlags beginnt

man

zweckmäßiger-

weise vor der

Revolution,

um die

Entwicklung

einer

Rangreihe

sozusagen aus dem

ungestörten

Zustand festzustellen. Ein

Beispiel

bietet etwa die

Majestas

Carolinaaus der Mitte des

H.Jahrhunderts, jenes Kodifizierungswerk

der Lan-

desgesetze,

das KarlIV. in

entsprechender

konservativerTendenz

unternahm,

das

aberamWiderstand der böhmischenBaronescheiterte. Esüberlebte dennoch in schriftlicher Form und beeinflußte bekanntlich manche

künftige Regelung.

In

dieser

Rechtssammlung

also

gilt

die

Rangfolge:

„Barones et nobiles

inferiores",

also

„hoher

Adelundniederer

Adel",

und dazutretendanndie

„universitates

dicti

regni"37.

Beianderen

Gelegenheiten

findenwirals die

vorrevolutionäre,

ganzder

Machtposition

desHochadels

verpflichtete Nominierung lediglich „páni

a

obec",

inder lateinischen Version: „Dominiterre etcommunitas".

„Gemeinde" fungiert

dabeinatürlichfür

„Allgemeinheit".

Mehr als diese

Zweiteilung

interessiert vom baronalen und wohl auch vom

monarchischen

Standpunkt

nicht. Es handelt sich dabei natürlich nichtum eine

geradlinige

oder

ungestörte gesellschaftliche Entwicklung38.

Vorrevolutionär

37Maiestas Carolina.DerKodifikationsentwurf KarlsIV. für das

Königreich

Böhmenvon

1355,

hrsg.

vonBernd-Ulrich

Hergemöller (Veröffentlichungen

des

Collegium

Carolinum

74, München 1995), Kap. I, hier zitiert nach dem Hinweisvon Ivan Hlavâcek, Husitská

snëmy,76,Anm. 16.Nochandere

Belege

dazuinSeiht, Hussitica,146.

38Dazu meinBeitragimHandbuchderGeschichte der böhmischenLänder,

hrsg.

vonKarl Bosl,Bd.1 (Stuttgart1967)und detaillierter meineStudie: Land und HerrschaftinBöhmen,

in: HZ200(1965).

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