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Zu Hiranyakesin Grhy. I, 11, 1.
Von Heriiianu Oldenberg.
Bd. 54 S. 613 wirft Böhtlingk mir vor, dass ich von diesem
— von ihm kurz auch schon Bd. 52, 82 behandelten .— Spruch
in SBE. XXX, 167 eine Übersetzung gegeben habe, ,ohne an irgend
etwas Anstoss zu nehmen". Die unmögliche Form, in der viele
solche Mantras überliefert sind — und wer will sagen , wie viel
von diesen Unmöglichkeiten nicht bis auf die Verfasser der Sütras
selbst zurückgeht? — ist doch in zahlreichen Pällen das durch¬
sichtige Gewand eines sehr deutlichen Sinnes. Man mag zweifeln,
ob der Übersetzer, der eben nicht Textherausgeber ist, unrecht thut,
wenn er sich begnügt, diesen Sinn auszudrücken, seine Gedanken
über den Text aber für sich behält. Sollte ich darin doch gefehlt
haben, will ich dies nach Möglichkeit jetzt gut machen, indem ich
auf Grund reicherer Materialien , welche zum Teil erst neuerdings
zugänglich geworden sind, eine Lösung der Schwierigkeiten vor¬
zulegen versuche. Zum Teil gelange ich dabei zu wesentlich andern
Ergebnissen als unser verehrter Altmeister.
Der in Rede stehende Spruch lautet bei Hir.:
viräjam ca svaräjam cäbhisßr yä ca no grhe
laksmi rästrasya yä mukhe tayä mä samsrjämasi.
Das dem Hir. nächststehende Sutra ist das des Äpastamba. Sollte
dies — resp. der dazu gehörige Mantrapätha — den Spruch nicht
kennen ? In der That lesen wir Äpast. Mantr. II, 8, 8:
samrdjam ca viräjam cäbhisrir yd ca no gyhS
laksmi rästrasya yä miik.he tayä mä sdm srjämasi.
W i n t e r n i t z macht nun in seiner vorzüglichen Ausgabe des
Mantrapätha zunächst darauf aufmerksam , dass der Spruch auch
Rgveda Khila 27, 4 (M. Müller) erscheint. Dort lautet er:
samräjam ca viräjarn cäbhistir yä ca me dhruvä
laksmi rästrasya yä mukhe tayä mäm indra sam srja.
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Oldenberg, Zu HiranyakeHn Grhy. I, 11, 1. 259
Weiter verweist Wintemitz auf die Rv. Mantrasaiphitä (Bombay
1891), welche mir • unzugänglich ist; ihr Text wird aller Wahr¬
scheinlichkeit'^ nach, ebenso wie der von Sten zier zu seiner Über¬
setzung von Asv. Grhy. III, 8, 21 (gleichfalls von Winternitz citiert)
nach Ssk. Kaust, und Pray. Ratna mitgeteilte, mit der zuletzt an¬
geführten Porm übereinstimmen.
Die vorgelegten Materialien nun dürften gegen die verschie¬
denen Vorschläge Böhtlingks zur Verbesserung des ersten Päda —
früher wollte er viräjä ca svaräjä ca, jetzt viräjaä ca svarä-
j'aj ca — doch ernste Bedenken erregen : alle drei Texte stimmen
im Acc. sing, überein. Ist derselbe denn so schwer zu erklären ?
Was liegt näher als ein Anakoluth ? Zuerst schwebte dem Versifex
etwa folgende Gestalt vor: viräjam etc. mayi dadhmasi. Dann
glitt der Satz ihm in ein anderes Geleise hinüber, viräj und
svaräj sind Feminina; sie sind hier verbunden ungefähr wie Av.
vni, 9, 9.
Dem zweiten Päda wird auf Grund der einstimmigen Über¬
lieferung 2/ä ca zu belassen sein. Das Substantiv abhisti dürfte
vor abhisrl schon auf Grund seiner besseren Bezeugtheit den Vor¬
zug verdienen ; auch spricht der sonstige Gebrauch von abhiih'l, so
weit er mir bekannt ist, nicht für die Einsetzung dieses Wortes.
abhistir yä ca no grhe dürfte das Richtige sein (so Böhtlingk Bd. 52,
der auch jetzt noch dieser Änderung vor abhistir yäs ca etc. den
Vorzug giebt). — Warum Böhtlingk übrigens no nicht mit grhe
verbinden will, ist mir nicht klar ; die Verbindung ist doch stehend,
vgl. etwa Av. X, 1, 20; XIX, 31, 3; 45, 2; 57, 5^:
Im dritten Päda dürfte Böhtlingk Recht haben, rästi-asya
nicht von mukhe sondern von laksmih abhängig zu machen. Vor¬
her waren segensreiche Mächte, die „in unserra Hause" wohnen,
genannt, jetzt eine solche , die in un,serm Gesicht wohnt ^). Wenn
Böhtlingk übrigens übereetzt „die auf den Gesichtern (wahrnehm¬
bare) Wohlfahrt des Reiches", scheint mir das dera Spruch einen
ich möchte sagen rationalistischen Anhauch zu geben ; für den alten
Glauben dürfte es sich um das mystische Innewohnen einer uusicht-
baren oder nur dem bevorzugten Auge sichtbaren Substanz gehandelt
haben.
Im vierten Päda ist keinesfalls, wie Böhtlingk früher wollte,^
sainsrjü mahi zu konjicieren ; das einstimmig bezeugte samsrjämasi
ist echteste Mantrasprache. Vgl. Av. III, 14, 1. 5; XIV, 2, 53 ff.
und von Ähnlichem I, 22, 1. 3 etc. etc. Die allergenaueste Parallele
(tena mä sam stjümasi) hat Böhtlingk selbst aus einera dem Sv.
zugehörigen Spruch beigebracht. Jetzt will er nun l)ei Hir. taye-
mam, in dem letzterwähnten Spruch tenemam konjicieren. Ist die
Annahme einer so genau übereinstimmenden Korruptel an zwei so
1) Vgl. auch den bei Apast. gleich folgenden Vers.
260 Oldenberg, Zu Hiranyakesin Grhy. I, 11, 1.
weit von einander entlegenen Orten — um von der Fassung des
Apast. ganz zu schweigen — irgend wahrscheinlich? Warum denn
überhaupt ändern? , Damit vereinigen wir (alle an der Ceremonie
Tbeilnehmenden) mich (den redenden Schüler)" — das mag nicht
ein Ideal geschickter Ausdrucksweise sein , aber warum ist es un¬
möglich ? Warum auch nur unwahrscheinlich ? Dem tayemam
Böhtlingks steht auch entgegen , dass offenbar — woran B. nicht
hätte rütteln sollen — der Schüler selbst spricht. Man lese nur
die Beschreibung der Ceremonie bei Hir. oder bei Äsvaläyana, oder
man lese bei Äpastamba die Litanei, zu welcher der Spruch gehört,
im Ganzen.
Meine Übersetzung des tayä mä samsijämasi „ therewith
unite me" lässt sich in der That, wie Böhtlingk bemerkt, „auf
keine Weise rechtfertigen". Aber es ist wohl klar, dass das „we"
vor , unite' durch einen einfachen Druckfehler ausgefallen ist.
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Zur Exegese und Kritik der rituellen Sütras*).
Vom W. Calaud.
XXXIV. über ■präna und apäna.
Dass der richtige BegrifF dieser beiden Wörter für die rituelle wie für die ganze vedische Litteratur von der grössten Wichtigkeit
ist, wird niemand leugnen. Über ihre Bedeutung scheint aber
gegenwärtig Zweifel und Unsicherheit zu herrschen. Während das
grössere Petersburger Wörterbuch für präna die Bedeutung „Ein¬
hauch", für präniti: „er atmet ein", für apäna: „Aushauch",
für apäniti: „er atmet aus" giebt, findet man im Wörterbuch in
kürzerer Passung für apäna a\s Bedeutung: „der eingezogene Hauch",
für apänadä: „Einhauch schenkend." Die Bedeutungen der anderen
drei Wörter sind aber hier dieselben geblieben. Danach könnten
präna uud apäna zuweilen als Synonyma gebraucht sein.
Nachdem Speyer in seiner Abhandlung über das Jätakarma
(S. 66) die Bedeutung „Aushaueh" für präna und „Einhauch" für
apäna vindiciert hatte, freilich ohne seine von der bis dahin
geltenden Ansicht abweichende Übersetzung zu begründen, findet
man in den verschiedenen englischen und deutschen Übersetzungen
von Sanskrittexten teils die im grösseren Petersb. Wörterbuche
angegebenen Bedeutungen der beiden fraglichen Wörter {jjräna:
Einhauch, inbreathing; apäna: Aushauch, outbreathing), so in den
Übersetzungen von Haug, M. Müller, Hillebrandt, Neu- und Vollm.-
Opfer, S. 124, 134, Garbe (Vait. Sü. 3, 20; 19, 9), Örtel (Jaim. up.
br.) und zuletzt noch Bloomfield (SBE. XLII S. 50, 52, 53), teils
werden andere, die eigentliche Bedeutung verwischende Übersetzungen
gegeben, so Oldenberg (SBE. XXIX S. 295). Andere dagegen, sei
es dass Speyers Deutung zum Teil überzeugend für sie gewesen
ist, sei es dass sie aus sich selber zu ähnlichem Schlüsse gelangt
sind, habenrän a durch : „outbreathing", a^jäna durch: „down-
breathing" wiedergegeben; so Eggeling in den ersten Teilen seiner
Übersetzung des 8at. Br. (z. B. SBE. XII, S. 19, XLIII, S. 68 vgl.
1) Vgl. diese Zeitschrift 54, 97.
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