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Die Allgemeinmedizin als Forschungsfeld: Ein Seminarkonzept zur Vermittlung qualitativer Forschungsmethoden im Medizinstudium

General practice as a research field: a seminar concept teaching qualitative research methods to medical students

• Hans-Jürgen Lorenz1• Hella von Unger2• Thomas Lichte1• Markus Herrmann1 Zusammenfassung:

Qualitative Forschungsmethoden finden in der Allgemeinmedizin zunehmend praktische Anwendung. Sie werden in wissenschaftlichen Studien eingesetzt und dienen der Entwicklung und Sicherung von Qualitätsstandards. Um die Forschungskompetenz von angehenden Ärzten zu entwickeln und gleichzeitig Einblicke in die Handlungsmöglichkeiten der Allgemeinmedizin zu geben, wurde ein Konzept zur angewandten Vermittlung qualitativer Forschungsmethoden entwickelt und erprobt. Das Konzept sieht vor, dass die Studierenden sich mit häufigen Behandlungsanlässen in der Hausarztpraxis und den entsprechenden Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Prävention der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) [1] vertraut machen. In einem zweiten Schritt untersuchen sie, inwiefern diese Leitlinien in dem alltäglichen Handeln in einer hausärztlichen Praxis zur Anwendung kommen. Dazu befragen sie nieder- gelassene Hausärzte mittels eines leitfaden-gestützten Interviews und werten dieses aus. Dieser Beitrag stellt das Seminarkonzept und erste Erfahrungen aus der Anwendung an den Universitäten Magdeburg und Halle vor.

Schlüsselwörter: Forschung, Lehre, DEGAM Leitlinien, Qualitative Methoden Abstract:

Qualitative research methods are increasingly employed in general practice. They are used in scientific studies as well as in the development and management of standards of quality of care. To develop the research skills of medical students while providing an introduction to the field of general practice, a seminar concept was developed and applied. In the seminar, the students familiarize themselves with some of the often encountered medical problems in general practice and the respective guidelines for diagnosis, prevention and treatment of the German Association of General Practice and Family Medicine (DEGAM) [1]. In a second step, the students investigate how these guide- lines compare with the actual attitudes, practices and experiences of general practitioners using a qualitative interviewing technique. The current article describes the seminar concept and reports the intial results from its application at the universities of Halle and Magdeburg.

Keywords: Research, Teaching, DEGAM Guidelines, Qualitative Methods

Einleitung/Methoden

Die Allgemeinmedizin weist einige spezifische Forschungsbereiche auf, die sich z.B. auf die hausärztliche Versorgung in der Früher- kennung, der Langzeitversorgung und Behandlung von unspezifi- schen Beschwerden sowie dem Kontext und dem Setting der Arzt- Patienten-Begegnung beziehen. In der patientenzentrierten Haus- arztmedizin sind dabei oft diejenigen Einflüsse auf das Handeln der Beteiligten bedeutsam, die in der klinischen Medizin möglichst ausgeschaltet werden sollen. Arzt und Patient entscheiden und handeln in einem komplexen Beziehungsgefüge, welches vom Kontext, dem Setting und individuellen Erfahrungen, biographi- schen Voraussetzungen, Haltungen und Orientierungen der Betei- ligten und dem Gesundheitssystem mit beeinflusst wird. Insofern stellt die Allgemeinmedizin/Hausarztmedizin eine komplexe und vielschichtige Forschungsherausforderung dar, die einer diesen Fragestellungen angemessenen Erweiterung ihrer empirischen Forschungsmethoden hin zu qualitativen Methoden bedarf.

Eine in der Medizin übliche klinische Studie unter Verwendung quantitativer Methoden bzw. Daten könnte z.B. die Wirkung eines Medikamentes unter kontrollierten Bedingungen (z.B. im Kranken- haus) bei speziellen Krankheitsbildern erfassen. Dazu werden Daten benötigt, die aus Messungen (z.B. Blutdruck, Fieber, Krankheitsdauer) gewonnen werden oder mittel standardisierter Fragebogen abgefragt werden. Ziel wäre die Gewinnung genauer, vergleichbarer Daten, um z.B. Wirkungszusammenhänge zu prä- zisieren. Dabei wird in der Regel eine große Zahl von Fällen be- trachtet und individuelle Besonderheiten zugunsten genereller Tendenzen eher ausgeblendet. Am Ende stünde eine Aussage be- züglich der Wirkungen des getesteten Medikaments und möglichst klare, statistisch belegte Aussagen, ob und unter welchen Bedin- gungen aufgrund der erhobenen Messwerte dieses Medikament wirkt oder diese Therapiemethode zu empfehlen ist.

Ein Untersuchungsdesign mit qualitativen Methoden hat meist ganz andere Ziele. Im Mittelpunkt könnte z.B. die Frage stehen, warum Hausärzte bei Rückenschmerzen ein sehr unterschiedliches Verschreibungsverhalten zeigen und wie sie ihr eigenes Verhalten

1Martin-Luther Universität Halle, Institut für Allgemeinmedizin, Halle und Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland

2Martin-Luther Universität Halle, Institut für Allgemeinmedizin, Halle und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsgruppe Public Health, Berlin, Deutschland

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begründen. Zur Klärung dieser Thematik könnten eine Diskussi- onsgruppe/Fokusgruppe mit mehreren Ärzten oder mehrere Inter- views mit Ärzten beitragen. Die Fokusgruppe bzw. die Interviews würden aufgezeichnet, transkribiert und dann nach Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse untersucht werden. Am Ende könnte z.B. eine von mehreren Aussagen sein, dass bestimmte Ärzte dann das Schmerzmittel X verschreiben, wenn die Patientenerwartungen klar in diese Richtung gehen und der Arzt unsicher ist, was er al- ternativ tun sollte. Im Übrigen würde er den Patienten ungern an die Konkurrenz verlieren und fühlt sich auf dem Gebiet der in diesem Fall in Frage kommenden alternativen Heilverfahren nicht sicher. Ein weiteres Ergebnis könnte die Definition einer Weiter- bildungsmaßnahme zu dieser Thematik sein.

Mittels qualitativ orientierter Studien sollen die Strukturen und Zusammenhänge entdeckt werden, das „typische“ des Einzelfalls für die Strukturen (hier: Beratungshandeln der Ärzte) untersucht werden und die Daten (z.B. Aussagen der Ärzte) interpretiert und gedeutet werden. Es geht dabei weitaus mehr als in quantitativ orientierten Studien um die Kontextbedingungen (z.B. Patientener- wartungen, Gesundheitssystem) der Fragestellung.

Qualitative Forschungsmethoden dienen in der Allgemeinmedizin der Untersuchung unterschiedlicher Themen wie Arzt-Patienten Kommunikation, hausärztliche Haltungen, Einstellungen und Vorgehensweisen sowie Patientenperspektiven auf hausärztliche Diagnosen und Behandlungen [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8]. Zur Entwicklung von Qualitätsstandards und wissenschaftlichen Stu- dien werden in der hausärztlichen Praxis qualitative Interviews, Fokus-Gruppen, teilnehmende Beobachtung, Videoanalysen und andere Formen der qualitativen Datenerhebung und –auswertung eingesetzt [9], [10], [11], [12], [13], [14], [15]. In Miles und Hu- bermann, 1994 [16], einem grundlegenden Standardwerk qualita- tiver Methodik, finden sich zahlreiche Verfahren zur praktischen Anwendung von qualitativen Methoden und der qualitativen Da- tenanalyse.

Der Vorteil qualitativer Forschung liegt u.a. darin, dass sie einen verstehenden Einblick und praxisrelevante wissenschaftliche Er- kenntnisse in vielschichtige Zusammenhänge unter Alltagsbedin- gungen geben und Hypothesen generieren kann für weiterführende Fragestellungen. Nachteile von qualitativer Forschung bestehen sicherlich in der eingeschränkten Verallgemeinerbarkeit der Ergeb- nisse und dem erheblichen Zeitaufwand, der mit der Durchführung und Auswertung dieser Form der Forschung verbunden ist.

Entscheidend für die Ausbildung von Hausärzten ist neben dem Erwerb von Kernkompetenzen ein multidimensionaler Zugang zu Gesundheitsproblemen, um die Studierenden zu kritischem Ver- halten und zu Problemlösungsmöglichkeiten zu befähigen. Erste Fähigkeiten zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Fragestellun- gen, die im späteren Berufsleben hilfreich sind, können durch entsprechende Lehrangebote bereits in der Ausbildung entwickelt und gefördert werden. Für den medizinischen Nachwuchs wird angesichts der Zukunftsaufgaben der Medizin der Kontakt zur Forschung bereits in der Ausbildung an Bedeutung gewinnen. Im gegenwärtigen Medizinstudium finden qualitative Forschungsme- thoden jedoch keine oder eine nur marginale Berücksichtigung und werden bestenfalls in einzelnen Lehrveranstaltungen der All- gemeinmedizin und der psychosomatischen Medizin, vor allem in Promotions- und Forschungscolloquien, vermittelt bzw. gelehrt.

Durch die Integration von Forschung in die medizinische Ausbil- dung kann langfristig das wissenschaftliche Potential der Allge- meinmedizin gestärkt werden. Derzeit gibt es erste Versuche von allgemeinmedizinischen Instituten und Abteilungen, diese For- schungsmethoden in die medizinische Ausbildung zu integrieren.

Vor diesen Hintergründen wurde an den Universitäten Magdeburg und Halle das im Folgenden dargestellte Seminarkonzept zur Vermittlung von qualitativen Forschungsmethoden in der Allge- meinmedizin entwickelt und bereits in mehreren Lehrveranstaltun- gen durchgeführt.

Zielsetzung/Lernziele

Zielgruppe des Seminars sind Studierende der Medizin im 3.-5.

Studienjahr. Ihnen soll ein erster Zugang zur Allgemeinmedizin als Handlungs- und Forschungsfeld vermittelt werden. Hausärztli- ches Handeln soll verstehbarer und begründbarer werden, insbe- sondere wie Anliegen und Beschwerden von Patienten in ihrem biopsychosozialen Kontext aufgenommen und ärztliche Leistungen in einem komplexen Versorgungssystem veranlasst und koordiniert werden [17]. Einige spezifische Merkmale und Aufgaben der hausärztlichen Versorgung im Unterschied zu den klinischen Fä- chern werden anhand der wissenschaftlich fundierten und praxiser- probten Leitlinien der DEGAM zu Patientenanliegen herausgear- beitet. Zweiter begleitender Schwerpunkt des Seminars sind die Vermittlung und erste praktische Übungen in der Anwendung qualitativer Forschungsmethoden. Die Studierenden sollen am Ende des Seminars sowohl über einige Grundkenntnisse der beson- deren Merkmale der Allgemeinmedizin als auch über ein Grund- verständnis von und erste praktische Erfahrungen mit wissenschaft- lichem Arbeiten verfügen.

Das Seminarkonzept

Das Seminarkonzept wurde im Sommer 2005 entwickelt und bisher drei Mal an den Universitäten Magdeburg und Halle erprobt. Die Seminare wurden interdisziplinär von medizinisch und sozialwis- senschaftlich ausgebildeten Mitarbeitern der Institute für Allge- meinmedizin durchgeführt.

Einführend wird das Seminarkonzept und die erforderlichen Leistungsnachweise den Studierenden vorgestellt. In der Begrün- dung des Seminars wird besonders Wert auf die künftigen demo- graphischen Herausforderungen und die Anforderungen an eine flächendeckende Versorgung angesichts eines zunehmenden Ärztemangels in ländlichen Regionen gelegt. Im Mittelpunkt stehen auch die besonderen Erfordernisse an eine qualitativ gute Primär- versorgung angesichts der derzeitigen und künftigen Entwicklun- gen im Gesundheits- und Sozialwesen.

Um die Sensibilität für kommunikative Fähigkeiten und Verständ- nisschwierigkeiten im Arzt-Patienten-Verhältnis zu erhöhen, werden Videosequenzen mit schwierigen Konsultationen aufgrund von Sprachproblemen präsentiert und in der Seminargruppe disku- tiert. Diese Filmsequenzen enthalten neben sprachlichen Verstän- digungsproblemen viele kontext- sowie settingbezogene Probleme und sollen in den Seminaren zu vertieften Diskussionen bezüglich kultureller Unterschiede im Verständnis von Gesundheit und Krankheit führen. Des Weiteren werden unterschiedliche Deutungs- konzepte und Präsentationen von Krankheit und Befindensstörun-

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gen, deren kulturelle Geschichte und Abhängigkeit sowie unter- schiedliche Handlungsweisen in der Medizin und schwierige Ge- sprächssituationen in der ärztlichen Praxis anhand von Videoauf- zeichnungen diskutiert.

Ein weiteres Beispiel für unterschiedliches Handeln in der Medizin in den USA, GB, Frankreich und Deutschland wird mittels eines Videofilms zu Lynn Payers Buch „Andere Länder, Andere Leiden“

[18] präsentiert und diskutiert. Dabei wird deutlich, dass das Ver- ständnis von Krankheit und den geeigneten Behandlungsmethoden von Land zu Land unterschiedlich ist und abhängig von der kultu- rellen und geschichtlichen Entwicklung sowie den Wertvorstellun- gen und Prioritäten ist, die ein Land setzt. Von diesen Faktoren hängt aber auch die Gestaltung des Gesundheitssystems und die medizinische Ausbildung ab.

Das Seminarkonzept sieht in einem weiteren Abschnitt vor, dass sich Studierende mit häufigen Behandlungsanlässen und den ent- sprechenden Leitlinien für Diagnostik, Therapie und Prävention der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) vertraut machen. Ab der dritten Veranstaltung werden jeweils eine Leitlinie und das daraus folgende Vorgehen des Arztes im Seminar präsentiert und diskutiert (siehe Übersicht Seminarplan, siehe Abbildung 1).

In einem zweiten Schritt, im so genannten „Praxisprojekt“, unter- suchen die Studierenden dann, ob und inwieweit das Handeln in einer hausärztlichen Praxis leitlinienkonform ist, ob und wo es zu Abweichungen kommt und wie das ärztliche Handeln begründet wird. Dazu werden Hausärzte zu ihren alltäglichen Vorgehenswei- sen, Einstellungen, Erfahrungen, Problemlagen und Lösungsansät- zen von den Studierenden interviewt. Die Interviews werden auf- gezeichnet, transkribiert (verschriftlicht) und analysiert. Die Stu- dierenden werden zuvor in die Grundzüge qualitativer Forschung eingeführt und mit den Prinzipien leitfadengestützter Interviews vertraut gemacht. In Kleingruppenarbeit werden Fragen und Fra- geformen analysiert und miteinander in Rollenspielen erprobt.

Jeder der Studierenden sucht sich einen Hausarzt für ein 30-minü- tiges teilstrukturiertes Interview in der Praxis des Hausarztes.

Feldnotizen bzgl. der Interviewsituation und der persönlichen Eindrücke werden sofort nach dem Interview aufgeschrieben.

In die Anwendung und Auswertung von problemzentrierten Inter- views [19] werden die Studierenden anhand der Diskussion von Texten und Interviewausschnitten aus anderen Forschungsprojekten eingeführt. Erste Ergebnisse der bereits durchgeführten Interviews mit einem Hausarzt („Praxisprojekt“) werden im Seminar vorge- stellt. Dabei wird besonderer Wert auf die Reflexion der eigenen Rolle als Interviewer und Medizinstudent und dem damit einher- gehenden Einfluss auf den Verlauf des Interviews gelegt. Im wei- teren Verlauf des Seminars werden Gütekriterien qualitativer Forschung thematisiert, um den Studierenden die Vorzüge und Limitationen von qualitativen Studien - über ihre eigene praktische Erfahrung hinaus – näher zu bringen [20].

In der 12.-14. Veranstaltung stellen die Studierenden im Seminar ihre Praxis-Projekte mittels einer selbst erstellten MS-Powerpoint Präsentation vor und lernen durch ihre Reflexion und die Diskus- sion im Seminar voneinander, was beim nächsten Mal verbessert werden könnte und zu mehr Professionalität in der Durchführung des Interviews bzw. ihres Forschungsansatzes beitragen könnte.

Sie verfassen zusätzlich einen schriftlichen Endbericht.

Bereits während des Ablaufs dieses Seminars wird über dieses

„Seminar-Experiment“ begleitend mit den Teilnehmern diskutiert.

Evaluiert werden die Seminare mittels einer 60minütigen Gruppen- diskussion in Form einer Fokusgruppe am Ende des Seminars und eines zweiseitigen Fragebogens.

Erste Ergebnisse

Die im Seminarkonzept vorgesehenen Leistungen der Studierenden sind sehr aufwändig und umfassen im einzelnen: Eine Powerpoint- Präsentation einer DEGAM-Leitlinie, die Ableitung möglicher Fragestellungen aus dieser Leitlinie bzw. zu dem jeweiligen Be- handlungsanlass, die Erstellung eines Interviewleitfadens, die Kontaktaufnahme mit einem Hausarzt, die Durchführung, Tran- skription und Auswertung eines ca. 30-minütigen qualitativen In- terviews und die mündliche und schriftliche Aufbereitung der Er- gebnisse. Insgesamt stellen diese Leistungsanforderungen für die Studierenden ein erhebliches Ausmaß an zusätzlichem Workload im Rahmen der in Magdeburg über 4 SWS laufenden Veranstaltung dar.

Entsprechend wurde von den Studierenden kritisiert, dass die Ar- beitsbelastung im Seminar sehr hoch war. Während des Seminars wurde deutlich, dass die Studierenden mehr Zeit als vorgesehen für die Durchführung, Transkription und Auswertung ihrer Inter- views benötigten. Die Ausarbeitungen von Präsentationen und Auswertungen der Interviews waren sehr zeitintensiv.

Unsicherheiten tauchten bei der Interviewführung und bei der Auswertung der Interviews auf. Einige Studierende hatten Proble- me, die Ergebnisse zu interpretieren und zu verschriftlichen. Au- ßerdem wurde ein fehlender Bezug von qualitativen Forschungs- methoden zu dem Medizinstudium und der späteren beruflichen Praxis wahrgenommen, was aber schlicht und einfach mit dem Nicht-Vorhandensein dieser Forschungsmethoden im Medizinstu- dium zusammenhängt.

Das Gros der Studierenden an beiden Universitäten empfand die Lernerfahrung als positiv und beschrieb das Seminar als ungewohn- te, aber willkommene Gelegenheit, einmal „über den Tellerrand hinaus“ zu schauen. Es wurde betont, wie ungewohnt die Seminar- kultur mit ihren kritischen Diskussionen war, da sonst das Medi- zinstudium eher von „Faktenwissen“ geprägt sei. Hinzu kam eine positive Bewertung der interdisziplinär organisierten Lehre unter Beteiligung von Ärzten und Sozialwissenschaftlern. Das Seminar habe dazu beigetragen, dass bislang als selbstverständlich hinge- nommene Handlungsweisen kritischer hinterfragt werden. Der direkte Kontakt mit den Hausärzten und die Durchführung des Interviews mit ihnen wurden als eine bereichernde Erfahrung ge- wertet, in der viele Hintergründe des (medizinischen) Handelns sichtbar wurden (u.a. Patientenerwartungen, Evidenzbasierung).

Eine „Nebenwirkung“ des Seminars bestand darin, dass die Stu- dierenden bemerkten, dass sich insbesondere ihre Sicherheit, In- halte vor einer Gruppe (mittels Powerpoint) zu präsentieren, durch das Seminar verbessert habe.

Diskussion

Das Seminarkonzept hat das Ziel, den Studierenden praxisnahe Inhalte und Abläufe des allgemeinmedizinischen Handelns unter

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Abbildung 1: Übersicht Seminarplan

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gleichzeitiger Anwendung qualitativer Forschungsmethoden näher zu bringen. Es soll zur Entwicklung wissenschaftlicher Fähigkeiten bei angehenden Medizinern beitragen sowie zur Erforschung der Allgemeinmedizin als ein nichtklinisches Handlungsfeld, und – im Fall der Studierenden, die später als Hausarzt tätig werden wollen – zu ersten Begegnungen mit dem wissenschaftlichen Feld der Allgemeinmedizin. Das Seminarkonzept ist jedoch ohne Frage anspruchsvoll – es bedarf medizinischer, sozialwissenschaftlicher und didaktischer Kompetenzen auf Seiten der Lehrenden und ist zeit- und arbeitsaufwendig, nicht nur für die Studierenden. Als angenehmer „Nebeneffekt“ der verlangten Leistungsnachweise in Form von Präsentationen wurde, wie bereits erwähnt, häufig die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten, vor Gruppen zu reden bzw.

zu präsentieren, genannt. Eine ausführliche Auswertung der Eva- luationsergebnisse der drei durchgeführten Seminare und weiteren geplanten ist vorgesehen.

Die Teilnehmerzahl ist auf maximal 14 Studierende begrenzt, um eine aktive Teilnahme der Studierenden gewährleisten zu können.

Eine weitere Limitation ist die begrenzte Zeit: Selbst 4 Semester- wochenstunden bewirken, dass in diesem Rahmen nur eine sehr eingeschränkte Einführung in qualitative Methoden möglich wird.

Die Vermittlung von sozialwissenschaftlichen Forschungsmetho- den bleibt auf die Einführung in eine Methode der Datenerhebung (qualitatives Interviewen) beschränkt und die Auswertung der Daten kann nur rudimentär erfolgen. Für die Auseinandersetzung mit den Grundzügen qualitativer Forschung ist sehr wenig Raum und auftretende Irritationen und diesbezügliche Fragen können nur in Ansätzen diskutiert und aufgelöst werden. Diese einge- schränkte Vermittlung von sozialwissenschaftlichen, qualitativen Forschungsmethoden im Kontext der medizinischen Ausbildung wird auch andernorts festgestellt und bemängelt [4], [21]. Die Kritik der Studierenden ist damit nicht nur auf „normale“ Einstei- ger-Probleme beim ersten Erlernen von Forschungskompetenzen zurückzuführen (für eine Beschreibung von Anfänger-Problemen beim qualitativen Interviewen siehe z.B. Herrmanns, 2004 [22]), sondern auch ein Spiegelbild der strukturellen Rahmenbedingungen des Medizinstudiums, das bislang durch eine mangelnde Einbin- dung von Forschungsmethoden allgemein und von qualitativen, interdisziplinären Ansätzen im besonderen geprägt ist.

Zum Rahmen der medizinischen Ausbildung ist weiterhin anzu- merken, dass dieser besonders durch die Grundlagenfächer und die klinischen Fächer dominiert wird. Ein Großteil der medizini- schen Versorgung findet aber in der Realität der Primärversorgung statt und nicht allein in Krankenhäusern. Dieser Aspekt sollte in der medizinischen Ausbildung adäquater Berücksichtigung finden.

Die klassischen Lehrpläne in der Medizin konzentrieren sich dabei zu sehr auf das sachliche, mechanische Lernen von physiologischen Prozessen und Krankheiten [23]. Deshalb wäre die kontinuierliche Beschäftigung mit Themen der primären Gesundheitsversorgung im biopsychosozialen Kontext über die durch dieses Wahlfachse- minar angesprochene Zielgruppe von Medizinstudenten des 7.-9.

Semesters bereits in früheren Semestern sinnvoll.

Letztlich kann die Praxis der Allgemeinmedizin von der Forschung durch empirisch fundierte qualitative und quantitative Forschungs- methoden profitieren. Eine bessere wissenschaftliche Ausbildung von Hausärzten wird als Voraussetzung für die Intensivierung der Forschung in Hausarztmedizin gesehen [24], wozu das hier be- schriebene Seminar beitragen soll.

Korrespondenzadresse:

• Dr. Hans-Jürgen Lorenz, Hochschule Neubrandenburg, Referat Evaluation, Brodaer Straße 2, 17033 Neubrandenburg,

Deutschland, Tel.: 0395/5693-137 lorenz@hs-nb.de

Literatur:

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Göttingen: Georg-August Universität Göttingen; 2005. Zugänglich unter:

http://www.degam.de/leitlinien.html.

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[9] Bahrs O. Die Re-Inszenierung des Sprechstundenalltags - Videoaufzeichnungen aus der hausärztlichen Praxis. Z Allgemeinmed. 2005;81:237-242.

[10] Bahrs O, Fischer-Rosenthal W, Szecsenyi J. Vom Ablichten zum Im-Bilde-Sein.

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http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-05/05-2-42-e.htm.

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Bern: Huber; 2005.

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Prim Care. 2003;3:391-397.

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Abbildung

Abbildung 1: Übersicht Seminarplan

Referenzen

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