Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Die Literatur des 20. Jahrhunderts
I. Einführung
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Wassily Kandinsky: <Erstes abstraktes Aquarell>, 1910(?)
Musée National d'Art Moderne, Centre Pompidou – Paris
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Der Verrat der Bilder
René Magritte: La trahison des images (1928/29)
René Magritte (1928/29)
La trahison des images
Der Verrat der Bilder
Los Angeles County Museum of Art
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Der Verrat der Bilder
René Magritte: La trahison des images (1928/29)
Das ist keine Pfeife.
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Rose is a rose is a rose is a rose.
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Pablo Picasso (1906)
Metropolitain Museum of Art, New York
Gertrude Stein
1874-1946
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1922
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Jasper Johns: Three Flags (1958)
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Now listen! I’m no fool. I know that in daily life we don't go around saying 'is a ... is a ... is a ...' Yes, I’m no fool; but I think that in that line the rose is red for the first time in English poetry for a hundred years.
Four in America
postum 1947
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Franz Marc
1880-1916
Turm der blauen Pferde
1913
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Nur die gewohnten Gegenstände wir- ken bei einem mittelmäßig empfind- lichen Menschen ganz oberflächlich.
Die aber, die uns zum erstenmal be- gegnen, üben sofort einen seelischen Eindruck auf uns aus.
Über das Geistige in der Kunst (1911)
Franz Marc
Turm der blauen Pferde
1913
Wassily Kandinsky
1866-1944
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›Rotes Pferd‹
Schon der Klang dieser Worte versetzt uns in eine andere Atmosphäre. Die naturelle Unmöglichkeit eines roten Pferdes verlangt unbedingt ein ebenso unnaturelles Milieu, in welches dieses Pferd gestellt wird.
Franz Marc
Turm der blauen Pferde
1913
Wassily Kandinsky
1866-1944
Über das Geistige in der Kunst (1911)
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Der Zuschauer ist auch zu sehr gewöhnt, [...] einen ›Sinn‹, d.h. einen äußerlichen Zusammenhang der Teile des Bildes, zu suchen. […] nur sucht er nicht, das innere Leben des Bildes selbst zu fühlen, das Bild auf sich direkt wirken zu lassen. Durch die äußeren Mittel geblendet, sucht sein geistiges Auge nicht, was durch diese Mittel lebt.
Franz Marc
Turm der blauen Pferde
1913
Wassily Kandinsky
1866-1944
Über das Geistige in der Kunst (1911)
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Arthur Rimbaud
1854-1891
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Il faut être absolument moderne.
Es gilt unbedingt modern zu sein.
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01. 11. 2016 Rainer Maria Rilke: Malte Laurids Brigge 08. 11. 2016 Gottfried Benn: Morgue
15. 11. 2016 Franz Kafka: Der Proceß
22. 11. 2016 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper 29. 11. 2016 Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz 06. 12. 2016 Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras 13. 12. 2016 Rolf Dieter Brinkmann: Westwärts 1&2 20. 12. 2016 Heiner Müller: Hamlet-Maschine
10. 01. 2017 Peter Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire 17. 01. 2017 Christoph Ransmayr: Die letzte Welt
24. 01. 2017 Rainald Goetz: Rave
31. 01. 2017 Michel Houellebecq: Les particules élémentaires
www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de
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Man muß die ganze Π [Poesie] kennen, um die deutsche zu verstehen.
Friedrich Schlegel (1772-1829)
<Fragmente zur Poesie und Literatur>
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Platon
428/27 – 348/47
Aristoteles
384 – 322
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Aristoteles
384 – 322
Die Epik und die tragische Dichtung, ferner die Komödie und die Dithy- rambendichtung sowie – größtenteils – das Flöten- und Zitherspiel: sie alle sind, als Ganzes betrachtet, Nach- ahmungen. (Kap. 1) Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt […]; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, daß der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte.
Daher ist Dichtung etwas Philoso- phischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit. (Kap. 9)
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Wiewohl auf gewisse Weise macht auch der Maler ein Bettgestell. Oder nicht?
Ja, sagte er, ein scheinbares auch er.
Politeia 596e
Auf welches von beiden geht die Malerei bei jedem? Das Seiende nachzubilden, wie es sich verhält, oder das Erscheinende, wie es erscheint als eine Nachbildnerei der Erscheinung oder der Wahrheit?
Der Erscheinung, sagte er.
Gar weit also von der Wahrheit ist die Nachbildnerei […].
Politeia 598b
Platon
428/27 – 348/47
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Mimesis
Giulio Paolini 1975/76
Ulm, Fer Collection
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Pierre Menard, autor del Quijote
1941
Jorge Luis Borges
geb. Buenos Aires 1899 gest. Genf 1986
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Pierre Menard, autor del Quijote
1941
Auch zwischen den Stilarten besteht ein lebhafter Kontrast. Der archai- sierende Stil – immerhin eines Ausländers – leidet an einer gewis- sen Affektiertheit. Nicht so der des Vorläufers, der das seiner Zeit geläufige Spanisch unbefangen schreibt.
También es vívido el contraste de los estilos. El estilo arcaizante de Menard – extranjero al fin – adolece de alguna afectación. No así el del precursor, que maneja con desenfado el español corriente de su época.
Der Text Cervantes’ und der Text Menards sind Wort für Wort iden- tisch; doch ist der zweite nahezu unerschöpflich reicher.
El texto de Cervantes y el de Menard son verbalmente idénticos, pero el segundo es casi infinita- mente más rico.
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Abstraktion
Mimesis
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Abstraktion
Piet Mondrian Komposition Nr. III
mit Rot, Blau, Gelb und Schwarz
1929
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Arnold Schönberg
›Zwölftontechnik‹
Diese Methode besteht [...] aus der ständigen und ausschließ- lichen Verwendung einer Reihe von zwölf verschiedenen Tönen.
Das bedeutet natürlich, daß kein Ton innerhalb der Serie wieder- holt wird und daß sie alle zwölf Töne der chromatischen Skala benutzt, obwohl in anderer Reihenfolge.
Komposition mit zwölf Tönen 1935
Abstraktion
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Arnold Schönberg Klavierstück op. 33a
1928/29
Abstraktion
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Alfred Döblin
1878-1957 Die Wortkunst hat es überaus viel
schwerer als etwa die Malerei und Musik, um zur Kunst zu kommen. Das Ausgangsmaterial der Musik und der Malerei ist selbst schon hinreichend wirklichkeitsfremd. Auf Wirklichkeits- fremdheit, kraß: auf Unnatur kommt es ja an; es hat keinen Sinn und ist unmöglich, das Vorhandene zu wieder- holen […].
Schriftstellerei und Dichtung (1928)
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Kurt Schwitters (1887-1948) 1919
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Lutz Görner
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Kurt Schwitters: Ursonate (1923-32)
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Hugo Hofmann Edler von
Hofmannsthal
1874-1929
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Hugo Hofmann Edler von
Hofmannsthal
1874-1929 Man lasse uns
Künstler in Worten sein.
Poesie und Leben (1896)
Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie. Das Wort als Träger eines Lebensinhaltes und das traumhafte Bruderwort, welches in einem Gedicht stehen kann, streben auseinander und schweben fremd aneinander vorüber, wie die beiden Eimer eines Brunnens.
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Hugo Hofmann Edler von
Hofmannsthal
1874-1929
Es führt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie. Das Wort als Träger eines Lebensinhaltes und das traumhafte Bruderwort, welches in einem Gedicht stehen kann, streben auseinander und schweben fremd aneinander vorüber, wie die beiden Eimer eines Brunnens.
[...] daß das Material der Poesie die Worte sind, daß ein Gedicht ein gewichtloses Gewebe aus Worten ist, die durch ihre Anordnung, ihren Klang und ihren Inhalt, indem sie die Erinnerung an Sichtbares und die Erinnerung an Hörbares mit dem Element der Bewegung verbinden, einen genau umschriebenen, traum- haft deutlichen, flüchtigen Seelen- zustand hervorrufen, den wir Stimmung nennen.
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Stéphane Mallarmé
1842-1898
… oublions la vieille distinction …
La Musique et les Lettres (1895)
Ce n'est pas avec des idées, mon cher Degas, que l'on fait des
vers. C'est avec des mots.
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Hugo von Hofmannsthal
Ein Brief (›Chandos-Brief‹, 1902)
Francis Bacon
1561-1626
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Mein Fall ist, in Kürze, dieser: es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen, und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte ›Geist‹,
›Seele‹ oder ›Körper‹ nur auszusprechen. [...] die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.
[...] mir erschien damals in einer Art von andauernder Trunkenheit das ganze Dasein als eine große Einheit:
geistige und körperliche Welt schien mir keinen Gegensatz zu bilden […].
Hugo von Hofmannsthal
Ein Brief (›Chandos-Brief‹, 1902)
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[...] mir erschien damals in einer Art von andauernder Trunkenheit das ganze Dasein als eine große Einheit:
geistige und körperliche Welt schien mir keinen Gegensatz zu bilden […].
Hugo von Hofmannsthal
Ein Brief (›Chandos-Brief‹, 1902)
Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hinstarren muß [...].
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Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hinstarren muß [...].
Seither führe ich ein Dasein, das Sie, fürchte ich, kaum begreifen können, so geistlos, so gedankenlos fließt es dahin; ein Dasein, das sich freilich von dem meiner Nachbarn [...] kaum unterscheidet und das nicht ganz ohne freudige und belebende Augenblicke ist.
Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgend einem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.
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Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgend einem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.
Es ist mir dann, als bestünde mein Körper aus lauter Chiffern, die mir alles aufschließen. Oder als könnten wir in ein neues, ahnungsvolles Verhältnis zum ganzen Dasein treten, wenn wir anfingen, mit dem Herzen zu denken.
Fällt aber diese sonderbare Bezauberung von mir ab, so weiß ich nichts darüber auszusagen [...].
unio mystica
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Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgend einem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.
unio mystica
Diese stummen und manchmal unbelebten Kreaturen heben sich mir mit einer solchen Fülle, einer solchen Gegenwart der Liebe entgegen, daß mein beglücktes Auge auch ringsum auf keinen toten Fleck zu fallen vermag.
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
unio mystica
Diese stummen und manchmal unbelebten Kreaturen heben sich mir mit einer solchen Fülle, einer solchen Gegenwart der Liebe entgegen, daß mein beglücktes Auge auch ringsum auf keinen toten Fleck zu fallen vermag.
[...] daß ich auch im kommenden und im folgenden und in allen Jahren dieses meines Lebens kein englisches und kein lateinisches Buch schreiben werde: [...] nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische noch die englische noch die italienische oder spanische ist, sondern eine Sprache, von deren Worten mir auch nicht eines bekannt ist, eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Vincent van Gogh
1853-1890
Bauernschuhe (1886)
Amsterdam, Van Gogh Museum
Die Literatur des 20. Jahrhunderts Einführung (25. 10. 2016)
Stillleben mit grünem Gefäß und Zinnkessel (1867-69)
Paris, Musée d’Orsay