• Keine Ergebnisse gefunden

Unpolitische Politiker?

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Unpolitische Politiker?"

Copied!
516
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Unpolitische Politiker?

Die bayerischen „Beamtenministerpräsidenten“ 1920-1924 und ihre Mitverantwortung am Hitlerputsch

Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät I der Universität Regensburg

vorgelegt von Hans Hinterberger

aus Altensee

Regensburg 2016

(2)

Erstgutachter: Prof. Peter Schmid, Regensburg Zweitgutachter: Prof. Martin Sebaldt, Regensburg

(3)

Gewidmet meinem Vater

Thaddäus Hinterberger

Gastwirt und Viehhändler von Altensee 1935 - 2013

(4)

Inhalt

1. Einleitung ... 6

1.1. Einleitender Gedanke, Fragestellung und Konzeption ... 6

1.2. Forschungsstand, Literatur und Quellenlage ... 10

2. Die Ausgangssituation in Bayern 1920 ... 17

2.1. Die Lage im Freistaat am Ende der Regierung Hoffmann ... 17

2.2. Politische Kräfte zu Beginn der Ordnungszelle ... 24

3. Die Ministerpräsidentschaft Gustav von Kahrs... 32

3.1. Herkunft, Ausbildung und Karriere ... 33

3.2. Regierungsantritt ... 41

3.2.1. Das Ende der Regierung Hoffmann im Zuge des Kapp-Putsches und die Rolle Kahrs ... 41

3.2.2. Gustav von Kahr: Ohne Alternativen? ... 52

3.2.3. Der folgenreiche Entschluss der BVP ... 60

3.3. Kahrs Wirken als Ministerpräsident ... 68

3.3.1. Die Antworten Kahrs auf die Problemstellungen der Zeit ... 68

3.3.2. Kahr als „Außenminister“ Bayerns ... 95

3.3.3. Kahrs Kampf um die bayerische Einwohnerwehr ... 114

3.3.3.1. Allgemeines zur Entstehung und Ausgestaltung der Bayerischen Einwohnerwehr ... 114

3.3.3.2. Kahr und die Einwohnerwehr ... 120

3.3.3.3. Nach dem Ende der Einwohnerwehr ... 146

3.3.3.4. Bewertung der Einwohnerwehr als Beitrag zur Radikalisierung Bayerns .... 154

3.3.4. Neuer Streit mit Berlin: Der bayerische Ausnahmezustand ... 159

3.3.5. Der Rücktritt Kahrs als Lichtschimmer des Parlamentarismus in Bayern ... 175

3.4. Kahrs Verortung innerhalb der bayerischen Parteienlandschaft ... 179

3.4.1. Kahr und die Regierungsparteien ... 179

3.4.1.1. Eine krisenreiche Zweckehe: Kahr und die Bayerische Volkspartei ... 179

3.4.1.2. Ungleiche Partner: Kahr und die Demokraten ... 188

3.4.1.3. Kahr und der Bayerische Bauernbund ... 192

3.4.1.4. Die Bayerische Mittelpartei – Kahrs wahre Stütze? ... 195

3.4.2. Kahr und politischen Kräfte außerhalb des bayerischen Regierungsbündnisses . 200 3.4.2.1. Kahr und die MSPD ... 200

3.4.2.2. Kahr und die äußere Linke ... 205

3.4.2.3. Im Glauben an den „Guten Kern“- Kahr und die NSDAP ... 209

3.4.2.4. Kahr und die vaterländischen Kräfte jenseits der Einwohnerwehr ... 215

3.5. Bilanz der Ministerpräsidentschaft Kahrs ... 226

4. Die Ministerpräsidentschaft Hugo Graf von und zu Lerchenfelds ... 228

(5)

4.1. Herkunft, Ausbildung und Karriere ... 229

4.2. Lerchenfelds Amtsantritt und seine Startbedingungen ... 233

4.3. Lerchenfelds Wirken als Ministerpräsident ... 239

4.3.1. Lerchenfelds Politikstil ... 239

4.3.2. Erste Krisen für Lerchenfeld ... 259

4.3.3. Lerchenfeld zwischen den Fronten: Die Krise um das Republikschutzgesetz ... 266

4.3.4. Glanzloser Rücktritt ... 295

4.4. Lerchenfelds Verortung innerhalb des politischen Spektrums in Bayern ... 302

4.4.1. Lerchenfeld und seine Koalitionsparteien ... 302

4.4.2. Das Verhältnis zwischen Lerchenfeld und der Landtagsopposition ... 312

4.4.3. Die außerparlamentarische Opposition durch die vaterländischen Kreise ... 326

4.4.4. Der Vorgänger als Gegner: Kahr auf „Wahlkampftour“ ... 334

4.5. Bilanz der Regierungszeit ... 341

5. Die Ministerpräsidentschaft Eugen von Knillings ... 343

5.1. Knillings Weg vom Beamten über den königlichen Minister zum Berufspolitiker ... 344

5.2. Knillings Amtsantritt und seine Startbedingungen ... 350

5.3. Knillings Wirken als Ministerpräsident ... 358

5.3.1. Knillings politischer Stil ... 358

5.3.2. Hitler, die Spaltung der Verbändelandschaft und Knillings Antwort ... 368

5.3.3. Generalstaatskommissariat Kahr: Knillings große Niederlage ... 393

5.3.4. Knilling und die Praxis des Generalstaatskommissariats bis zum Hitlerputsch .. 408

5.3.5. Maßnahmen zur Erneuerung des Ansehens Bayerns nach dem Putsch ... 439

5.3.6. Knillings unfreiwilliger Rückzug aus der Politik ... 456

5.4. Die Einordung Knillings im politischen Spektrum Bayerns ... 461

5.4.1. Knilling und die Regierungskoalition ... 461

5.4.2. Das Verhältnis zwischen Kinilling und der Opposition ... 469

5.4.3. Knilling und Kahr ... 476

5.5. Bilanz der Regierungszeit ... 481

6. Fazit und Schlussgedanke ... 484

7. Quellen- und Literaturverzeichnis ... 493

(6)

1. Einleitung

1.1. Einleitender Gedanke, Fragestellung und Konzeption

„Die Münchener Bevölkerung, die sich von jeher bei kritischen Anlässen in ihrer Mehrzahl auf die dumme Seite geschlagen hat, nahm zum großen Teile auch diesmal Partei für Hitler und Ludendorff. Meine Anschläge wurden von den Wänden gerissen, die Studenten revoltierten, Männer und Weiber (viele sogen. Damen mit eingeschlossen) durchzogen in Scharen schimpfend und kreischend die Straßen der Stadt, sangen das Hitlerlied, schrien aus vollem Halse: Heil Hitler, nieder mit Kahr. Der Kahr, der Sauhund muss verrecken, schlagt ihn tot, wo ihr in erwischt, diesen Verräter, den Judas Ischariot, den gemeinen Brutus, der ist überhaupt gar kein Deutscher, der ist ein Ostjude; nicht totschlagen, tottreten soll man ihn. (…) An dem Stammtisch in den Wirtshäusern wurden Galgen aufgestellt, an denen eine Figur, der Verbrecher Kahr, ungehört gerichtet wurde.

Es gab nichts Schlechtes und Gemeines was man dem Kahr (…), bei dem weitaus der größte Teil der Münchener Bevölkerung noch 24 Stunden vorher die Geschicke Bayerns und Deutschlands in den allertreuesten und besten Händen wusste, nicht nachgesagt hätte.

Wer es wagte für Kahr ein entschuldigendes Wort zu sagen, wurde blutig geschlagen;

einige meiner Freunde konnten sich mit knapper Not der Lynchjustiz des souveränen Münchner Volkes entziehen. Die Stadt war wie besessen.“1 So beschrieb der ehemalige Ministerpräsident und Generalstaatskommissar Bayerns, Gustav von Kahr, selbst die chaotische Lage nach dem Hitlerputsch von 1923. Der offensichtliche Wirrwarr im Land, der in seinen Zeilen zum Ausdruck kommt, steht im krassen Widerspruch zu dem geordneten und disziplinierten Bayern, für das er eigentlich eintreten wollte. Was Kahr hier als ungerecht darstellen mag, belegt nur den letztendlichen Verlust von Ruhe und Ordnung im Freistaat Bayern. Seit er 1920 die Regierung vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann übernommen hatte, war von Bayern oft als der

„Ordnungszelle“, von einer geordneten, wertbeständigen und hart durchgreifenden Alternative zur Reichspolitik die Rede. Der „Ordnungszelle Bayern“ wurde eine

„Führungs- und Heilungsaufgabe“2 gegen das Erbe der Revolution im gesamten Deutschen Reich zugesprochen. Nach dem Chaos des Hitlerputsches sah selbst die dominierende Bayerische Volkspartei ein, dass diese Inanspruchnahme des Begriffs

1 Kahr, Lebenserinnerungen, S. 1376f.

2 Zorn, Jahrhundert, S. 234.

(7)

„Ordnung“ wohl nicht der Wahrheit entsprach.3 Unkontrollierbare rechtsradikale Verbände, Fememorde, mangelnde Autorität des verfassungsgemäßen Staates und schließlich der aberwitzige Hitlerputsch im Bürgerbräukeller am 8. November 1923, indem über Stunden viele in Bayern nicht mehr wussten, wer nun das Sagen hatte und wer nicht – all das hatte sich in den Amtszeiten Kahrs und seiner Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten mehr und mehr hochgeschaukelt. Es war weit gekommen mit dem jungen Freistaat Bayern.

Wer gemäß der Bamberger Verfassung von 1919 das offizielle Sagen in der bayerischen Politik hatte, das war im Grunde immer klar: Der wichtigste Mann im Staat war der Ministerpräsident, der im Gesamtministerium oder Ministerrat den Vorsitz innehatte.

Nach dem Rückzug der Mehrheitssozialdemokratie aus der Regierung waren dies Gustav von Kahr (16. 3.1920 – 11.9.1921), Hugo Graf von und zu Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg (21.9.1921 – 2.11.1922) und Eugen von Knilling (8.11.1922 – 5.5.1924, geschäftsführend noch bis 28.6.1924). Eine Besonderheit der Zeit war nun, dass diesen Ministerpräsidenten schon in der zeitgenössischen Presse das Attribut zugeschrieben wurde, dass sie nicht, wie man es heute erwarten würde, aus der ersten Reihe der dominierenden Regierungspartei BVP stammten, sondern ihre öffentliche Legitimation aus einer erfolgreichen Beamtenlaufbahn im Staat zogen.4 Deswegen werden die Ministerpräsidenten dieser Zeit vereinfacht als sogenannte

„Beamtenministerpräsidenten“ bezeichnet. Das bedeutete, dass Führer der Partei es vorzogen, sich zurückzuhalten, und die Verantwortung als Regierungschef anderen überließen. Schon Zeitgenossen wie der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Timm kritisierten die Zurückhaltung der Mehrheitspartei als „Parlamentarismus der halben Verantwortung.“5 Andreas Kraus sieht den Regierungsantritt Kahrs als „bedenkliches Signal“ insofern, als dass „sich die Partei, welche jetzt die Verantwortung hätte übernehmen müssen, dieser Verantwortung entzog […] Dazu kam die alte Tradition der Bayerischen Volkspartei, trotz ihrer parlamentarischen Überlegenheit die königlichen Beamtenregierungen respektvoll zu tolerieren.“6 Karl Schwend stellt fest: „Die

3 So verkündete der Fraktionsvorsitzende der BVP im Reichstag Johann Leicht nach dem Hitlerputsch unter großer Heiterkeit und Schadenfreude des Plenums, dass er den Begriff für Bayern künftig nicht mehr verwenden wolle. Vgl. Maga, Leicht, S. 123.

4 Die Münchner Neuesten Nachrichten schrieben zum Amtsantritt Graf Lerchenfelds: „Die alte bayerische Gewohnheit der Beamtenregierungen, die nur auf kurze Zeit durch die Kabinette Eisner-Hoffmann unterbrochen und dann mit Kahr wieder eingeführt worden war, findet also ihre Fortsetzung.“ Münchner Neueste Nachrichten Nr. 448 vom 6.11.1922.

5 Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 146. Sitzung vom 14.11.1922.

6 Kraus, Geschichte, S. 672.

(8)

Entscheidung fiel nicht für politisches Führertum, sondern für ein politisches Figurantentum.“7 Auch Bernd Schilcher kritisiert in seiner Dissertation die im Untersuchungszeitraum prinzipiell übliche Berufungspraxis, in der sich die parlamentarischen Verantwortungsträger durch „Platzhalter“8 der Verantwortung entzogen, als prinzipielles Problem der Zeit.

In der Tat konnte die BVP von 1920-1924 dreimal den Mann an der Spitze auswechseln, ohne dass die Stellungen der prägenden Persönlichkeiten wie des Fraktionsführers im Landtag Heinrich Held oder des Chefs des einflussreichen Christlichen Bauernvereins Georg Heim dadurch in Frage gestellt waren. Erst 1924 übernahm mit Held ein Spitzenmann der BVP aus dem Landtag die Regierung – und sollte sie bis zur Gleichschaltung Bayerns 1933 behalten.

Im positiven Sinne wurde dieses Phänomen, unter anderem von Gustav von Kahr selbst und von dessen Anhängern so betrachtet, dass ein unpolitischer, über den Parteien schwebender Mann die Leitung des Staates innehatte, der selbstlos nur seine Beamtenpflicht für sein Land erfülle und nicht Partikularinteressen diene. Kahr pochte auf diese Sicht, etwa als er nach seiner Wahl im Landtag äußerte: „Ich bin bereit, die Wahl anzunehmen. Diese Annahme ist das schwerste Opfer meines Lebens.“9 Er bezeichnete sich als von Natur aus „unpolitische“10 Person, der die Parteipolitik zuwider war.

Man muss in Wahrheit allerdings davon ausgehen, dass ein Ministerpräsident, also der Inhaber des höchsten Amtes im Freistaat Bayern, niemals unpolitisch und neutral sein kann, sondern dass er natürlich eine politische Agenda verfolgt und wesentliche Verantwortung für die Entwicklung im Land, so wie sie gekommen ist, trägt. Von wievielen Einflüssen und Zeitumständen Kahr, Lerchenfeld und Knilling auch beeinflusst gewesen sein mögen – in ihrer Position an der Spitze Bayerns müssen sie das Land durch ihre tägliche Arbeit unweigerlich mitgeprägt haben. Die vorliegende Dissertation macht es sich deshalb zur Aufgabe, den bislang nur am Rande der Forschung beachteten

„Beamtenministerpräsidenten“ ein politisches Profil zu geben. Sie unternimmt den Versuch, den drei Ministerpräsidenten im Untersuchungszeitraum von März 1920 bis Juni 1924 für ihre Amtszeiten eine politische Grundhaltung und eine politische Schwerpunktsetzung zuzuordnen. Und sie tut dies stets vor dem Hintergrund der für

7 Schwend, Bayern, S. 153

8 Schilcher, Parlamentarismus, S. 167.

9 Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 48. Sitzung vom 16.3.1920.

10 Kahr, Lebenserinnerungen, S. 1437.

(9)

diesen Zeitraum zentralen Frage, inwiefern Kahr, Lerchenfeld und Knilling durch ihre Regierungspraxis ein persönlicher Beitrag zur Radikalisierung in Bayern bis hin zum Hitlerputsch zuzuschreiben ist.

Um dieses Ziel einer politischen Charakterisierung und einer Einschätzung der konkreten Mitverantwortung zu erreichen, geht die Arbeit wie folgt vor: Nach einigen kurzen Basisinformationen zur Ausgangslage in Bayern gegen Ende der Regierung Hoffmann sollen in drei großen Überkapiteln jeweils die Ministerpräsidentschaften Kahrs, Lerchenfelds und Knilling analysiert werden. Da der Fokus bewusst auf die Amtszeiten und nicht auf die kompletten Biographien gelegt wird, wird jeweils nur ein knapper Überblick über Herkunft und Karriere der Personen gegeben. Anschließend werden die Umstände ihres Regierungsantritts, sowohl was den Entscheidungsprozess vor allem in der BVP als auch was die Startbedingungen betrifft, beleuchtet. Es folgt jeweils ein Versuch, anhand ihrer Amtsführung die Frage nach einem politischen Stil, nach festen Charakteristika zu beantworten. Die Schwerpunktthemen der Regierungszeiten werden dabei in eigenen Kapiteln erstmals aus Sicht des jeweiligen Ministerpräsidenten ausführlich behandelt, wobei bei Kahr vor allem der Konflikt um die bayerische Einwohnerwehr, bei Lerchenfeld der Streit um das Republikschutzgesetz von 1922 und bei Knilling sein Blick auf die immer mehr außer Kontrolle geratenen vaterländischen Verbände in Bayern und die Ernennung Kahrs zum Generalstaatskommissar zu behandeln sein wird. Diese Schritte sollen immer auch im Hinblick darauf geschehen, wie sich die Ministerpräsidenten gegenüber der Verfassung und gegenüber dem Reich verhalten haben und inwiefern sie durch ihr Verhalten den Umstand gefördert haben, dass Hitler im November 1923 von breiten Massen unterstützt einen Marsch auf Berlin und das Ende der republikanischen Verfassungen in Bayern und Reich fordern konnte. Der Blick nach Berlin wird also eine ebenso große Rolle spielen, wie die Frage nach den jeweiligen Konzepten zur Besserung und Beruhigung der innerbayerischen Verhältnisse und zur Festigung der postrevolutionären staatlichen Ordnung in Bayern, wie sie durch Landes- und Reichsverfassung vorgegeben war. Anschließend werden die Umstände betrachtet, unter denen der jeweilige Rücktritt des Ministerpräsidenten sich vollzog.

Dieser Analyse der Regierungspraxis folgt zusätzlich eine Einordnung in das politische Spektrum Bayerns. Hiermit soll untersucht werden, ob die angeblich unpolitischen Beamten tatsächlich neutral über den Dingen schwebten oder ob sie in Wahrheit den parteilichen Richtungen im Land doch teils näher, teils ferner standen. Dazu wird das Verhältnis der Ministerpräsidenten zu jeder einzelnen Partei der Regierungskoalition, der

(10)

Landtagsopposition und auch zu den Kräften außerhalb des Parlaments gezielt untersucht werden. Bei Kahr, dessen politische Einordnung, wie die Arbeit noch zeigen wird, am schwersten erscheint, wird dies in größerem Umfang erfolgen als bei Lerchenfeld oder Knilling. Allgemein spielt die Person Kahrs durch alle Kapitel hindurch eine Rolle, da er 1923 nochmals als Generalstaatskommissar auftritt, was jedoch nicht in einem eigenen Überkapitel, sondern als Teil der Amtszeit Knillings behandelt wird. Kahr ist derjenige, der als erster der von der BVP getragenen Ministerpräsidenten Bayern für die folgende Jahre seine Prägung gab. Jedes Überkapitel endet mit einem personenbezogenen Fazit der Regierungszeit. Im Schlussfazit ist nochmals gerafft die Frage zu beantworten: Welcher Beitrag ist jeweils Kahr, Lerchenfeld und Knilling durch ihre Regierungstätigkeit und ihre politische Haltung hinsichtlich der Radikalisierung Bayerns zuzuschreiben?

Die Idee zu dieser Doktorarbeit entstand an der Universität Regensburg im Rahmen des Oberseminars zur bayerischen Landesgeschichte von Prof. Peter Schmid. Meinem Doktorvater Herrn Prof. Schmid gilt für die Begleitung über die Jahre hinweg mein größter Dank. Ebenso danke ich den Teilnehmern des Oberseminars von Prof. Schmid für Diskussion und Hinweise. Darüber hinaus danke ich Herrn Prof. Martin Sebaldt vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Regensburg, der sich bereit erklärt hat, die Aufgabe des Zweitkorrektors zu übernehmen. Ferner bedanke ich mich bei Prof.

Ferdinand Kramer vom Institut für bayerische Geschichte in München, seinem Mitarbeiter Matthias Bischel M.A. und Dr. Johann Kirchinger von der Universität Regensburg für den anregenden Austausch und manche Hilfestellung zum Thema.

Selbstverständlich schulde ich auch meinen Eltern Renate und Thaddäus Hinterberger sowie meinem Patenonkel Eduard Hinterberger, Freunden, Kollegen und Studiengefährten und den Mitarbeitern in Bibliotheken und Archiven meinen Dank, die mir mit Ratschlägen, Hilfe und Anregungen zur Seite standen. Es sei mir verziehen und nicht als Unhöflichkeit ausgelegt, wenn ich diesen Dank so allgemein halte und hier nicht jeden einzeln nenne.

1.2. Forschungsstand, Literatur und Quellenlage

Es ist auffällig, dass die Ministerpräsidenten Eisner, Hoffmann und Held bereits intensive Beachtung in der Forschung gefunden haben und die Geschichte Bayerns auch

(11)

aus dem Blickwinkel ihrer Regierungen dargestellt wurde,11 während dies bisher bei keinem der „Beamtenministerpräsidenten“ der Fall ist. Eine knappe Biographie Kahrs wird bis heute nur durch einige kurze Artikel und Aufsätze gewährleistet. Zu Lerchenfelds bisheriger biographischer Behandlung gibt es lediglich einen knappen Artikel in der Zeitschrift des Bayerischen Landtages „Maximilianeum“ zu erwähnen, während die Beschäftigung mit Eugen von Knilling bislang über den knappen Eintrag in einige Lexika kaum hinausging. Die Ministerpräsidenten erscheinen daher in der bisherigen Forschung nur am Rande anderer Betrachtungen, vor allem natürlich solcher zur Geschichte Hitlers und der NSDAP im Zeitraum. Eine gezielte Analyse ihrer Politik und ihrer Verantwortung ist bislang nicht erfolgt. Diese Arbeit wird den Versuch unternehmen, diese Lücke für alle drei Personen zu schließen.

Als den Zeitraum grundlegende Sekundärliteratur ist aus Sicht der bayerischen Landesgeschichte neben den Passagen in Spindlers Handbuch der Bayerischen Geschichte und den den Standardwerken von Hürten, Menges, Kraus und Zorn vor allem Karl Schwends Werk „Bayern zwischen Monarchie und Diktatur“ aus dem Jahr 1954 zu bezeichnen. Die „Beamtenministerpräsidenten“ finden hier durchaus Beachtung, stehen aber schon wegen des umfassenden Untersuchungszeitraumes der Werke nicht im Vordergrund. Schwends Werk stellt insofern eine Besonderheit dar, als dass er als damaliger Schriftleiter der „Bayerischen Volkspartei Correspondenz“ auch als Zeitzeuge nah am Geschehen war. So erklären sich die sorgfältige chronologische Beschreibung des Zeitraums, aber auch eine gewisse Parteilichkeit zugunsten der BVP. Ferner existiert eine Dissertation von Werner Zimmermann aus dem Jahr 1953, die sich mit der bayerischen Politik von 1918-1923 befasst, sowie eine Dissertation von Herbert Speckner aus dem Jahr 1955, die die „Ordnungszelle Bayern“ von 1918 bis zum Ende der Ministerpräsidentschaft Kahrs im September 1921 behandelt. Hans Fenske konzentriert sich in seinem Werk vor allem auf die Entstehung und Ausbreitung des Rechtsradikalismus, wodurch selbstverständlich die Ordnungszelle Kahrs zur Behandlung kommt. Horst Nutzer befasste sich mit der Entwicklung der Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich. Die Ereignisse um den Hitlerputsch von 1923 haben bei Harlold J. Gordon jr. eine äußerst aufwendige und detailversessene Bearbeitung erfahren. Der Fokus lag hier jedoch nachvollziehbarer Weise nicht, wie in der vorliegenden Dissertation, auf der Ministerpräsidentschaft Knillings. Sehr wertvoll für

11 Kurt Eisners Ministerpräsidentschaft wurde unter anderem von Berhard Grau, Allan Mitchell und in jüngster Vergangenheit von Riccardo Altieri bearbeitet. Die Ministerpräsidentschaft Hoffmanns hat Diethard Hennig untersucht. Barbara Pöhlmann widemete der Ministerpräsidentschaft Heinrich Helds eine Arbeit.

(12)

das bessere Verständnis und die Bewertung vieler verfassungsrechtlicher Konflikte im Zeitraum ist die politikwissenschaftliche Dissertation Thomas Langes, die Formen und Anwendung des Ausnahmezustands im Bayern der Weimarer Zeit erforscht. Zu den Fragen des Republikschutzes in der Weimarer Zeit, der unter anderem immer wieder zum Streit zwischen München und Berlin geführt hat, liegt eine Arbeit von Gotthard Jasper vor. Einen guten Einblick zum Rechtsradikalismus im Bayern der Weimarer Zeit bietet Bruno Thoss Arbeit zum Ludendorff-Kreis. Friedhelm Mennekes beschäftigt sich in seinem Werk „Die Republik als Herausforderung“ vor allem mit dem politischen Klima in der Gesellschaft des jungen Freistaates. Gabriele Sperl und Dirk Götschmann haben in Ihren Werken die Wirtschaftsgeschichte Bayerns im Zeitraum bearbeitet. Eine sozialgeschichtliche Arbeit zum Zeitraum hat zudem Martin Geyer vorgelegt. Ulrike Hofmann hat sich auf das Phänomen der Fememorde konzentriert. Mit dem Verhältnis der süddeutschen Staaten zum Reich und der deutschen Innenpolitik 1918-1923 hat sich Wolfgang Benz befasst. Hinsichtlich der Diskussion um die Finanzverfassung zwischen Bayern und dem Deutschen Reich legte Franz Menges eine Arbeit vor, die natürlich auch zum Verständnis der Bemühungen um die Eigenstaatlichkeit Bayerns einen Beitrag leistet. Einen wertvollen Einblick in die Presselandschaft Bayerns bietet Paul Hoser. Die ausländischen Gesandtschaften in München finden in den Werken von Andrea Müller, was Frankreich betrifft, und Martin Weigl, was Österreich betrifft, Beachtung. Als Ergänzung zur oft altbayerisch-katholisch geprägten Forschung zum politischen Klima in Bayern bietet Manfred Kittel einen Blick auf das evangelische Bayern in der Weimarer Republik. Die Liste der Werke, die sich mit sehr speziellen und durchaus nicht zu vernachlässigenden Fragestellungen und Themenfeldern der Bayerischen Geschichte der frühen Zwanziger Jahre beschäftigen, etwa Benjamin Ziemanns Betrachtungen zur Rolle der Kriegserfahrungen im ländlichen Bayern oder Werner Chanmans Werk zu den Münchner Juden im Zeitraum, ließe sich ebenso wie die Liste von diversen Aufsätzen oder von Werken der gesamtdeutschen Geschichtsschreibung noch lange fortführen. An dieser Stelle sei jedoch darauf verzichtet.

Wertvolle Einblicke in den Zeitraum gewähren ebenso die Arbeiten, die sich auf die Geschichte der einzelnen Parteien beziehen. Für die Bayerische Mittelpartei beziehungsweise die Deutschnationale Volkspartei in Bayern ist Elina Kiiskinens Arbeit zu erwähnen, die durch Manfred Kittels Forschungen ergänzt wird. Hanns-Jörg Bergmanns Werk untersucht sowohl den Bayerischen Bauernbund als auch den BVP- nahen Christlichen Bauernverein ausführlich. Die Geschichte der BVP wurde durch

(13)

Klaus Schönhoven nur für die Jahre 1924 bis 1932 vorgelegt. Eine umfangreiche Untersuchung der BVP von 1919-1933 auf Basis der Protokolle der Landtagsfraktion ist an der Universität München lange angekündigt, leider aber noch nicht verfügbar.

Allerdings existieren drei Magisterarbeiten als Edition dieser Protokolle. Der Untersuchungszeitraum ist im Hinblick auf die größte Partei der Regierungskoalition also im Moment noch nicht gezielt erforscht. Aus Sicht der SPD liegt für Teile des Untersuchungszeitraums Peter Kritzers Arbeit über die bayerische Sozialdemokratie und die bayerische Politik in den Jahren 1918 bis 1923 vor. Für den Zeitraum bis 1933 schließt sich die Untersuchung von Herbert Kral an. Für die NSDAP in ihren frühen Jahren sind die Werke von Georg Franz-Willing, Gerhard Schulz und Werner Maser zu nennen.

Erweiterung erfährt der Einblick in den Zeitraum durch diverse Biographien bayerischer Politiker. So stellt Joachim Reimanns Biographie über den liberalen Justizminister Müller-Meiningen sicherlich einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der DDP in Bayern dar, die bislang sehr dürftig erforscht ist. Richard Keßler befasste sich mit Zeit Heinrich Helds als Parlamentarier, Barbara Pöhlmann widmete sich der Ministerpräsidentschaft Helds. Ebenso liegen Biographien von Schmidt über Kultusminister Matt, von Altendorfer über Fritz Schäffer, von Menges über die rechte Hand Kahrs, Hans Schmelzle, von Kritzer über Wilhelm Hoegner, von Maga über den Vorsitzenden der BVP-Fraktion im Reichstag, Prälat Johann Leicht, von Reuter über Anton Pfeiffer, von Kirchinger über Michael Horlacher und von Renner über Georg Heim vor. Letztere muss allerdings kritisch gesehen werden, macht Renner doch mit dem Untertitel „Lebensbild eines ‘ungekrönten Königs’“ gar keinen Hehl aus seiner überaus wohlwollenden Darstellung des Bauernführers. Auf der Ebene der Reichspolitik liegen inzwischen umfangreiche Untersuchungen zu den für den Untersuchungszeitraum einschlägigen Reichskanzlern und Militärs vor.

Noch in Arbeit befinden sich derzeit zwei den Untersuchungszeitraum betreffende Dissertationen an der LMU. Florian Heinritzi befasst sich mit dem bayerischen Konkordat von 1924, welches in die Regierungszeit Knillings fällt. Dieser Aspekt der Amtszeit Knillings wird daher in der vorliegenden Arbeit nur eine sehr kleine Rolle spielen. Wesentlich ist die begonnene Arbeit von Matthias Bischel, die sich mit einer Analyse des Beziehungsgeflechts Gustav von Kahrs auch über seine Amtszeit als Ministerpräsident hinaus befassen wird, allerdings noch am Anfang steht. Die vorliegende Arbeit wird, was die Person Kahr betrifft, durch Bischel eine Ergänzung finden.

(14)

Wenn man die Frage nach Quellenlage zu den bayerischen

„Beamtenministerpräsidenten“ stellt, so liegt es zunächst nahe, nach den Nachlässen der betreffenden Personen zu suchen. Im Ergebnis ergibt sich ein gemischtes Bild. Zu Gustav von Kahr verfügt das Bayerische Hauptstaatsarchiv über einen umfangreichen Nachlass, welcher sogar ein Typoskript seiner Lebenserinnerungen (bis 1924, ohne die Jahre 1919/20) beinhaltet. Natürlich ist zu beachten, dass in diesen umfangreichen Erinnerungen Kahrs, die einige Jahre nach dem Untersuchungszeitraum entstanden sind, vor allem eine Rechtfertigungsschrift, mit der sich Kahr in ein gutes Licht rücken wollte, zu sehen ist. Die Quelle ist also stets kritisch zu betrachten. Ferner wurden Ende 2013 durch das Institut für bayerische Geschichte in München umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen Kahrs entdeckt, die in der vorliegenden Arbeit nun erstmals Verwendung finden. Die Aufzeichnungen decken sich zum Teil mit den getippten Erinnerungen und waren wohl die Grundlage für selbige, zumal sie ähnliche zeitliche Lücken aufweisen. Da sie allerdings zeitnah verfasst wurden, nicht wie die Lebenserinnerungen erst Ende der 20er Jahre, behandeln sie manche Begebenheit und Meinung, die Kahr später lieber aussparen wollte. Nichtsdestotrotz wollte Kahr auch in diesem Tagebuch in erster Linie sein persönliches Handeln als richtig darstellen und rechtfertigen. Für diese Arbeit stellte das Institut für bayerische Geschichte in München die Tagebuchaufzeichnungen für das Jahr 1921 als Kopie zur Verfügung. Der Nachlass Kahr im Hauptstaatsarchiv beinhaltet ferner noch einige Akten, Áusschnitte und Redeentwürfe sowie einen geraffter formulierten Lebenslauf, der in dieser Form einige Jahre vor den umfangreichen Lebenserinnerungen, jedoch ebenfalls nach 1923 entsanden sein muss. Im Blick auf Gustav von Kahr ist also ein umfangreicher Bestand an Primärquellen vorhanden. Ganz anders sieht es im Falle Lerchenfelds aus. Hier findet sich nur ein beschränkter Nachlass im Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, welcher sich zudem auf seine diplomatische Tätigkeit in Reichsdiensten konzentriert. Nach Auskunft der Familie von Lerchenfeld besteht ansonsten kein Nachlass mehr. Noch bedauerlicher ist die Lage im Falle Eugen von Knillings, dessen Nachlass ebenfalls nicht auszumachen ist. Nach Auskunft des bayerischen Hauptstaatsarchivs finden sich lediglich einige Briefe Knillings in anderen Nachlässen (z.B. Nachlass Heinrich Held), eine dünne Mappe mit Presseausschnitten von 1923-1927 in der Sammlung „Personen“ sowie ein Personalakt in den Beständen des Kultusministeriums.

Dennoch besteht eine Reihe von sinnvollen Möglichkeiten, die Arbeit auf einer fundierten Quellenbasis aufzubauen. Äußerst aussagekräftig erscheinen hier die

(15)

Ministerratsprotokolle im Zeitraum, welche derzeit an der Münchener Ludwig Maximilan Universität editiert werden. Obwohl diese Edition nicht abgeschlossen sein wird, um in der Dissertation Verwendung zu finden, ist Quellenbestand benutzbar und für die Zwecke dieser Arbeit sehr geeignet. Selbstverständlich gilt es zu bedenken, dass aus diesen Protokollen keine vertraulichen Verhandlungen zwischen den Ministern zu entnehmen sind. Dennoch geben sie die Grundsatzdiskussionen im Ministerrat umfangreich wieder.

Die Protokolle finden sich im Hauptstaatsarchiv München.

Ebenso bewahrt das bayerische Hauptstaatsarchiv die für die Untersuchung relevanten Bestände zu den einzelnen Ministerien auf. Hier sind für die Dissertation vor allem die des Ministeriums des Äußeren von Belang. Ferner die Protokolle des Haushaltsausschusses, dessen Sitzungen die Ministerpräsidenten nicht generell, aber immer wieder besuchten. Diese Protokolle haben sich als sehr wichtig erwiesen, da in diesem Ausschuss des Landtags ein wesentlich offenerer und direkterer Ton gepflegt wurde als in den Plenardebatten. Zum Generalstaatskommissariat Kahrs findet sich ein eigener Quellenbestand im Hauptstaatsarchiv.

Interessante Einblicke bieten die Fraktionsprotokolle der BVP. Dieser bislang weniger berücksichtigte Fund stellt einen Glücksfall für die Forschung dar – es sind die einzigen Überlieferungen von Sitzungen einer bayerischen Landtagsfraktion aus der Weimarer Zeit. Sie werden im Archiv für Christlich Soziale Politik der Hanns Seidel Stiftung in München aufbewahrt.

Während die bislang genannten Quellen vor allem über Interna Auskunft geben können, soll durch Miteinbeziehung der Presselandschaft des Zeitraumes in die Quellenbasis der Außenwirkung der Ministerpräsidenten gegenüber Parteien, einzelnen Gruppen und der Bevölkerung Rechnung getragen werden. Eine Besonderheit der Zeit ist es, dass die meisten Blätter klar einer politischen Richtung zuzuordnen sind und somit Rückschlüsse auf das Ansehen des jeweiligen Ministerpräsidenten im jeweiligen politischen Lager zulassen. Andererseits gilt es angesichts der Parteilichkeit der Pressequellen ihre Aussagekraft auch immer wieder kritisch zu hinterfragen. Die Bayerische Staatsbibliothek in München bietet hier einen umfangreichen Fundus.

Die Quellenbasis ergänzt sich durch diverse Nachlässe von Zeitgenossen der

„Beamtenministerpräsidenten“, die verschiedene Blickwinkel und Beurteilungen nachvollziehbar machen. Dieser ergänzende Quellenbestand ist auf mehrere Archive verteilt. Genannt seien der Nachlass des liberalen Handelsministers Eduard Hamm, der des BVP Fraktionsführers Heinrich Held, die der Einwohnerwehrführer Rudolf Kanzler

(16)

und Georg Escherich oder der des mächtigen Mannes der BVP und Bauerndoktors Georg Heim und der des Verlegers Nikolaus Cossmann.

Zudem bieten die zeitgenössischen Schriften beispielsweise Rudolf Kanzlers, Ernst Müller-Meiningens, Wilhelm Hoegners, des Ministerialbeamten Sommer oder Erich Ludendorffs wertvolle Einblicke. Auch Graf Lerchenfeld hat in einem gewissen Umfang kürzere Denkschriften verfasst. Gustav Kahr lieferte eine Beschreibung seiner Tätigkeiten rund um die Beisetzung König Ludwig III. Bei allen diesen Schriften gilt es jedoch zu beachten, dass ihre Verfasser Zielsetzungen verfolgten – sei es die Bekämpfung eines politischen Kontrahenten oder die Rechtfertigung des eigenen Handelns. Hinzu kommen zeitgenössische oder bereits nationalsozialistisch geprägte Darstellungen zum Beispiel zur Geschichte der Einwohnerwehr oder anderer Verbände oder Personen.

Zum Fundus an editierten Quelleneditionen sei zunächst Ernst Deuerleins hilfreiche Edition von einschlägigen Akten rund um den Hitlerputsch genannt. Ebenso wichtig erscheint die Edition der Akten zum Hitlerprozess durch Gruchmann und Weber sowie die der Akten zum einschlägigen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags durch den späteren Ministerpräsidenten Hoegner. Letztere erfolgte schon 1928. Natürlich spielt die parteipolitische Motivation bei dieser Quelle eine große Rolle. Das tut dem Wert der zahlreichen Belege, die Hoegner wörtlich anführt, jedoch keinen Abbruch.

Dokumente zur Verfassungsgeschichte der Zeit finden sich in der Edition Hubers. Einen interessanten Einblick liefern auch die editierten Berichte des württembergischen Gesandten Moser von Filsek. Außerdem sind die editierten Erinnerungen des SPD-nahen Juristen von Loewenfeld zu nennen, die einen kritischen Blick auf die Geschehnisse der Zeit wiedergeben. Sämtliche Aufzeichnungen Adolf Hitlers im Zeitraum haben Eberhard Jäckel und Axel Kuhn editiert.

Als äußerst hilfreich für die Untersuchung der Interaktionen zwischen München und Berlin ist die Editionsreihe „Akten der Reichskanzlei“ zu nennen, welche auf den Seiten des Bundesarchives online zur Verfügung steht. Auch auf die Protokolle des Bayerischen Landtags und des Reichstags wird online zugegriffen.

(17)

2. Die Ausgangssituation in Bayern 1920

2.1. Die Lage im Freistaat am Ende der Regierung Hoffmann

Die Endzeit der Regierung Hoffmann Anfang 1920 brachte Umstände mit sich, die einen politischen Umbruch geradezu fördern mussten. Dies galt in politischer Hinsicht ebenso wie in wirtschaftlicher.12 Der verlorene Erste Weltkrieg war in den Köpfen noch außerordentlich präsent – immerhin war eine Viertelmillion Bayern immer noch nicht aus ihm zurückgekehrt. Die Forderungen, die nun im Friedensvertrag von Versailles von den Siegermächten an das Deutsche Reich ergingen, stellten auch Bayern vor gigantische, ja teilweise beinahe unlösbare Aufgaben. Nicht nur, dass Bayern faktisch schon 1918 nicht mehr über seine Gebiete am Rhein, insbesondere seine generell schon knappen Kohlevorkommen verfügen konnte, auch das rechtsrheinische Bayern sollte Güter in einer Menge abliefern, die schwer zu verkraften war. So wurde beispielsweise verlangt, dass der Freistaat 341 815 Pferde als Reparation zur Verfügung stellen sollte. Die Dramatik dieser Zahl wird vor Augen geführt, wenn man bedenkt, dass dies nicht weniger als 95% des bayerischen Pferdebestands13 gewesen wäre. Landwirtschaftliche Produktion hätte ohne die Zugtiere kaum mehr stattfinden können. Während es dem Agrarsektor zudem noch an Arbeitskräften mangelte, war in den städtischen Zentren Bayerns das Gegenteil der Fall. Hier herrschte noch bis Ende 1921 hohe Arbeitslosigkeit, die Manchen in den Nachkriegswirren sehr plötzlich14 und hart getroffen hatte. Der Mangel an Transportmöglichkeiten, Rohstoffen und Produktionsmitteln verhinderten es, dass die Kriegsheimkehrer wieder in Lohn und Brot kommen konnten. Mehr als jeder zehnte bayerische Großstädter musste 1920 vom Staat unterstützt werden.15

Den wirtschaftlichen Unsicherheiten standen für die bayerischen Verbraucher stark steigende Preise entgegen. Trotz teilweise noch wie in der Kriegszeit geltender Zwangsbewirtschaftung der bayerischen Lebensmittelproduktion blieb das Angebot an Lebensmitteln in den Städten knapp. Die Preise jedoch stiegen auch durch die Inflation, die wohl prägenste wirtschaftliche Erscheinung jener Jahre, deutlich schneller als die

12 Für einen Überblick zum Stand der Wirtschaftsgeschichtsforschung in Bayern zum Zeitraum vgl.

Götschmann, Wirtschaftsgeschichte, S. 273ff.

13 Die Regierung Kahr erbte diese drastische Auflage und ging wenige Tage nach ihrem Antritt schon dazu über, Pferdemärkte in Bayern zu verbieten. Vgl. Ministerratssitzung vom 24.3.1920, BayHStA, MA 99515.

14 BMW beispielsweise stellte, nach dem die seit Jahren laufende Rüstungsproduktion mit dem Kriegsende sinnlos wurde, im Dezember 1918 auf einen Schlag 3400 Arbeiter aus. Vgl. Rudloff, Notjahre, S. 345.

15 Vgl. Pledl, Bayern, S. 129 ff.

(18)

Löhne, die die Konsumenten zu Verfügung hatten. Ein Schlosser in München erhielt beispielsweise im Februar 1920 zwar 370% mehr Lohn als noch vor Ausbruch des Krieges, dafür musste er jedoch für Weizenmehl 1204%, für Milch und Kartoffeln 488%, für Eier 1329% und für Butter gar 1535% mehr bezahlen als in der Vorkriegszeit.16 Diese inflationsbedingten Preisanstiege bei Grundnahrungsmitteln sollte der Regierung Kahr schon bald größte Sorge bereiten, da man sich im Ministerrat über die politische Sprengkraft, die eine schlechte Versorgung gerade in den Städten mit sich brachte, sehr wohl bewusst war.17

Bayern war neben diesen wirtschaftlichen Problemen nach wie vor geprägt vom kollektiven Erlebnis des Krieges, der Revolution und Räteherrschaft sowie deren Niederschlagung. Der alte Staat war untergegangen, doch der neue Staat galt noch kaum jemandem als feststehendes Faktum. An die in Bamberg entstandene, republikanische Verfassung des Freistaats Bayern war man noch kaum gewöhnt. Obwohl sie als rein bayerisches Werk ohne wesentlichen Druck von außen entstehen konnte, blieb sie am Ende ein Kompromisswerk zwischen den beteiligten Parteien.18 Nach wie vor empfand das Volk die Politik nicht als Prozess innerhalb einer feststehenden Ordnung, sondern als eine gegen die linke Revolution gerichtete Aufbauentwicklung, als „Endkampf zwischen Licht und Finsternis oder Chaos und Ordnung“19, dessen Entscheidung nach der Revolution in Bayern noch nicht als abgeschlossen erschien.

Eine große Rolle spielten hier die militärischen Kräfte. Für sie hatte die Niederlage im Krieg nichts Geringeres als den Zusammenbruch ihrer Welt20 bedeutet. Sie, die sie München der Räteherrschaft wieder entrissen hatten, galten als entscheidend zur Bewahrung der Ordnung und zur Verhinderung eines neuen Umsturzes von links. Nach der Niederschlagung der Räterepublik hatten vor allem der Chef der Reichswehr in Bayern, General von Möhl, der Freicorpsführer Oberst von Epp sowie der Chef der Landespolizei Hans von Seißer bereits unter Hoffmann, auf dessen Regierung sie einen missmutigen Blick pflegten,21 eine sehr einflussreiche Stellung im Staat einzunehmen vermocht. Diese nutzten sie nun zum Aufbau eines gut funktionierenden Abwehrapparates gegen sozialistische Umsturzversuche. Bayern müsse „ein Bollwerk für

16 Vgl. Pledl, Bayern, S. 160.

17 Vgl. Ministerratssitzung vom 7.5.1920, BayHStA, MA 99515.

18 Vgl. Zech, Verhältnis, S. 108.

19 Prinz, Präludium, S. 30.

20 Vgl. Müller, Heer, S. 13.

21 Vgl. Nusser, Druck, S. 829ff.

(19)

den Ordnungsstaat, die Reichswehr sein Betonkern sein“22, so hatte Epp es formuliert. Im Dienste dieses von den alten Militärs kontrollierten Apparates stand seit 1919 unter anderem ein bislang völlig unbekannter Gefreiter namens Adolf Hitler. Er hatte eine Funktion als Spitzel der Reichswehr bei politischen Zusammenkünften in der jungen Republik erhalten, nachdem er wie so viele Mitglieder des heimgekehrten Heeres nach einer neuen Aufgabe im Frieden suchte. Diese antisozialistisch geprägte Überwachung der politischen Entwicklung Bayerns wurde mit großem Ernst betrieben. Immerhin wirkten zur Schulung der Reichswehr-Spitzel einflussreiche Personen, wie der Monarchist Karl Graf Bothmer, der Thule-Mann Gottfried Feder, der Bauernführer Michael Horlacher oder der Historiker Karl Alexander von Müller.23 Nicht vergessen werden darf, dass mit der Demobilisierung, die durch den Versailler Vertrag immer mehr vorangetrieben werden sollte, in den Reihen der Militärs größte Existenzängste und Unzufriedenheit eingezogen waren. Die vielen Entlassenen aller Ränge sammelten sich in Freicorps24 und sonstigen paramilitärischen Bünden und sorgten dafür, dass die militärische Verbändelandschaft in Bayern in den nächsten Jahren erblühen konnte.25 Das im Kaiserreich noch in der Mitte der Aufmerksamkeit stehende Militär befand sich nun in einem gnadenlosen Abstiegskampf auf dem Weg in einen Staat, in dem es befürchten musste, keine Rolle mehr zu spielen.

Während also das Militär seinen Bedeutungsverlust fürchtete, war die Spitze der Exekutive, also der Ministerpräsident Bayerns, zumindest auf den ersten Blick in seiner Stellung aufgestiegen. Schließlich war er in Ermangelung eines Monarchen oder Staatspräsidenten erstmals in Bayerns Geschichte auch der erste Repräsentant des Staates.

Inwiefern dies einen tatsächlichen Machtzuwachs bedeutete, musste sich erst noch zeigen. Laut Bamberger Verfassung war der Ministerpräsident zwar nicht mehr von der Gunst eines Königs abhängig, doch musste er sich nun auf das wesentlich diffizilere Konstrukt einer Mehrheit im Parlament berufen. Diesem Parlament war die bayerische Regierung zumindest offiziell klar untergeordnet, konnte doch das Parlament das Gesamtministerium jederzeit abberufen, das Gesamtministerium aber niemals das Parlament auflösen.26 Auch seinem Ministerrat stand er offiziell weiterhin nur als „primus inter pares“ vor. Nicht er allein, sondern das sogenannte Gesamtministerium war als Inhaber der Richtlinienkompetenz vorgesehen. Er hatte zwar das Recht dem Parlament

22 Zit. bei Menges, Freistaat, S. 201.

23 Vgl. Wiesemann, Vorgeschichte, S. 17. Vgl. ferner Wiesemann, Vorgeschichte, S. 71.

24 Zur Entstehung und Organisation der bayerischen Freicorps vgl. Korzetz, Freicorps, S. 31ff.

25 Vgl. Ay, Räterepublik, S. 18.

26 Vgl. Schilcher, Parlamentarismus, S. 31.

(20)

den Vorschlag für die Besetzung der einzelnen Ressorts zu unterbreiten, de facto aber waren diese Personalentscheidungen ein Politikum zwischen den Parteien schon im Vorfeld der Wahl eines Ministerpräsidenten. Auch wenn der Ministerpräsident also als der mächtigste Mann Bayerns bezeichnet werden kann, auch wenn er wie kein anderer den bayerischen Staat zu repräsentieren hatte, hatte seine Macht durchaus Grenzen. Per Misstrauensvotum wäre der Landtag jederzeit im Stande gewesen, das Gesamtministerium oder einzelne Minister zu entlassen.27 Bayern war also von seinen verfassungsgemäßen Anlagen her eigentlich kein Ort, in dem ein starker Mann ganz alleine an der Spitze die Geschicke des Landes hätte lenken können. Eine solche Rolle war unter diesen Voraussetzungen nur durch eine starke Persönlichkeit und einiges an Durchsetzungsvermögen denkbar. Der bald populäre Ruf nach starken Männern, die alle Probleme alleine lösen sollten, stand also in einem gewissen Gegensatz zu den Prinzipien der bestehenden bayerischen Verfassung. Dass die Stellung des Ministerpräsidenten in der Praxis noch nicht ganz abgeschlossen war, belegt auch eine Denkschrift Kahrs, die er um den Jahreswechsel 1920 auf 1921 an seine Kollegen des Ministerrats schickte. Hier definierte er seine Sicht der Aufgaben eines Ministerpräsidenten gemäß der Verfassung.

So forderte er im Ministerium des Äußeren, das der Ministerpräsident traditionell als Ressort innehatte, mehr Personal, das ihn gezielt bei der Leitung des Gesamtministeriums und damit des Gesamtstaates unterstützen sollte. Ferner betonte er, dass er dem Ministerrat oder Gesamtministerium vorstehe und dementsprechend derjenige sei, der dessen Politik nach außen vertrete. Hierfür habe er im Speziellen das Recht, in allen Dingen aller Ressorts jederzeit informiert zu werden. Die Verantwortung für den Kurs der Politik sah aber auch Kahr nicht in einer Richtlinienkompetenz seiner Person, sondern beim Ministerrat als Gremium. Er wies allerdings darauf hin, dass das Gesamtministerium sämtliche Ressortentscheidungen an sich ziehen könne. Da wiederum er als Vorsitzender die Tagesordnung im Ministerrat festzulegen hatte, ergeben sich hieraus doch eine hervorgehobene Stellung und Einflussmöglichkeiten des Ministerpräsidenten in allen Belangen bayerischer Politik. Diese hervorgehobene Stellung spielte auch eine Rolle, da der Ministerrat die Möglichkeit zum Erlass Verwaltungsverordnungen, bei Gefahr auch Notverordnungen, hatte und Volksentscheide initiieren durfte. Ferner oblag dem Ministerrat die oberste Aufsicht über

27 Vgl. Zech, Verhältnis, S. 134ff. Vgl. Roth, Entwicklung, S. 222ff.

(21)

dem Vollzug sämtlicher Reichs- und Landesgesetze und Verordnungen.28 Alle diese Aufgaben sollten im Untersuchungszeitraum noch eine wesentliche Rolle spielen.

Stellt man nun die Frage nach der Stellung Bayerns in der und zur neuen politischen Ordnung des Deutschen Reichs, so wird auch hier einiges an Konfliktpotential deutlich.

Die Entwicklung zur Weimarer Reichsverfassung stand in Bayern unter einem schlechten Stern. Bereits zu Ende des Krieges stellte der britische Geheimdienst einen gewissen Wandel unter den bayerischen Truppenteilen und auch im Land fest. Die britischen Berichte erkannten einen starken Anstieg antipreußischer Stimmung, ein Gefühl, von Preußen in den Krieg gezogen worden zu sein, und dementsprechend das Aufkommen starker föderalistischer und separatistischer Neigungen, in deren Folge eine gewisse Gegnerschaft zu einem parlamentarischen deutschen Nationalstaat zu erwarten sei.29 Auch diese Preußenfeindschaft sollte die Stimmung in den nächsten Jahren mitprägen.

Der tatsächliche geschichtliche Trend jedoch verlief genau entgegengesetzt zu den föderalistischen Vorstellungen in Bayern. Die Reichsverfassung wurde vor der bayerischen Verfassung erlassen und hatte vieles in Bayern in einem nicht föderalistischen Sinn bereits vorgegeben.30 Eine freudige Akzeptanz war daher seitens der Anhänger eigener bayerischer Staatlichkeit, gerade aus den Reihen der Verwaltung dieser Staatlichkeit, kaum zu erwarten. Zahlreiche, zumindest symbolische Elemente bayerischer Eigenstaatlichkeit, wie Gesandtschaftsrecht, eigene Post, umfangreiche Kompetenzen in der Verkehrspolitik oder die Militärhoheit in Friedenszeiten, die das zweite Kaiserreich seinem Mitgliedsstaat Bayern noch gewährte, waren durch die Weimarer Verfassung aufgehoben. Eine in mancher Augen „machtbesessene Reichsbürokratie“31 baute ihre Stellung im Vergleich zum Reich Bismarcks deutlich aus.

Hatte die Weimarer Verfassung 1919 für weite Kreise in Bayern, gerade in der dominierenden Bayerischen Volkspartei, schon deutlich zu unitaristische Züge, so brachte der Jahreswechsel 1920 eine neue Verschärfung der Lage.32 Erzbergers große

28 Vgl. Der Ministerpräsident an die sämtlichen Staatsministerien am 28.1.1921, BayHStA, ML 3000. Für eine weiträumige Entwicklungsgeschichte des Amtsverständnisses von 1918 bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg vgl. Kratzer, Ministerpräsident. Vgl. ferner Schilcher, Parlamentarismus, S. 26ff.

29 Vgl. Kuropka, Partikularismus, S. 657f. Vgl. Speckner, Ordnungszelle, S.10.

30 Vgl. Mennekes, Republik, S. 33f.

31 Schwend, Bayern, S. 106. Hinter diesem verbreiteten Gefühl verbarg sich durchaus ein handfester

Hintergrund. In der Tat zeigte sich die Reichsbürokratie – ganz unabhängig von den dominierenden Parteien im Reichstag – auch von sich aus bemüht, ihre alten und in Weimar neu erlangten Zuständigkeiten zu sichern, aber darüber hinaus noch stetig zu erweitern. Vgl. John, Bundesstaat, S. 129.

32 „Die Unterschrift der Reichsminister unter der neuen Verfassung war noch nicht trocken, als der Reichsfinanzminister Erzberger zu seinem großen, die Länder tief treffenden Schlage der

Reichsfinanzverwaltung ausholte“, so kommentierte der Zeitgenosse Karl Schwend den Schock, den die bayerischen Föderalisten empfanden. Schwend, Bayern, S. 114.

(22)

Finanzreform hievte die Finanz- und Steuerpolitik auf die Ebene des Reiches, welches zuvor noch seine Finanzen lediglich durch Zahlungen aus den Ländern speiste.33 Die Angst vor dem Unitarismus und ein Misstrauen gegenüber dem Reich waren dementsprechend weit verbreitet, gerade in der Beamtenelite des Freistaats. In der Tat gab es zu Beginn der Ordnungszelle keine ernstzunehmende politische Kraft, bestenfalls mit Ausnahme der DDP, die sich nicht an einem in ihren Augen zu großen Unitarismus im neuen System stieß.34 Die Anfangsphase der Weimarer Republik war für die Anhänger des Föderalismus keine erfreuliche Zeit, beschleunigte sich doch in ihr sehr deutlich der Zug hin zu einem unitaristischen Deutschland,35 den Föderalisten auch außerhalb Bayerns, wo die Eigenstaatlichkeit weit weniger hoch im Kurs lag, schon länger wahrnahmen.36

Neben diesen reaktionär angehauchten Kräften standen andere, die zwar ebenso den Staat von Weimar ablehnten, doch weniger dem Alten nachtrauerten, als dass sie aus den Unsicherheiten der Zeit heraus Neues zu schaffen erhofften. In der Tat war im speziellen München die Stadt, in der zeitgleich zur sozialistischen Revolution auch der Rechtsradikalismus als politische Kraft besonders stark erblühte.37 Die Thulegesellschaft, jene Keimzelle völkischen, antisemitischen und rassistischen Denkens, erkannte das politische Potential in der Unzufriedenheit weiter Kreise und hatte es sich 1919 zum Ziel gesetzt, durch die Gründung und Protektion einer „Deutschen Arbeiterpartei“, der späteren NSDAP, in der Stadt München in den öffentlichen politischen Kampf einzutreten und damit die Ebene eines Geheimzirkels zu verlassen.38 Die 1917 aus dem völkischen Germanen-Orden entsprungene Loge konnte unter ihrem vermögenden Anführer Rudolf von Sebottendorff schon seit 1918 ihren Einfluss, etwa durch die Anmietung repräsentativer Räumen im Hotel vier Jahreszeiten, den Kauf des „Münchner Beobachters“ als ihr Sprachrohr und ihre Rolle als fördernde Kraft hinter der

33 Während die Länder früher an das Reich überwiesen, bezogen sie gemäß dem Landessteuergesetz vom 30.3.1920 nun schlicht feste Anteile am örtlichen Aufkommen der vom Reich zentral bestimmten Steuern. So zum Beispiel 66,6% der Einkommenssteuer, 20% der Erbschaftssteuer oder 10% der Umsatzsteuer.

Gestaltungsspielraum hatten die Länder hier dementsprechend nicht mehr. Vgl. Menges, Freistaat, S. 198.

34 Vgl. Ay, Räterepublik, S. 11. Die bayerischen Sozialdemokraten hatten hier einen Balanceakt zwischen der unitaristischen Reichspartei und der föderalistischen Stimmung in Bayern zu bestreiten. Sie hielten sich daher im Vergleich zur Sozialdemokratie im restlichen Reich sehr zurück. Vgl. John, Bundesstaat, S. 102.

35 Vgl. John, Bundesstaat, S. 36.

36 So schrieb der sächsische Staatsrechtler Ottomar Schuchart 1928: „In das deutsche Schrifttum der letzten sechzig Jahre hat man nun (…) das partikularistisch an Stelle von bündisch (föderalistisch) gesetzt. Und der Betrug ist so glänzend gelungen, dass man in der breiten Öffentlichkeit gar keine Ahnung mehr davon hat.“ Zit.

bei John, Bundesstaat, S. 36.

37 Vgl. Ay, Räterepublik, S. 13.

38 Vgl. Rudloff, Notjahre, S. 352.

(23)

paramilitärischen Gruppe namens Freicorps Oberland, stetig ausbauen.39 Schon seit den Tagen vor der Revolution also befanden sich die radikalen Kräfte im Aufbau.

Das radikale Gedankengut blieb nicht auf organisierte Gruppen beschränkt, es strahlte in jenen Tagen bis weit in die Gesellschaft hinein aus. Nicht zuletzt die soziale Sprengkraft, die wie schon erwähnt durch die Demobilisierung des Heeres und den vielen dadurch perspektivlos gewordenen Einzelschicksalen erzeugt worden war,40 befeuerte zu jener Zeit radikale Anschauungen. Rechtsradikales und antisemitisches41 Potential war seit langer Zeit bis weit in gebildete Schichten hinein zur Genüge gegeben. So kam es im Wintersemester 1919/1920 zur Sprengung einer Vorlesung Max Webers durch völkische Studenten, nachdem Weber sich gegen eine baldige Begnadigung des Eisner-Mörders Anton Graf Arco auf Valley ausgesprochen hatte. In Wahrheit aber war der Gedanke des Nationalen, der Gedanke eines schicksalhaften Weges des deutschen Volkes jedoch auch in Max Weber, Oswald Spengler und anderen Vertretern der geistigen Elite des Landes bereits seit dem 19. Jahrhundert verankert.42

Ein reaktionär angehauchter Föderalismus und der sich formierende Rechtsradikalismus waren also beide Antriebe für die Gegnerschaft zum Weimarer System, die sich in Bayern verfestigte. Den Föderalismus dabei auf eine bloße Fassade im Kampf gegen die Demokratie herabzuwürdigen43 wäre zu viel gesagt. Wohl aber ist es richtig, dass sich bis in die BVP hinein hinter föderalistischen Argumenten auch sonstige, oft viel tiefer liegende Ablehnung zur Weimarer Republik mitschwamm. Auch wenn es eben wie so oft nicht nur schwarz und weiß, sondern auch Graustufen gab, kann man vereinfacht zwei Hauptströmungen unterscheiden. Diese waren in der Ablehnung des Weimarer Staates und in der Streitlust gegen seine Reichsregierung geeint, so unterschiedlich ihre sonstigen Ziele auch sein mochten. Neben den „militaristischen, nationalistischen und völkischen Kräften gegen den revolutionären und demokratischen Sozialismus, gegen die Erfüllung des Friedens von Versailles und gegen die bürgerliche Demokratie“ stand demnach über die Dauer der Ordnungszelle der „Konflikt zwischen bayerischem Föderalismus und

39 Vgl. Auerbach, Trommler, S. 67.

40 Vgl. Ay, Räterepublik, S. 17.

41 Das Programm der Bayerische Volkspartei von 1918 lässt zwar die Aufnahme und die Vertretung des

„gottgläubigen Judentums“ in der Partei zu und erinnert daran, „was das alttestamentarische Vorbild Hohes und Edles“ zum christlichen Glaubensschatz beisteuere, es geht aber gleichzeitig davon aus, dass „atheistische Elemente eines gewissen internationalen Judentums mit osteuropäischer Färbung“ schon seit dem Krieg die Volkswirtschaf unheilvoll beeinflussen würden und in der Revolution nach den Regierungen im Reich und seinen Ländern gegriffen hätten. Vgl. Pfeiffer, Gedankenwelten, S. 33.

42 Vgl. Prinz, Präludien, S. 38f.

43 Die Diskussion, ob sich bei den vielen Konflikten nun um einen tatsächlichen Streit um den Föderalismus oder in Wahrheit um einen Parteien- und Richtungsstreit handelte, fasste Thomas Lange in seiner Dissertation

anschaulich zusammen. Er schloss sich letzterer These an. Vgl. Lange, Bayern, S.9ff.

(24)

zentralistischer Reichsverfassung.“44 Diese Hauptinteressenslagen, das wird die vorliegende Arbeit noch bei vielen Gelegenheiten zeigen, gingen im Bayern der frühen 20er Jahre eine schicksalhafte Allianz ein. Dabei sollte langfristig der Wille zur bayerischen Eigenstaatlichkeit in einem Maße zum Verlierer dieses Bündnisses werden, das sich in der letztendlichen Gleichschaltung der Länder im Hitlerreich durch nichts anderes als dem so oft gefürchteten „finis bavariae“ auswirken sollte. Diese politische Großwetterlage schlug sich schon Anfang 1920 immer deutlicher in ständigem Konfliktpotential mit der Verfassung, dem Reich und den Befürwortern der Demokratie nieder.

Für die Regierung des Sozialdemokraten Johannes Hoffmann, ein Bündnis aus SPD, BVP und DDP, das noch unter dem Eindruck der Rätewirren am 31.Mai 1919 in Bamberg geschmiedet worden war,45 waren es nach nicht einmal einem Jahr ihres Bestehens sowohl in wirtschaftlicher wie auch in politischer Hinsicht Zeiten, die sie vor schier übermenschliche Aufgaben stellten. Hoffmanns Wunsch, dass eine Weimarer Koalition in Bayern genauso wie im Reich eine Beruhigung herbeiführen sollte,46 war unter diesen Umständen kaum erfüllbar. Ein Ende dieser erschöpften Regierung war abzusehen, ohne dass eine neue Regierung vorher ein Patentrezept für die Lösung der vielschichtigen Konfliktlagen hätte vorweisen müssen. Eine wesentliche Rolle für diesen Wechsel im Rahmen des neuen parlamentarischen Systems spielten nun, so wie die Verfassung es vorsah, die Parteien im Landtag. An ihnen war es gelegen, einen Regierungswechsel in diesen schwierigen Zeiten zu legitimieren oder nicht. Die politischen Kräfte, die im bayerischen Parlament dieser Zeit wirkten, seinen im nächsten Kapitel kurz skizziert.

2.2. Politische Kräfte zu Beginn der Ordnungszelle

Krieg und Revolution hatten nicht nur die Monarchie beendet, sondern auch die bayerische Parteienlandschaft durcheinandergewirbelt. Dies galt für die Konservativen ebenso wie für Demokraten, Nationalliberale oder Sozialdemokraten.

Die stärkste Partei des Landes war die Bayerische Volkspartei,47 welche unmittelbar nach der Revolution aus dem früheren bayerischen Zentrum hervorgegangen war. Obwohl das

44 Ay, Räterepublik, S. 11.

45 Vgl. Hennig, Hoffmann, S. 341.

46 Vgl. Zech, Verhältnis, S. 102.

47 Zur Geschichte der BVP im Zeitraum allgemein vgl. Schönhofen, Volkspartei. Vgl. ferner Speckner, Ordnungszelle; Altendorfer, Schäffer; Maga, Leicht.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Thomas Timmermann timmermt@uni-muenster.de. Mathematik f¨ ur

[r]

< B sind jeweils die normalen

Diejenigen Spieler deren Zahl am nächsten bei 2 3 des Mittelwertes aller gewählten Zahlen liegt, teilen den Gewinn gleichmäßig untereinander auf.. (a) Gibt es Zahlen 1 ≤ x ≤ K ,

Eine Antikette auf X ist eine Menge Y ⊆ X, so dass je zwei verschiedene Elemente aus Y unvergleichbar sind. Sei nun (X, ≤) ein endlicher vollständiger Verband und sei A die Menge

Oliver Schn¨ urer, Universit¨at Konstanz Wintersemester 2010/2011 Matthias Makowski.. Ubungen zur Vorlesung Lineare Algebra 1 ¨

Matthias Makowski, Universit¨ at Konstanz Sommersemester 2013 Martin Franzen. Ubungen zur Vorlesung Elementare Differentialgeometrie ¨