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Studien vor der Natur

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Studien vor der Natur

Weder nach romantischer noch nach klassisch-idealistischer Kunstauffassung kann die empirische Naturstudie Selbstzweck sein. Auch in Öl gemalt, ergibt sie kein vollgültiges Kunstwerk.

Das hat verschiedene Gründe. Nach klassischer Überzeugung ist bloße Naturnachahmung unkünstlerisch insofern, als erst die Reinigung des Naturyorbildes vom individuell Zufälligen nach einer entweder dem Künstler innewohnenden absoluten Idee oder nach einer durch Tradition geheiligten absoluten Kunst­

norm das Werk zum Begriff von Kunst erhebt. Das Studium der Natur gehört zwar zur Ausbildung des Künstlers, doch ist es von Anfang an sein Ziel, dieses Stadium des Vorläufigen hinter sich zu lassen und zur höchsten Gattung der Kunst, der exempla­

rischen Historie zu streben, in der die ideale Form dem absoluten Anspruch der dargestellten Handlung entspricht. Das Zusam­

menfallen von Norm und Form setzt einen mit objektivem Anspruch auftretenden Bezugspunkt voraus: den Herrscher, die Kirche, die organisierte Gesellschaft, einen diesen Institutionen dienenden Interessenvertreter. Die romantische Überzeugung hat in manchem noch Anteil an der klassischen, doch haben sich historisch bedingt die Gewichte verschoben: zugunsten der Verpflichtung der Natur gegenüber - komme sie nun im Gewand der Demut einher, mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder einem erklärt naturmystischen Wirklichkeitsverständnis bzw. einer Mischung aus allem zugunsten auch des Subjektes, das sich selbst der Natur gegenüber erfährt. Die Bindung an Herrscher, Kirche oder Gemeinschaft wird nicht mehr als norm­

gebend empfunden, damit verliert auch die Rangordnung der Gattungen mit der Historie an der Spitze an Bedeutung. Das Subjekt spiegelt sich in der Natur oder in der Vergangenheit und reflektiert die dabei gemachte Erfahrung, erwartet keine un­

mittelbare Handlungsanweisung für die Gegenwart mehr. Die verstärkte Konzentration auf die Naturphänomene ist Ausdruck erfahrener Naturentfremdung, Wunsch nach erneuter Versöh­

nung mit der Natur über die anschauende Aneignung. Die Fähig­

keit der anschauenden Aneignung ist, nach Überzeugung der Romantiker, dem Künstler in besonderem Maße gegeben. Für Friedrich Wilhelm Joseph Schelling steht die bildende Kunst »als ein tätiges Band zwischen der Seele und der Natur, und kann nur in der lebendigen Mitte zwischen beiden erfaßt werden«. Eine einseitige Konzentration auf die »Seele« werde leicht flach, eine bloße Naturnachahmung verfehle das Wesen des Dargestellten, liefere ein totes Naturbild. Die Wissenschaft, so Schelling, nähert sich der Natur in unendlichen Bemühungen, die Kunst kann im Sprung zum Ziel kommen. Sie greift das Wesen der Natur in der Hervorkehrung des Charakteristischen. Das vermag weder die

schöne Form allein noch »die leere Schale oder Begrenzung des Individuellen«. Die Kunst erkennt im Individuum das ewige Urbild, »und wer das Wesen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürchten, denn sie ist die Bedingung des Lebens«.

Der Künstler steigt ins einzelne hinab, ja scheut selbst die Pein der Form nicht, um das Wesen der Werke der Natur zu ent­

äußern. Diese Bemerkungen sind bei aller naturphilosophischen Fundierung auch auf ganz praktische Werkcharakteristika gerichtet. Härte und Strenge der Form, äußerste Konzentration auf die individuelle Erscheinung, um sie so zu durchdringen, Nachahmung als wissenschaftlicher, aber auch Wissenschaft überspringender Aneignungs- und Erkenntnisvorgang: Vor der Folie dieses Verständnisses erst wird eine Einschätzung der Naturstudien der Romantik möglich, und wird es sinnvoll, Nuancen zwischen Künstlern in Theorie und Praxis zu beschrei­

ben.

Als Johann Wolfgang von Goethe 1815 mit Luke Howards Wolkenterminologie bekannt wurde, schien das erste Mal ein lang entbehrter systematischer Zugriff auf die meteorologischen Phänomene möglich. Während ihm auf der zweiten Schweizreise 1779 vor allem durch Horace Benedict de Saussure die Geologie endgültig zur zentralen Wissenschaft wurde, konnte er mit den atmosphärischen Messungen des Schweizer Geologen nichts Rechtes anfangen, sie schienen kein anschauliches Korrelat zu haben, er konnte sie seiner Vorstellung vom Wirken der Natur nicht sinnvoll integrieren. Erst Howards Klassifizierung in Stratus, Cumulus, Cirrus und Nimbus schien ihm Gestalt, Gestalt- werdung und Veränderung in einen genetischen, meteorologisch konsequenten Zusammenhang zu bringen; zudem stand dieser Zusammenhang in Einklang mit Goethes letztlich mystisch­

kabbalistisch geprägten Vorstellung vom Wirken des Erdleibes.

Howard schenkte ihm den Himmel zurück, nachdem ihn die Säkularisierung der Aufklärung von allen himmlischen Heer­

scharen entvölkert hatte. Erst jetzt konnte der Himmel in all seinen Erscheinungsweisen wieder als ein Sprachbild im dichte­

rischen Kosmos dienen: Über die naturwissenschaftliche Er­

kenntnis schien er seine Harmonie wiedergewonnen zu haben.

Allein auf Grund dieser zentralen Funktion für sein Weltbild ist Goethes besonderes und langanhaltendes Interesse an dem bescheidenen englischen Forscher zu erklären. Nur so wird ein­

sichtig, warum Goethe sofort auf die Veranschaulichung der

neuen Erkenntnis im Bilde drängte. Von seinem Adlatus Johann

Heinrich Meyer bestärkt, wandte er sich bereits 1816 an Caspar

David Friedrich mit der Bitte um Wolkenbilder - und mußte eine

eindeutige Ablehnung hinnehmen. Friedrich schien es undenk-

Originalveröffentlichung in: Vitali, Christoph (Hrsg.): Ernste Spiele : der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790 - 1990, Stuttgart 1995, S. 463-466 u. Abb.

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bar, die W o l k e n in ein System z u z wä n g e n . Setzte sich das aus seiner Sicht mechanische Befolgen der neuen T y p o l o g i e durch, so m u ß t e dies zu einer R e v o l u t i o n in der Landschaftsmalerei führen. N i c h t das v o n der E m p f i n d u n g s w e i s e des Künstlers geprägte Bild w ü r d e der N a t u r ihre Seele geben, sondern eine v o r g e w u ß t e A b s t r a k t i o n w ü r d e ihre Erscheinung regeln, ihr d a m i t den A t e m rauben. Friedrich k o n n t e nicht a h n e n , d a ß es auch G o e t h e u m den A t e m der N a t u r ging u n d d a ß i h m die N a t u r w i s s e n s c h a f t nicht Selbstzweck, sondern Substitut der Wesenserkenntnis w a r , die Friedrich, nach d e m S t u d i u m der N a t u r i m Detail, im eigenen Ich a u f z u s p ü r e n u n d im W e r k zu entäußern suchte. Für Friedrich allerdings k a m das W e s e n der D i n g e nur z u m V o r s c h e i n , w e n n es, ganz in S e n d l i n g s Sinn, durch die H ä r t e u n d Strenge des künstlerischen Z u g r i f f s hervorgekehrt w ü r d e . A b e r die H ä r t e u n d Strenge der k ü n s t ­ lerischen F o r m entsteht nach romantischer Ü b e r z e u g u n g n u r im M o m e n t der Selbstkonzentration als der einzigen F o r m , eine A h n u n g v o m universalen Z u s a m m e n h a n g zu ermöglichen.

Z u d e m fungiert die H ä r t e und Strenge der künstlerischen F o r m in der Betrachtung des W e r k e s als R e z e p t i o n s v o r g a b e . I m W a h r ­ n e h m u n g s v o l l z u g erfüllt der Betrachter den v o m Künstler i m W e r k potentiell angelegten Sinn. D i e H o w a r d s c h e V o r g a b e hätte aus Friedrichs Sicht eben dies verhindert. Friedrichs Nebel im Elbtal (Tafel 388), u m 1 8 2 1 entstanden, ist als N a t u r s t u d i e , aber a u c h als christliche Allegorie, m i t diesseitigem V o r d e r g r u n d , d e m V e r w e i s auf irdische Nichtigkeit, u n d der aus d e m N e b e l auftauchenden A n d e u t u n g des entfernteren Jenseits als Ziel des z u k ü n f t i g e n , ewigen Lebens verstanden w o r d e n , eine Brücke fungiere als V e r b i n d u n g beider Sphären. W i r halten es auch hier mit Schelling, der sagt, jedes w a h r e K u n s t w e r k sei »einer unendlichen A u s l e g u n g fähig«, » w o b e i m a n d o c h nie sagen k a n n , o b diese Unendlichkeit im Künstler selbst gelegen habe, oder aber bloß im K u n s t w e r k liege.« Spezifischer w ü r d e n w i r allerdings meinen, daß diese tendenzielle Sinnoffenheit b e s o n ­ deres C h a r a k t e r i s t i k u m des romantischen K u n s t w e r k e s ist.

Besonderes Kennzeichen deswegen, weil das r o m a n t i s c h e K u n s t w e r k seiner N a t u r nach, d.h. seiner künstlerischen A n l a g e nach »vieldeutig orakelt«. M a n m a g die D i n g e in Friedrichs Bild - belaubten, unbelaubten B a u m , Brücke, v o m M e n s c h e n erzeugten R a u c h u n d m o r g e n d l i c h e n Nebel - zeichenhaft lesen, das Bild läßt die D e u t u n g zu, aber diese L e k t ü r e ist nicht die D e u t u n g des Bildes. Es fordert vielmehr eine Einstellung heraus, die Erfahrungs- u n d D e u t u n g s m ö g l i c h k e i t e n eröffnet. Es tut dies, i n d e m es i m Gegensatz zu jedem klassischen Bild vorsichtig, aber m e h r m a l s und d a m i t eindeutig, die vertikale Mittelachse betont. D e r O r t der durch die Strahlen ahnbaren Sonne, die größte H ö h e des H ü g e l s , v o r allem aber der einzige klare Einschnitt oder W i n k e l des Bildes, an d e m die G e b ä u d e k a n t e im M i t t e l g r u n d auf die Geländeverlaufslinie des V o r d e r g r u n d e s trifft - , sie alle liegen e x a k t auf der Mittelachse des Bildes.

D a d u r c h w i r d der Betrachter m i l d vor d e m Bilde fixiert, das o h n e

menschliche H a n d l u n g z w a r durch das Z i e h e n v o n R a u c h u n d Nebel nicht stillgestellt erscheint, aber d o c h , wieder m i t Schelling, trotz der D a r s t e l l u n g des A u g e n b l i c k s zugleich aus der Z e i t herausgehoben, reines Sein verkörpert. Eben dies versteht Schelling unter der H e r v o r k e h r u n g des Wesens der N a t u r . Erst w e n n das Bild über die H ä r t e und Strenge der F o r m das N a c h s i n n e n über den Z u s a m m e n h a n g der D i n g e in G a n g setzt, ist es in Friedrichs Sinn ein vollgültiges W e r k . Dieses N a c h s i n n e n ist jedoch nicht ein abstraktes Reflektieren, es vollzieht sich vielmehr i m Prozeß der A n s c h a u u n g selbst - oder besser: als A n s c h a u u n g . N u n ist es nicht so, d a ß v o n Friedrich keine reinen N a t u r s t u d i e n existierten, i m Gegenteil, aber sie sind g r u n d ­ sätzlich gezeichnet: B ä u m e , Felsen, Pflanzen u n d L a n d s c h a f t s ­ ausblicke, architektonische oder technische Details, zumeist auf den T a g genau datiert, m i t O r t s - , seltener m i t Färb- oder E n t f e r n u n g s a n g a b e n . D i e B ä u m e sind artenspezifisch genau wiedergegeben und zumeist früh i m J a h r a u f g e n o m m e n , so d a ß ihre A s t s t r u k t u r als ihr H a u p t c h a r a k t e r i s t i k u m n o c h deutlich e r k e n n b a r ist. D a s erinnert an A l e x a n d e r C o z e n s ' 1771 p u b ­ lizierte B a u m f o l g e , der es u m die W i e d e r g a b e v o n »Shape, Skeleton a n d Foliage« v o n 3 2 verschiedenen B a u m s o r t e n zu t u n ist, auch d o r t bleibt unter d e m Blätterkleid das Astskelett als S t r u k t u r m e r k m a l des B a u m e s sichtbar, als eine A r t A n s c h a u ­ ungsabstrakt. Friedrich gibt z u d e m n o c h in deutlich zeichne­

rischer A b s t u f u n g Licht u n d Schatten an. So ist die Z e i c h n u n g einer Eiche genaue N a t u r w i e d e r g a b e , aber auch strukturelle A n a l y s e als E r s c h e i n u n g s p h ä n o m e n u n d liefert d a m i t d e m Künstler ein W i s s e n , das unter W a h r u n g der Naturrichtigkeit die freie V e r w e n d u n g i m G e m ä l d e ermöglicht. Einige w e n i g e A u s n a h m e n v o n der Regel scheint es bei Friedrich d e n n o c h z u geben: In einem eng u m g r e n z t e n Z e i t r a u m , zwischen 1 8 2 0 u n d 1 8 2 4 hat Friedrich Ö l s t u d i e n gemalt, die nicht eigens einer bild­

m ä ß i g e n Gestaltung u n t e r w o r f e n w u r d e n und d a m i t auch o h n e V e r w e i s d i m e n s i o n blieben. Sie dürften nicht o h n e Einfluß v o n J o h a n n Christian Clausen D a h l entstanden sein. D a h l w a r 1818 nach D r e s d e n g e k o m m e n u n d hatte sich sogleich m i t Friedrich angefreundet. V o n 1 8 1 9 sind Naturstudien in Ö l aus der U m g e b u n g v o n Dresden überliefert. 1820/21 reiste D a h l nach Italien, im W i n t e r 1 8 2 0 / 2 1 malte Friedrich bei starkem Eisgang der Elbe nahsichtig Eisschollen u n d Eisabsplitterungen in kleinen Farbstudien, die i h m 1 8 2 3 / 2 4 unmittelbar als V o r b i l d für Die gescheiterte Hoffnung dienten; drei sind aus D a h l s N a c h l a ß u n d m i t seiner A u f s c h r i f t überliefert. Friedrich dürften bei diesem seltenen P h ä n o m e n bloße Z e i c h n u n g e n mit Farb­

angaben nicht genügt haben. F o r m u n d differenzierte Farbigkeit der Eisschollen hält er in Ö l s t u d i e n fest, wie sie für Pflanzen oder Gestein längst üblich w a r e n , u m für die Gestaltung des V o r d e r ­ grundes k o m p o n i e r t e r L a n d s c h a f t e n V e r w e n d u n g zu finden.

W e n n D a h l v o r seiner italienischen Reise durch den 1 8 1 6 aus Italien zurückgekehrten C h r i s t o p h e r W i l h e l m Eckersberg zu Ö l s t u d i e n angeregt w u r d e , so in Italien vor allem durch A c h i l l e

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N A T U R - U R S P R U N G U N D N E U B E G I N N 4 6 5

Etna M i c h a l l o n und Francois Granet. M i c h a l l o n , Schüler v o n Pierre-Henri de Valenciennes u n d Lehrer v o n C a m i l l e C o r o t hat hier sicher die wichtigere Mittlerrolle gespielt. D e n n sein Lehrer Valenciennes hat nicht nur selbst Ö l s t u d i e n gemalt, die auf die A t m o s p h ä r e und ihre V e r ä n d e r u n g u n d ihre W i r k u n g auf die Gegenstände besonderen W e r t legten, sondern er w a r der w i c h ­ tigste Betreiber eines Prix de R o m e für Landschaftsmalerei, bei d e m neben d e m k o m p o n i e r t e n großen Landschaftsbild auch eine Landschaftsölskizze eingereicht w e r d e n mußte. M i c h a l l o n g e w a n n 1 8 1 7 den ersten vergebenen Preis. D a m i t setzte eine Flut französischer Ölstudien ein. D e r erste deutsche Künstler, der darauf reagierte, scheint M a x i m i l i a n J o h a n n G e o r g v o n Dillis gewesen z u sein, der 1818 mit d e m bayerischen K r o n p r i n z e n in R o m weilte und hier seine Ö l s t u d i e n v o n der V i l l a M a l t a aus malte. Dillis folgte Valenciennes n o c h in anderer Hinsicht: in dessen Elemens ( 1 7 9 9 / 1 8 0 0 ) fand sich die E m p f e h l u n g sorg­

fältigen W o l k e n s t u d i u m s , und z w a r in F o r m v o n Z e i c h n u n g e n m i t Farbnotizen, u m die schnell sich ändernde W i t t e r u n g festhalten z u k ö n n e n . Gleich nach seiner Italienreise, zwischen 1819 u n d 1 8 2 4 , hat Dillis mehr als 150 W o l k e n z e i c h n u n g e n angefertigt, d o c h dürften sie auch andere Einflüsse verarbeiten.

L a n g e w a r m a n der M e i n u n g , Valenciennes' heute i m L o u v r e a u f b e w a h r t e Ölstudien insbesondere aus den 1780er J a h r e n seien durchgehend vor der N a t u r a u f g e n o m m e n . Bei den zu H u n d e r t e n erhaltenen Ö l s k i z z e n D a h l s ging m a n wie selbstver­

ständlich v o n der gleichen A n n a h m e aus. In beiden Fällen sind z u m i n d e s t teilweise Z w e i f e l angebracht. F o r m a t , freie M a l w e i s e und Bildträger - zumeist Pappe oder Papier auf Pappe - geben nicht unbedingt die G e w ä h r , daß die Studien angesichts der N a t u r entstanden sind. In vielen Fällen ist es auch d e n k b a r , d a ß ein kurzes zeichnerisches N o t a t zugrunde liegt, das unmittelbar d a n a c h im Atelier in skizzenhafte Malerei umgesetzt w u r d e . Dies w ü r d e erklären, w a r u m vielen Ö l s k i z z e n durchaus eine bildliche O r d n u n g eignet (Goldener Schnitt, M a ß - und M o t i v e n t s p r e c h ­ ung etc.). J a , m a n k a n n vermuten, d a ß den an sich nichtigen und flüchtigen B i l d m o t i v e n nur so Erscheinungsrecht zugesprochen werden k o n n t e . D e n n o c h sind die Ö l s t u d i e n auch bei einem Künstler w i e D a h l nicht Selbstzweck - in seinem »Liber veri- tatis« tauchen sie nicht als eigenständige, vollgültige Bilder a u f - auch er verschrieb sich zeitlebens der Forderung nach klassischer V o l l e n d u n g im offiziellen Landschaftsbild. Reine W o l k e n ­ studien setzen bei D a h l 1823 nach seiner Italienreise verstärkt ein (Tafel 3 8 9 , 390, 3 9 1 , 392). D a f ü r dürfte es zwei G r ü n d e geben. Z u m einen zog er in diesem J a h r direkt an die Elbe u n d lebte mit Friedrich in einer Hausgemeinschaft. D i e W o l k e n ­ studien k ö n n e n a m Fenster der W o h n u n g entstanden sein. Z u m anderen dürfte er v o n Carl G u s t a v Carus, der m i t ihm und Friedrich eng vertraut w a r , auf Goethes vollständige H o w a r d - A b h a n d l u n g hingewiesen w o r d e n sein, die 1 8 2 2 , bestehend aus drei Teilen - d e m A u f s a t z »Wolkengestalt nach H o w a r d « , d e m erweiterten G e d i c h t » H o w a r d s Ehrengedächtnis« und der G o e -

A b b . 1 C a r l Blechen, Studie ziehender Wolken

Staatliche M u s e e n z u Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett

thischen Ubersetzung v o n H o w a r d s Lebensbericht - im vierten H e f t des ersten Bandes v o n » Z u r Naturwissenschaft überhaupt«

erschienen w a r , v o n C a r u s sofort gelesen w u r d e und v o n ein­

schneidender Bedeutung gewesen ist. Carus unterbrach die A r b e i t an seinen Landschaftsbriefen für mehr als eineinhalb J a h r e und setzte erst Ende 1823 mit der A b f a s s u n g des sechsten Briefes wieder ein, der, sehr verkürzt gesagt, Abschied von der romantischen, naturmystischen, Friedrichschen Position n a h m zugunsten einer naturwissenschaftlicheren, d e m Goethischen Anschauungsbegriff entsprechenden G r u n d h a l t u n g . Seine Bilder vollziehen einen entsprechenden W a n d e l (387, 395). Allerdings w i r d nach w i e v o r , im Sinne Sendlings, der K u n s t die M ö g l i c h k e i t der eigentlichen Erfüllung des wissenschaftlichen A n s p r u c h s zugesprochen. D o c h nicht m e h r in einem allein intuitiven Sprung des Subjekts, sondern in der naturwissen­

schaftlich fundierten vertrauten A n s c h a u u n g der N a t u r , in einer ästhetischen Wissenschaftsschau, der neben G o e t h e vor allem A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t verpflichtet w a r . I m 7. Brief über Landschaftsmalerei, geschrieben 1824, geht C a r u s explizit auf Goethes » H o w a r d s Ehrengedächtnis« ein und prägt hier auch den Begriff der »Erdlebenbildkunst«, der die a b 1826 k o n ­ zipierten »Briefe über das Erdleben« prägen sollte, in denen C a r u s anstelle der romantischen Stimmungslandschaft eine gesetzmäßige Landschaftsauffassung propagiert, die neben der M e t e o r o l o g i e vor allem der Geologie verpflichtet ist. Erste K o n s e q u e n z e n einer geologischen Fundierung, die vor allem an geologischen Erdentstehungsmodellen interessiert ist, lassen sich in C a r u s ' Malerei ab 1 8 2 0 verfolgen.

So läßt sich bald nach 1 8 2 0 und verstärkt nach 1 8 2 2 in Fried­

richs U m k r e i s eine antisubjektivistische, auf objektive N a t u r ­ erfassung gerichtete, auf Naturgesetze pochende N a t u r a n s c h a u ­ ung konstatieren, die auch Friedrich nicht gänzlich unberührt lassen k o n n t e . 1824 malte er drei Ölskizzen - darunter den be­

r ü h m t e n M a n n h e i m e r Abend - , die für einen M o m e n t sich mit der »reinen« N a t u r a n e i g n u n g zufriedengeben. Friedrich m a r ­ kiert dies auch deutlich, nicht nur folgt er der Ö l s k i z z e n m a n i e r , i n d e m er, für sein W e r k sonst selbst bei kleineren Bildern u n g e w ö h n l i c h , in Ö l auf Pappe malt, sondern vor allem durch

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4 6 6 N A T U R - U R S P R U N G U N D N E U B E G I N N

die viel zu große, bei d e m M a n n h e i m e r Bild in den schmalen d u n k l e n Erdstreifen geritzte Tageszeitangabe u n d die genaue D a t i e r u n g » O c t o b e r 1 8 2 4 « . D a m i t bleiben die drei Bilder Studien. D o c h im Gegensatz z u m M a n n h e i m e r Bild, das zu neun Zehntel H i m m e l u n d einen schmalen violett-schwarzen, gä n z ­ lich undifferenzierten Erdstreifen zeigt, gibt die gleichermaßen bezeichnete Studie in Privatbesitz zwei Dresdener K i r c h e n wieder, w o b e i die H o f k i r c h e statt des Z w i e b e l t u r m e s einen gotischen T u r m h e l m b e k o m m t u n d die beiden T ü r m e so w i e v e r s c h w o m m e n e N a d e l n in den H i m m e l ragen. Selbst hier also k a n n Friedrich nicht auf interpretatorische H i n w e i s e verzichten.

1823 gerät noch ein weiterer Künstler unter den Einfluß v o n D a h l : Carl Blechen. Er besuchte D a h l und w o h l auch Friedrich in diesem J a h r in Dresden. Eine Reihe v o n reinen W o l k e n s t u d i e n in Ö l auf Papier reflektiert unmittelbar die erfahrenen A n r e g u n g e n , d o c h sind sie n o c h nicht v o n d a u e r h a f t e m Einfluß. D e n n 1824 w i r d Blechen auf Karl Friedrich Schinkels E m p f e h l u n g hin D e k o ­ rationsmaler a m Königstädtischen Theater in Berlin. Diese T ä t i g k e i t färbt auf seine Bilder a b , er bevorzugt eine theatra­

lische S c h a u e r r o m a n t i k , an literarischen V o r b i l d e r n orientiert u n d o f f e n b a r d e m P u b l i k u m s g e s c h m a c k e n t g e g e n k o m m e n d , aber auch einer eigenen düsteren N e i g u n g folgend. U n t e r s c h w e l ­ lig bleibt allerdings ein realistischer A n s p r u c h erhalten, der nach der A u f k ü n d i g u n g der Theatertätigkeit in der Z e i t der V o r ­ bereitung und w ä h r e n d der italienischen Reise 1 8 2 8 / 2 9 sich durchsetzt. D i e Serie der italienischen W o l k e n s t u d i e n (Tafel 3 9 3 , 394; A b b . i ) , die an gewagter Farbigkeit und freier, zügiger M a l w e i s e D a h l noch übertreffen u n d sich gelegentlich schon m i t flüchtigen, aber ungemein treffenden A n d e u t u n g e n zufrieden­

geben, häufig auch mit G e g e n l i c h t p h ä n o m e n e n arbeiten, berei­

ten seine offiziellen italienischen L a n d s c h a f t e n v o r , die aus heutiger Sicht durchaus nicht auf k o n v e n t i o n e l l e Staffage oder R a h m u n g verzichten, v o n der zeitgenössischen K r i t i k aber, w a s die grelle Farbigkeit und die skizzenhafte M a l w e i s e angeht, als V e r s t o ß gegen alle Kunstregeln gewertet w u r d e n . In einer Kritik z u seinem Nachmittag auf Capri ( 1 8 3 2 ) heißt es, v o r lauter Sonnenhelle sei die W i r k u n g seines Bildes schreiend, es sehe aus, als s t a m m e es v o n einem H i r n v e r b r a n n t e n , das G a n z e k o m m e d e m Betrachter v o r »wie eine m i t trübroten u n d bläulichen Ingredienzen angelaufene L a u g e « . D o c h auch schon v o r der italienischen Lichterfahrung w a r Blechen in der Lage, den N a t u r p h ä n o m e n e n Gerechtigkeit widerfahren z u lassen. Eine deutlich und stolz 1828 signierte u n d datierte Felsstudie, w o h l fälschlich Kreidefelsen auf Rügen (Tafel 4 0 4 ) genannt auf G r u n d einer für 1 8 2 8 a n g e n o m m e n e n Rügenreise, ist v o n großer Direktheit, verzichtet auf jede anekdotische oder nobilitierende Z u t a t u n d beschränkt sich auf zwei T o n a b s t u f u n g e n , v o n braun zu gelbweiß für die Felsen, und v o n grau zu s c h w a c h blau für den H i m m e l s a u s s c h n i t t . Der Felsen, Kreide oder K a l k , ist als P h ä n o ­ m e n u n d in seiner geologischen Struktur überzeugend wieder­

gegeben. Blechen schließt sich d a m i t an eine T r a d i t i o n an, die

v o n den geologisch g e n a u e n Illustrationen zu H u m b o l d t s Reisen ausgeht, bei denen Z e i c h n e r , M a l e r u n d Stecher nach H u m b o l d t s eigenen E n t w ü r f e n in der H e r v o r k e h r u n g struktu­

reller M e r k m a l e nicht nur das Charakteristische, sondern d u r c h ­ aus n o c h in romantischer T r a d i t i o n das W e s e n einer L a n d s c h a f t erfassen sollten. H u m b o l d t erhoffte sich v o n diesen Arbeiten die B e g r ü n d u n g einer neuen L a n d s c h a f t s k u n s t , v o n der allein er n o c h erwartete, d a ß die verlorene G a n z h e i t der N a t u r ästhetisch wieder z u m V o r s c h e i n gebracht w ü r d e . D i e E n t w i c k l u n g führte in der deutschen K u n s t zu C a r u s ' Ansichten der Fingalschen H ö h l e auf der Hebrideninsel Staffa, an die sich nicht n u r mythische V o r s t e l l u n g e n , sondern auch geologische Ursprungs­

theorien k n ü p f t e n . C a r u s , der 1 8 2 0 bereits unter G o e t h e s Beifall die säulenförmigen Basaltberge bei Z i t t a u gemalt hatte, be­

gründete w i e d e r u m eine T r a d i t i o n v o n i h m so genannter »geog- nostischer L a n d s c h a f t e n « , die in der deutschen K u n s t N a c h f o l g e n o c h bei C a r l R o t t m a n n u m 1 8 5 0 fand. R o m a n t i s c h e s u n d Naturwissenschaftliches v e r b a n d e n sich im v o n G o e t h e u n d Friedrich Schiller schon in den 1790er J a h r e n untersuchten"

Begriff des » Charakteristischen «.

W e r n e r Busch

(5)

387

Carl Gustav Carus Morgennebel, um 1825 Katalog 100

(6)

389

Johan Christian Dahl

Wolkenstudie mit Gipfel des Vesuvs, 1820 Katalog 118

(7)

390

Johan Christian Dahl

Studie von treibenden Wolken, 1835 Katalog 116

(8)

391

Johan Christian Dahl Wolkenstudie, o.J.

Katalog 117

3 9 2

Johan Christian Dahl

Wolkenstudie über der Elbe mit Katalog 119

(9)

393

Carl Blechen Nachtbild (Wolkenstudie), o.J.

Katalog 6 3

394 Carl Blechen

Violeft und blau getönte Wolken, o Katalog 7 0

(10)

395

Carl Gustav Carus

Abendwolken über dem Riesengebirge, 1850 Katalog 89

(11)

404 Carl Blechen

Kreidefelsen auf Rügen, 1828 Katalog 6 0

Referenzen

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