V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1114. März 2003 AA721
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ie Geschichte taugt zum Kunst- und Künstlerrät- sel. Als der Schriftsteller Oscar A. H. Schmitz ihr von seiner Analyseerfahrung bei Carl Gustav Jung erzählte, ka- men sie auf das Zeichnen zu sprechen, das der Analytiker verordnet hatte. „Was aber dann, wenn man nicht zeich- nen kann?“ – „Das ist egal.Man muss es eben nur tun, egal, was dabei heraus- kommt.“ Als er der jungen Frau seine Zeichnungen zeig- te, sagte sie: „Das kann ich auch!“ – und begann im Alter von 37 Jahren zu zeichnen. Es war zunächst der Wunsch, Träume und „Gesichte“ aus ihrer Vorstellungswelt festzu- halten. „Nicht ich zeichne. Es zeichnet!“ hat sie einmal ge- sagt.
Kurz vor seinem Tode zeig- te Oscar A. H. Schmitz ihre Arbeiten einem berühmten Zeichner und Illustrator. 1932 lernt sie diesen kennen, kurz darauf werden sie ein Liebes- paar. In der Korrespondenz zwischen den Treffen – beide waren und blieben verheira- tet – nannte sie ihn oft zärtlich
„Ali, mein Schimmelhengst“, sie selber war Fatme, die Schimmelstute. Ali war die Abkürzung seiner drei Vor- namen. Allerdings warnte der Künstler sie vor dem „Gegen- ali“, einer bösartigen Schin-
dermähre, die gleichsam seine Schattenseite darstelle. Als seine Frau ihn vor die Wahl stellt, sich zwischen ihr und seiner Geliebten zu entschei- den, bleibt er bei seiner Frau.
Die Geliebte verlässt ge- schockt sein Haus und be- ginnt von da an fieberhaft zu zeichnen. Ihre Gefühle schwanken noch lange zwi- schen Hoffnung auf Wieder- herstellung ihrer Liebe sowie
Wut und Depression. Das hier vorgestellte Bild ent- stand viele Jahre später und zeigt einen Hengst und eine Stute in einer Traumland- schaft. Übergroß wie ihre (einstige) Liebe sind die bei- den Pferde, die Kopf an Kopf wie große Felsen hinter ei- nem kleinen Gehöft liegen.
Eine dicke Lage Striche um- fängt die Szene und schirmt das Liebespaar gegen den
Rest der Welt ab. Für Jahr- zehnte war es eine nur Einge- weihten bekannte Liebes- geschichte, ein Geheimnis.
Wer war es?
Alfred Leopold Isidor Ku- bin (1877 bis 1959) war Ali, Emmi Haesele (1894 bis 1987) war Fatme. Heute ist der Kokon der Zeichnung aufgebrochen, die Liebesge- schichte ist Teil der Kunstge- schichte(n). Hartmut Kraft
Kunst und Psyche
„Ali, mein
Schimmelhengst“
„Traumlandschaft“ (1942), schwarze Tusche auf Papier, 31,7 cm x 39 cm
Foto:Eberhard Hahne
Biografie Emmi Haesele:
Geboren 1894 in Wien. Durch Anregung von Oscar A. H. Schmitz beginnt sie 1931 zu zeichnen. 1932 lernt sie Alfred Kubin kennen, bald darauf sind sie bis 1936 ein Liebespaar. Unterbrochen durch den Krieg, beginnt sie 1947 wieder intensiv zu zeich- nen, eine erste Ausstellung erfolgt 1948 in Linz. Zunehmende Anerkennung als Künstlerin. Gestorben 1987 in Bad Leon- felden.
Literatur
Emmi Haesele. Katalog der Galerie Altnö- der, Salzburg 1989.
Wally W: Emmi Haesele 1894–1987. Le- ben und Werk. Niederösterreichisches Do- kumentationszentrum für moderne Kunst und Galerie Altnöder (Salzburg), St. Pölten 1993.
S
taraufgebot mit ernster Note in der Deutschen Oper Berlin. Bei der all- jährlich festlichen Gala der Deutschen Aids-Stiftung be- klagte Hausherr Udo Zim- mermann „Entfremdung, Ver- dinglichung, Missachtung der Nächstenliebe, Terror und Gewalt“. Das Berliner Publi- kum feierte die Ohrwurm- Präsentatoren – allen voran Thomas Quasthoff, der das„Lied an den Abendstern“
aus „Tannhäuser“ geradezu himmlisch gestaltete. Ovatio- nen auch für Violeta Urmana und ihre „Maskenball“-Arie, für Alberto Cupido und seinen siegesbewusst strah- lenden Schlusston von „Nes- sun dorma!“ und Maria Zam- pieris kühn vorgetragenes Glanzstück „Ebben, ne and- rò“ aus Catalanis selten zu hörender „La Wally“. Über- raschung des Abends: die Baltsa – im tizianroten Haar
mit Handmikro. Sie interpre- tierte nuancenreich ein ideen- armes Schnulzen-Chanson von Mikis Theodorakis.
Zum letzten Mal moderier- te Vicco von Bülow den Abend: Noch einmal nahm er die Gewerkschaft ver.di als Verdi-Promoter aufs Korn, empfahl verfremdungssüchti- gen „heutigen Ausstattern“
(lauter Beifall) die originalen Bühnenbild-Anweisungen der Libretti und erklärte der
Spaßgesellschaft, dies Land sei gewiss „kein Land des Lächelns“. In einer kurzen fundierten Rede wandte sich Jürgen E. Schrempp, der Vor- sitzende der „Global Busi- ness Coalition on HIV/Aids“
(und DaimlerChrysler-Vor- standsvorsitzende), an das Nobelpublikum und rief zu einer „gemeinsamen Offen- sive“ gegen die neue Geißel der Menschheit auf: „Wäh- rend meiner Rede haben sich 100 Menschen neu infiziert, 70 starben – und Kinder in 50 Familien verloren ihre El- tern.“
Spenden an die Aids-Stiftung:
WestLB Köln, Konto 4 000, BLZ 370 500 00. Bernd Juds