Schamanismus
Jenseits simpler Stereotypen
Bernhard Wörrle: Heiler, Rituale und Patienten. Schamanismus in den Anden Ecuadors. Dietrich Reimer Verlag, Berlin, 2002, 408 Seiten, 100 SW-Abbildungen, kartoniert, 30 A
Schamanismus ist ein Thema, das in den letzten Jahren auch in unseren Breiten zu- nehmend an Interesse ge- wonnen hat – bei medizini- schen Laien und Patienten wie auch bei Ärzten. Auf dem Buchmarkt drückt sich das in einer stetig wachsen- den Zahl neuer oder wieder aufgelegter Bücher aus, die der Leserschaft in ihrer Mehrzahl eine praxisorien- tierte Einführung in schama- nisches Wissen und Techni- ken vermitteln wollen. Scha- manismus wird dabei gerne
als das älteste Heilsystem der Menschheit idealisiert, wel- ches sich in exotischen, von der westlichen Zivilisation (noch) nicht erreichten Re- gionen dieser Welt – wie dem Himalaja, Sibirien, den An- den oder Amazonien – bis heute erhalten habe.
Einen anderen Zugang zu diesem Thema vermittelt der Ethnologe Bernhard Wörrle in seinem Buch über die Schamanen aus einem „Hei-
lerdorf“ bei Otavalo, im Nor- den von Ecuador. Während einer einjährigen Feldfor- schung untersuchte er, wie die traditionellen indiani- schen „Heiler“ heute leben und arbeiten. In einem auch für Nicht-Ethnologen an- genehm lesbaren Stil be- schreibt Wörrle den Schama- nismus als eine lebendige soziale Praxis zur Bewälti- gung von Krankheit und diversen anderen Arten von Unglück. Es gelingt ihm, jenseits simpler Stereotypen ein differenziertes Bild der traditionellen Medizin in diesem auch bei deutschen Touristen beliebten Teil der Anden zu zeichnen und dabei die verschiedenen Dimen- sionen des Phänomens – von der indianischen Kosmologie über die Rituale bis hin zum Pragmatismus der verschie- denen Akteure und zum sozialen und kulturellen Wan- del – schlüssig miteinander in
Beziehung zu setzen. Auch die einschlägige ethnolo- gische Literatur zum Thema wird ausführlich rezipiert.
Für alle jene, die sich für Schamanismus als ein soziales und kulturelles Phänomen der Gegenwart interessieren, bie- tet dieses Buch eine anregen- de Lektüre. Michael Knipper
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 51–5222. Dezember 2003 AA3375
B Ü C H E R
Medizingeschichte
Wirksames Marketing
Jens-Uwe Teichler: „Der Charla- tan strebt nicht nach Wahrheit, er verlangt nur nach Geld“. Zur Auseinandersetzung zwischen naturwissenschaftlicher Medizin und Laienmedizin im deutschen Kaiserreich am Beispiel von Hyp- notismus und Heilmagnetismus.
Medizin, Gesellschaft und Ge- schichte, Beiheft 18, Franz Steiner Verlag, Stuttgart, 2002, 233 Seiten, 16 Abbildungen, kartoniert, 34 A
Im ausgehenden 19. und be- ginnenden 20. Jahrhundert konnte die naturwissen- schaftlich fundierte Medizin beachtliche Erfolge in Grundlagenforschung und Diagnose verzeichnen. Kon- terkariert wurde diese Ent- wicklung durch eine steigen- de Zahl von Laienmedizi- nern, die nach der Freigabe der Heilkunde in der Reichs- gewerbeordnung 1871 den Ärzten mit alternativen Heilmethoden zunehmend Konkurrenz machten.
Zu den beliebtesten die- ser Heilmethoden gehörte neben Naturheilkunde und Homöopathie der Heilma- gnetismus, dem Jens-Uwe Teichler erstmals eine aus- führliche, nüchtern analysie- rende Studie widmet. Auf breiter Quellengrundlage stellt er zunächst die Ent- wicklung des Hypnotismus durch schulmedizinisch ge- prägte Ärzte dar, nimmt dann die praktizierenden Laienmediziner, ihre Patien- ten und ihre Berufsorganisa- tionen in den Blick, um schließlich den Konflikt zwi- schen Ärzteschaft und Heil- magnetiseuren als Beispiel für die Auseinandersetzung zwischen Ärzteschaft und Laienmedizinern im Kaiser- reich zu untersuchen.
Den Heilmagnetiseuren gelang es, ihre Heilmethode äußerst werbewirksam zu vermarkten. Ihre öffentli- chen hypnotischen Experi- mente provozierten heftige Anfeindungen seitens der Ärzteschaft. Die wenigen Ärzte, die sich selbst der Hyp-
nose bedienten, wirkten nicht mäßigend auf den Kon- flikt zwischen Ärzteschaft und Heilmagnetiseuren ein.
Im Gegenteil nahmen sie ak- tiv am Kampf der Ärzte- schaft gegen das „Kurpfu- schertum“ teil. Unterstüt- zung erhielt die Ärzteschaft durch den Staat, der den Ak- tionsradius der Nichtappro- bierten einzuengen versuch- te. Die Laienmediziner wie- derum wussten einen großen Teil der öffentlichen Mei- nung hinter sich, die die me- dizin- und ärztekritischen Parolen der Laienmediziner gerne aufgriff. Der Rückhalt in der Öffentlichkeit, die Zu- sammenschlüsse der Laien- mediziner in Berufs- und Interessenverbänden und ihre Unterstützung durch mitgliederstarke und streit- bare Laienorganisationen bewahrten den Laienmedizi- nern ihre Existenzgrundla- ge. Ein gesetzliches Verbot der Laienpraxis, das sich die Ärzteschaft wünschte, er- wies sich als politisch nicht durchsetzbar. Cornelia Regin
Polizei
Blick hinter die Kulissen
Patrick Bierther, Annika Fischer, Stefanie Bisping, Stefan Nink (Fotos von Jochen Tack): 110.
Reportagen aus dem modernen Polizeialltag. Klartext Verlagsge- sellschaft mbH, Essen, 2003, 226 Seiten, Großformat 29,7 × 21 cm (DIN A 4 quer), zahlreiche Fotos, Hardcover, 29,90 A
Polizeiinspektion, Flieger- staffel, Wasserschutzpolizei, Spezialeinsatzkommandos, Auslandeinsätze – der Text- und Bildband deckt fast alle Bereiche der Polizeiarbeit ab.
Über mehrere Monate haben vier Journalisten und ein Fotograf Polizeibeamte in verschiedenen Abteilungen und Dienstgruppen Nord- rhein-Westfalens bei ihrer täglichen Arbeit begleitet.
Ebenso wurde die Ausbil- dung für den Polizeialltag be- leuchtet.
Der Blick hinter die Ku- lissen ist spannend, aber nicht sensationslüstern, kurzweilig, aber nicht oberflächlich. Die Schilderung von wahren Be- gebenheiten, die Gesprächs- aufzeichnungen zwischen Beamten und Tätern, Inter- views mit Polizisten und die beeindruckenden Fotos machen das Buch besonders für Außenstehende lesens- wert. Nicole Bertelsmann