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Archiv "Praxistaugliche Vorausverfügungen" (24.01.2014)

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48 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 4

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24. Januar 2014

M E D I Z I N

EDITORIAL

Praxistaugliche Vorausverfügungen

Florian Steger

Editorial zum Beitrag:

„Patienten - verfügungs - programm:

Implementierung in Senioren - einrichtungen“

von Jürgen in der Schmitten und Koautoren auf den folgenden Seiten

„Advance Care Planning“-Programm

Jürgen in der Schmitten und Koautoren konstatieren in ihrer Arbeit (1), die Patientenverfügung habe in den letzten 40 Jahren den Praxistest weder konzep- tionell noch empirisch bestanden, sie sei vielmehr gescheitert. Das ist in der Sache hart, de facto aber durchaus richtig. Es deckt sich auch mit eigenen Er- fahrungen in der Beratungspraxis zu Patientenverfü- gungen.

Die Autoren (1) machen sich deshalb für das seit den 1990er Jahren entwickelte Advance Care Plan- ning (ACP) als Alternative stark. ACP beschreibt ei- ne Gesundheitsvorausplanung als einen das gesamte Leben begleitenden Prozess, der verbunden ist mit einer professionellen Gesprächsbegleitung und die Verfügbarkeit und Umsetzung praxistauglicher Pa- tientenverfügungen sicherstellt.

Mit den Ergebnissen ihrer prospektiven inter - regional kontrollierten nichtrandomisierten Inter - ventionsstudie zeigen die Autoren die Effekte der Implementierung eines von ihnen für Seniorenein- richtungen in Deutschland entwickelten und durch- geführten regionalen ACP-Programms auf. Die In- tervention umfasste:

professionell begleitende Gespräche zur Erstel- lung entscheidungsrelevanter Vorausverfügun- gen auf einheitlichen Formularen

eine intensive Schulung nichtärztlicher Ge- sprächsbegleiter

eine Fortbildung kooperierender Hausärzte

eine Informationsveranstaltung für Pflegende der Senioreneinrichtungen.

Damit legen Jürgen in der Schmitten und Koauto- ren ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsvo- rausplanung vor und überprüfen deren Bedeutung im regionalen Praxistest: Die Vorausverfügungen der Interventionsregion wurden denen der Kontrollregi- on hinsichtlich Vorkommen, Aussagekraft und Vali- dität gegenübergestellt. Dazu wurden die Vorausver- fügungen (Patienten- und Vertreterverfügungen) von 136 Bewohnern aus drei Interventionseinrichtungen mit denen von 439 Bewohnern aus zehn Kontrollein- richtungen verglichen.

Der Beobachtungszeitraum umfasste mit 16,5 Mo- naten einen angemessenen Zeitrahmen, um Aussagen über praxistaugliche Vorausverfügungen treffen zu können. Gleiches gilt für die beschriebene Stichpro- be. In diesem zeitlichen Rahmen erstellten in der In- terventionsgruppe 49 (36 %) Bewohner neue Voraus- verfügungen, davon 30 Vertreterverfügungen, versus 18 (4,1 %) in der Kontrollgruppe, darunter 10 Vertre-

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eder Mensch möchte seinen Willen selbst durch- setzen. Und wenn er dazu nicht mehr in der Lage ist, möchte er ihn von einem anderen Menschen umge- setzt wissen. Dies gilt auch im Rahmen der gesundheit- lichen Vorausplanung (Advance Care Planning) für den Fall künftiger Nichteinwilligungsfähigkeit – einem Thema, mit dem sich Jürgen in der Schmitten und Ko- autoren in dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes befassen (1).

Viele offene Fragen

Wie kann die gesundheitliche Vorausplanung in der Praxis gelingen? Welche Schritte sollten vorsorglich eingeleitet werden? Erfahrungen aus der Praxis lehren uns, dass ein Gesetz oder formalisierte Handlungsan- weisungen nicht ohne Weiteres für Handlungssicher- heit sorgen. Möglicherweise ist eine Wertanamnese hilfreich, um zu erfahren, was der Patient de facto will (2). Dann gilt es aber zu fragen, wer eine solche Anam- nese überhaupt erheben kann. Wer ist für die gesund- heitliche Vorausplanung gut genug fortgebildet, und gibt es überhaupt ein strukturiertes Fortbildungsange- bot? Nicht zuletzt ist zu klären, ob sich der damit ver- bundene – auch zeitliche – Aufwand rechtfertigen lässt, und ob wir hierfür überhaupt Ressourcen haben bezie- hungsweise diese einsetzen sollen.

Wahrung der Selbstbestimmung

In Deutschland ist die Wahrung der Selbstbestimmung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich in den Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung getreten.

Das informierte Einverständnis („informed consent“) ist die Bedingung (3) und die informierte Partizipation ist zur goldenen Richtschnur ärztlichen Handelns ge- worden. Wichtig ist hierbei, die Patienten zunächst umfassend über die Partizipationsoptionen zu infor- mieren; erst dann ist eine informierte Partizipation möglich (4, 5).

Der Gesetzgeber hat 2008 in Deutschland mit Re- geln zur Patientenverfügung einen gesetzlichen Rah- men geschaffen, der für eine gewisse Handlungssicher- heit in der Situation der Nichteinwilligungsfähigkeit bei künftigen gesundheitlichen Risiken sorgen soll (6).

Die alltäglichen Erfahrungen in der Umsetzung von Pa- tientenverfügungen zeigen allerdings großen Hand- lungsbedarf in der gesundheitlichen Vorsorgeplanung.

Dies wird einmal mehr bestätigt durch den konkreten Bedarf an einer Ethikberatung hinsichtlich der Interpre- tation von Patientenverfügungen. Dabei sind vor allem Fragen nach der Verfügbarkeit, Aussagekraft, Validität und Umsetzung einer Patientenverfügung relevant.

Institut für Geschichte und Ethik

der Medizin, Medizinische Fakultät der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg:

Prof. Dr. phil. Steger

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terverfügungen. Vertreter wurden benannt in 94,7 % versus 50,0 % der Fälle. Verfügungen durch Dritte wurden in 95,9 % versus 77,8 % beziehungsweise von einem Arzt in 93,9 % versus 16,7 % der Fälle unterzeichnet. Einen Notfallbogen gab es bei 98,0 % versus 44,4 % der Fälle. Die Frage nach einem Re- animationsversuch wurde in 95,9 % versus 38,9 % der Fälle geklärt.

In der Interventionsgruppe gingen dem Entwurf der neuen Vorausverfügungen pro Senior(in) 2,5-mal begleitende Gespräche von 100 Minuten voraus.

Dies ist ein nicht zu unterschätzender zeitlicher Auf- wand, der erst einmal aufgebracht werden muss. Zu- dem ist die Frage zu diskutieren, wie sich die Bera- tung auf der Handlungsebene auswirkt.

Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass die Autoren eben diesen Aufwand für die regionale Implementie- rung des ACP-Programms (Schulung, Training) und dessen Durchführung (Gesprächsdauer) thematisie- ren. Dabei wägen sie den Aufwand gegen den ideel- len Nutzen der Bewohner von Senioreneinrichtun- gen, Betreuer, Pflegenden und Ärzte sowie gegen- über der Ressourceneinsparung ab, die durch die frühzeitige Klärung des vorausverfügten Willens er- folgt.

Praxiseinsatz ausweiten

Besonders hervorzuheben ist, dass die Autoren mit ihrer Studie international erstmals Ergebnisse zur Ef- fektivität der Implementierung eines regionalen ACP-Programms vorstellen. Dabei liegt der Fokus der Intervention nicht auf der Institution, sondern auf der Region. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass durch die Intervention deutlich mehr Vorausver- fügungen als bisher verfasst wurden, und die Verfü- gungen eine deutlich höhere Aussagekraft und Vali- dität haben. Dies macht Mut, die Interventionen auch in anderen Regionen einzusetzen – selbst in Anbe- tracht des damit verbundenen Aufwands.

Die Schlussfolgerung der Autoren, dass die Imple- mentierung des ACP-Programms in Senioreneinrich- tungen im regionalen Vergleich häufiger zur Erstel- lung handlungsleitender Vorausverfügungen führt, bestärkt darin, das Programm auch in anderen Regio- nen einzuführen und einem weiteren Praxistest zu unterziehen.

In der Tat kann durch den weiteren Einsatz des ACP-Programms und eine Evaluation der Effekte die Beantwortung der Frage nach den Auswirkungen auf die Versorgungsrealität angegangen werden. Die hier publizierten Ergebnisse rechtfertigen einen solchen weiteren Praxiseinsatz. Sie werden dazu beitragen können, mittelfristig die Frage zu klären, welche Ressourcen durch ein ACP-Programm in Anspruch genommen und welche dafür an anderer Stelle einge- spart werden können.

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

LITERATUR

1. in der Schmitten J, Lex KM, Mellert C, Rothärmel S, Wegscheider K, Marckmann G: Implementing an advance care planning program in German nursing homes: results of an inter-regionally controlled intervention trial. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 50–7.

2. Sass HM: Patientenverfügungen: Werte, Wünsche und Ängste.

Dtsch Arztebl 2009; 106(47): A-2358.

3. Faden RR, Beauchamp TL: A History and theory of informed consent. New York: Oxford University Press 1986.

4. Strube W, Steger F: Patient autonomy and informed consent—

individual preferences of senior study participants in Germany.

Wien: Klin Wochenschr 2012; 124: 384–90.

5. Wear S: Informed consent: patient autonomy and physician beneficence within clinical medicine. Amsterdam,Netherlands:

Springer 2010.

6. Wiesing U, Jox RJ, Hessler HJ, Borasio GD: A new law on ad vance directives in Germany. J Med Ethics 2010; 36: 779–83.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. phil. Florian Steger

Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Medizinische Fakultät

der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Magdeburger Straße 8

06112 Halle (Saale)

florian.steger@medizin.uni-halle.de

Englischer Titel: Patient advance directives in practice

Zitierweise

Steger F: Patient advance directives in practice.

Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 48–9. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0048

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The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

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