Deutsches Ärzteblatt
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13. September 2013 A 1683 AKUTE CHOLEZYSTITISDie frühzeitige Operation ist dem konservativen Vorgehen überlegen
Kontroverse gelöst: Die deutsche ACDC-Studie belegt, dass die laparoskopische Cholezystektomie innerhalb von 24 Stunden hinsichtlich Morbidität und
Kosten deutlich günstiger abschneidet als die primäre Antibiotikatherapie.
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ie akute Cholezystitis gehört mit jährlich mehr als 64 000 stationär und einer unbekannten An- zahl ambulant behandelter Fälle zum „Tagesgeschäft“ niedergelasse- ner und klinisch tätiger Ärzte. „Umso erstaunlicher ist es, dass die Evidenz- lage zur Therapie des Gallensteinlei- dens begrenzt ist“, kommentiert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), Prof. Dr.med. Joachim Jähne, noch in der Märzausgabe von „Der Chirurg“.
Vorgehen ohne Evidenz Zwar scheine eine frühe oder un- verzügliche Cholezystektomie Vor- teile gegenüber dem initial konser- vativen Vorgehen mit antibiotischer Therapie und Operation im Inter- vall zu haben. Aufgrund begrenzter Patientenzahlen und der Inhomoge- nität vorliegender Studien und Me- taanalysen gebe es jedoch noch kein
evidenzbasiertes Ergebnis. Auch in den internationalen Leitlinien wer- de die frühe Cholezystektomie fa- vorisiert, so Jähne damals.
Allerdings: Die European As - sociation of Endoscopic Surgery empfiehlt lediglich die Operation ohne zeitliche Angabe. Die Leitlinie der Society of American Gastroin- testinal Endoscopic Sur geons sieht Vorteile der frühen laparoskopischen Cholezystektomie innerhalb von 24 bis 72 Stunden nach der Diagnose.
Auch die Tokyo-Guidelines spre- chen sich für ein frühes operatives Vorgehen aus, differenzieren aller- dings zwischen den Verlaufsformen und haben bei den schweren Formen auch die perkutane Punktion in ih- rem Konzept.
Über die adäquate Therapie in der Frühphase wird daher seit Jahren hochgradig kontrovers diskutiert.
Während die Gastroenterologen ini-
tial meist eine antibiotische Thera- pie favorisieren, um die Patienten nach Rückgang der Symptome und Infektionszeichen der – häufig un- umgänglichen – Cholezystektomie im Intervall zuzuführen, liegt der chirurgische Ansatz in der frühzeiti- gen laparoskopischen Operation.
Ein interdisziplinäres deutsches Ärzteteam hat sich dieser Kontro- verse angenommen. Um die Praxis der Behandlung der akuten Chole- zystitis auf valide Daten stützen zu können, wurde 2006 unter der Leitung von Prof. Dr. Markus W.
Büchler, Universitätsklinikum Hei- delberg, die ACDC-Studie (Acute Cholecystitis – early laparoscopic surgery versus antibiotic therapy and Delayed elective Cholecys- tectomy) ins Leben gerufen. Hier- für wurden 618 Patienten (ASA I bis III) entweder innerhalb von 24 Stunden nach Krankenhausaufnah- Laparoskopische
Cholezystekto- mie: Die Gallenbla- se wird unter Dar- stellung des Calot- Dreiecks und Ab- bindung von Ductus cysticus und A. cys-
tica herauspräpa- riert und entfernt.
Foto: Mark Thomas/Science Photo Library/Agentur Focus
M E D I Z I N R E P O R T
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13. September 2013 me operiert (n = 304), oder sie er-hielten zunächst für mindestens 48 Stunden eine Antibiose mit Moxiflo- xacin (400 mg einmal täglich i. v.), gefolgt von einer elektiven laparo- skopischen Cholezystektomie zwi- schen Tag sieben und 45 (n = 314).
Primärer Endpunkt der Studie war die Morbidität 75 Tage nach Studien- einschluss. Als sekundäre Endpunkte wurden festgelegt: ein vordefinierter Morbiditäts-Score (Trials 2007; 8:
29) am 75. Tag, die Konversionsrate, Wechsel der Antibiotikatherapie we- gen mangelnder Wirksamkeit oder Verträglichkeit von Moxifloxacin, Mortalität nach 75 Tagen, Dauer der Hospitalisierung (gesamt und post- operativ) sowie die Kosteneffektivi- tät der Behandlungsregime.
Morbidität deutlich verringert Wie Erstautor Prof. Dr. med. Cars- ten N. Gutt, inzwischen Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Visce- ral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie am Klinikum Memmingen, in den Annals of Surgery berichtet (2013;
258 (3): 385–93 / doi: 10.1097/
SLA.0b013e3182a1599b), war die Morbidität bei frühzeitiger Operati- on signifikant niedriger (11,8 Pro- zent) als bei zunächst konservativem Vorgehen (34,4 Prozent). Dem ge - genüber unterschied sich die Kon- versions- und Mortalitätsrate zwi- schen beiden Gruppen nicht.
Auch aus ökonomischen Ge- sichtspunkten spricht vieles für die
frühzeitige Gallenblasenentfernung:
Denn die Patienten verweilen im Durchschnitt nur 5,4 Tage in der Klinik im Gegensatz zu den später operierten Patienten, bei denen der Aufenthalt im Durchschnitt 10 Tage betrug – was sich letztlich in deut- lich niedrigeren Krankenhauskos- ten (2 919 Euro versus 4 262 Euro) widerspiegelt (Tabelle).
Die ACDC-Studie konnte somit erstmalig im Detail belegen, dass
die laparoskopische Cholezystek- tomie innerhalb von 24 Stunden hinsichtlich Morbidität und Kosten günstiger abschneidet als der pri- mär konservative Ansatz. „Des- halb glauben wir, dass die sofor - tige laparoskopische Cholezystek- tomie die Therapie der Wahl für die akute Cholezystitis bei opera - blen Patienten werden sollte“, so
die Autoren.
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Dr. med. Vera Zylka-Menhorn TABELLE
Sekundäre Ergebnisse nach Behandlungsgruppe
115 Patienten hatten eine fehlende oder unplausible Morbiditätspunktzahl
2Ratio basierend auf der ITT-Population ohne Patienten mit nicht bestimmtem Morbiditätsstatus. Quelle: Annals of Surgery 2013; 258 (3): 385–93.
Morbiditätsscore an Tag 751 [95-%-CI]
Konversionrate [95-%-CI]
Unerwünschte Ereignisse [95-%-CI]
Wechsel der Antibiotikatherapie Mortalitätsrate
Klinikaufenthalt (Tage gesamt) [95-%-CI]
Klinikaufenthalt (Tage postoperativ) [95-%-CI]
Klinikkosten (gesamt) [95-%-CI]
Kosten-Nutzen-Verhältnis2 (je erfolgreicher Cholezystektomie)
primär operativ (n = 304) 0,53 [0,10–0,96]
30 (9,9 %) [6,5–13,2]
43 (14,1 %) [10,2–18,1]
22 (7,2 %) 1 (0,3 %)
5,4 (4–6) [5,08–5,71]
4,68 (3–6) [4,36–5,00]
2 919 Euro [2 812–3 026]
3 300 Euro
primär konservativ (n = 314) 1,12 [0,66–1,58]
33 (11,9 %) [8,1–15,7]
127 (40,4 %) [35,0–45,9]
31 (9,9 %) 1 (0,3 %)
10,03 (7–12) [9,36–10,69]
4,89 (3–6) [4,28–5,51]
4 262 Euro [4 029–4 494]
6 206 Euro
p-Wert
< 0,001 0,44
< 0,001 0,24 0,98
< 0,001 0,07
< 0,001 –
Welchen Wert haben die Er- gebnisse der ACDC-Studie?
Büchler: Ich begrüße es, dass endlich eine langjährige Kontro- verse über die Therapie der akuten Cholecystitis beendet werden konnte. Denn unter- schiedliche Auffassungen haben häufig dazu geführt, dass allein die Zuweisung eines Patienten an eine internistische oder eine chirurgische Abteilung über die Therapieform entschied, nicht die wissenschaftliche Evidenz.
Diese wurde nun geschaffen.
Bemerkenswert ist auch, dass internistische und chirurgische Kollegen die Studie gemeinsam auf die Beine gestellt haben.
Werden die Ergebnisse die Leitlinie zur Therapie der akuten Cholecystitis beein- flussen?
Büchler: Ja, davon bin ich überzeugt. Auch wenn die Ak- tualisierung von Leitlinien grundsätzlich mit großer zeitli- cher Verzögerung erfolgt, hoffe ich, dass die Studienergebnisse schon jetzt in die tägliche klini- sche Arbeit einfließen werden.
Lässt die ACDC-Studie noch wichtige Fragen unbeantwor- tet, so dass eine Folgestudie erforderlich ist?
Büchler: Ja, in der Tat. So hat die ACDC-Studie entsprechend
ihrem Design nur Patienten mit leichter und mittelschwerer All- gemeinerkrankung (ASA I bis III)) untersucht, schwer kranke Patienten mit hoher Komorbidi- tätsrate hingegen waren ausge- schlossen.
Diese sind im klinischen All- tag zwar in der Minderheit, aber eine Antwort darauf, welche Therapieform in diesen Fällen bevorzugt werden sollte, wäre für alle Fachbereiche wichtig.
Übrigens: Es würde mich nicht erstaunen, wenn für die- se Patientengruppe nicht die primär operative, sondern die internistische Therapie von Vorteil ist.
3 FRAGEN AN . . .
Prof. Dr. med. Markus W. Büchler, Direktor der Chirurgischen Klinik der Universität Heidelberg, Seniorautor der ACDC-Studie