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3. Vorgehen und Ziele

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I. EINLEITUNG

Zerstörer des eigenen Erbes und Gründer des habsburgischen Weltreiches - so ist Karl der Kühne von der historischen Forschung wiederholt charakterisiert worden1. Tatsächlich befand sich die in einem knappen Jahrhundert durch sei- ne Vorfahren ererbte, eroberte und erworbene Ansammlung von allmählich zusammenwachsenden Territorien bei seinem Tod im Januar 1477 in der un- mittelbaren Gefahr, aufgrund äußerer und innerer Einwirkungen auseinander- zubrechen. Der Aufstieg Habsburgs zur europäischen Hegemonialmacht auf der Basis des reichen Erbes war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs gesi- chert.

Die Kriege, die mit dem Tod Karls vor Nancy endeten, waren wiederholt Gegenstand der Darstellung. Anders verhält es sich mit dem Bündnissystem, das Karl im Reich aufbaute und unterhielt. Zwischen 1465 und 1477 suchte er seine Ziele, die Loslösung von Frankreich und die Königs- oder gar Kaiser- würde in der Hinwendung zum Reich, mit Hilfe einer Abfolge von Verhand- lungen, Allianzen und Eroberungen zu erreichen. Von den Bündnissen des Jahres 1465 über die Einverleibung Gelderns von 1469 bis 1473, die verstärkte Annäherung an Habsburg seit 1469, den Tag von Trier 1473 und den Kölner Stiftskrieg bis zur Einigung mit dem Kaiser über die Ehe Marias und Maximi- lians 1475/76 wurden die Beziehungen Karls zu Reichsfürsten und Kaiser in seinem Auftrag und nach seinen Anweisungen von den burgundischen Ge- sandten gestaltet.

Die Analyse der Prinzipien burgundischer Reichspolitik und der auf ihnen fußenden Arbeit der Gesandten steht im Zentrum der vorliegenden Untersu- chung. Sie soll Aufschluß darüber geben, warum es dem Herzog nicht gelang, aus einer ursprünglich starken Position heraus seine Ziele im Reich zu ver- wirklichen. In gewisser Weise wird damit die Frage Heimpels wieder aufge- nommen, »Warum aber ist Karl der Kühne gescheitert?«, wenn auch als Ant- wort nicht die »Daseinsgesetze der burgundischen Macht«2 dargelegt werden, sondern das Zusammenwirken der allgemeinen Bedingungen spätmittelalterli- cher Diplomatie mit dem spezifischen Fall von Hof und Person Herzog Karls.

1 Vgl. z.B. den Titel des Aufsatzes von Philippe CONTAMINE, Charles le Téméraire.

Fossoyeur et/ou fondateur de l'État bourguignon?, in: Le Pays lorrain 58 (1977) S. 123-134.

2 Hermann HEIMPEL, Burgund - Macht und Kultur, in: GWU 4 (1953) S. 257-272, hier S. 267.

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1. Forschungsstand

Die burgundischen Herzöge aus dem Haus Valois und in besonderem Maß Karl der Kühne beschäftigen die Forschung seit langem. Seit der Arbeit von Kirk haben sich biographische Darstellungen immer wieder des letzten Bur- gunderherzogs angenommen, seine Regierung, seine Persönlichkeit und vor allem sein Scheitern zu erklären versucht. Erkenntnisfortschritte brachten ne- ben den umfassender angelegten Schriften von Huizinga vor allem die Unter- suchungen Calmettes, Bartiers und zuletzt Vaughans, Paravicinis, Chauchies' und Schnerbs3.

Das vorrangige Interesse der französischen Forschung galt und gilt dem Verhältnis des Burgunders zur französischen Krone als Protagonist im Kampf feudaler Partikularismen gegen königliche Zentralisierungstendenzen. Die In- terpretation Commynes', der Karl den Kühnen als Opfer des überlegenen Di- plomaten Ludwig XI. sah, der seinen blindwütigen Gegner in das wohlvorbe- reitete Verderben im Reich rennen ließ, hielt sich in der Forschung bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus. Die erschöpfenden Studien Bittmanns und die Arbeiten Dufournets erwiesen die Sicht Commynes' teilweise als apo- logetisch und von Parteiinteressen überformt4. Das Verhältnis Karls zu ande- ren europäischen Mächten wurde für die spanischen Reiche von Calmette untersucht5, für England legte Thielemans eine bis 1467 reichende Arbeit vor;

3 John Forster KIRK, Charles the Bold, Bde. 1-3, London 1863-1868; Johan HUIZINGA, Herbst des Mittelalters. Studien über die Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und den Niederlanden, hg. v. K. KÖSTER, Stuttgart "1975;

Joseph CALMETTE, Les grands ducs de Bourgogne, Paris 31958; John BARTIER, Charles le Téméraire, Brüssel 21970; Richard VAUGHAN, Charles the Bold, London 1973; Werner PARAVICINI, Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund, Göttingen, Zürich, Frankfurt a.M. 1976; Jean-Marie CAUCHIES, Louis XI et Charles le Hardi. De Pérenne à Nancy (1468—

1477): le conflit, Brüssel 1996; vgl. dazu die Rezension von Petra EHM, in: Francia 24 (1997) S. 274-276. Bertrand SCHNERB, L'État bourguignon 1363-1477, Paris 1999.

4 Karl BLTTMANN, Ludwig XI. und Karl der Kühne. Die »Mémoiren« des Philippe de Com- mynes als historische Quelle, Göttingen 1964, 1970. Jean DUFOURNET, Philippe de Commy- nes. Un historien à l'aube des temps modernes, Brüssel 1994. Zu Kritik an der Interpretation Bittmanns und Dufournets siehe Werner PARAVICINI, Sterben und Tod Ludwigs XI., in: Ar- no BORST u.a. (Hg.), Der Tod im Mittelalter, Konstanz 1993, S. 77-168, hier S. 138 Anm.

361. An älterer Forschung ist vor allem zu nennen Pierre CHAMPION, Louis XI., Bde. 1-2, Paris 1927; Joseph CALMETTE, Le grand règne de Louis XI, Paris 1938; Paul Murray KENDALL, Louis XI., »L'universelle araigne«, Paris 1974; Pierre-Roger GAUSSIN, Louis XI.

Un roi entre deux mondes, Paris 1976; zum Verhältnis Ludwigs zu Karl zuletzt CAUCHIES, Louis XI et Charles le Hardi.

5 Joseph CALMETTE, L'origine bourguignonne de l'alliance austro-espagnole, in: Bulletin de la Société des amis de l'Université de Dijon 8 (1905) S. 59-84; DERS., Contribution à l'histoire des relations de la cour de Bourgogne avec la cour d'Aragon au XVe siècle, in: Re- vue bourguignonne 18,3^1 (1908) S. 138-196.

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1. Forschungsstand 13 die Regierungszeit Karls aber wurde noch nicht vollständig behandelt6. In ei- ner breit angelegten Studie sind außerdem die intensiven Beziehungen des Herzogs zu Italien von Walsh untersucht worden7.

Eine monographische Behandlung des Verhältnisses Karls des Kühnen zum römisch-deutschen Reich, dem Kaiser und den Reichsständen, fehlte bislang.

Dabei bestand seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade von deut- scher Seite ein lebhaftes Interesse an den Kriegen, die vor Neuss und am Oberrhein gegen den Burgunder gefuhrt wurden. Daß hier vor allem die pro- blematische Identität des jungen deutschen Kaiserreiches, später der Weimarer Republik und des Dritten Reiches das Erkenntnisinteresse der Historiker be- stimmte, ist von Sieber-Lehmann zuletzt umfassend dargelegt worden8.

Noch während des Zweiten Weltkriegs gab Heimpel im Rahmen der Edition der Deutschen Reichstagsakten der Erfassung der Quellen neue Impulse. Auf seine Anregung hin entstanden die Arbeiten Brauer-Gramms zu Peter von Ha- genbach und Schwarzkopfs zum burgundischen Hof9, vor allem aber begann

6 Marie-Rose THIELEMANS, Bourgogne et Angleterre. Relations politiques et économiques entre les Pays-Bas bourguignons et l'Angleterre (1435-1467), Brüssel 1966. VAUGHAN, Charles, und Charles ROSS, Edward IV, London 1974, widmen sich ausführlich dem Ver- hältnis der beiden Fürsten. Nicht zugänglich war mir M. H. A. BALLARD, Anglo-Burgundian Relations, 1464-1472, Diss. phil. (Manuskript), Oxford 1992.

7 Richard WALSH, Charles the Bold and Italy, Bde. 1-2, Diss. phil. (Manuskript), Universität Hull 1977. Die Druckfassung: Charles the Bold, Duke of Burgundy (1467-1477), and Italy:

Politics and Personnel. With a Postscript and Bibliographical Supplement by Werner PARAVICINI, Liverpool 2001, war mir noch nicht zugänglich. Die Ergebnisse der Studien Walshs sind teilweise in Aufsätzen publiziert: DERS., Charles the Bold and the crusade: poli- tics and propaganda, in: Journal of medieval history 3 (1977) S. 53-86; DERS., Diplomatic aspects of Charles the Bold's relations with the Holy See, in: Bijdragen en mededelingen betreffende de geschiedenis der Nederlanden 95,2 (1980) S. 265-278; DERS., Relations bet- ween Milan and Burgundy in the period 1450-1476, in: Gli Sforza a Milano e i loro rapporti con gli stati italiani ed europei (1450-1530), Mailand 1982, S. 369-396.

8 Claudius SIEBER-LEHMANN, Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft, Göttingen 1995, dort Forschungsüberblick S. 15, 20-22 m. Anm. 60. Für die nationale Deutung der Konflikte siehe stellvertretend die Arbei- ten von Hans WITTE, Zur Geschichte der burgundischen Herrschaft am Oberrhein, in: Zeit- schrift für Geschichte des Oberrheins NF 1 (1886) S. 129-169; DERS., Zur Geschichte der Burgunderkriege, in: ibid., NF 6 (1891) S. 361-414, NF 7 (1892) S. 414-477, 8 (1893) S. 197-255, 10 (1895) S. 78-112, 202-266. Zur »völkischen« Interpretation der Burgunder- kriege und des Neusser Krieges siehe Günther FRANZ, Die Bedeutung der Burgunderkriege für die Entwicklung des deutschen Nationalgeflihls, in: Jahrbuch der Stadt Freiburg im Breisgau 5 (1942) S. 161-173; Hans FRITZSCHE, Ein deutscher Grenzlandkampf im ausge- henden Mittelalter. Die Abwehrbewegung deutschen Volkstums gegen Burgund, Diss. phil.

Heidelberg 1937.

9 Hildburg BRAUER-GRAMM, Der Landvogt Peter von Hagenbach. Die burgundische Herr- schaft am Oberrhein (1469-1474), Göttingen 1957; Ursula SCHWARZKOPF, Studien zur Hof- organisation der Herzöge von Burgund aus dem Hause Valois, Diss. phil. Göttingen, Ms.

1955; DIES., Die Rechnungslegung des Humbert de Plaine über die Jahre 1448 bis 1452. Ei- ne Studie zur Amtsführung des burgundischen maître de la chambre aux deniers, Göttingen 1970.

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Grüneisen, fur die Edition des Bandes 23, 1 der Reichstagsakten zum Trierer Tag die europäischen Archive nach relevantem Material zu durchforsten. Aus diesen Forschungen ging ihr wegweisender Aufsatz zu den Beziehungen der westlichen Reichsstände zu Burgund und Frankreich bis 1473 hervor, der den Ausgangspunkt für jede weitere Beschäftigung mit den Reichsbeziehungen Karls des Kühnen darstellt10. In ihm werden fast alle wichtigen Fragen des Themas aufgegriffen, doch bleibt er gemäß seiner Anlage knapp und verweist wiederholt auf das zur Zeit der Abfassung noch bald erwartete Erscheinen des Reichstagsakten-Bandes. Seit dem Tod Grüneisens 1973 ist ihr Material nur mehr sporadisch genutzt worden".

Während Lacaze 1981/1982 eine Gesamtdarstellung des Verhältnisses Phil- ipps des Guten zum Reich vorlegte12, fehlt eine vergleichbare Behandlung der Beziehungen unter Karl dem Kühnen. Diese Lücke will die vorliegende Arbeit schließen. Vaughan gibt in seiner Biographie Karls einen zwar zuverlässigen, aber knapp gehaltenen Überblick über das Thema und legt dabei den Schwer- punkt auf die militärische Konfrontation mit dem Reich. Die Frage nach den Bedingungen der Diplomatie und den Eigenarten der Außenbeziehungen des Herzogs stellt er nicht. Einzeluntersuchungen liegen vor allem zu den bereits angesprochenen Kriegen am Oberrhein, gegen die Eidgenossen und gegen das Kölner Stift vor13. Auch die Beiträge des 1995 veranstalteten Kolloquiums des Centre Européen d'Études Bourguignonnes zum Thema »Pays bourguignons et terres d'Empire (XV®-XVr siècles): rapports politiques et institutionnels«

fuhren darüber kaum hinaus14. Unter den Arbeiten Paravicinis sind in diesem Zusammenhang die Untersuchung zum Hof Karls des Kühnen am Beispiel Guy de Brimeus und die Darstellungen der burgundischen Beziehungen zu den Fürsten am Niederrhein zu nennen15. Am Beispiel Brimeus wird verdeut- licht, daß ein Mitglied der Hofelite in einem neu unterworfenen Gebiet wie

10 Henny GRÜNEISEN, Die westlichen Reichsstände in der Auseinandersetzung zwischen dem Reich, Burgund und Frankreich bis 1473, in: RhVjbll 26 (1961) S. 22-77.

11 Siehe S.21f.

12 Yvon LACAZE, Philippe le Bon et l'Empire. Bilan d'un Règne, in: Francia 9 (1981) S. 1 3 3 - 1 7 5 u. F r a n c i a 10 ( 1 9 8 2 ) S. 1 6 7 - 2 2 7 .

13 Siehe die Festschriften zur Schlacht von Nancy: 500e anniversaire de la Bataille de Nancy, Nancy 1977; und zur Belagerung von Neuss: Neuss, Burgund und das Reich, Neuss 1975.

14 Pays bourguignons et terres d'Empire (XVe-XVF s.): rapports politiques et institutionnels, Rencontres de Nimuège (21 au 24 septembre 1995) 1996.

15 Werner PARAVICINI, Guy de Brimeu. Der burgundische Staat und seine adlige Führungs- schicht unter Karl dem Kühnen, Bonn 1975; DERS., Moers, Croy, Burgund. Eine Studie über den Niedergang des Hauses Moers in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: AHVN 179 (1977) S. 7-113; DERS., Kleve, Geldern und Burgund im Sommer des Jahres 1473.

Briefe aus einer verlorenen Korrespondenz, in: Francia 23 (1996) S. 53-93; demnächst DERS., Hagenbachs Hochzeit (1474), in: Josef Fleckenstein zum 80. Geburtstag, Göttingen 2002 (im Druck).

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1. Forschungsstand 15 Geldern eine erstaunlich selbständige Machtposition errichten konnte und be- achtlichen Einfluß auf die Beziehungen zu weiteren Reichsständen ausübte.

In der neueren Forschung zum Reich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kommt für den gegenwärtigen Zusammenhang neben den grundlegenden Arbeiten Moraws der Untersuchung Heinigs zu »Hof, Regie- rung und Politik« Friedrichs III. besondere Bedeutung zu. Sie ermöglichte es, den Personenkreis zu fassen und einzuordnen, der den burgundischen Räten in den Verhandlungen um Ehe und Königtum gegenüberstand16.

Die Außenpolitik des Spätmittelalters hat in den vergangenen Jahren ver- stärkt das Interesse der Forschung gefunden. Eingedenk der mittlerweile zum Gemeingut gewordenen Erkenntnis, daß Konzepte und Terminologie des na- tionalstaatlichen Systems des 18. bis 20. Jahrhunderts nicht auf mittelalterliche Verhältnisse übertragbar sind17, wird die Existenz von Beziehungen zwischen fürstlichen Herrschaftsbereichen, die sich mehr oder weniger klar gegeneinan- der abgrenzten und sich jeweils als »fremd« empfanden, nicht mehr bestritten.

Zuletzt haben die Arbeiten Reitemeiers zu den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England von 1377 bis 1422, Kintzingers zur auswär- tigen Politik Kaiser Sigmunds und für das Reich diejenige von Merz gezeigt, welche Lücken es gerade auf dem Gebiet der Erforschung spätmittelalterlicher Außenbeziehungen noch zu schließen gilt. Für die Zeit Maximilians I. hat Lut- ter eine Untersuchung seiner diplomatischen Beziehungen zu Venedig vorge- legt18. Aus völkerrechtlicher Sicht hat jüngst der Beitrag von Steiger neue be-

16 Peter MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250-1490, Berlin 1985; DERS., Versuch über die Entstehung des Reichstags;

DERS., Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und euro- päischen Mittelalter. Ein Versuch, beide in: DERS., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, hg. V. Peter SCHWINGES, Sigma- ringen 1995. Peter MORAW, Das Reich und die Territorien, der König und die Fürsten im

S p ä t e n M i t t e l a l t e r , in: H . L . COX, M . GROTEN, T h . KLEIN, M . NIKOLAY-PANTHER ( H g . ) ,

Festgabe Wilhelm Janssen zum 65. Geburtstag, in: RhVjbll 63 (1999) S. 187-203. Paul- Joachim HEINIG, Friedrich III. (1440-1493) Hof, Regierung und Politik, Köln, Weimar, Wien 1997. Einzelaspekte burgundischer Reichspolitik waren außerdem den folgenden Ar- beiten zu entnehmen: Konrad KRIMM, Baden und Habsburg um die Mitte des

15. Jahrhunderts, Stuttgart 1976; Bernhard ROLF, Kurpfalz, Südwestdeutschland und das Reich 1449-1476. Die Politik des Pfalzgrafen Friedrich des Siegreichen, Diss, phil., Heidel- berg 1981.

17 Siehe dazu vor allem die Beiträge von Heinz THOMAS, Peter MORAW und Helmuth G.

WALTHER im Sammelband: Peter MORAW (Hg.), »Bündnissysteme« und »Außenpolitik« im späteren Mittelalter, Berlin 1988.

18 Arnd REITEMEIER, Außenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwi- schen dem Reich und England 1377-1422, Paderborn u.a. 1999; Martin KLNTZINGER, West- bindungen. Auswärtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds, Sigmaringen 1999; Johannes MERZ, Fürst und Herr- schaft. Der Herzog von Franken und seine Nachbarn 1470-1519, München 2000, der S. 18f.

auf die noch unbefriedigende Forschungslage hinweist; Christina LUTTER, Politische Kom- munikation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Die diplomatischen Beziehungen

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griffliche Wege gewiesen, der für das späte Mittelalter von einem »Zwischen- Mächte-Recht« spricht19. Weitere Impulse sind von den im Frühjahr 2001 auf der Reichenau gehaltenen Vorträgen zu »Gesandtschaftswesen im mittelalter- lichen Europa vom 13. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts« zu erwarten.

Die von Weiers vertretene Auffassung, nach der eine Außenpolitik des Rei- ches nur im Konsens von König und Kurfürsten möglich war20, wird mit der Untersuchung der Politik Karls des Kühnen dahingehend erweitert, daß ein Reichsfürst, der außerdem Vasall eines fremden Königs war, mit dem Reich gleichzeitig »Außen«- und »Innenpolitik« betrieb. Demzufolge sollte das Reich von Karl gleichsam gezwungen werden, mit einem eigenen Glied in ein außenpolitisches Verhältnis zu treten. Im Streben nach Souveränität für die eigenen Lande waren für Karl alle Beziehungen zu Frankreich und zum Reich Außenbeziehungen. Im Streben nach der Kaiserkrone mußte er aber die ge- dachte Trennung vom Reich sofort wieder überwinden. Die selbe Ambivalenz war der Haltung des Kaisers zum burgundischen Herzog eigen. Während des Kölner Stiftskrieges bediente er sich nationaler Argumente, um den Wider- stand gegen den »welschen« Eindringling zu stärken21. Ging es aber um Freundschaft und die Eheschließung Maximilians mit Maria, so wurde aus dem Reichsfeind unversehens wieder ein Reichsfürst, dessen Brüche des Reichsrechts stillschweigend übergangen wurden. Der Unsicherheit der geo- graphischen Grenzen entsprach also eine changierende Definition von »Innen«

und »Außen« im Reich am Ende des 15. Jahrhunderts.

Einer derartigen Umbruchphase der werdenden Staatlichkeit wird die Defi- nition Bergs am ehesten gerecht, der die Existenz von Außenpolitik in einem weiten Sinn für das Mittelalter bejaht und vorschlägt, jede »politische Aktion eines Herrschers, die über die Grenzen des eigenen Machtbereichs hinausweist und höchst unterschiedliche Ziele [...] unter Verwendung eines geeigneten In-

zwischen der Republik Venedig und Maximilian I. (1495-1508), Wien, München 1998. Ei- nen Vergleich der diplomatischen Praxis, wie sie am burgundischen und den italienischen Höfen gepflogen wurde, bietet WALSH, Charles the Bold and Italy, S. 5 8 4 - 6 0 0 (Manuskript- fassung).

19 Heinhard STEIGER, Vom Völkerrecht der Christenheit zum Weltbürgerrecht. Überlegun- gen zur Epochenbildung in der Völkerrechtsgeschichte, in: Paul-Joachim HEINIG (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift f u r Peter Moraw, Berlin 2000, S. 171-187, hier S. 172, 175-179.

2 0 Sabine WEFERS, Versuch über die »Außenpolitik« des spätmittelalterlichen Reiches, in:

ZhF 2 2 ( 1 9 9 5 ) S. 291-316.

2 1 Joseph CHMEL (Hg.), Aktenstücke und Briefe zur Geschichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilians I., Bde.1-3, Wien 1854-1858, hier: 1,1, S. 206, vgl. SLEBER- LEHMANN, Spätmittelalterlicher Nationalismus, S. 251-300; Eberhard ISENMANN, Kaiser, Reich und Deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahrhunderts, in: Joachim EHLERS (Hg.), Ansätze und Diskontinuität Deutscher Nationsbildung im Mittelalter, Sigmaringen 1989, S. 158; Alfred SCHRÖCKER, Die Deutsche Nation. Beobachtungen zur politischen Propagan- da des ausgehenden 15. Jahrhunderts, Lübeck 1974, S. 4 2 - 4 4 , 104f.

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1. Forschungsstand 17

strumentariums p o l i t i s c h e r K o m m u n i k a t i o n v e r f o l g t e , als A k t außenpoliti- s c h e n H a n d e l n s [ z u ] b e z e i c h n e n «2 2.

D a s w i c h t i g s t e »Instrumentarium politischer K o m m u n i k a t i o n « w a r e n dabei die B e a u f t r a g t e n d e s Fürsten, die Gesandten. S i e w a r e n die Träger der D i p l o - matie i m praktischen S i n n e d e s R e i s e n s , der Verhandlungsfiihrung und d e s Z e r e m o n i e l l s . N e b e n d e n älteren übergreifenden Standardwerken Quellers, M a t t i n g l y s und G a n s h o f s s o w i e M e n z e l s z u m d e u t s c h e n und Cuttinos z u m e n g l i s c h e n G e s a n d t s c h a f t s w e s e n existiert für die burgundischen H e r z ö g e b i s - lang nur die U n t e r s u c h u n g v o n de B o r c h g r a v e z u den D i p l o m a t e n Johanns Ohnefurcht2 3. I m D r u c k b e f i n d e t sich die Arbeit v o n S e g g e m zur »Informati- onsübermittlung i m b u r g u n d i s c h e n Staat unter Karl d e m K ü h n e n « , die Praxis und E f f i z i e n z d e s h e r z o g l i c h e n N a c h r i c h t e n w e s e n s fundiert darstellt2 4. D e n A r b e i t e n Bartiers u n d C o c k s h a w s z u m administrativen Personal der H e r z ö g e k ö n n e n v i e l f ä l t i g e Informationen z u d e n j e n i g e n G e s a n d t e n e n t n o m m e n w e r - den, die d e m H e r z o g als Sekretäre, L e g i s t e n oder F i n a n z e x p e r t e n dienten2 5. S i e e r s e t z e n aber nicht e i n e Prosopographie der Gesandten, die für d i e K e n n t - n i s der F un kt i on d e s G e s a n d t s c h a f t s w e s e n s u n d die B e u r t e i l u n g der auswärti- g e n Politik d e s H e r z o g s unerläßlich ist.

2 2 Dieter BERG, Deutschland und seine Nachbarn 1200-1500, München 1997, S. 1. Siehe außerdem REITEMEIER, Außenpolitik, S. 21-24, KINTZINGER, Westbindungen, S. 20-29.

Aus Gründen der stilistischen Variation werden im folgenden sowohl »Außenpolitik« wie auch »auswärtige Beziehungen« und »Außenbeziehungen« verwendet.

2 3 Donald E. QUELLER, The Office of Ambassador in the Middle Ages, Princeton 1967; Gar- rett MATTINGLY, Renaissance Diplomacy, New York 1955; Viktor MENZEL, Deutsches Ge- sandtschaftswesen im Mittelalter, Hannover 1892; George Peddy CUTTINO, English Medie- val Diplomacy, Bloomington 1985; François L. GANSHOF, Histoire des relations internatio- nales, 1, Le Moyen Age, Paris 1953; Christian DE BORCHGRAVE, Diplomaten en Diplomatie onder Hertog Jan zonder Vrees, Kortrijk 1992; DERS., Diplomates et diplomatie sous le duc de Bourgogne Jean sans Peur, in: Jean-Marie CAUCHIES (Hg.), À la cour de Bourgogne. Le duc, son entourage, son train, Turnhout 1998, S. 67-83. Zu zeitgenössischen theoretischen Überlegungen bezüglich des Gesandten siehe Riccardo FUBINI, L'ambasciatore nel XV seco- lo: due trattati e una biografia (Bernard de Rosier, Ermolao Barbaro, Vespasiano da Bisticci), in: Mélanges de l'École française de Rome 108 (1996) S. 645-665. Siehe zu England weite- re Literatur bei REITEMEIER, Außenpolitik, passim. Ein Überblick über die Gesandten Phil- ipps des Guten ist von Bertrand Schnerb, Paris, zu erwarten.

2 4 Harm von SEGGERN, Herrschermedien im Spätmittelalter. Studien zur Informationsüber- mittlung im burgundischen Staat unter Herzog Karl dem Kühnen (Diss. Phil., Ms Trier 1999), im Druck: Kieler Historische Studien, voraussichtlich 2002. Ihm sei für die Überlas- sung des Manuskriptes herzlich gedankt.

25 Pierre COCKSHAW, Le personnel de la chancellerie de Bourgogne-Flandre sous les ducs de Bourgogne de la maison de Valois (1384-1477), Kortrijk 1982; DERS., Prosopographie des secrétaires des ducs de Bourgogne (1384—1477) (Ms., Paris 1999). Ich danke Prof. Dr. Wer- ner Paravicini, Paris, für die Überlassung einer Kopie des Manuskriptes. John BARTIER, Lé- gistes et gens de finances au XVe siècle: les conseillers des ducs de Bourgogne Philippe le Bon et Charles le Téméraire, Bde.1-2, Brüssel 1955, 1957.

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2. Quellen

Wie viele Untersuchungen, die sich mit den Beziehungen zwischen Fürstenhö- fen mit ihren jeweiligen Administrationen und Kanzleigewohnheiten befassen, sah sich auch die vorliegende Arbeit mit einer sehr disparaten Quellenlage konfrontiert. Dem großen Reichtum auf burgundischer Seite vor allem in Form der Finanzdokumente steht eine sehr uneinheitliche und meist ver- gleichsweise dünne Überlieferung auf Seiten der Reichsfiirsten und -Städte ge- genüber. Als Ausgangspunkt und Grundgerüst der Untersuchung wurde auch aus diesem Grund die systematische Auswertung der burgundischen Archiv- überlieferung gewählt, um die Funktionsweise burgundischer Außenpolitik zu rekonstruieren. Vergleichbares konnte nicht für jeden einzelnen der Fürstenhö- fe im Reich geleistet werden, mit denen Burgund in Beziehungen stand. So weit wie möglich aber wurde die Burgundpolitik dieser Höfe nachgezeichnet.

Zu Regionen und Fürstenhäusern des Reiches liegen eine Anzahl älterer Quelleneditionen vor: Die Werke Hansens, Lacomblets und Nijhoffs bieten für den Niederrhein, einer zentralen Region burgundischer Reichspolitik, eine Fülle wertvollen Materials, ebenso wie die ausführlichen Berichte über die Verhandlungen der hansischen Sendboten mit burgundischen Räten, die im Hansischen Urkundenbuch und in den Hanserecessen abgedruckt sind26. Glei- ches gilt für die von Hofmann edierten Quellen zur Geschichte Friedrichs des Siegreichen und die von Mone herausgegebene Sammlung zur badischen Lan- desgeschichte. Die Regesten der Markgrafen von Baden von Krieger, Moss- manns Urkundenbuch der Stadt Mülhausen und schließlich die Sammlung der Eidgenössischen Abschiede durch Segesser geben Auskunft über die Politik der südwestlichen Reichsstände und der Eidgenossen27.

Von größter Bedeutung für die politischen Verhältnisse des gesamten Reichs ist die von Priebatsch herausgegebene Korrespondenz des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, der vielfach im Hintergrund als Gegner

2 6 Joseph HANSEN, Westfalen und Rheinland im 15. Jahrhundert, Bde. 1-2, Leipzig 1888- 1890; Theodor J. LACOMBLET, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Bd. 4:

die Urkunden von 1401 bis 1500, Düsseldorf 1840-1858; I. A. NLJHOFF, Gedenkwaardighe- den uit de geschiedenis van Gelderland, Bd. 4, Arnheim 1847; Walther STEIN (Hg.), Hansi- sches Urkundenbuch, 9, 1463-1470, Halle 1903; Goswin VON DER ROPP (Hg.), Hansereces- se von 1431 bis 1476, 2, 6-7, Leipzig 1892.

2 7 Konrad HOFMANN (Hg.), Quellen zur Geschichte Friedrichs I. des Siegreichen Kurfürsten von der Pfalz, 1, Regesten zur Geschichte Friedrichs des Siegreichen, bearb. v. Karl MENZEL, München 1862; F. J. MONE (Hg.), Quellensammlung zur badischen Landesge- schichte, Bde. 1-4, Karlsruhe 1848, 1863, 1867; Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg 1050-1515, 4 (1453-1475), bearb. v. A. KRIEGER, Innsbruck 1915; Xavier MOSSMANN (Hg.), Cartulaire de Mulhouse, Bde. 1-6, Straßburg, Colmar 1883-1890; Phil- ipp SEGESSER (Hg.), Die Eidgenössischen Abschiede aus dem Zeiträume von 1421 bis 1477, Luzern 1863.

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2. Quellen 19 des Burgunders agierte. Die Abwesenheit des Markgrafen vom Trierer Tag veranlaßte die ausfuhrlichen Berichte seiner Gesandten Eyb und Stein, die für die Kenntnis der dortigen Verhandlungen von größter Bedeutung sind. Von umfassendem Wert ist auch die Korrespondenz der Reichsstadt Frankfurt, die als Umschlagplatz für Informationen von weit überregionaler Bedeutung war28. Für den Kaiser steht nun mit der schon weit fortgeschrittenen Arbeit an den Regesten Friedrichs III. ein zuverlässiges Arbeitsinstrument zur Verfü- gung. Daneben müssen allerdings weiterhin die alten und teilweise modernen Ansprüchen nicht genügenden Editionen von Chmel, Bachmann und Palacky benutzt werden29.

Eine Quelle ersten Ranges stellen die Berichte der mailändischen Gesandten am französischen und burgundischen Hof dar. Neben den von Mandrot he- rausgegebenen Berichten aus Frankreich sind nun auch diejenigen vom Hof Karls in der Edition Sestans zugänglich. Vor allem die Schreiben des Gesand- ten Panigarola an Herzog Galeazzo Maria, der über alle Vorgänge am burgun- dischen Hof genaueste Informationen forderte, geben Aufschlüsse über die Person des Herzogs, die in ihrer Detailliertheit einzigartig sind30. Auch für den Ablauf des Trierer Tages sind die Schreiben eines italienischen Gesandten, in diesem Fall des päpstlichen Legaten Luca de Tolentis, von großem Wert, wenn er auch ebenso wie die Mehrheit der anderen Teilnehmer in die Ge- heimverhandlungen nicht eingeweiht war. Die Berichte des damaligen mai- ländischen Vertreters Visconti hingegen sind nur mit großer Vorsicht zu ver- wenden, da er offensichtlich Spekulationen, Gerüchte und die eigenen Wün- sche gerne als Tatsachen darstellte31.

2 8 Friedrich PRIEBATSCH (Hg.), Politische Correspondes des Kurfürsten Albrecht Achilles, Bde. 1-2, Leipzig 1894, 1897; Johannes JANSSEN (Hg.), Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Actenstücken von 1376-1519, Bde. 1-2, Freiburg i. Brsg. 1863-

1872.

2 9 Heinrich KOLLER, ab Heft 9 mit Paul-Joachim HEINIG (Hg.), Regesten Kaiser Fried- richs III. (1440-1493), nach Archiven und Bibliotheken geordnet, bislang Hefte 1-14, Wien, Köln, Graz, 1982-2001; CHMEL, Aktenstücke; Adolf BACHMANN (Hg.), Urkunden und Ak- tenstücke zur österreichischen Geschichte im Zeitalter Kaiser Friedrichs III. und König Ge- orgs von Böhmen (1440-1471), Wien 1879; Adolf BACHMANN (Hg.), Urkundliche Nachträ- ge zur österreichischen Geschichte im Zeitalter Friedrichs III., Wien 1892; Franz PALACKY (Hg.), Urkundliche Beiträge zur Geschichte Böhmens und seiner Nachbarländer im Zeitalter Georgs von Podiebrad (1450-1471), Wien 1860.

3 0 Bernard DE MANDROT, Charles SAMARAN (Hg.), Dépêches des ambassadeurs milanais en France sous Louis XI et François Sforza, Bde. Paris 1916-1923; Ernesto SESTAN (Hg.), Carteggi diplomatici fra Milano Sforzesca e la Borgogna, Bde. 1-2, Rom 1985, 1987. Zu Panigarola siehe G. SOLDI-RONDININI, Giovan Pietro Panigarola e il reportage' moderno, in: Die Murtenschlacht, Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern 60 (1976) S. 135-154.

31 J. PAQUET, Une ébauche de la nonciature en Flandre au XVe siècle: les missions dans les Pays-Bas de Luc de Tolentis, évêque de Sebenico (1462-1484), in: Bulletin de l'Institut His- torique Belge de Rome 25 (1949) S. 27-144; F. CUSIN, Impero, Borgogna e politica italiana.

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Während die Briefe Ludwigs XI. Ende des 19. Jahrhunderts von Vaesen und Charavay ediert wurden, wurde das ehrgeizige Projekt, den gesamten Brief- wechsel Karls des Kühnen zu erfassen, vor einigen Jahren von Paravicini und seinen Mitarbeitern in der Form eines Inventars abgeschlossen. Mit seiner Hil- fe läßt sich ein Gerüst des brieflichen Niederschlags der Außenbeziehungen des Herzogs erstellen, das teilweise durch eigene Funde ergänzt werden konn- te32. Die Edition des »Catalogue des Actes de Charles le Téméraire« von Henri Stein durch Dünnebeil macht die handschriftliche Sammlung zugänglich, die der französische Gelehrte von den Urkunden und Mandaten des Herzogs er- stellt hatte und die, wenn auch unvollständig, in ihrem Umfang bislang uner- reicht ist33.

Im wesentlichen stützt sich die Arbeit auf unpubliziertes Material, dessen Studium es erlaubte, die Reichspolitik des Herzogs in ihren Einzelheiten nach- zuvollziehen und zu beurteilen.

Wie bereits angedeutet, ist die Überlieferungslage für den burgundischen Hof trotz hoher Verluste beinahe erdrückend. Paravicini sprach von einem

»embarras de richesse« der Finanzarchive34. Aber auch im Urkundenarchiv, dem Trésor des Chartes von Lille lagert eine Fülle von Quellenmaterial. Ver- träge, Instruktionen, Denkschriften und Berichte wurden dort nach ihrer Ver- wendung im Original oder in Kopie abgelegt und als Belegmaterial zur politi-

L'incontro di Treveri del 1473, in: Nuova Rivista Storica 19 (1935) S. 137-172 u. 20 (1936) S. 34-57.

32 J. VAESEN, E. CHARAVAY (Hg.), Lettres de Louis XI roi de France, Bde. 1-12, Paris 1883-1909; Werner PARAVICINI (Hg.), Der Briefwechsel Karls des Kühnen (1433-1477).

Inventar, redigiert v. Sonja DÜNNEBEIL u. Holger KRUSE, Bde. 1-2, Frankfurt a.M. u.a.

1995.

33 Henri STEIN, Catalogue des Actes de Charles le Téméraire (1467-1477). Mit einem An- hang: Urkunden und Mandate Karls von Burgund, Grafen von Charolais (1433-1467), bearb. v. Sonja DÜNNEBEIL, Sigmaringen 1999.

3 4 Werner PARAVICINI, L'embarras de richesse: comment rendre accesibles les archives fi- nancières de la Maison de Bourgogne-Valois, in: Bulletin de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques, 6e série 7, 1-6 (1996) S. 22f. Siehe auch DERS., Pour une edi- tion des comptes généraux de l'état bourguignon: règne de Charles le Téméraire, in: Acadé- mie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes rendus des séances (Januar-März 1997), S. 77-79. Zum Receveur général, dem burgundischen Generaleinnehmer, und der Chambre des comptes siehe zuletzt Ulf Christian EWERT, Langfristige Struktur und kurzfristige Dy- namik: Eine Längsschnittuntersuchung der Einnahmen der burgundischen recette générale de toute les finances (1383-1476), in: Harm von SEGGERN, Gerhard FOUQUET (Hg.), Adel und Zahl. Studien zum adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neu- zeit, Ubstadt-Weiher 2000, S. 165-195, mit ausfuhrlicher Bibliographie; sowie Robert STEIN, Burgundian bureaucracy as a model for the Low Countries? The Chambres des Comptes and the creation of an administrative unity, in: Robert STEIN (Hg.), Powerbrokers in the Late Middle Ages. The Burgundian Low Countries in a European Context, Turnhout 2001, S. 3-25.

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2. Quellen 21 sehen Beweisführung und zur Entlastung der Beamten archiviert35. Besonders bedeutend für die vorliegende Arbeit waren die Signaturen Β 327, 332, 335 und 338. Ein eigens für den Bedarf der auswärtigen Beziehungen angelegtes Archiv existiert allerdings nicht, die Stücke sind mit inneren Betreffen ge- mischt. Die Korrespondenz bildet mit den lettres reçues et dépêchées und den lettres missives eine eigene Abteilung (B 17713, 17717 und Β 18823, 18842).

Befinden sich im Trésor des Chartes also die Dokumente, in denen sich die abschliessenden politischen Handlungen niederschlugen, läßt sich anhand der Finanzdokumente der Gang der Geschäfte bis zum Abschluß der Verträge nachvollziehen.

Es handelt sich dabei um die Rechnungslegung des burgundischen General- einnehmers, des Receveur général de toutes les finances, und nach der Reor- ganisation der Verwaltung durch Karl den Kühnen von 1468 um diejenige des Argentier. Die zu Büchern zusammengebundenen Endabrechnungen36 beinhal- ten nicht nur Zahlenkolonnen, wie ihr Name vermuten lassen könnte, sondern sie nennen sehr häufig Umstände und Hintergründe der Aufgaben, für deren Erfüllung die Zahlungsempfänger die verbuchten Beträge erhielten. Für die gegenwärtige Fragestellung wurden die Rubriken menuz voyaiges et message- ries, ambassades et gros voyaiges, dons et recompensacions extraordinaires und menues parties systematisch ausgewertet37. Hierbei handelt es sich, vor allem bei den beiden letztgenannten, um lose definierte Kategorien. Bei den menues parties finden sich durchaus auch kleinere Geschenke, und unter dons et recompensacions extraordinaires fallen beispielsweise auch die regelmäßig ausgezahlten Pensionen an hochadlige Höflinge, die nicht als Gagen verbucht wurden. Wie keine andere Quellengattung erlauben diese Abrechnungen, das Kommen und Gehen der herzoglichen Boten und Gesandten teilweise bis auf den Tag genau zu bestimmen. In den meisten Fällen sind den Angaben zu den Reisedaten knappe Begründungen der Gesandtschaften beigefügt, teilweise aber werden geheime Aufträge mit der Formel »sur quoy mondit seigneur ne veult autre declaración y estre faicte« umschrieben. Angaben zu Gesandtschaf- ten finden sich häufig auch unter den dons et recompensacions, vor allem wenn die Reise bereits längere Zeit zurücklag und die Bezahlung mit großer Verspätung erfolgte. Geschenke an eigene wie fremde Gesandte sind ebenfalls

3 5 Inventaire-sommaire des Archives départementales antérieures à 1790. Nord. Archives civiles, Série B, Chambre des Comptes de Lille, 2 u. 3, bearb. v. M. A. DESPLANQUE und M.

DEHAISNES, Lille 1872, 1877. Siehe jetzt Robert-Henri BAUTIER, Jeanine SORNAY (Hg.), Les sources de l'histoire économique et sociale au moyen âge. Les Etats de la Maison de Bourgogne, 1, Archives des principautés territoriales, 1: Archives centrales, duché de Bour- gogne et autres pays »par deçà«, Paris 2000.

3 6 Zu den verschiedenen Stadien der Erstellung der Abrechnungen siehe Christian ALBRECHT, Die Monatsrolle des burgundischen Argentiers Nicolas de Gondeval für den Ok- tober 1475. Teil I: Einführung und Edition, in: Francia 22 (1995) S. 79-127.

3 7 Vgl. dazu PARAVICINI, L'embarras de richesse, S. 24-27.

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in dieser Rubrik sowie in den menues parties verzeichnet. Häufig finden sich hier die einzigen Nachrichten über den Aufenthalt eines Boten oder Gesandten aus dem Reich am burgundischen Hof.

Herangezogen wurden die Jahresabrechnungen der Generaleinnehmer Guil- bert de Rupie, Barthélémy Trotin und Pierre Lanchals für die Jahre 1465 bis 1477. Sie werden in den Archives départementales du Nord in Lille unter den Signaturen Β 2054 bis 2115 (mit Sprüngen in der Numerierung) aufbewahrt38. Ihr Erhaltungszustand ist vor allem für die Nummern ab 2067, d.h. ab dem Jahr 1468, teilweise sehr schlecht. In diesem Jahr übernahm der Argentier große Teile der Aufgaben des Generaleinnehmers39 und verbuchte von diesem Zeitpunkt an in seiner Rechnungslegung alle oben angeführten Positionen. Un- ter Herzog Karl versahen Guilbert de Rupie von 1468 bis 1470 und Nicolas de Gondeval von 1471 bis einschließlich 1476 das Amt des Argentier. Der Ver- lust aller Jahresabrechnungen Gondevals ist angesichts der reichen Informa- tionen, die sich diesen Aufzeichnungen entnehmen lassen, ausgesprochen schmerzlich. Die erhaltenen Jahresabrechnungen de Ruples liegen in den Ar- chives Générales du Royaume in Brüssel unter den Signaturen CC 1923, 1924 und 1925. Ein weiteres Exemplar der Abrechnung von 1468 befindet sich au- ßerdem in Lille unter der Signatur Β 206840. Soweit wie möglich wurden diese Lücken durch die wenigen, zum Teil nur fragmentarisch erhaltenen Monats- rollen des Argentier und die nicht sehr aussagekräftigen estais briefs du comp- te, also summarischen Zusammenfassungen der Abrechnungen, geschlossen.

Am hilfreichsten aber waren die Zahlungsanweisungen und die Quittungen der Zahlungsempfänger, die sogenannten pièces comptables, die der Argentier zur eigenen Entlastung aufbewahren mußte. Ihr Formular wurde durch den Argen- tier vorgegeben und entspricht demjenigen der Einträge in die Endabrechnun- gen selbst. Die pièces comptables werden in Lille unter den Signaturen Β 2085, 2086, 2092, 2093, 2096, 2097, 2098 und 2102 aufbewahrt. Außerdem ist für den Nachweis der Anwesenheit von Gesandten am herzoglichen Hof das von Jean Godefroy im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts erstellte Itinerar Karls des Kühnen von großem Nutzen. Godefroy konsultierte dafür die heute verlorenen Rechnungen des Hofzahlmeisters (Maître de la chambre aux de-

38 Vgl. P A R A V I C I N I , L'embarras de richesse, S. 53f.; und Inventaire-sommaire des Archives départementales antérieures à 1790. Nord. Archives civiles, Série B, Chambre des Comptes de Lille, 4, bearb. v. M. D E H A I N E S , Lille 1881. Max B R U C H E T, Archives départementales du Nord. Répertoire numérique, Série Β (Chambre des Comptes de Lille), Lille 1921. Für die im einzelnen konsultierten Signaturen siehe unten in der Bibliographie.

3 9 Christian ALBRECHT, Eine reformierte Zentralfinanz. Die Finanzverwaltung während der Herrschaft Karls des Kühnen untersucht anhand der Rechnungsüberlieferung des burgundi- schen Argentiers, in: Finances publiques et finances privées au bas moyen âge, hg. v. Marc BOONEu. Walter PREVENIER, Löwen, Apeldoorn 1996, S. 219-237.

4 0 P A R A V I C I N I , L'embarras de richesse, S. 55-59.

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2. Quellen 23 niers) von 1460 bis zum 5. Januar 1477 (n. St.). Das handschriftliche Itinerar liegt in Lille unter der Signatur ADN Β 19 56141.

Die Burgund betreffenden Bestände des Département des Manuscrits der Bibliothèque Nationale in Paris sind nicht organisch gewachsen wie diejeni- gen in Lille und Dijon. Sie kamen als Beute, durch Kauf und durch die Sam- melarbeit der Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts, allen voran der Gode- froys und der Benediktiner von Saint-Maur, Dom Plancher, Dom Salazar und Dom Aubrée in die französische Hauptstadt. Die benediktinischen Sammlun- gen liegen teilweise gedruckt in der Histoire de Bourgogne des Dom Plancher und des Dom Aubrée vor, im übrigen aber handschriftlich in der Collection de Bourgogne der Bibliothèque Nationale. Die in der Bibliothèque Nationale konsultierten Originale und zeitgenössischen Kopien, die fast alle zu Sammel- handschriften zusammengebunden sind, entsprechen mit Verträgen, Instruk- tionen und Briefen im wesentlichen einem Trésor des Chartes. Von besonderer Bedeutung waren in diesem Fall die Manuscrits français 3884, 3887, 5040- 5041, 5365, 6964, 6978, 6980, 6981, 11590, 18983 und 20458, und die Nou- velles Acquisitions françaises 5903, 7237 und 763642.

Die im Original und in Abschriften in den Manuscrits français 20685 und 23264 aufbewahrten Rechnungen der französischen Chambre des comptes lie- ferten Informationen zur Geschenkpolitik Ludwigs XI. Aus dem Fonds italien wurden die Abschriften der Berichte des mailändischen Gesandten am franzö- sischen Hof für die Zeit zwischen dem Tod Francesco Sforzas und dem Abzug des mailändischen Vertreters vom französischen Hof vor dem Abschluß der Allianz mit Burgund 1475 konsultiert, die von den Editionen der mailändi- schen Korrespondenz von Mandrot und Sestan nicht erfaßt werden43.

Im Vergleich zu Lille besaß das Archiv von Dijon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nur noch untergeordnete Bedeutung für den herzoglichen Hof, da mit der Verlagerung der zentralen Finanzverwaltung durch Philipp den Guten nach Lille auch das herzogliche Hauptarchiv dort fortgeführt wur- de. Zur Zeit Karls des Kühnen wurden in Dijon nur noch die Akten derjenigen diplomatischen Vorgänge registriert, die direkt von Dijon aus organisiert wur- den, wie die Gesandtschaften Antoine de Montjeus nach Italien.

Die Überlieferung der deutschen und österreichischen Archive konnte mit- hilfe des Nachlasses von Henny Grüneisen erschlossen werden, der in der Ar-

41 Es wird mit »GODEFROY, Itinerar« zitiert. Vgl. Wemer PARAVICINI, Kleve, Geldern und Burgund, Anhang 2, S. 81. Ich danke Herrn Prof. Dr. PARAVICINI herzlich für die Überlas- sung seiner Kopie des Manuskriptes.

4 2 Werner PARAVICINI, Die Nationalbibliothek in Paris. Ein Führer zu den Beständen aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit, München u.a. 1981, S. 48f., S. 53 (Collection de Bourgogne); Α. VIDIER u. P. PERRIER, Bibliothèque Nationale. Catalogue des Manuscrits Français. Table générale alphabétique des anciens et nouveaux fonds (Nos 1-33264) et des nouvelles acquisitions (Nos 1-10000), Bde. 1-6, Paris 1931-1948.

4 3 PARAVICINI, Nationalbibliothek, S. 43.

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beitsstelle der Älteren Reihe der Deutschen Reichstagsakten im Historischen Seminar der Universität zu Köln aufbewahrt wird. Dr. Grüneisen trug dreißig Jahre lang mit der größten Gelehrsamkeit und Gründlichkeit Material für den Band 23, 1 der Älteren Reihe der Reichstagsakten zusammen, der sich mit den Beziehungen Karls des Kühnen zum Reich, besonders mit dem Trierer Tag und dem Neusser Krieg, befassen soll44. Auf diesem Weg konnte eine ungleich größere Quellenmenge zur Kenntnis genommen und verarbeitet werden, als es durch eigene Archivreisen im Rahmen einer Dissertation möglich gewesen wäre. Die reichsfürstliche und reichsstädtische Überlieferung besteht im we- sentlichen aus Briefen und Gesandtenberichten, einigen Instruktionen und Vollmachten. Als besonders ergiebig erwiesen sich die Aufzeichnungen aus den Archiven in Basel, Bern, Colmar, Düsseldorf, Innsbruck, München, Straßburg und Wien. Die aus der Sammlung Grüneisen benutzten Archivalien finden sich im einzelnen in der Bibliographie aufgeschlüsselt.

Zudem war es möglich, am Deutschen Historischen Institut in Paris die Ma- terialien zur Erstellung des Inventars des Briefwechsels Karls des Kühnen durchzusehen. Damit konnte die gesamte Korrespondenz des Herzogs, soweit sie bislang bekannt ist, berücksichtigt werden45. Innerhalb der Sammlung wa- ren die Abschriften von herausragendem Interesse, die der französische Ge- lehrte Henri Stein im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf von den Schreiben Herzog Karls machte. Diese Abschriften waren der Forschung bis zur ihrer Aufdek- kung durch Louis Carolus-Barré zu Beginn der 1990er Jahre und der Aufbe- reitung durch Paravicini und seine Mitarbeiter unbekannt. Die Originalab- schriften Steins befinden sich heute in den Archives départementales de la Cô- te-d'Or in Dijon46. Durch sie sind insgesamt 138 Briefe Karls an Herzog Jo- hann von Kleve abschriftlich überliefert, die im Zweiten Weltkrieg entweder ganz zerstört oder weitgehend unleserlich wurden47. Unter ihnen befinden sich auch diejenigen aus der Zeit der Belagerung von Neuss, einer besonders auf- schlußreichen Epoche für die Beziehungen Karls zum Reich. Leider hat Stein nur die Briefe Herzog Karls kopiert, sich aber nicht für die Antwortschreiben seiner Korrespondenten interessiert.

4 4 Siehe P A R A V I C I N I , Einleitung, in: Briefwechsel, 1 , S. 2 2 . Die der Sammlung G R Ü N E I S E N

entnommenen Dokumente werden in den Anmerkungen mit » G R Ü N E I S E N RTA Material»

gekennzeichnet.

4 5 Siehe zur Anlage der Sammlung P A R A V I C I N I, Einleitung, in: Briefwechsel, 1, S. 9-40.

4 6 Vgl. zu den Überlieferungsumständen P A R A V I C I N I , Kleve, Geldern und Burgund, S. 5 3 -

5 5 ; und D E R S . , Einleitung, in: Briefwechsel, 1 , S. 2 2 - 2 8 .

4 7 Friedrich Wilhelm O E D I G E R , Die Bedeutung des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf für die niederländische Geschichtsforschung, in: D E R S . , Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, S. 427. Die der Sammlung Steins entnommenen Briefe werden in den Anmerkungen mit »ACO Dijon, Papiers Henri S T E I N « gekennzeichnet.

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3. Vorgehen und Ziele 25

3. Vorgehen und Ziele

Die Arbeit verbindet die Darstellung der historischen Abläufe mit einer Ana- lyse der personellen und strukturellen Bedingungen der burgundischen Reichspolitik. In einem chronologisch-regional angelegten Teil wird der Ver- lauf der Beziehungen Herzog Karls zu ausgewählten Reichsfürsten und Reichsständen detailliert nachvollzogen. Besonderes Augenmerk gilt den Ge- sandtschaften, die zwischen den Fürsten verkehrten, sowie den übergeordneten Zielen, die Karl mit den jeweiligen Kontakten im Reich verfolgte. Herausge- arbeitet wird so die Errichtung eines östlichen Bündnissystems, das den an den Westgrenzen geführten Kampf gegen Ludwig XI. absichern und als Aus- gangspunkt für die Expansion im Reich dienen sollte.

Im einzelnen widmen sich diese Kapitel dem Verhältnis des Burgunders zur niederrheinischen Region, zu den Herzögen von Kleve, Geldern und Jülich- Berg. Ein Exkurs befaßt sich mit dem Schoßstreit, der zwischen der Hanse und der Stadt Köln vor dem herzoglichen Großen Rat ausgetragen wurde. Auf die Darstellung der Beziehungen zum Pfalzgraf bei Rhein folgt die Untersuchung des Verhältnisses Karls zu den Habsburgern. Mit einer eingehenden Analyse des Tages von Trier, die auch die Haltung der übrigen Kurfürsten berücksich- tigt, behandelt dieses Kapitel den Kern der Reichspolitik Karls und ermöglicht die Interpretation seiner vorangehenden und nachfolgenden Entscheidungen.

Angesichts der bereits vorliegenden erschöpfenden Darstellungen wurde auf eine erneute Behandlung des Kölner Stiftskrieges mit der Belagerung von Neuss und der Kriege in Lothringen, am Oberrhein und gegen die Eidgenossen verzichtet48. Vielmehr wird in einem zweiten Schritt auf der Grundlage der vo- rangegangenen Kapitel der Alltag der Diplomatie näher untersucht. Zwar er- laubt die Quellenlage nicht eine vergleichbar dichte Darstellung, wie sie Esch für den »Alltag der Entscheidung« in Bern geben konnte, doch wird sie im Rahmen des Möglichen auch für den burgundischen Hof geleistet49. Da es dem Herzog nicht gelang, seine Ziele im Reich, namentlich sein Streben nach Legi- timität durch die Kaiserwürde oder zumindest ein souveränes Königreich zu verwirklichen, ist nach den Gründen dafür in der Ausrichtung und den Metho- den der burgundischen Diplomatie zu fragen.

4 8 Vgl. dazu die einschlägigen Abschnitte bei VAUGHAN, Charles, mit der älteren Literatur.

4 9 Arnold ESCH, Alltag der Entscheidung. Berns Weg in den Burgunderkrieg, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 50, 1 (1988) S. 3-64, wieder abgedruckt in:

DERS., Alltag der Entscheidung. Beiträge zur Geschichte der Schweiz an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Bern, Stuttgart, Wien 1999, S. 9-136. Zum Problem der nur unzurei- chend, oder wie im burgundischen Fall, gar nicht vorhandenen Quellen zur Entscheidungs- findung im fürstlichen Rat siehe: Peter S. LEWIS, Être au Conseil au XVE siècle, in: Jacques PAVIOT, Jacques VERGER (Hg.), Guerre, pouvoir et noblesse au Moyen Âge. Mélanges en l'honneur de Philippe Contamine, Paris 2000, S. 461-469, hier S. 464f.

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Dies geschieht zum einen durch die prosopographische Untersuchung der Gesandten, die Karl im Reich vertraten, und durch eine Analyse der Zusam- mensetzung und Größe der Gesandtschaften. Die Frage nach dem Einfluß des Individuums auf den Entscheidungsgang50 wird im Zusammenhang mit einem Blick auf die Parteien gestellt, die sich am burgundischen Hof hinsichtlich der Reichspolitik gebildet hatten. Zum anderen wird der Stellenwert, den der Her- zog den Reichsfursten und dem Kaiser in der praktischen Gestaltung der Be- ziehungen beimaß, durch die Betrachtung der im diplomatischen Verkehr aus- getauschten Geschenke bestimmt. Art und Umfang des Geschenkverkehrs mit den Reichsfursten und mit ihren Gesandten dienen zusammen mit den übrigen Zeichen der zeremoniellen Wertschätzung als Indikatoren fur die Intensität, in der sich Karl mit den Verhältnissen des Reiches, seinen verfassungstechni- schen und politischen Besonderheiten, auseinandersetzte". Schließlich erhal- ten ebenso wie die Frage nach Größe und Zusammensetzung der Gesandt- schaften auch die Erkenntnisse zur Geschenkpolitik ihr Relief erst durch den Vergleich mit der entsprechenden Praxis im Verhältnis zu Höfen, die nicht dem (deutschsprachigen) Reich angehörten, namentlich den französischen, englischen und italienischen52.

Anhand dieser Beobachtungen wird unter Einbeziehung der Ergebnisse aus den verlaufsgeschichtlichen Kapiteln beurteilt, inwieweit der burgundische Hof und der Herzog fähig waren, sich zur Durchsetzung der eigenen Ziele mit den spezifischen Handlungsspielräumen und -Spielregeln des Reiches vertraut zu machen, sie zu akzeptieren und für die eigenen Absichten fruchtbar zu ma- chen. Für Gelingen oder Versagen dieser Reichspolitik war nicht zuletzt die Haltung des gesamten Hofes und allen voran des Herzogs dem Reich und sei- nen Repräsentanten gegenüber von großer Wichtigkeit. Die Aussagen der bur- gundischen Hofchronisten und die persönlichen Äußerungen Karls verspre- chen ergiebigen Aufschluß über die Wertschätzung, die man den östlichen Nachbarn entgegenbrachte, und die die strukturellen Bedingungen der diplo- matischen Praxis wesentlich beeinflußten.

5 0 Peter MORAW, Beamtentum und Rat König Ruprechts, in: ZGO 116, NF 77 (1968) S. 5 9 - 126, hier S. 85; REITEMEIER, Außenpolitik, S. 81.

51 Oder um mit MORAW zu formulieren, inwieweit er die Reichsfürsten den eigenen »Mo- dernisierungsvorsprung« spüren ließ: Peter MORAW, Entwicklungsunterschiede und Ent- wicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: DERS., Über König und Reich, S. 296.

5 2 Auch im folgenden sind mit »Reich« die nordalpinen und in der Regel deutschsprachigen Gebiete des römischen Reiches gemeint.

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