„Schwarzmagische Attacken”
Zu der unter „Post scriptum" in Heft 25/1977 erschienenen Rezen- sion des Buches: Ebermut Rudolph „Die geheimnisvollen Ärzte — Von Gesundbetern und Spruchheilern" (Rezensent Dr. jur. W.
Wimmer)
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Randerscheinungen
Rezensionen zu lesen ist für einen Autor immer eine spannende Sache:
Einmal lernt er sein Werk in einem neuen Licht, mit den Augen eines anderen sehen. Zum anderen aber öffnet sich ihm ein Blick in die Psy- che des Rezensenten. Des Dr. Wolf Wimmer „schwarzmagische Attak- ken" gegen des Unterzeichneten
„Geheimnisvolle Ärzte. Von Ge- sundbetern und Spruchheilern"
(Walter-Verlag/Olten) übertreffen kühne Erwartungen, wecken aller- dings auch gewisse Fragen: Woher bezieht der „Vorsitzende Richter"
am Landgericht Mannheim eigent- lich seine Kenntnis über den „ge- genwärtigen Stand der Volksmedi- zinforschung"?
Schade nur, daß Wimmer kaum zum Thema des Buches findet und sich statt dessen bei peripheren Rander- scheinungen aufhält, die interessen- halber mitberichtet wurden, aber mit dem Gegenstand der telepathi- schen, medialen und Spruchheilun- gen kaum etwas zu tun haben, ob- wohl das für ein Ärzteblatt doch si- cherlich interessanter gewesen wäre. Das Wort „Hexen" — Lieblings- vokabel in den diversen Publikatio- nen des Rezensenten — wird vom Unterzeichneten abgelehnt. „Au- genzeugenberichte" vom soge- nannten „Fernmelken" liegen aus der Nachkriegszeit nicht vor. — Dr.
Wimmers eindringliche Appelle an die „Allgäuer Molkereiwirtschaft", gegen solch bedrohliche Konkur- renz etwas zu unternehmen, kom- men ein gutes Menschenalter zu spät.
Daß „Hexenbanner und Laienexorzi- sten von den Krankenkassen" for- dern, „ihre ‚Behandlung' zu vergü-
ten", steht nirgendwo in meinem Buch. Es ist mir gegenüber auch niemals ein solch absurder Wunsch geäußert worden. Sollte man von ei- nem so hochgestellten Juristen nicht erwarten dürfen, daß er seine Privatphantasie zügelt und sich statt dessen an den Tatsachen orientiert?
Könnte es sein, daß der „unverblüm- te Hexenwahn" — übrigens roter Fa- den in den Wimmerschen Publika- tionen — für den Rezensenten ein Lebenselexier darstellt, eine Art Feindattrappe, wie übrigens auch die Parapsychologie — um Aggres- sionen unbekannter Herkunft loszu- werden? Daß unter uns — wie Wim- mer meint — „das geistige Mittelalter noch quicklebendig" sei, soll nicht pauschal bestritten werden. Zumin- dest aber scheint es ein Stück Er- kenntnistheorie des 19. Jahrhun- derts zu sein, das sich bei ihm als sehr zählebig erweist.
Dr. theol. et phil. Ebermut Rudolph Gemeinde- und Krankenhauspfarrer Reichsstraße 6
8960 Kempten
Notwendige Information
Der Rezensent ist als juristischer Ex- perte auf dem Gebiet der Scharlata- nerie und des Okkultismus auch den Lesern des Ärzteblattes bekannt und wird wegen seiner Erfahrung als Staatsanwalt in Betrügerprozessen und wegen seiner besonderen Lite- raturkenntnisse zu Recht beachtet.
Zwar ist seine anklagende Sprache voll beißenden Humors dem Arzt zu- nächst ungewohnt. Aber können wir uns erlauben, an den beschriebenen Fakten vorbeizugehen, als sei es al- lein Sache des Staatsanwalts oder des Richters, sich mit Mißständen zu befassen, während uns die Rolle des
gütigen Heilenden, des alles
Verste- henden zukommt, der die Augen nach Belieben schließen kann? Man könnte meinen, daß weltfremde und verstiegene, leicht beleidigte und fa- natische Gemüter in der Ärzteschaft überwiegen, wenn man die Leser- briefe liest, die als Echo auf den Arti- kel „Eine andere Wirklichkeit"(DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10, 7. März 1974) in Heft 42 vom 17.
Oktober 1974 abgedruckt wurden.
Diese Kollegen berufen sich u. a.
darauf, daß sie sich in guter Gesell- schaft befinden, denn es hat be- kanntlich viele okkultgläubige Ge- lehrte, darunter auch Nobelpreisträ- ger gegeben.
Nun geht es aber doch nicht darum, zu widersprechen und recht zu be- kommen, sondern zu verstehen, um was es geht und was zu tun ist! Da- her ist zunächst festzustellen, daß in weiten Kreisen nicht bekannt ist, daß unsere derzeitige Gesetzgebung — einschließlich des Heilpraktikerge- setzes — den Scharlatanen freien Lauf läßt und daß ihnen durch die
„Wissenschaft der Parapsycholo- gie" und durch die Leichtgläubig- keit, ja Wundersucht vieler Zeitge- nossen (auch Kollegen!) der Rücken gedeckt wird. Nur drei Stichworte dazu: Der Betrüger Hanussen III (Wilhelm Gerstel, mehrfach vorbe- straft, prellte u. a. Eltern eines ge- lähmten Mädchens um eine Summe von etwa 5000 DM), erhielt 1972 bei seiner Verurteilung eine „Strafe" in Höhe von 2000 DM; im „Frischzell- therapieprozeß" gegen Prof. Scheif- farth sollte einem Spezialisten das warnende Wort verboten werden;
Krebsdiagnosen und -behandlun- gen von Nichtärzten mit Hilfe von Pendel-, Iris- und Urindiagnostik (auch in Abwesenheit des Patienten) oder durch „Bettrücken" usw. sind an der Tagesordnung. Herr Dr. Rose, Kollege und Leiter der „Zentrale zur Bekämpfung der Unlauterkeit im Heilgewerbe" in Mannheim ist voll ausgelastet und hat gefüllte Akten- schränke. Geht uns das nichts an?
Und war das genügend bekannt?
Müssen wir Herrn Dr. Wimmer nicht dankbar sein, daß er uns aufgerüttelt hat? Ich meine, wir sollten aufeinan- der hören und uns in die Verantwor-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Heft 39 vom 29. September 1977 2347Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
„Schwarzmagische Attacken"
tung teilen, statt die Nase zu rümp- fen oder sogar aggressiv zu rea- gieren!
Noch ein Wort zu Dr. Ebermut Ru- dolph: In einer seiner Schriften be- richtet er, daß er als Klinikpfarrer bei einigen Patienten „okkulte Behaf- tung" festgestellt habe. Wie wird er den Patienten (oder die Patienten!) getröstet haben? Und können wir nach dem Unglück in Klingenberg noch die Achseln zucken oder gar erwägen, ob der Teufel hier am Werke war, so daß der Arzt nicht helfen kann?
Man fragt sich, wie es möglich ist, daß seinerzeit sieben Leserbriefe als Antwort auf Dr. Wimmers Ausfüh- rungen geschrieben wurden, die ausnahmslos Protest enthielten und warmes Engagement für die Ben- dersche „Forschung". Ob diese Kol- legen wohl die Zeitschrift für Para- psychologie aufmerksam gelesen haben? Das wäre jedenfalls sehr zu empfehlen! Ein Beispiel mag hier genügen, über das man lachen könnte, hätte diese „Wissenschaft"
nicht so ernste Folgeerscheinungen.
Ein wörtliches Zitat aus der Zusam- menfassung von Prof. Anton Neu- häuslers Abhandlung über die „Psy- chofotos" des Ted Serios (Z. Para- psychologie 12, 26-41, 1970) lautet:
„Von der philosophischen Prämisse der Wesensgemeinschaft von Geist und Materie ausgehend, schlägt der Referent eine ,Inversions-Hypothe- se` vor, um die eigentliche Frage:
Wie ist die Psychofotografie mög- lich? versuchsweise zu beantwor- ten: Der normale Sehvorgang von der Lichtquelle zum Sehzentrum ins Bewußtsein könnte prinzipiell in um- gekehrter Weise verlaufen; das Bild würde dann von innen nach außen reproduziert."
Nach dieser Kostprobe möchte ich fragen, wessen Ausführungen „un- qualifiziert" und „wissenschafts- feindlich" sind und das Ansehen des ÄRZTEBLATTES in Gefahr bringen (Zitat Seite 3028 DÄ, 17. Oktober 1974), die des „Anklägers" oder die seiner Kritiker?
Sollten wir nicht die Gelegenheit der Rudolphschen Buchbesprechung nutzen, um uns zu entschuldigen und zu danken für die notwendigen Informationen, die uns Dr. Wimmer aus seinem Erfahrungsbereich mit- geteilt hat?
Prof. Dr. med. Irmgard Oepen Institut für Rechtsmedizin der Universität Marburg Bahnhofstraße 7 3550 Marburg
Brief an die Redaktion
GESCHLECHTSKRANKHEITEN
Eine Nachricht, die sich auf Angaben des Statistischen Bundesamtes stützt, wird in einer Leserzuschrift relativiert.
Weniger
Geschlechtskranke?
In Heft 33/1977 ist auf Seite 2018 eine Meldung mit der Überschrift
„Zahl der Geschlechtskranken wei- ter gesunken" erschienen. Dem ist aus der Sicht des Laborarztes, der sich seit vielen Jahren mit der Sero- diagnostik der Syphilis beschäftigt, die Frage entgegenzustellen: „Zahl der Geschlechtskranken weiter ge- sunken?" In der Notiz wird festge- stellt, daß das Statistische Bundes- amt aufgrund seiner Unterlagen ei- nen „erneuten Rückgang" der Ge- schlechtskranken für 1976 gemeldet hat, und zwar um 13 Prozent gegen- über dem Vorjahr.
Aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt im Jahre 1976 lediglich 7300 Syphilis-Erkrankungsfälle ge- meldet worden. Daß diese Zahl bei der von allen Kennern der Szene er- kannten „Dunkelziffer" fast nichts besagt, bedarf eigentlich keiner be- sonderen Erwähnung. Wenn man davon ausgeht, daß diese „Dunkel- ziffer" von Jahr zu Jahr gleichbleibt, könnte man durch den Vergleich der gemeldeten Erkrankungsfälle we- nigstens einen Trend erkennen.
Aber gerade diese Annahme scheint mir heute nicht mehr berechtigt. In zunehmendem Maße findet man bei den Ärzten in Klinik und Praxis die Ansicht, daß das Gesetz zur Be- kämpfung der Geschlechtskrankhei- ten mit seiner Meldepflicht veraltet ist. Weil viele Ärzte ihr Berufsge- heimnis und damit das Vertrauens- verhältnis zum Patienten für das hö- here Rechtsgut halten, wird die Mel- depflicht zunehmend nicht mehr be- achtet. Bei gleichbleibender oder sogar gering steigender Zahl von Er- krankungsfällen würde sich eine statistische Verminderung ergeben, wenn der Meldepflicht nicht nach- gekommen wird.
Daß diese Annahme zur Erklärung der Statistik richtiger zu sein scheint, ergibt sich aus den Untersu- chungen in den Laboratorien. Bei praktisch unverändertem Einsen- derkreis schwanken die klinisch und/oder serologisch diagnostizier- ten Syphilis-Erkrankungsfälle in meinem Laboratorium im jeweils er- sten Halbjahr der Jahre 1975 bis 1977 zwischen 100 und 130, ohne daß ein Trend nach unten zu erken- nen wäre. Dem daran Interessierten steht unser Zahlenmaterial gern zur Verfügung.
Ich will gewiß die Syphilis als eine Infektionskrankheit nicht „hochstili- sieren". Ich meine aber, daß Mel- dungen wie jene des Statistischen Bundesamtes wenig geeignet sind, den Arzt zu motivieren, bei klinisch und differentialdiagnostisch unkla- ren Krankheitsbildern auch an die Syphilis zu denken. Daß es die Meta- lues auch heute noch gibt, konnten wir in Zusammenarbeit mit der Klinik erst kürzlich nachweisen, als wir in einem Falle die Diagnose: Hepatitis syphilitica und in einem anderen Falle die Diagnose: Nierengummata (bei klinischem Verdacht auf Zysten- niere) serologisch sicherten.
Professor Dr. med.
Ferdinand Müller Leiter der Serologischen Abteilung am Hygieneinstitut Gorch-Fock-Wall 15-17 2000 Hamburg
2348 Heft 39 vom 29. September 1977