Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 8|
24. Februar 2012 A 383 PFLEGEMUSEUMKranke lagen neben Toten
Mit Bildern der Siechenhäuser beginnt der Rundgang durch das Museum zur Geschichte der Krankenpflege in Düsseldorf.
A
m Anfang war das Siechen- haus. Dass sich Patienten in ein Krankenhaus begeben und die- ses nach einigen Tagen oder Wochen geheilt wieder verlassen, ist eine Er- findung des 18. Jahrhunderts. Zuvor kamen Menschen nur zum Sterben in die Bettensäle, in denen Schwes- tern ihre Wunden versorgten und ih- nen Knebel in den Mund schoben, wenn sie schrien. Nicht jeder Patient hatte ein Bett für sich, und dass Le- bende neben Toten lagen, war auch keine Ausnahme. Mit solchen Sze- nen begann die Geschichte der Krankenpflege, und mit Bildern der Siechenhäuser beginnt auch der Rundgang durch das erste Pflege- museum Deutschlands in der Kai- serswerther Diakonie in Düsseldorf.Dort hat der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner 1836 die Diako- nissen-Gemeinschaft und weltweit die erste Ausbildungsstätte für Kran- kenschwestern gegründet. Da Pfle- gekräfte heute in ihrer Ausbildung die Geschichte der Pflege lernen müssen, können sie jetzt bei Füh - rungen durch das Pflegemuseum schnell, sinnlich und mit modernen Methoden einen Überblick gewin- nen. „Wir sind offen für Fachleute, aber auch für Spaziergänger, die ein-
fach vorbeikommen“, sagt Dr. Nor- bert Friedrich, der Initiator des Mu- seums. Er leitet die Fliedner-Kultur- stiftung, die das Museum betreibt.
Backsteingiebel, Säulenhallen, Blick in uralte Bäume: Die Räume des Museums sind im 19. Jahrhun- dert selbst ein Krankenhaus, in der Zeit also, in der sich Pflege von wohlmeinender und oft von Fröm- migkeit getragener Zuwendung zu Patienten zu einem Beruf wandelt.
In der Zeit wird die Bedeutung von Hygiene wissenschaftlich erkannt, und die Tätigkeiten, die Pflegerin- nen und Hebammen bis dahin in - tuitiv verrichteten, bekommen ein
sachliches Fundament und Syste- matik. Die Bedeutung von Viren und Bakterien für Krankheit und Pflege werden entdeckt, Hilfsmittel wie Lachgas, Äther oder Chloro- form für Narkosen sind bahnbre- chende Erfindungen, die Schmer- zen lindern. Wenn zuvor Schreie durch die Räume hallten, bleibt es jetzt beim Wimmern und Stöhnen.
Im Pflegemuseum können die Besucher Tropfflaschen für Äther, einen Sterilisationsapparat und alte Blutdruckmessgeräte ausprobieren.
Dass nicht nur Therapien, sondern auch Krankheiten typisch sind für ihre Zeit, wird an den Wachsabgüs- sen verschiedener Hautkrankheiten aus dem 19. Jahrhundert sichtbar.
Einen „Patienten“ darf jeder Besu- cher ein- und auskleiden: Es ist eine lebensgroße Puppe, eine besonders steife Puppe, der man nur mit Mühe Nachthemd und Antithrombose- strümpfe anziehen kann.
Die Geschichte der Pflege in der NS-Zeit
Ein Raum im Pflegemuseum be- schäftigt sich mit der Geschichte der Pflege in der NS-Zeit. Er ist der evangelischen Diakonisse jüdischer Herkunft Erna Aufricht gewidmet, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. „Die Diakonie in Kaisers- werth hat sich den nationalsozialis- tischen Gesetzen und Gepflogen- heiten nicht widersetzt“, sagt Histo- riker Friedrich. In Kaiserswerth sei- en zwar keine geistig Behinderten im sogenannten Euthanasie-Pro- gramm ermordet worden. „Das ge- schah aber nicht aus Überzeugung, sondern weil hier keine Geistes- kranken behandelt wurden“, erläu- tert Friedrich. Der Raum, der an die Jahre erinnert, die „kein Ruhmes- blatt für Kaiserswerth sind“, lenkt Friedrich zufolge auch den Blick auf Ausgrenzung in der Gegenwart:
Wem helfen wir? Wem helfen wir nicht? Wer wird heute ausgegrenzt?
Diese Fragen beherrschen die Dar- stellung, weil es in jeder Zeit Men- schen gebe, denen nicht geholfen wird. Das Pflegemuseum ist täglich von neun bis 16 Uhr geöffnet. Füh- rungen nach Anmeldung unter:
0211 56673780.
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Irene Dänzer-Vanotti Backsteingiebel
und Säulenhallen:
Das Düsseldorfer Pflegemuseum war im 19. Jahrhundert selbst ein Kranken- haus.
Foto: epd
Zahlreiche Quel- len informieren unter anderem über die Geschichte der Pflege.
Foto: Frank Elschner