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Archiv "Stammzellforschung: Ethische Verwirrung" (14.03.2008)

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A576 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1114. März 2008

B R I E F E

STAMMZELLFORSCHUNG

Das Parlament hat die Forschungsfrei- heit und die Hoff- nung auf Heilung ge- genüber dem Em- bryonenschutz ab- zuwägen (DÄ 4/

2008: „Ein ethisches Dilemma“ von Gise- la Klinkhammer und Dr. med. Eva Richter- Kuhlmann, und DÄ 48/2007: „Reprogram- mierungserfolge entzünden erneut Debat- te“ von Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann).

Ethisches Dilemma?

Die embryonale Stammzellfor- schung wird als ethisches Dilemma, als „Zwangslage“ bezeichnet. Aber trifft dies überhaupt zu? Muss denn die Forschungsfreiheit hier zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen Dingen wählen? Ich denke nicht! Vor der berufsethischen Verpflichtung zum „salus aegroti“ steht doch hip- pokratisch das „primum nil nocere“!

Die Herstellung embryonaler Stammzellen setzt das Töten des un- schuldigsten aller Menschen, des Embryos, voraus, den der Philosoph der Aufklärung I. Kant bereits als

„Weltbürger“ anerkannte und für dessen Lebensrecht er sich einsetzte – übrigens ohne unser detailliertes Wissen über dessen eigene Organisa- tionskraft ab der Karyogamie. Um den Erkenntnisstand der Aufklärung und die aus ihr erwachsene Lebens- kultur nicht erneut zu konterkarieren, sollte sich die moderne Medizin auf die klinisch erfolgreiche adulte Stammzelltherapie konzentrieren und für die begleitende Grundlagen- forschung in verantwortlicher Weise tierische embryonale Stammzellen verwenden, raten u. a. Prof. L. Ken- ner, Wien, und Prof. A. Bauer, Hei- delberg. Kurz: Man löse sich von der

(zwanghaften?) Fixierung auf bishe- rige Verfahren und setze seine wis- senschaftliche Kreativität ungeteilt für ethisch und rechtlich unbedenkli- che Methoden ein. So beweglich und frei ist der Forscher doch!

Dr. med. Maria Overdick-Gulden,Markusberg 24 e, 54293 Trier

Ethische Verwirrung

Das von Ihnen angeführte ethische Dilemma der Stammzellforschung stellt sich als ethische Verwirrung dar, insbesondere auch, was die er- wähnte Kritik aus Reihen der katho- lischen Kirche betrifft. Bis 1869 ver- trat die katholische Kirche bei der Abtreibung in Anlehnung an die an- tike biblisch-talmudische Stufenleh- re der Sukzessivbeseelung, später auch Epigenese genannt, eine Fris- tenlösung. Ein Embryo galt erst ab dem 40. Tag nach Empfängnis als

„beseelt“, erst danach galt eine Ab- treibung als Tötung, so auch bei Thomas von Aquin. Als Papst Sixtus V. 1588 diese Unterscheidung von unbeseeltem und beseeltem Status eines Embryos abschaffen wollte, gab es einen solchen Sturm der Ent- rüstung im Kirchenvolk, dass diese Fristenlösung nur drei Jahre später von seinem Nachfolger wieder ein- geführt wurde und bis 1869 (Papst Pius IX.) Bestand hatte. Die ebenso willkürliche Lehre der Simultanbe- seelung vom Zeitpunkt der Emp- fängnis ab, auf welche die Kirchen- vertreter sich jetzt berufen, fand erst 1917 Eingang in das katholische Kirchenrecht . . . Erst 1875 wurde erstmals die Verschmelzung von Ei- zelle und Samenzelle beobachtet und später die Idee der Simultanbesee- lung geboren . . . Zunächst fiel auf, dass die Befruchtung der Eizelle zwar das erste Ereignis bei der Ent-

stehung eines menschlichen Indivi- duums ist, aber nicht das absolut ent- scheidende. Aus einer befruchteten Eizelle können nach Implantation mehrere Individuen entstehen, einei- ige Zwillinge. Erst die Einnistung in den Uterus führt also zur Individua- lität. In Anlehnung an die antike Stu- fenlehre unterscheiden auch namhaf- te katholische Theologen zwischen artspezifischen, individualspezifi- schen und personenspezifischen Sta- dien der Embryonalentwicklung . . . Sie finden ihre Entsprechungen in der modernen Fortpflanzungsbio- logie, insbesondere in den Erkennt- nissen aus der Genom- und Epige- nomforschung, die nahelegen, dass es sich bei den präembryonalen Sta- dien von der Zygote bis zur Blasto- zyste nicht um Individuen handelt.

Auffällig ist zunächst die hohe Ver- lustrate von über 70 Prozent vor der Implantation. Bezogen auf die Ge- burtenrate gehen in Deutschland jährlich mehr als 1,5 Millionen be- fruchtete Eizellen unbemerkt verlo- ren und weltweit mehr als 250 Mil- lionen. Das allein sollte schon die Diskussion um die Forschung an ei- nigen wenigen Stammzellreihen re- lativieren . . . Absurd ist es, Stamm- zellen in der Petrischale besser zu schützen als den Embryo im Mutter- leib . . . Mit diesem Widerspruch lebt das Stammzellgesetz. Zygoten, welche bei natürlicher Befruchtung millionenfach der Vernichtung an- heimfallen, werden in vitro streng geschützt, während das beginnende menschliche Leben, welches im Ute- rus einen hohen Schutz genießt, 100 000-fach dem Eigennutz einer hedonistischen Gesellschaft geopfert wird. Ein Programm, welches in Bil- lionen unserer Zellen vorhanden ist, ist noch kein Mensch, auch nicht, wenn es zu einer totipotenten Stamm-

Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.

Das Leser-Forum

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1114. März 2008 A577

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zelle reprogrammiert wird. Die Gleichstellung von Stammzellen mit Embryonen und den Forschern ein Tötungsgeschäft zu unterstellen, welches in Wirklichkeit die Gesell- schaft an den Embryonen begeht, sind absurd. Aufgabe der Medizin ist seit Tausenden an Jahren nicht nur die Anwendung, sondern auch die Schaffung bestmöglichen Wissens.

An der Mauer der Stammzellfor- schung soll damit Schluss sein . . .

Dr. med. Rolf Klimm,Bach 2, 83093 Bad Endorf

Noch viele Fragen offen

In dem Artikel wird die anstehende Entscheidung als Dilemma zwi- schen Forschungsfreiheit und Hoff- nung auf Heilung beziehungsweise Embryonenschutz erwähnt. Ist es denn wirklich so? Wird da nicht ein Dilemma konstruiert? Nehmen Geg- ner der embryonalen Stammzellfor- schung die Hoffnung auf Heilung?

Verhindern sie Heilungschancen für Leidende? Stellt die Möglichkeit der adulten Stammzellforschung nicht ebenso eine Hoffnung auf Heilung dar? Und das ohne das Dilemma mit dem Embryonenschutz? Der Aussa- ge von Bundesforschungsministerin Annette Schavan, dass ein Durch- bruch bei adulten Stammzellen nur möglich sei, wenn zuvor an embryo- nalen Stammzellen geforscht wer- den könne, dürften Forscher adulter Stammzellen widersprechen (wie auch Prof. M. Spieker) und die Er- gebnisse von Shinya Yamanaka und Jungying Yu aus dem vergangenen Jahr ein gegenteiliger Beweis sein.

Die Wegeslänge zur klinischen An- wendung ist zweifellos in beiden Forschungssparten noch nicht ab- sehbar. Im Kasten „Embryonen aus Hautzell-DNA geklont“ wird dann auch von „diesem Zellhaufen“ ge- sprochen, bei dem es sich nun doch um einen Embryo handelt! Warum diskutiert man eigentlich eine Ver- schiebung des Datums? Warum dann 1. Januar 2007 und nicht we- nigstens 2008? Dann sollte man doch ehrlich sein und eine weitere Verschiebung in x-Jahren gleich offenlassen. Ein Argument gegen weitere Verschiebungen wird nur schwer zu finden sein. Entscheidend sollte bleiben, dass menschliches

Leben nicht zur Disposition steht.

Wie Frau Klinkhammer darstellt, gibt es keine überzeugenden Argu- mente, die zeigen, dass nach Ver- schmelzung von Ei- und Samenzelle noch nicht menschliches Leben be- steht. Aus dieser Zelle kann sich der Mensch entwickeln . . . Dieses Le- ben kann nicht zur Disposition ge- stellt werden, wenn es um mögli- cherweise irgendwann realisierbare Heilung geht, die noch keineswegs gewiss ist.

Dr. med. Birgitta Stuebben,

Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH am Klinikum Landsberg, Bürgermeister-Dr.-Hartmann-Straße 50, 86899 Landsberg am Lech

Ein anderes ethisches Problem

. . . In der öffentlichen Debatte über die ethischen Probleme der For- schung an menschlichen embryona- len Stammzellen (hESZ) ist seit Jah- ren zwar dem Problem des Embryo- nenverbrauchs eine zentrale Bedeu- tung beigemessen worden, aber dies ist nicht das einzige Problem, das es hier gibt. Wie sich jetzt zeigt, ist es noch nicht einmal das ernsteste und schwierigste der Probleme, die diese Forschung aufwirft. Ich habe seit Jahren, seit Beginn der Stammzell- debatte, darauf hingewiesen, dass die Potenzialität, die die Stammzellen gegenüber anderen Zellen auszeich- net, Probleme eigener Art aufwirft, und habe darüber auch des Öfteren (u. a. im DÄ und kürzlich im Journal of Medical Ethics) veröffentlicht . . . Mein Hauptargument und die zentra- le Besorgnis, die sich daran knüpft, ist, dass hESZ aufgrund ihrer beson- deren Differenzierungspotenz („Plu- ripotenz“ oder, wie ich als Alterna- tivterminus vorgeschlagen habe, Omnipotenz) totipotenten Zellen früher Embryonen so nahe stehen, dass man aus ihnen relativ leicht und mit guter Erfolgsquote lebensfähige Individuen klonen kann, und zwar mit dem Verfahren der tetraploiden Komplementierung. Das ist nach heutigem Kenntnisstand nur mit frühembryonalen Zellen (Blastome- ren) und eben ESZ möglich. Dies wird in vielen Labors weltweit bei der Maus exerziert, und kein ein- schlägig tätiger Forscher zweifelt

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