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Archiv "Restless-Legs-Syndrom: Die vergessene Krankheit" (03.11.2000)

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A2932 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 44½½½½3. November 2000

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as Restless-Legs-Syndrom ist eine häufige und oft übersehene Ur- sache von Schlafstörungen. In polysomnographischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das RLS in fünf bis neun Prozent Ursache einer In- somnie ist (7, 20). Schätzungen über die Prävalenz des RLS in der Normalbevöl- kerung schwanken zwischen zwei und zehn Prozent (13, 22, 38), mit einer signi- fikanten Häufung im höheren Lebensal- ter (2, 10). In Deutschland leiden 9,4 Pro- zent der über 65-Jährigen an einem RLS, wobei Frauen deutlich häufiger betrof- fen sind. 40 Prozent der Fälle sind idiopa- thisch oder familiär bei autosomal-domi- nantem Vererbungsmodus (11, 46, 51).

Hier können sich RLS-Beschwerden be- reits im Kindes- und Jugendalter erstma- lig manifestieren. Symptomatische For- men finden sich bei circa 60 Prozent der Patienten. Bei 20 bis 40 Prozent der dia- lyseabhängigen niereninsuffizienten Pa- tienten besteht ein RLS (9, 32, 57). Gesi- chert ist auch das Auftreten von RLS in 10 bis 20 Prozent während der Schwan- gerschaft (13, 14, 17), bei Eisenmangel (14, 15, 28, 39) und bei rheumatoider Ar- thritis (33). Eine mögliche Verstärkung der RLS-Symptomatik unter einer Be- handlung mit Antidepressiva (tri- und te- trazyklische Antidepressiva, Serotonin- wiederaufnahmehemmer, Lithium) und am Dopamin-D2-Rezeptor antagoni- stisch wirkenden Neuroleptika oder Me- toclopramid ist bekannt (30, 49, 51).

Klinische Symptomatik

Das Leitsymptom des RLS ist ein unan- genehmer Bewegungsdrang der Extre- mitäten, der ausschließlich oder überwie- gend in Ruhe und Entspannung vor al- lem am Abend und in der Nacht, mit ei- nem Maximum kurz nach Mitternacht,

auftritt. Damit verbunden sind sensible Symptome wie Kribbelparästhesien, Ziehen, Reißen, Stechen, Schmerzen oder vom Patienten nicht näher zu be- schreibende Missempfindungen, die uni- lateral alternierend oder symmetrisch auftreten. Durch Bewegen der Beine oder Lagewechsel im Bett können die Beschwerden etwas reduziert werden.

Meist ist es jedoch notwendig aufzuste- hen und umherzugehen, um ein Sistieren oder eine deutliche Linderung der Be- schwerden zu erzielen. Ein Teil der Pati- enten berichtet über das Auftreten von Zuckungen der Beine. Neben Einschlaf- störungen, verursacht durch RLS-Sym- ptome, treten bei vielen Patienten Durchschlafstörungen mit häufigem Er- wachen auf. In den nächtlichen Wach- phasen stehen die Patienten auf und ge- hen umher beziehungsweise versuchen durch Wechselduschen, Massagen oder Gymnastikübungen der Beine die Be- schwerden zu lindern. Das primäre oder idiopathische Restless-Legs-Syndrom unterscheidet sich in seiner klinischen Symptomatik nicht vom sekundären RLS (22). Der neurologische Untersu- chungsbefund bei idiopathischen RLS- Patienten ist unauffällig. Bei symptoma- tischem RLS kann, vor allem bei nieren- insuffizienten Patienten, gleichzeitig eine Polyneuropathie vorliegen, die jedoch die Beschwerden nicht hinreichend er- klärt. Der Verlauf der Erkrankung ist in aller Regel chronisch progredient, mit in- itial intermittierendem Auftreten der Beschwerden. Beschwerdefreie Interval- le werden zunehmend seltener und die nächtliche RLS-Symptomatik tritt häufi- ger und intensiver auf (Textkasten 1) (55).

Typische Situationen in denen RLS-Be- schwerden auftreten sind im Textkasten 2 beschrieben.

Pathophysiologie

Aufgrund beobachteter pharmakologi- scher Wirkungen wird pathophysiolo- gisch eine Störung auf der Transmitter-

Restless-Legs-Syndrom

Die vergessene Krankheit

Wolfgang H. Oertel1 Karin Stiasny1 Thomas C. Wetter2 Claudia Trenkwalder2

Zusammenfassung

Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) gehört mit ei- ner Prävalenz von circa zwei bis zehn Prozent zu den häufigsten und gut therapierbaren neurolo- gischen Erkrankungen. Es ist durch einen über- wiegend in Ruhesituationen auftretenden Be- wegungsdrang, der üblicherweise mit Par- ästhesien in den Beinen einhergeht, charakteri- siert. Typischerweise treten die Beschwerden verstärkt abends und in der Nacht auf und si- stieren bei Bewegung. Charakteristisch sind nächtliche unwillkürliche Beinzuckungen, so ge- nannte Periodic Limb Movements. Eine spezifi- sche Therapie sollte erst nach differenzialdia- gnostischer Abgrenzung von anderen beinbe- zogenen Missempfindungen (zum Beispiel Poly- neuropathie) und bei deutlicher Beeinträchti- gung der Lebens- beziehungsweise Schlafqua- lität des Patienten erfolgen. In kontrollierten Studien untersuchte Substanzen wie L-DOPA/

DDC-Hemmer in der Standard- und Retardform sowie Dopaminagonisten bieten effiziente und sichere therapeutische Möglichkeiten.

Schlüsselwörter: Restless-Legs-Syndrom, Perio- dic Limb Movement, L-DOPA, Dopaminagonist

Summary

Restless Legs Syndrome – an Overlooked Disease

The restless legs syndrome is one of the most common and well treatable neurological dis- eases with a prevalence of two to ten per cent.

RLS symptoms consist of unpleasant sensa- tions in the lower extremities that are accom- panied by an urge to move. Symptoms predomi- nantly occur at rest, are more pronounced in the evening and/or at night and are relieved by movement. Characteristically RLS patients have nocturnal periodic movements during sleep and while being awake. After differential diag- nosis to distinguish paresthesias due to other diseases (e.g. peripheral neuropathy) pharma- cotherapy should be started if RLS symptoms restrict the patient’s well being and if sleep dis- turbances are present. As shown in controlled trials standard and slow release levodopa/DDI and dopamine agonists are effective and save treatment options.

Key words: restless legs syndrome, periodic limb movement, L-dopa, dopamine agonist

1Klinik und Poliklinik für Neurologie (Direktor: Prof. Dr.

med. Wolfgang H. Oertel), Philipps-Universität, Marburg

2Max-Planck Institut für Psychiatrie (Direktor: Prof. Dr.

Dr. Florian Holsboer), München

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beziehungsweise Rezeptorebene des zentralen Nervensystems, insbesondere des dopaminergen oder opioidergen Sy- stems, vermutet (2, 25, 27, 54). Hinsicht- lich der lokalisatorischen Zuordnung zei- gen funktionelle Kernspinuntersuchun- gen an Patienten mit RLS eine Aktivie- rung des Cerebellums und Thalamus während Phasen rein sensibler Sympto- me beziehungsweise des Nucleus ruber und Hirnstamms während Phasen moto- rischer Aktivität (PLM) (6). Die Basal- ganglien scheinen bei der Entstehung des RLS keine wesentliche Rolle zu spielen (48). Eine kortikale Beteiligung wurde bisher nicht angenommen, da elektro- physiologisch kein PLM-assoziiertes Be- reitschaftspotenzial auftritt (43). Kürz-

lich konnte jedoch durch transkranielle Magnetstimulationsuntersuchungen ei- ne verminderte Inhibition des motori- schen Systems auf der Ebene des Motor- kortex nachgewiesen werden (16, 41).

Das Rekrutierungsmuster, die Dauer und Periodizität elektromyographisch erhobener Potenziale lassen auch einen spinalen Ursprung vermuten (44).

Diagnostik

Die Diagnostik umfasst die Anamnese und eine neurologisch-internistische Un- tersuchung. Es sollten Laborparameter (Nierenfunktion, Blutbild, Serumeisen und Ferritin) bestimmt und bei Verdacht

auf eine Polyneuropathie eine Neurogra- phie und Elektromyographie erfolgen.

Lässt sich klinisch-anamnestisch die Dia- gnose RLS nicht sicher stellen, ist eine Polysomnographie (PSG) indiziert. Die- se Untersuchung dient auch dazu, andere spezifische Schlafstörungen, vor allem schlafbezogene Atmungsstörungen, aus- zuschließen. Typischerweise lassen sich bei RLS-Patienten periodische Beinbe- wegungen im Wachen und Schlaf (Peri- odic Limb Movements, PLM) durch Oberflächen-EMG-Ableitungen an den Mm. tibiales anteriores registrieren (Grafik 1). PLM führen vermehrt zu kurzzeitigen Weck- oder Aufwachreak- tionen (PLM-Arousal oder Awakening) (Grafik 2), sodass die Einschlafzeit ver- längert, die Gesamtschlafzeit verkürzt und somit die Schlafeffizienz (Gesamt- schlafzeit bezogen auf die im Bett ver- brachte Zeit) reduziert ist. Die Anzahl an PLM beziehungsweise assoziierten Weckreaktionen kann als Indikator für den Schweregrad eines RLS dienen. Zur Beurteilung werden hierfür der PLM-In- dex (Anzahl an PLM bezogen auf die im Bett verbrachte Zeit) und der PLM- Arousal-Index (Anzahl an PLM-Arou- sal pro Gesamtschlafzeit) herangezogen.

Differenzialdiagnostisch sollte vor allem eine Polyneuropathie abgegrenzt wer- den. Dabei gilt die ungenügende Be- schwerdebesserung durch Bewegung als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal.

Eine seltene Differenzialdiagnose ist das

„painful legs and moving toes”-Syn- drom, das durch ziehende Schmerzen der Beine und unwillkürliche Bewegungen ausschließlich der Zehen charakterisiert ist. Weitere Differenzialdiagnosen wer- den im Textkasten 3erläutert (45).

Typische Situationen, in denen RLS-Symptome bemerkt werden

Ruhiges Liegen oder Sitzen

Längere Autofahrten oder Busreisen

Langstreckenflüge

Bettlägrigkeit bei Krankenhausaufenthalten

Gipsverband

Kino- oder Theaterbesuche

Fernsehen

❃ Entspannungsübungen

Dialysebehandlung

Schwangerschaft Textkasten 2

5 – 90 sec 5 – 90 sec 5 – 90 sec Aktivität des M. tibialis anterior

0,5 – 5 sec 1.

0,5 – 5 sec 2.

0,5 – 5 sec 3.

0,5 – 5 sec mindestens 4 Einzelbewegungen Grafik 1

Die typischerweise bei RLS-Patienten auftretenden periodischen Beinbewegungen (Periodic Limb Movement, PLM) haben definitionsgemäß eine Dauer von 0,5 bis 5 sec und treten in Serien von vier Einzelbewegungen im Abstand von 5 bis 90 sec auf (Kriterien der American Sleep Disorders Associa- tion, ASDA).

Diagnosekriterien des RLS (modifiziert nach 23) Klinische/anamnestische Minimalkriterien

Bewegungsdrang, üblicherweise assoziiert mit sensiblen Symptomen

(Missempfindungen in den Extremitäten [ein- oder beidseitig] wie Kribbeln, Ziehen, Reißen, Jucken, Brennen, Krämpfe oder Schmerzen)

Motorische Unruhe

(Ruhelosigkeit, Dehnen oder Bewegen der Beine, Umhergehen, Drehen und Wenden im Bett, Reiben oder Massieren der Beine)

Auftreten oder Verstärkung der Symptome in Ruhe (Bewegung reduziert die Beschwerden vorübergehend)

Verstärkung der Symptomatik gegen Abend oder Nacht Zusätzliche, ergänzende Kriterien

Schlafstörungen

(Ein- und/oder Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit, Erschöpfung)

Unwillkürliche Bewegungen

(Periodische Beinbewegungen im Schlaf/Wachzustand in Ruhe [ein- oder beidseitig])

Klinischer Verlauf

(initial meist fluktuierend, im Verlauf kontinuierlich oder progredient

Exazerbationen/Auftreten durch: Niereninsuffizienz, Eisenmangel, Schwangerschaft, Medikamente)

Eventuell positive Familienanamnese (autosomal-dominante Vererbung) Textkasten 1

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Therapie

Die Indikation zur Therapie stellt sich aus dem subjektiven Leidensdruck be- ziehungsweise dem Ausmaß der Schlaf- störungen. Vor Beginn einer medika- mentösen Therapie sollte geklärt wer- den, ob der Patient Medikamente ein- nimmt, die ein RLS verstärken oder aus- lösen können. Bei symptomatischem RLS steht die Behandlung der Grunder- krankung an erster Stelle, hier vor allem eine Eisensubstitution bei Eisenmangel- anämie. Beim urämischen RLS ist die Nierentransplantation die Therapie der Wahl, da RLS-Beschwerden nach einer erfolgreichen Nierentransplantation si- stieren. Ist die Möglichkeit einer kausa- len Therapie nicht gegeben, sollte eine Pharmakotherapie eingeleitet werden.

Dopaminergika stehen an erster Stelle der symptomatischen medikamentösen RLS-Therapie. Kontrolliert beziehungs- weise ausreichend geprüfte Substanzen wie L-DOPA in der Standard- und Re- tardform und Dopaminagonisten wie Pergolid bieten effektive therapeutische Möglichkeiten. Noch in diesem Jahr wird mit einem L-DOPA/Benserazid-Präpa- rat Restex erstmalig in Deutschland ein Medikament für die Behandlung des RLS zugelassen. Dopaminagonisten ste-

hen derzeit noch in der klinischen Prü- fung. Die Entscheidung, durch welches Präparat, als Einzel- oder Mehrfachgabe beziehungsweise in Kombinationsthera- pie, eine adäquate Wirkung erzielt wer- den kann, ist vom Schweregrad der Er- krankung, dem Zeitpunkt im Tagesver- lauf des Auftretens der Symptomatik, der Dauer der Symptomatik und damit der erforderlichen Wirkdauer des Medi- kaments sowie von der Erfahrung des be- handelnden Arztes abhängig. Der Ein- nahmezeitpunkt variiert je nach tages- zeitlichem Auftreten der Beschwerden und Wirkungseintritt des Medikaments.

Angesichts des initial meist fluktuieren- den Auftretens und dann chronisch pro- gredienten Verlaufs, sind häufig indivi- duelle Therapieanpassungen notwendig (Textkasten 4).

Levodopa

L-DOPA (plus Dopadecarboxylase- hemmer) ist mit einer Therapieerfah- rung über acht bis zehn Jahre und mehre- ren placebokontrollierten Studien der- zeit die am besten geprüfte Wirksubstanz (2, 5, 8, 47). Mit 100 bis 200 mg nicht re- tardiertem zum Beispiel L-DOPA/Ben- serazid eine Stunde vor dem Schlafenge-

hen kann eine signifikante Abnahme der RLS-Beschwerden insbesondere in der ersten Nachthälfte sowie eine Verbesse- rung der subjektiven und objektiven Schlafqualität bei idiopathischen und ur- ämischen RLS-Patienten erzielt werden (47). Da die Wirkdauer von L-DOPA als Standardpräparat nur circa vier bis fünf Stunden beträgt, ist in der zweiten Nachthälfte häufig keine ausreichende Wirkung zu erzielen. Sollte diese erfor- derlich sein, ist die kombinierte abendli- che Gabe von L-DOPA als Standard- (100 bis 200 mg) mit einem Retard- präparat (100 bis 200 mg) möglich. Die Überlegenheit der Kombinationsthera- pie konnte bei RLS-Patienten, die durch alleinige Einnahme von L-DOPA-Stan- dard in der zweiten Nachthälfte nicht be- schwerdefrei wurden, kontrolliert ge- zeigt werden (8). Im Einzelfall kann L-DOPA zusätzlich tagsüber in niedri- ger Dosierung verordnet werden. Durch die Einnahme von L-DOPA als lösliche Tablette kann der Wirkungseintritt nach unseren Erfahrungen um circa 50 Pro- zent beschleunigt werden. L-DOPA soll- te zu Beginn niedrig dosiert werden und kann bei Bedarf langsam gesteigert wer- den. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten unter L-DOPA sowohl bei idiopa- thischen als auch bei urämischen RLS- Patienten auch bei Langzeitbehandlung bisher nicht auf (3, 18, 37). Dyskinesien oder das Auftreten psychotischer Sym- ptome – bekannte Nebenwirkungen der L-DOPA-Therapie bei Patienten mit Morbus Parkinson im Spätstadium – wurden bei RLS-Patienten nicht beob- achtet. Das Auftreten von Augmenta- tion oder Time Shifting – eine Zunah- me beziehungsweise Verschiebung der RLS-Symptomatik tagsüber nach Be- ginn einer abendlichen dopaminergen Therapie – wird bei manchen RLS-Pati- enten beobachtet und kann einen limi- tierenden Faktor in der Therapie des RLS darstellen. Möglicherweise ist die- ses Phänomen dosisabhängig. Eine Ma- ximaldosis von 400 mg L-DOPA sollte daher nicht überschritten werden. Gege- benenfalls sollte die Therapie dann – unter gleichzeitiger Dosisreduktion von L-DOPA – auf einen Dopaminagonisten umgestellt werden. Besondere Vortei- le der L-DOPA-Therapie stellen der schnelle Wirkungseintritt und die gute

Steuerbarkeit dar. ✁

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A2936 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 44½½½½3. November 2000

10 Sekunden 1

2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Grafik 2

Ausschnitt einer polysomnographischen Ableitung eines Patienten mit Restless-Legs-Syndrom. Cha- rakteristisch sind die periodischen Oberflächen-EMG-Aktivierungen (Periodic Limb Movement, PLM), in diesem Ausschnitt vornehmlich des rechten M. tibialis anterior (Kanal 8: rechter M. tibialis anteri- or; Kanal 9: linker M. tibialis anterior). Nach der vierten Bewegung führen die PLM zum Erwachen des Patienten. Zu beachten ist der in diesem Fall ungewöhnlich kurze Abstand von 10 bis 15 sec zwischen den einzelnen Bewegungen. Kanäle 1–2: Registrierung der Augenbewegungen; Kanäle 3–6 und 14:

EEG-Ableitungen (C4-A1, C3-A2, O2-A1, C3-C4); Kanal 7: Oberflächen-EMG der Kinnregion; Kanäle 10–11 nasale beziehungsweise thorakale Atemexkursionen; Kanal 13: EKG. Der Kanal 12 ist nicht be- legt.

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Dopaminagonisten

Bromocriptin (Halbwertszeit drei bis acht Stunden) zeigte sich als erster Dopa- minagonist in einer Studie mit sechs RLS-Patienten als effektiv und gut ver- träglich (52). Durch den Dopaminagoni- sten Pergolid kann aufgrund der länge- ren Halbwertszeit von 7 bis 16 Stunden eine kontinuierliche Wirkung für die ge- samte Dauer der Nacht erzielt werden, wie in einer placebokontrollierten Mo- notherapie-Studie mit 28 idiopathischen RLS-Patienten gezeigt wurde. Bei einer

mittleren Dosis von 0,5 mg (0,25 bis 0,75 mg) konnte eine wesentliche Ver- besserung der RLS-Symptomatik sowie eine signifikante Reduktion der PLM und assoziierter Weckreaktionen und folglich eine wesentliche Verlängerung der Schlafdauer erzielt werden (56). Bei RLS-Patienten, die unter L-DOPA Aug- mentationsphänomene zeigten, konnten wir mit einer mittleren Dosis von 0,4 mg (0,1 bis 1,25 mg) Pergolid neben einer Verbesserung der nächtlichen RLS- Symptomatik ein Sistieren der Tagesbe- schwerden beobachten (58). Um peri-

phere dopaminerge Nebenwirkungen wie arterielle Hypotonie, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbre- chen zu vermeiden, sollte unbedingt ei- ne langsame Dosissteigerung (beginnend mit 0,05 mg) erfolgen und zumindest in- itial Domperidon komediziert werden.

Pergolid sollte bei späterem Wirkungs- eintritt circa zwei Stunden vor Einsetzen der RLS-Beschwerden eingenommen werden. In einer offenen, polysomnogra- phischen Studie (n = 9) konnte die gute Wirksamkeit von Cabergolin auf die RLS-Symptomatik und das Schlafverhal-

Dauerbehandlung, RLS mit Durchschlafstörungen

RLS mit Symptomen tagsüber Sporadisches oder leichtes RLS,

mit Einschlafstörungen

L-Dopa standard*3 (+ Decarboxylasehemmer)

100/25 – 200/50 mg vor dem Schlafengehen

L-Dopa retard*2 (+ Decarboxylasehemmer)

100/25 – 200/50 mg vor dem Schlafengehen

Dopaminagonisten Pergolid 0,15 –0,5 mg*3

(Beginn mit 0,05 mg) +

Domperidon 3 x 10 – 20 mg am Abend

Cabergolin 1 – 3 mg*1 (Beginn mit 0,5 mg)

einmal am Abend oder tagsüber

oder

Pramipexol 0,088 – 0,36 mg*2 am Abend

Lisurid 0,1 – 0,4 mg*1 oder Ropinirol 0,5 – 4 mg*1

oder α-DHEC 10 – 40 mg*1

1 bis 2 mal abends oder tagsüber Dopaminagonisten

Pergolid 0,25 – 0,75 mg*3 (Beginn mit 0,05 mg)

am Abend ggf. + Domperidon

3 x 10 – 20 mg Indikation: Einschränkung der Lebens- bzw. Schlafqualität

(Ein- und/oder Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit, RLS am Tage) Kausale Therapie: Absetzen von Pharmaka, die RLS verstärken können

(u. a. Dopamin-D2-Rezeptorantagonisten, Antidepressiva), Eisensubstitution bei Eisenmangel,

Nierentransplantation bei terminaler Niereninsuffizienz Symptomatische Therapie:

+

· Augmentation unter L-DOPA · Wirkverlust von L-DOPA · Schweres Restless Legs Syndrom Dopaminergika

oder oder

oder

*3 Therapieempfehlung stützt sich auf mehrere placebokontrollierte Studien

*2 Mindestens eine randomisierte, placebokontrollierte Studie mit ausreichender Fallzahl

*1 Empirische Therapieempfehlung Therapieschema des Restless-Legs-Syndroms Praktische Therapieempfehlungen

Wann therapieren?

Bei starkem Leidensdruck des Patienten

Bei schweren Schlafstörungen

Wenn Tagesmüdigkeit etwa die berufliche Lei- stungsfähigkeit beeinträchtigt

Wie therapieren?

Zunächst eine Testdosis L-DOPA/Dopadecar- boxylasehemmer (100/25 mg) um ein Ansprechen zu prüfen

Bei Einschlafstörungen: ½ bis 1 Tablette L-DO- PA/ DDI (100/25 mg) etwa eine Stunde vor dem Schlafengehen, maximal 2 Tabletten

Bei Durchschlafstörungen: zusätzlich zur Abenddosis 1 bis 2 Tabletten/Kapseln retardiertes L-DOPA/DDI

Bei Beschwerden tagsüber, beispielsweise während der Dialyse: 1 Tablette schnell anfluten- des L-DOPA/DDI eine halbe Stunde vor Dialysebe- ginn

In schweren Fällen oder Augmentation unter L- DOPA oder bei Überschreiten der täglichen L-DO- PA- Maximaldosis von 400 mg Kombination mit oder Umstellung auf einen Dopaminagonisten Differenzialdiagnosen des Restless-Legs- Syndroms

Polyneuropathie

Radikulopathien

Kompressionssyndrome peripherer Nerven

Spinale Prozesse

Nächtliche Wadenkrämpfe

Syndrom der schmerzhaften Muskelfaszikula- tionen nach körperlicher Aktivität

„Painful legs and moving toes“

Periphere Durchblutungsstörungen

Chronisch venöse Insuffizienz

Einschlafmyoklonien

Akathisie Textkasten 3

Textkasten 4

Grafik 3

Indikation: Einschränkung der Lebens- bzw. Schlafqualität

(Ein- und/oder Durchschlafstörungen, Tagesmüdigkeit, RLS am Tage)

Kausale Therapie: Absetzen von Pharmaka, die RLS verstärken können (u. a. Dopamin-D2-Rezeptorantagonisten, Antidepressiva), Eisensubstitution bei Eisenmangel,

Nierentransplantation bei terminaler Niereninsuffizienz

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A2940 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 44½½½½3. November 2000

ten insbesondere bei RLS-Patienten, die unter L-DOPA-Therapie eine Augmen- tation entwickelten, gezeigt werden. Ca- bergolin besitzt unter den Dopaminago- nisten die längste Halbwertszeit von circa 65 Stunden, sodass dadurch auch bei schwer Betroffenen über 24 Stunden ei- ne Beschwerdefreiheit beziehungsweise eine deutliche Beschwerdereduktion er- zielt werden kann (6). Erste Erfahrungen mit den Non-Ergot-Dopaminagonisten Ropinirol (offene Studie, n = 16) (29) und Pramipexol (placebokontrolliert, n = 10; offene Studie n=18) (26) (35) zei- gen ebenfalls eine gute Wirksamkeit, bei geringem Nebenwirkungsprofil. Dies konnte auch in offenen Studien mit den beiden Ergot-Dopaminagonisten Lisurid (n=13) (12) und a-Dihydroergotamin (n=16) (42) nachgewiesen werden.

Opioide

Bei unzureichendem Ansprechen auf Dopaminergika können Opioide im Ein- zelfall eingesetzt werden. Eine placebo- kontrollierte Studie mit zwei- bis dreima- liger nächtlicher Gabe von 25 mg Oxyco- don belegte eine signifikante Besserung der RLS-Symptomatik und der Schlaf- störungen (53). In einer offenen Studie berichteten sieben von zwölf Patienten eine komplette oder annähernde Be- schwerdefreiheit durch die Einnahme von 50 bis 150 mg Tramadol (21).

Andere Substanzen

Durch Carbamazepin in Dosierungen von 200 bis 500 mg kann bei zwei Drittel der Patienten eine Verbesserung der RLS-Beschwerden und des Schlafs er- zielt werden (40, 59). In offenen Thera- piestudien zeigte das Antikonvulsivum Gabapentin bei allen 16 behandelten RLS-Patienten eine 50- bis 100-prozenti- ge Besserung der RLS-Symptomatik (23) beziehungsweise eine Beschwerde- linderung bei 50 Prozent der acht Studi- enpatienten (1). In einer offenen Studie mit zehn Patienten, die an PLM-beding- ten Schlafstörungen litten und zum Teil zusätzlich ein leicht ausgeprägtes RLS aufwiesen, besserte die abendliche Gabe von 12,4 mmol Magnesium die Symp- tomatik (19). Benzodiazepine beeinflus-

sen die RLS-Symptomatik und das Schlafverhalten positiv, scheinen jedoch keine spezifische Wirkung auf das Auf- treten von PLM zu haben (4, 24, 31), so- dass sie derzeit nicht zur Therapie der en- geren Wahl gehören. Sollten Patienten unter einer dopaminergen Therapie über vermehrte Wachheit und Einschlafstö- rungen klagen, obwohl eine Besserung ihrer RLS-Symptomatik eintritt, kann ei- ne vorübergehende Kombination mit ei- nem Benzodiazepin oder mit pharmako- logisch ähnlichen Substanzen (zum Bei- spiel Zolpidem) hilfreich sein. Clonidin, welches in einer kontrollierten Studie ei- ne Reduktion der RLS-Beschwerden, ohne wesentliche Verbesserung schlaf- polygraphischer Parameter bewirkte, ist als alternative Therapieform derzeit ebenfalls nicht zu empfehlen (50).

Unwirksame Substanzen

Die Wirksamkeit folgender Substanzen, die teilweise zur Behandlung des RLS eingesetzt wurden, konnte bisher durch Studien nicht belegt werden: Zink, Vita- min B1, Vitamin B12, Vitamin C, Vita- min E, Dextran, Propranolol. Praktische Therapieempfehlungen sind im Textka- sten 4und in der Grafik 3aufgezeigt. Ei- ne individuelle Therapieanpassung ist in jedem Fall bei einer Dauertherapie inter- mittierend erforderlich. Empirisch zeigt sich, dass ein Wechsel der Substanzen oft noch eine Verbesserung des Therapieef- fekts bewirkt. Therapiepausen sind bei mittlerem bis schwerem RLS zwar er- wünscht, jedoch wegen der ausgeprägten Symptomatik vom Patienten meist nicht mehr zu tolerieren.

Betroffene haben sich zu einer Selbsthilfegruppe zusam- mengeschlossen. Informationsmaterial ist gegen Einsen- dung von 3 DM in Briefmarken unter folgender Adresse er- hältlich: Restless Legs RLS e.V., Schillerstraße 3a, 80336 München, Telefon: 089/55028880, Fax: 089/55028881

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 2932–2940 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Karin Stiasny Klinik und Poliklinik für Neurologie Philipps-Universität Marburg

Rudolf-Bultmann-Straße 8, 35033 Marburg E-Mail: stiasny@mailer.uni-marburg.de

Jan L. Shifren et al. konnten anhand einer placebokontrollierten Doppel- blindstudie beweisen, dass schon phy- siologische Mengen von Testosteron (150–300 µg), das transdermal mithil- fe eines Pflasters verabreicht wurde, zusammen mit oralem, konjugiertem Pferde-Östrogen genügen, um bei ovarektomierten Frauen einen deutli- chen Anstieg der Häufigkeit von Ge- schlechtsverkehr, sexuellen Phantasi- en und Masturbation hervorzurufen.

Auch das psychische Wohlbefinden und depressive Verstimmungen konn- ten nachweislich gebessert werden.

Frauen nach einer Ovarektomie werden in der Regel nur mit Östrogen substituiert. Diese Therapie allein kann nicht verhindern, dass die betrof- fenen Frauen ein reduziertes Ge- schlechtsleben beklagen. In früheren Versuchen konnte gezeigt werden, dass mithilfe von zusätzlichen Testo- sterongaben (hochdosierte i.m. Injek- tionen oder Hormonimplantate) der ovarielle Ausfall der körpereigenen Testosteronproduktion kompensiert werden kann. Durch eine physiologi- sche Testosterondosis lassen sich nun auch unerwünschte Wirkungen des Hormons wie Hirsutismus und Akne vermeiden und damit Frauen nach chirurgisch induzierter Menopause wirkungsvoll therapieren. gro Jan L Shifren et al.: Transdermal testosterone treat- ment in women with impaired sexual function after oo- phorectomy. N Engl J Med 2000; 343: 682–688.

Dr. Jan L. Shifren, Department of Obstetrics and Gyne- cology, Massachusetts General Hospital, Boston, USA.

Transdermales Testosteron

bei ovarektomierten Frauen

Referiert

Referenzen

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