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S P E K T R U M AKUT
(4) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 36, 10. September 1999
Alternsforschung
Wie wird man über 100 Jahre alt?
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s werden immer mehr Menschen in den Indu- strieländern älter als 100 Jahre. So verdoppelt sich ihre Zahl alle zehn Jahre, wie demogra- phische Daten zeigen. In Deutschland leben etwa 5 000 solcher Methusalems, drei Viertel von ihnen sind weiblich. Alternsforscher beschäftigen sich weltweit mit der Frage, warum eine Gruppe der „Superalten“ihr Leben noch unter eigener Kontrolle hat und selb- ständig ist, während andere Gleichaltrige hilfsbedürf- tig, abhängig und inkompetent sind. Erste Ergebnisse wurden kürzlich bei einem Symposium am Deutschen Zentrum für Alternsforschung der Universität Hei- delberg (DZFA) vorgestellt. Erste Erkenntnis: Die maximale Lebensspanne wird größer und hört nicht bei 105 oder 110 auf, wie die Französin Jeanne Calment bewiesen hat, die 122jährig starb.
W
ie zu erwarten, bestimmen viele Faktoren physischer, psychischer, funktioneller und sozialer Natur darüber, ob und wie man in den „Club der Super-100jährigen“ gelangt. Wer zu Hause lebt, hat offensichtlich mehr Chancen als Heimbewohner. Protektiv wirkt sich in hohem Alter wohl etwas Übergewicht und ein leicht erhöhter Cholesterinspiegel aus, so französische Forschungs- ergebnisse. Nach den Daten der „Georgia-Hundert- jährigen-Studie“ sind die über Hundertjährigen zumeist Frauen; sie haben in ihrem Leben kaum ge- raucht und mäßig getrunken, ihr Körpergewicht kon- stant gehalten, wenig schwere chronische Krankhei- ten durchgemacht, zeichnen sich durch eine „robuste Persönlichkeitsstruktur“ aus. „Supersenioren“ sind aktive Menschen, die ihrer Umwelt gegenüber ent- spannt, selbstbewußt und eher dominant auftreten.M
it der psychischen Verfassung von Hundert- jährigen hat sich eine Arbeitsgruppe des DZFA beschäftigt. Danach hatten drei Vier- tel der untersuchten Personen keine Anzeichen von Depression. Wer „relaxed“ und ohne Ängste im Le- ben steht, wird offenbar im Alter auch nicht depres- siv. Hörprobleme sind wahrscheinlich depressions- fördernd, während Sehschwierigkeiten wohl keinen großen Einfluß auf die psychische Verfassung haben.Wer seine Gesundheit trotz bestehender Einschrän- kungen als positiv einschätzt und die Aktivitäten des täglichen Lebens verrichten kann, wird auch weniger depressiv. Auch interkulturelle Vergleiche über das Altern in den unterschiedlichen Ländern werden an- gestellt. So scheinen in Deutschland mehr Individua- listen zu leben, gleichzeitig aber mehr Unterstützung durch die Familie zu herrschen. Ingeborg Bördlein