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Treffpunkt Klassik – Neue CDs

Vorgestellt von Susanne Stähr

Sendung: 25. April 2021

Redaktion: SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs

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2 Raffinesse, Erotik und Humor

Il delirio della passione

Claudio Monteverdi: Ausgewählte Madrigale und Canzonetten, Lamento d’Arianna, Confitebor tibi Domine, Duett “Pur ti miro” aus “L’incoronazione di Poppea”

Anna Lucia Richter Sopran, Dmitry Sinkovsky (Countertenor), Ensemble Claudiana, Luca Pianco (Theorbe und Musikalische Leitung)

Pentatone PTC 5186 845

Gewitzte Oboenkunst Around Mozart

Oboenquartette von Johann Christian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart,

Charles Bochsapère, Friedrich Dotzauer, Alessandro Rolla und Georg Druschetzki Quartetto Bernardini

Arcana A 482

Eleganter Furor, funkelnde Energie

Carl Maria von Weber: Sämtliche Werke für Klavier und Orchester

Klavierkonzerte Nr. 1 C-Dur op. 11 und Nr. 2 Es-Dur op. 32, Konzertstück für Klavier und Orchester f-Moll op. 79

Ronald Brautigam (Fortepiano), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens (Dirigent) BIS 2384

Röntgenblick ins Innere der Kunst Haydn – Bartók – Mozart

Joseph Haydn: Streichquartett d-Moll Hob. III:76 „Quintenquartett“; Béla Bartók:

Streichquartett Nr. 3 Sz 85; Wolfgang Amadeus Mozart: Streichquartett C-Dur KV 465

„Dissonanzenquartett“

Quatuor Modigliani Mirare MIR 506

Instrumentale Vokalkunst On the Breath of Angels

Werke für Sopran, Zink und Ensemble von Carlo G, Giovanni Pierluigi da Palestrina,

Sigismondo d’India, Francesco Cavalli, Julian Wachner, Giovanni Bononcini, Erik Satie, Ivan Moody und Alessandro Scarlatti

Hana Blažíková (Sopran), Bruce Dickey (Zink), The Breathtaking Collective Passacaille PAS 1091

Am Mikrophon begrüßt Sie herzlich Susanne Stähr. Und stellt Ihnen die Frage, ob man eigentlich immer hört, was alte und was neue Musik ist. Die Antwort werden fünf neue CDs geben, mit Werken von 1600 bis 2020. Avantgarde aus der Wiener Klassik und schräge Experimente aus der Mozart-Zeit sind auch mit dabei. Freuen dürfen Sie sich auf die

Sopranistinnen Anna Lucia Richter und Hana Blažíková, auf den Pianisten Ronald Brautigam und auf zwei vorzügliche Quartette: das Quartetto Bernardini und das Quatuor Modigliani.

Beginnen wollen wir mit Claudio Monteverdi, den man wohl als Gründervater der klassischen Musik bezeichnen darf. Denn Monteverdi war es, der das Modell der begleiteten Melodie

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3 über einem Bassfundament erfand. Er prägte auch die über Jahrhunderte verbindliche

Harmonik aus. Und er sorgte dafür, dass dem Ausdruck in der Musik die oberste Priorität zukommt. Die Sängerin Anna Lucia Richter und der Lautenist Luca Pianca mit seinem Ensemble Claudiana haben diesem Pionier nun eine CD gewidmet, in der es um den Rausch der Leidenschaft geht, „Il delirio della passione“. Dazu gehören auch die

Frühlingsgefühle, die manch einen gerade wieder überfallen. In Monteverdis „Zefiro torna“

klingen sie so:

Monteverdi: Zefiro torna (Track 2, 6:20). Anna Lucia Richter (Sopran), Dmitry Sinkovsky (Countertenor), Ensemble Claudiana, Luca Pianca (Laute und Leitung).

Pentatone

Der milde Westwind kehrt zurück, er vertreibt den Winter und weckt die Lebenslust: Das war Claudio Monteverdis berühmtes Madrigal „Zefiro torna“ aus den Scherzi musicali,

vorgetragen von Anna Lucia Richter, Dmitry Sinkovsky und dem Ensemble Claudiana unter der Leitung des Tessiner Lautenisten Luca Pianca. Das Stück nimmt seinen poetischen Titel beim Wort, denn auch die Musik kehrt zu sich zurück, sie dreht sich im Kreis, wird durch den frischen Luftzug aufgemischt. Das Ensemble Claudiana übersetzt diesen Wirbel in einen schwirrenden Kosmos von Klängen und Geräuschen, mit flirrendem Schlagwerk und Instrumenten wie der Harfe, der Laute und dem Zink, die leicht in der Ansprache sind. Man glaubt, einen Blütenregen vor sich zu sehen, der von den Winden umhergeweht wird. Wie Fortuna mit ihrem Füllhorn klingt das. Anna Lucia Richter singt ihren Part diesseitig, kernig und mit sattem, ausdrucksstarkem Ton. Aber am Ende passiert etwas Verblüffendes: Man hat den Eindruck, dass sich ihre irgendwie Stimme teilt, wie das Blatt des Ginkgos, und man braucht einen Moment, bis man überhaupt begreift, dass ein zweiter Sänger hinzugetreten ist, nämlich der Countertenor Dmitry Sinkovsky. Richter und Sinkovsky sind sich vom Timbre und der Intonation her so ähnlich, dass ihr gemeinsamer Gesang wie eine Spiegelung oder Doppelung wirkt. Das ist natürlich einer der Clous dieser neuen CD, die bei Pentatone erschienen ist. Ganz frappierend gelingt den beiden dieser Effekt in einem der schönsten Liebesduette aus der Operngeschichte, bei „Pur ti miro“ aus Monteverdis „Krönung der Poppea“.

Monteverdi: “Pur ti miro” aus “L’incoronazione di Poppea” (Track 8, 3:50). Anna Lucia Richter (Sopran), Dmitry Sinkovsky (Countertenor), Ensemble Claudiana, Luca Pianca (Laute und Leitung). Pentatone

Mal ehrlich: Konnten Sie da immer genau unterscheiden, wer hier wer war? Anna Lucia Richter als schöne Poppea und Dmitry Sinkovsky als ihr Lover Nero haben im Duett „Pur ti miro“ aus Monteverdis „Poppea“ eine so ähnliche Tongebung und verfahren so synchron in den Spannungsbögen, in der Intensivierung des Klangs, dass sie in eins zu verschmelzen scheinen. Obwohl die beiden ihre Stimmen bis ins Letzte kontrollieren, ist ihr Gesang nie puristisch, sondern hat einen starken Zug ins Körperliche, ja, ins Laszive und Erotische, gerade bei den harmonischen Reibungen, die sie genüsslich auskosten. Zugleich erinnert ihre Darbietung auch an ein Rollenspiel, an Kostümierung und Maskerade. Denn wenn man nicht einmal mehr sagen kann, wer der Mann ist und wer die Frau, was die weibliche und was die männliche Stimme, dann steht die Welt wohl wirklich Kopf, wie beim Karneval. Und der ist in vielen Werken Monteverdis, gerade in den humoristischen, oft untergründig dabei.

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4 So auch in „La mia turca“, einer Canzonetta, die beweist, dass Monteverdis Wirkungsstätte Venedig auch das Tor zum Orient war.

Monteverdi: “La mia turca” (Track 3, 2:12). Anna Lucia Richter (Sopran), Ensemble Claudiana, Luca Pianca (Laute und Leitung). Pentatone

In der Canzonetta „La mia turca“, zeigt sich Anna Lucia Richter von ihrer humoristischen Seite. Wobei es schon ein recht bissiger Humor ist, den Claudio Monteverdi von ihr einfordert, denn sie muss mit einer guten Portion Übertreibung und Selbstironie, mit

schmachtenden und schluchzenden Lauten einen verschmähten Liebhaber darstellen. Und da es sich bei seiner Angebeteten um eine Türkin handelt, eröffnet Luca Pianca das Stück auf der Laute mit einer Improvisation im orientalischen Stil. Anna Lucia Richter, die 2014, als 24-Jährige, ihre internationale Karriere übrigens mit Monteverdis „L’Orfeo“ begann, in einer von Sasha Waltz inszenierten Produktion, sie rühmt ihren Mitstreiter Pianca als den besten Monteverdi-Experten, den sie sich für dieses CD-Projekt denken könne. Und in der Tat stehen Pianca und das Ensemble Claudiana hinter der ausgezeichneten sängerischen Leistung keineswegs zurück – ihnen ist die beachtliche Energie und Raffinesse dieser Einspielung ebenso sehr zu verdanken. Wenn man einen Musiker aus dem Ensemble aber noch besonders herausheben wollte, dann wäre es der Zinkenist Andrea Inghisciano, der in Monteverdis „Si dolce è il tormento“ mit der Sängerin sogar eine Art Duett anstimmen darf:

Monteverdi: “Si dolce è il tormento” (Track 12, 4:25). Anna Lucia Richter (Sopran), Ensemble Claudiana, Luca Pianca (Laute und Leitung). Pentatone

Als „kleines Juwel“ bezeichnet Luca Pianca im Booklet Monteverdis „Si dolce è il tormento“

und schwärmt von der „entwaffnenden Einfachheit“ dieser Canzonetta. Doch gibt er auch zu bedenken, dass „die Einfalt nur Schein“ ist, da sie von den Interpreten ein hohes Maß technischer und expressiver Fertigkeiten erfordere. Und über die verfügen sowohl die

Sängerin Anna Lucia Richter als auch Andrea Inghisciano, der sich als Virtuose auf dem Zink betätigt, einem historischen Blasinstrument, das der menschlichen Stimme sehr nahekommt.

Gemeinsam lassen sie die Musik schwerelos schweben, ihre Stimmen umschlingen sich in delikater Ansprache, als wäre es ein Liebesgeflüster, bei dem zarte Geheimnisse

ausgetauscht werden. Ein „Geheimnis“ allerdings hat Anna Lucia Richter im Booklet schon verraten: Dieses vorzügliche Album ist ihre letzte Einspielung als Sopranistin. Denn während der Corona-Pandemie hat sie umgeschult und wird künftig als Mezzosopran zu erleben sein.

Man darf gespannt sein.

Sie hören SWR2, den Treffpunkt Klassik mit neuen CDs. Wir reisen jetzt 150 Jahre weiter und landen in der Mozart-Zeit. Diese Epoche hat der italienische Oboist Alfredo Bernardini ins Visier genommen und mit seinem Quartetto Bernardini, in dem auch seine Tochter Cecilia als Geigerin mitspielt, sechs Oboenquartette aufgenommen, und zwar mit fünf verschiedenen historischen Instrumenten. Natürlich darf das bekannteste Werk dieser Gattung nicht fehlen, das Oboenquartett von Mozart, für das Bernardini ein Instrument von Jacob Grundmann aus dem Jahr 1784 gewählt hat. Hier kommt das Rondo-Finale:

W.A. Mozart: Oboenquartett F-Dur KV 370 (368b). Rondeau (Allegro) (Track 5, 4:22).

Quartetto Bernardini. Arcana

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5 Das war das Rondeau aus Mozarts Oboenquartett in F-Dur mit dem Quartetto Bernardini und Alfredo Bernardini an der Spitze, der das Stück auf einer historischen Oboe von 1784 spielt. Dieses Instrument hat eine elementare Naturwüchsigkeit, die im Vergleich zur modernen Oboe zunächst einmal unausgewogen oder unvollkommen erscheinen mag – aber genau das macht ihren Reiz aus. Und eröffnet neue Perspektiven: Denn plötzlich tritt die burleske Seite dieser Musik viel klarer zutage als mit einem fein ausbalancierten, modernen Instrument. Bernardini versucht die Extreme auch nicht einmal abzumildern:

Wenn er die exponierten Spitzen anstößt, dann scheint er einem die Zunge

herauszustrecken. Und die tiefen Töne, denen noch Mozarts Zeitgenosse Christian Friedrich Daniel Schubart etwas „Gänsemäßiges“ attestierte, die klingen ganz entschieden nach einem „Bäh“. Das alles passt aber zu diesem harlekinhaften Stück. Und zu Mozarts speziellem Humor, der die Solopartien für Bläser oft mit grotesken Provokationen spickte.

Auch hier ist das der Fall: Das Rondo-Thema ist ganz simpel auf Dreiklängen aufgebaut, aber dann lässt Mozart den armen Oboisten in einer Episode so chromatisch und virtuos durch die Lagen schlingern, dass es fast schon an orientalische Musik erinnert. Mozart war allerdings nicht der Einzige aus seiner Generation, der sich auf komische Effekte verstand.

Auch bei Friedrich Dotzauer, einem Dresdner Komponisten, ist man vor Überraschungen nicht gefeit. So etwa im Andantino seines F-Dur-Quartetts op. 37, das ganz

vertrauenserweckend anhebt. Doch Vorsicht, nach einer Minute passieren eigenartige Dinge.

Friedrich Dotzauer: Oboenquartett F-Dur op. 37. Andantino (Track 8, 4:38). Quartetto Bernardini. Arcana

Auch das ist komische Musik, sogar im doppelten Sinne, denn das Andantino aus Friedrich Dotzauers Oboenquartett in F-Dur, das wir gerade mit dem Quartetto Bernardini hörten, ist nicht nur skurril, sondern auch ziemlich abgründig. Nach dem harmlosen Beginn hat man plötzlich das Gefühl, als würde das Quartett einer Sogwirkung ausgesetzt und nach oben gezogen, wie der Rauch durch einen Kamin, und danach ist ohnehin nichts mehr, wie es sein sollte: Die Streichinstrumente klingen, als würden sie dahinschmelzen wie die Uhren auf Salvador Dalís berühmtem Gemälde. Man fragt sich unwillkürlich, wie die zeitgenössischen Hörer auf eine solche Darbietung reagierten. Aber man muss ihnen nicht unterstellen, dass sie weniger Humor gehabt hätten als wir heute. Vielleicht war sogar das Gegenteil der Fall.

Alfredo Bernardini spielt dieses Dotzauer-Quartett übrigens auf einer Oboe von Heinrich Grenser aus dem Jahr 1810, die etwas softer klingt, als das Instrument, das er bei Mozart verwendete. Ein ganz besonderes Exemplar hat er sich allerdings für Alessandro Rollas

„Piccolo Quartetto“ ausgesucht, nämlich eine Oboe von Ermenegildo Magazari von 1799.

Über sie sagt Bernardini selbst, dass sie einen auffallend durchdringenden Ton habe. Wir blenden uns mal in den Schlusssatz ein:

Alessandro Rolla: Piccolo Quartetto in C. Allegro (Track 12, evtl. abgedimmt

unterlegen ab ca. 3:02, ab 3:08 volle Lautstärke bis Ende, Spieldauer 3:08). Quartetto Bernardini. Arcana

Ein buchstäblich hochgestimmtes Instrument spielt Alfredo Bernardini im Piccolo Quartetto seines Landsmanns Alessandro Rolla. Und auch hier schrecken er und seine drei

Kolleg*innen im Bernardini Quartett vor Ausdrucksextremen nicht zurück: Der grelle,

manchmal gar kreischende oder quietschende Klang des Instruments wird noch zugespitzt, mit dem Ergebnis, dass dieses Allegro teilweise wie ein Vogelkonzert klingt und eine

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6 manische Qualität gewinnt. Wer bisher glaubte, die Oboe sei vor allem für lyrische, elegische oder verträumte Melodien ideal, der wird durch diese vergnügliche CD eines Besseren belehrt. Doch wäre es genauso falsch zu meinen, die Oboe sei bloß eine Spaßmacherin oder Charakterdarstellerin. Wie nobel und tiefgründig sie klingen kann, das beweist das Quartett mit Georg Druschetzkis „Canone a quattro voci“.

Georg Druschetzki: Canone a quattro voci del Sig. Kirnberger (Track 13, 2:43).

Quartetto Bernardini. Arcana

Wenn Ihnen die Melodie dieses Kanons bekannt vorkam, den das Quartetto Bernardini vorgetragen hat, dann ist das kein Wunder: Der böhmische Oboist und Komponist Georg Druschetzki fand sie in einem Lehrwerk des Bach-Schülers Johann Philipp Kirnberger, aber eigentlich ist sie noch viel älter und geht auf einen Luther-Choral zurück. Druschetzki schuf seinen Kanon im Jahr 1802, und da muss das schon reichlich anachronistisch gewirkt haben. Alfredo Bernardini erkennt darin ein Zeugnis zeitloser Schönheit und stellt eine weitere Facette der Oboe vor: den klagenden, trauernden Ton, dem er mit seinem Quartett im Verlauf des Stücks eine hohe Dringlichkeit und Expressivität verleiht, schmucklos und klar, frei von der Bizarrerie der anderen Werke. Dass er seine CD „Around Mozart“, die bei Arcana erschienen ist, mit diesem ergreifenden Abgesang beschließt und nicht mit einem weiteren Knalleffekt, das ist eine schöne Geste.

Wir bleiben bei historischen Instrumenten, wechseln aber an die Tasten. Und zum niederländischen Hammerklavierspezialisten Ronald Brautigam. Der nämlich hat für BIS Records die beiden Klavierkonzerte und das Konzertstück von Carl Maria von Weber aufgenommen, auf dem Nachbau eines Fortepianos von 1819. Wenn Sie jetzt denken:

Moment mal, Weber auf dem Fortepiano, wie kann das sein? Diesen frühen Romantiker spielt man doch sonst immer auf einem modernen Konzertflügel –zumindest wenn das Orchester mit im Spiel ist! Aber die ungewöhnliche Wahl des historischen Hammerklaviers bietet erstaunliche Vorzüge. Hören wir zunächst das Adagio aus dem Zweiten Klavierkonzert in Es-Dur op. 32.

Carl Maria von Weber: Klavierkonzert Nr. 2 Es-Dur op. 32, 2. Satz: Adagio (Track 5, 4:30). Ronald Brautigam (Fortepiano), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens (Leitung). BIS

Ronald Brautigam und die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens spielten das Adagio aus Carl Maria von Webers Zweitem Klavierkonzert. Dieser Satz erinnert an ein Sammelbecken, in dem Verschiedenstes zusammenfließt. Er beginnt wie intime, leicht sentimentale Salonmusik, mündet dann in eine Art Opernarie von reinstem Belcanto, wird episch wie eine Tondichtung und klingt zuletzt wie die Begleitung zu einer Schauerballade.

Aber wie subtil diese Mischung austariert wird und wie farbig die Instrumentation ist, das ist bei der Interpretation durch die Kölner Akademie, die auf historischen Instrumenten spielt, wunderbar zu hören. Und erst recht bei Brautigams Fortepiano-Part: Weber war kein pianistischer Kraftmeier, die Poesie seines Klaviersatzes liegt in der halbträumerischen, surrealen Schönheit, im Filigran dieser Musik, das Brautigam subtil ausleuchtet. Selbst das vermeintliche Dekor wird mit musikalischem Sinn erfüllt, denn Brautigam versteht es, dem pianistischen Zierwerk eine lauernde Spannung zu entlocken. Wie aber schlagen sich der Pianist und die Kölner Akademie, wenn es handfester zur Sache geht? Die Antwort gebe ich

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7 Ihnen mit den beiden letzten Abschnitten aus Webers Konzertstück für Klavier und Orchester in f-Moll op. 79.

Carl Maria von Weber: Konzertstück für Klavier und Orchester f-Moll op. 79. Tempo di Marcia und Più mosso (Track 10 und 11, 6:47). Ronald Brautigam (Fortepiano), Kölner Akademie, Michael Alexander Willens (Leitung). BIS

Carl Maria von Weber verfügte über einen einzigartigen Bühneninstinkt: Das verrät auch das Konzertstück für Klavier und Orchester, dessen Schlussteil wir gerade mit Ronald Brautigam und der Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens hörten. Der Marsch, mit dem unser Ausschnitt begann, zieht aus der Ferne heran, bis die Truppe vorne an der Rampe angelangt ist. Und genau in diesem Moment wird der Pianist mit einem spektakulären Lauf hereinkatapultiert – dramaturgisch effektvoller geht es gar nicht. Es ist eine Stärke dieser Aufnahme, dass die räumliche Bewegung hier nicht nur durch die gestaffelte Dynamik erzeugt wird, sondern auch durch die wechselnden Klangfarben, die mit den historischen Instrumenten der Kölner Akademie geschärfter und charakteristischer erscheinen als gewöhnlich. Dazu kommt der fabelhafte Ronald Brautigam, der dieses Finale klar dominiert, mit einem pianistischen Ausbruch sondergleichen. Doch ist der Furor bei ihm immer mit Eleganz und Klarheit gepaart. Das sind nicht irgendwelche Tonwirbel oder Klangwalzen, nein, man nimmt jede einzelne Note wahr. Wobei ihm das historische Fortepiano mit seinem leichteren Anschlag ein rasantes Tempo ermöglicht. Diese Interpretation hat Drive, sie funkelt und vibriert vor Energie.

Im Treffpunkt Klassik mit neuen CDs auf SWR2 geht es jetzt weiter mit Streichquartetten.

Zurzeit gibt es ja eine Fülle vorzüglicher Quartettensembles – man weiß gar nicht, wem der Platz auf dem Olymp gebührt. Das französische Quatuor Modigliani jedenfalls erweist sich mit seiner neuesten, bei Mirare veröffentlichten CD als heißer Kandidat. Hören Sie nur, wie die vier Herren das Finale aus Joseph Haydns „Quintenquartett“ spielen.

Joseph Haydn: Streichquartett d-Moll Hob. III:76. Finale: Vivace assai (Track 4, 3:58).

Quatuor Modigliani. Mirare

Das Finale aus Haydns d-Moll-Quartett op. 76 Nr. 2 greift die ungarische Volksmusik auf, die der Komponist als Kapellmeister der Fürstenfamilie Esterházy in Fertöd nahe dem

Neusiedler See aus erster Hand zu hören bekam. Aber das Quatuor Modigliani, dass dieses All’ungarese gerade gespielt hat, demonstriert meisterlich, was Haydn aus seinem Rohstoff zu machen wusste. Denn die tänzerischen und liedhaften Momente der Volksmusik, ja selbst die musikantischen Manieren, sie alle werden abstrahiert, auseinandergenommen,

durcheinandergewirbelt und neu kombiniert. Die Modiglianis widmen sich Haydns intellektueller Unterhaltungsmusik mit wunderbarem Witz und intelligentem Humor. Zum Beispiel, wenn der Schlusston einer Melodiephrase mit ostentativer Leichtigkeit in die Luft geworfen wird, wie ein Federball. Und das geschieht mit einer fast schon unverschämten Souveränität, aber auch mit Scharfsinn für die Logik dieser Kunst. Ohnehin: Die neue CD des Quatuor Modigliani bietet auch in der Kombination der drei gewählten Werke einige Aha- Effekte. Denn an diesen Haydn schließt sich Béla Bartók an, der ebenfalls – aber ganz anders – aus der Volksmusik schöpfte, aus der Bauernmusik, wie er sie nannte. Hier der zweite Teil aus Bartóks Drittem Streichquartett:

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8 Béla Bartók: Streichquartett Nr. 3. Seconda parte: Allegro (Track 6 bis in Track 7

überlappen, dort ausblenden, 5:40). Quatuor Modigliani. Mirare

Auch in Bartóks Drittem Streichquartett ist die Volksmusik der Ausgangspunkt – aber

diesmal klingt das Ergebnis schroff und modern. Zumal das Quatuor Modigliani das Werk mit aller gebührenden Radikalität interpretiert, aggressiv und klanglich zugespitzt, dabei aber mit unbestechlicher Klarheit. Genau dadurch treten jedoch die Bezüge zu Haydn umso

deutlicher hervor, erscheint die Kombination dieser beiden Komponisten so sinnfällig. Denn sowohl Haydn als auch Bartók werfen eine Art Röntgenblick in das Innenleben ihres

musikalischen Materials. Auf diese Weise wird die Mechanik freigelegt, man erkennt, wie die Rhythmen und die Motive ineinandergreifen. Oder anders gesagt: Man bekommt Volksmusik unter Laborbedingungen zu hören. Vielleicht mag das, wenigstens im Fall von Bartók, auf den ersten Höreindruck schockierend klingen. Aber – und das ist der Pfiff dieser neuen CD – solche Schockeffekte sind keineswegs ein Privileg der Moderne, es gab sie auch schon im 18. Jahrhundert, in der Epoche der Klassik. Zum Beispiel bei diesem Stück:

W.A. Mozart: Streichquartett C-Dur KV 465, „Dissonanzenquartett“. Langsame Einleitung zum Kopfsatz (Track 8, 0:00 – 1:54). Quatuor Modigliani. Mirare

Hm, haben Sie’s erkannt? Das war Mozart! Und zwar die langsame Einleitung zu seinem C- Dur-Quartett KV 465, das nicht zufällig unter dem Namen „Dissonanzenquartett“ ins

Repertoire eingegangen ist. Bei dieser Introduktion glaubten einige der Zeitgenossen, Mozart würde sie zum Narren halten. Das Quatuor Modigliani beschreibt in den knapp zwei Minuten dieser Introduktion eine faszinierende Entwicklungskurve. Ausgespart und nüchtern,

wiederum komponiert mit Forscherblick, erscheint der Anfang, aber mit der zunehmenden melodischen Chromatisierung ändert sich der Ton der vier Streicher, wird samtiger, üppiger, ausdrucksvoller, romantischer. Schon hier – und nicht erst mit Wagners „Tristan“ – wird das Tor zu einer neuen Welt der Expressivität aufgestoßen. Kurzum: Man wird selten einer CD begegnen, bei der man so viel von der Musikgeschichte begreift wie bei dieser

Neueinspielung des Quatuor Modigliani.

Zum Ende der heutigen Sendung mit neuen CDs im Treffpunkt Klassik auf SWR2 gehen wir wieder zurück an den Anfang, ins Jahr 1600 und zur Kombination von Sopran und Zink. Die ist nämlich auch auf dem Album „On the Breath of Angels“ zu bestaunen, das die

tschechische Sopranistin Hana Blažíková und der Zinkenist Bruce Dickey mit dem Ensemble The Breathtaking Collective bei Passacaille vorgelegt haben. Der Zink, so erklärt Bruce Dickey, sei in der alten Freskenmalerei bevorzugt als Instrument der Engel dargestellt worden, oft gemeinsam mit einem singenden Engel. Und genau diese Ikonographie stellen die beiden nun musikalisch nach. Mit verblüffendem Ergebnis:

Carlo G: Sicut sponsus matris (Track 2, 3:36). Hana Blažíková (Sopran), Bruce Dickey (Zink), The Breathtaking Collective. Passacaille

Ich kann Ihnen nicht einmal verraten, wie der Komponist dieses „Sicut sponsus matris“ heißt, das wir mit Hana Blažíková, Bruce Dickey und The Breathtaking Collective gehört haben. Es stammt aus einem Manuskript des Jahres 1600, das mit „Carlo G“ gezeichnet ist – und wofür

„G“ steht, das wissen die Götter. Aber was hier auffällt, ist ein ähnlicher Ginkgo-Effekt, wie wir ihn schon bei G’s Zeitgenossen Monteverdi am Anfang erlebt haben: Man glaubt,

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9 zunächst eine Stimme zu hören, und staunt umso mehr, wenn sie sich plötzlich zu teilen scheint. Nur: Hier handelt es sich nicht um zwei Sänger, sondern um ein Duett von Sopran und Zink! Diese beiden so verschiedenen Stimmen oder Tonquellen wirken verblüffend ähnlich, und das ist natürlich der Interpretation zu verdanken: Der Zinkenist Bruce Dickey intoniert ganz und gar gesanglich. Und Hana Blažíková wiederum führt ihren Sopran streng instrumental, mit einer unglaublichen Klarheit, Makellosigkeit und Konzentration des Tons.

Ihr Vortrag ist frei von allen Manierismen späterer Epochen, die in der Musik des

anbrechenden 17. Jahrhunderts auch nichts zu suchen hätten. Interessant bei dieser CD ist aber auch die Charaktervielfalt, die gerade der Zink entfalten kann. Denn manchmal

erscheint er auch als Vorläufer der Trompete und gibt der Musik mit Fanfaren zeremonielles oder gar kriegerisches Gepränge. Ganz auffällig passiert das bei der Arie “Il desio di

vendicarmi” aus Alessandro Scarlattis Oper „Il comodo Antonino”.

Alessandro Scarlatti: “Il desio di vendicarmi” aus “Il comodo Antonino” (Track 18, 2:45). Hana Blažíková (Sopran), Bruce Dickey (Zink), The Breathtaking Collective.

Passacaille

Das hat nun nichts mehr mit Engeln zu tun, sondern mit sehr irdischen Angelegenheiten, mit Rache, Krieg und Heldentum: Hana Blažíková, Bruce Dickey und The Breathtaking

Collective musizierten Alessandros Scarlattis Arie „Il desio di vendicarmi“. Und da setzen sie ganz auf die Attacke: mit gezackten Linien und gewagten Intervallsprüngen. Sopran und Zink, die eben noch so traulich vereint waren, geraten hier in einen Wettkampf um den virtuosen Vorrang. Und es ist auch verblüffend zu hören, wie viel Drama und Aufruhr die nur sechs Instrumente des Breathtaking Collective entfachen können – allein durch die Geste und die Energie des Vortrags, die hier den Ausschlag geben. Für ihr Album „On the Breath of Angels“ haben Blažíková und Dickey auch zwei zeitgenössische Komponisten mit neuen Werken für die ungewöhnliche Kombination von Sopran und Zink beauftragt. Einer von ihnen ist der 1964 geborene Brite Ivan Moody, dessen Schaffen von orthodoxen Kirchengesängen beeinflusst ist. Wir hören uns den ersten Vers seiner Kleinen Vesper zum Fest der Engel an.

Ivan Moody: O Archangels and Angels (Track 14, 0:00 – 2:00). Hana Blažíková

(Sopran), Bruce Dickey (Zink), Mieneke van der Velden (Viola da gamba). Passacaille

Ivan Moody komponierte seine Vesper „O Archangels and Angels“ im Jahr 2020: Bei allen Anklängen an die Alte Kirchenmusik verleugnet es doch nicht die Gegenwart, die durch einige Freiheiten und Abweichungen hörbar wird. Und durch die Intonation von Hana Blažíková, die das Werk mit dem Zinkenisten Bruce Dickey und der Gambistin Mieneke van der Velden vortrug. Denn Blažíková singt dieses Stück eben doch etwas anders als die alte Musik: Sie setzt hier ein subtiles Vibrato ein, was dazu führt, dass man die Stimme viel stärker als Individuum wahrnimmt und weniger als entpersonalisierte Botschaft. Mit anderen Worten: Diese Komposition wird nicht als stilistische Mimikry aufgeführt, sondern mit einer bewussten Brechung, die das Vergangene im Spiegel der Gegenwart wieder neu leuchten lässt.

Wenn Sie noch mehr wissen wollen zu den fünf neuen CDs, die ich Ihnen heute vorstellen durfte, also zu den Details der Programmfolge und den Interpreten, dann schauen Sie doch einfach auf unsere Homepage SWR2.de. Dort können Sie sich in den nächsten sieben Tagen auch alles oder einzelne Teile der Sendung noch einmal in Ruhe anhören. Dasselbe

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10 ist natürlich auch mit unserer SWR2-App möglich. Auf dieser Welle folgen jetzt gleich die Nachrichten, danach das Feature am Sonntag. Susanne Stähr dankt herzlich fürs Zuhören.

Und wünscht Ihnen noch ein schönes Restwochenende.

Giovanni Bononcini: Sinfonia zu Il Trionfo di Camilla (Track 9, 0:25 bis zum Trackende). The Breathtaking Collective. Passacaille

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