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Regierungen beeinflussen Konjunkturzyklen aus wahltaktischen Gründen | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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SCHWERPUNKT

Die Volkswirtschaft  5 / 2015 11

Der opportunistische Zyklus

Der Erste, der einen politischen Konjunkturzyk- lus mit einem formalen Modell beschrieben hat, war US-Ökonom William D. Nordhaus (1975). Er ging davon aus: Eine Regierung möchte bei der nächsten Wahl einen möglichst hohen Stim- menanteil erreichen. Nach ihrer Wahl sorgt sie zunächst für eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit, um die Inflation zu verringern. Danach senkt sie die Arbeitslosenquote bis zur nächsten Wahl wieder ab. Da die Inflationsrate nur verzögert re- agiert, hat zum Wahlzeitpunkt nicht nur die Ar- beitslosigkeit ihren Tiefpunkt, sondern auch die Inflationsrate ist vergleichsweise niedrig. Dies kann sich von Legislaturperiode zu Legislaturpe- riode wiederholen, weshalb man von politisch er- zeugten Konjunkturschwankungen reden kann.2 Dieses Modell hat zunächst für die Wirt- schaftstheorie Bedeutung. Davor ging man in der Konjunkturtheorie davon aus, dass der private Sektor Schwankungen erzeugt und dass die Regie- rung – wie ein wohlmeinender Diktator – alles da- ransetzt, diese Schwankungen auszugleichen oder zumindest zu dämpfen. Die Diskussion drehte sich vor allem darum, ob die Regierung dazu überhaupt in der Lage ist und ob sie durch ihr Handeln diese Schwankungen nicht etwa verstärkt oder unbe- absichtigt sogar erzeugt. Schliesslich wirken die wirtschaftspolitischen Instrumente erst verzö- gert, und die Länge dieser Verzögerungen variiert

I

m parlamentarischen System trägt die Regie- rung – zumindest auf den ersten Blick – Ver- antwortung für die wirtschaftliche Entwicklung.

Für ihren Wahlerfolg sind insbesondere Arbeits- losigkeit und Preisentwicklung bedeutend: Je hö- her die Arbeitslosenquote und die Inflationsrate sind, desto geringer sind – unter sonst gleichen Umständen – ihre Chancen auf Wiederwahl.1 Dies schafft Anreize, die wirtschaftspolitischen Inst- rumente so einzusetzen, dass die wirtschaftliche Situation zum Wahlzeitpunkt möglichst gut ist.

Arbeitslosigkeit und Inflation sollten dann mög- lichst niedrig sein, auch wenn sie danach mög- licherweise wieder ansteigen. Dadurch können Konjunkturschwankungen ausgelöst werden, auch wenn die private Wirtschaft von sich aus kei- ne Zyklen erzeugt.

Regierungen beeinflussen Konjunktur- zyklen aus wahltaktischen Gründen

Regierungen sind an einer im Wahljahr pulsierenden Wirtschaft interessiert. Deshalb haben sie einen Anreiz, die Konjunktur so zu beeinflussen, dass vor den Wahlen sowohl Arbeits- losenquote als auch Teuerungsrate niedrig sind. Diese sogenannten politischen Zyklen sind vor allem in repräsentativen Demokratien relevant, sie sind aber auch für die Schweiz von Interesse.  Gebhard Kirchgässner

Gewisse Entscheide einer Regierung begünstigen ihre Wiederwahl. Bei den Finanzausgaben spricht man von sogenannten Budgetzyklen.

FOTO: KEYSTONE

Abstract Schwankungen im Wirtschaftsablauf können in der Privatwirtschaft ihren Ursprung haben, aber auch durch wirtschaftspolitische Massnah- men erzeugt werden. So kann eine Regierung versuchen, die Konjunktur so zu beeinflussen, dass sie ein möglichst gutes Wahlergebnis erwarten kann.

Insbesondere wenig Arbeitslosigkeit und eine geringe Teuerung zum Wahlzeitpunkt sind dazu von Vorteil. Man spricht in diesem Zusammenhang vom politischen Konjunkturzyklus. Der vorliegende Artikel bespricht die drei in der Literatur bekannten Varianten: den opportunistischen Zyklus, den ideologischen Zyklus und den Budgetzyklus. Die ersten beiden sind im rein parlamentarischen System anzutreffen. Für die Schweiz mit ihrem Konkor- danzsystem ist vor allem der Budgetzyklus relevant, da Politiker vor den Wahlen kaum heikle Entscheidungen treffen dürften.

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WIRTSCHAFT UND POLITIK

12 Die Volkswirtschaft  5 / 2015

1 Siehe hierzu die Über- sicht bei Nannestadt und Paldam (1994).

2 Zur Darstellung siehe auch Frey und Kirch- gässner (2002), S. 292ff.

3 Siehe z. B. Rogoff und Siebert (1988).

4 Ausführlich in Alesina und Rosenthal (1995).

5 Siehe hierzu auch die Einschätzung in Drazen (2008), S. 4f.

im Zeitablauf. Zudem ist die tatsächliche wirt- schaftliche Situation zum Zeitpunkt, wenn über wirtschaftspolitische Massnahmen entschieden werden muss, häufig noch nicht genau bekannt.

Regierungen sind am eigenen Wohlergehen interessiert

Das Nordhaus-Modell stellt einen Paradigmen- wechsel dar: Politiker verfolgen in der Konjunk- turpolitik ihre eigenen Interessen genauso – und genauso wenig – wie alle anderen Menschen.

Der Regierung wird nicht mehr unterstellt, ihr oberstes Ziel sei die Wohlfahrt der Bevölkerung.

Sondern: Es geht ihr primär um ihr eigenes Wohl- ergehen und jenes ihrer Klientel. Da sie für ihre Wiederwahl die Zustimmung der Mehrheit der Wähler benötigt, muss die Regierung deren Inte- ressen ebenfalls berücksichtigen. Solange sie die Maximierung ihres Wahlerfolgs anstrebt, verhält sie sich opportunistisch gegenüber den Wählern und verfolgt keine eigenen Ziele. Man spricht da- her auch vom opportunistischen Zyklus.

Damit sich die Erzeugung eines Konjunkturzy- klus für die Regierung rentiert, müssen die Wäh- ler bei ihrer Entscheidung vergangene Ereignisse schwächer gewichten als gegenwärtige. Das kann damit zusammenhängen, dass sie vergangene Er- eignisse vergessen, aber auch damit, dass sie die gegenwärtige Regierungspolitik als stärkeren In- dikator für die in Zukunft zu erwartende Politik ansehen als die Handlungen der Regierung in der Vergangenheit. Eine schwächere Gewichtung der Vergangenheit muss daher der Annahme rationa- len Verhaltens nicht widersprechen.

Andererseits goutieren die Wähler eine solche Politik kaum, wenn sie sich regelmässig wieder- holt. Auch wenn die Wähler keine rationale Er- wartungen im strengeren Sinn haben, kann man davon ausgehen: Sie sind lernfähig, durchschau- en das Verhalten der Regierung und «bestrafen»

diese bei den nächsten Wahlen entsprechend.

Trotzdem könnten für die Regierung Anreize be- stehen, so zu handeln. Denn die Wähler mögen zwar rational sein, aber sie sind nicht vollständig informiert. Deshalb kann eine Regierung ver- suchen, dies auszunutzen. Um dies abzubilden, wurden Modelle eines rationalen opportunisti- schen Zyklus entwickelt.3

Der ideologische Zyklus

Regierungen haben in aller Regel nicht nur ihre Wiederwahl als Ziel, sondern sie möchten auch eine bestimmte Politik verfolgen. So legen kon- servative Parteien traditionellerweise mehr Ge- wicht auf Preisstabilität, während linke Parteien sich mehr um die Arbeitslosigkeit sorgen. Diese Überlegungen wurden vom US-Ökonom Douglas A. Hibbs im Jahr 1977 aufgenommen. Er stellte für die USA und das Vereinigte Königreich von 1948 bis 1972 fest, dass unter republikanischen (bzw. konservativen) Regierungen die Arbeits- losigkeit signifikant höher war als unter demo- kratischen (bzw. Labour-) Regierungen. Zyklen werden in diesem Ansatz nur generiert, wenn die Regierung wechselt. Dann entspricht die Fre- quenz nicht dem üblichen Konjunkturverlauf.

Trotzdem spricht man hier vom ideologischen Zyklus (Partisan Cycle), da es sich wie beim op- portunistischen Zyklus um politische Einfluss- nahmen auf das Wirtschaftsgeschehen handelt, die Schwankungen erzeugen können, welche nicht aus dem Wirtschaftssystem selbst entste- hen. Während die Arbeit von Hibbs rein empi- risch ist, sind später auch theoretische Modelle entwickelt worden, die mit rationalem Verhalten der Wirtschaftssubjekte vereinbar sind.4

Budgetzyklen: Input statt Output

Sowohl für den opportunistischen wie auch für den ideologischen Zyklus wurden eine Reihe em- pirischer Untersuchungen angestellt, die frei- lich kein eindeutiges Bild ergeben.5 Dabei ist die Evidenz für den ideologischen Zyklus noch et- was besser als für den opportunistischen. Auch schneiden die Modelle mit der Annahme rationa- ler Erwartungen nicht besser ab als die (traditio- nellen) Modelle mit adaptiven Erwartungen.

Angesichts der vielen Faktoren, die auf den Wirtschaftsablauf einwirken, ist dies kaum an- ders zu erwarten. Da es dennoch wahrscheinlich ist, dass Regierungen (und/oder Parlamente) ver- suchen, die Konjunktur zu beeinflussen, ist man dazu übergegangen, nicht den Output des Re- gierungshandelns zu untersuchen, sondern des- sen Input: Wenn eine Regierung entsprechende Versuche unternimmt, sollte dies am ehesten am Einsatz ihrer Instrumente deutlich werden. Die

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SCHWERPUNKT

Die Volkswirtschaft  5 / 2015 13 jüngere Literatur behandelt daher vorwiegend

Budgetzyklen: Neue Ausgaben werden eher vor Wahlen, Steuererhöhungen eher nach Wahlen be- schlossen.6 Zum Teil werden auch mögliche Zyklen bei den geldpolitischen Instrumenten untersucht.7 Die Ökonomen Bruno S. Frey und Friedrich Schneider (1978) waren die Ersten, die ein sol- ches Modell entwickelten, damals noch unter dem Begriff «politischer Konjunkturzyklus». Sie kombinierten die beiden Ansätze der früheren Arbeiten: Hat eine Regierung gute Aussichten auf eine Wiederwahl, handelt sie ideologisch, sind die Aussichten dagegen schlecht, verhält sie sich opportunistisch. Im Gegensatz dazu wird in den jüngeren Arbeiten zum Budgetzyklus nur noch gefragt, ob bestimmte Variable, insbesondere die Staatsausgaben und das Budgetdefizit, innerhalb der Legislaturperiode einen bestimmten Verlauf aufweisen. Hierzu gibt es – im Gegensatz zu den politischen Konjunkturzyklen – eine reichhaltige empirische Literatur.

Die Evidenz ist eindeutig: Es gibt politische Budgetzyklen. Ihre Ausgestaltung hängt freilich von einer Reihe von Faktoren ab. Neuere Arbeiten zeigen, dass sie in Entwicklungsländern signifi- kant stärker ausgeprägt sind als in entwickelten Ländern.8 Zudem treten solche Zyklen eher in jün- geren als in entwickelten Demokratien auf.9 Und je weniger transparent ein System ist, umso stärker sind sie ausgeprägt.10 Denn dies erleichtert es den Regierungen, entsprechende Aktivitäten zu ver- bergen. Eine Studie zu geplanten Ausgaben und anschliessenden Revisionen in 25 OECD-Staa- ten macht deutlich: Regierungen geben vor einer Wahl mehr aus, als sie zuvor angekündigt haben.11

Solche Aktivitäten sind nicht auf das Budget beschränkt, sondern betreffen etwa auch die Arbeitsmarktpolitik.12 Zudem werden sie auch auf lokaler Ebene beobachtet, wie eine Untersu- chung anhand spanischer Gemeinden zeigt.13

Budgetzyklen vermutlich auch in der Schweiz

Die Schweiz unterscheidet sich wegen ihres Kon- kordanzsystems von den meisten anderen Län- dern. Daher können politische Konjunkturzyklen (im engeren Sinn) hier – wenn überhaupt– nur insofern eine Rolle spielen, als Verschiebungen in der Zusammensetzung der Parlamente Ände- rungen in der Politik nach sich ziehen. Hinge- gen dürften Budgetzyklen auch in der Schweiz von Bedeutung sein: Auch unsere Parlamente berücksichtigen bei ihren Aktivitäten wohl die Wahltermine. So dürften unpopuläre Entschei- dungen kaum kurz vor den Wahlen getroffen werden. Leider steht bisher keine entsprechende Untersuchung zur Verfügung.

Literatur

Abrams, Burton A. und Plamen Iossifov (2006). Does the Fed Contribute to a Political Business Cycle?, Public Choice 129, S. 249–262.

Alesina, Alberto und Howard Rosenthal (1995). Partisan Politics, Divided Gover- nment, and the Economy, Cambridge University Press, Cambridge (Mass.).

Alt, James E. und David Dreyer Lassen (2006). Transparency, Political Polariza- tion, and Political Budget Cycles in OECD Countries, American Journal of Political Science 50, S. 530–550.

Brender, Adi und Allan Drazen (2005).

Political Budget Cycles in New Versus Esta- blished Democracies, Journal of Monetary Economics 52, S. 1271–1295.

Drazen, Allan (2000). The Political Business Cycle After 25 Years, NBER Macroecono- mics Annual 25, S. 75–117.

Drazen, Allan (2008). Political Business Cycles, in: S.N. Durlauf und L.E. Blume, The New Palgrave Dictionary of Economics, 2. Auflage, Palgrave Macmillan. Artikel ist online aufgeschaltet.

Drazen, Allan (2008a). Political Budget Cycles, in: S.N. Durlauf und L.E. Blume, The New Palgrave Dictionary of Economics, 2. Auflage, Palgrave Macmillan. Artikel ist online aufgeschaltet.

Frey, Bruno S. und Gebhard Kirchgässner (2002). Demokratische Wirtschaftspolitik:

Theorie und Anwendung, Vahlen, Mün- chen, 3. Auflage.

Frey, Bruno S. und Friedrich Schneider (1978). An Empirical Study of Politico-Eco- nomic Interaction in the United States, Review of Economics and Statistics 66, S. 174–183.

Haan, Jakob de (2014). Democracy, Elections and Government Budget Deficits, German Economic Review 15, S. 131–142.

Hibbs, Douglas A. (1977). Political Parties and Macroeconomic Policy, American Political Science Review 71, S. 1467–1487.

Jong-A-Pin, Richard, Jan-Egbert Sturm und Jakob de Haan (2012). Using Real-Time Data to test for Political Budget Cycles, CSEifo Working Paper Nr. 3939, München.

Nannestadt, Peter und Martin Paldam (1994), The VP-Function: A Survey of the Literature on Vote and Popularity Functions After 25 Years, Public Choice 79, S. 213–245.

Nordhaus, William D. (1975). The Political Bu- siness Cycle, Review of Economic Studies 42, S. 169–190.

Mechtel, Mario und Niklas Potrafke (2013).

Electoral Cycles in Active Labor Market Policies, Public Choice 156, S. 181–194.

Rogoff, Kenneth und Anne Siebert (1988).

Elections and Macroeconomic Policy Cycles, Review of Economic Studies 55, S. 1–16.

Shi, Min und Jakob Svensson (2006). Political budget Cycles: Do They Differ Across Countries and Why?, Journal of Public Economics 90, S. 1367–1389.

Vincente, Cristina, Bernardino Benito und Francisco Bastida (2013). Transparency and Political Budget Cycles at Municipal Level, Swiss Political Science Review 19, S. 139–156.

Gebhard Kirchgässner

Emeritierter Professor des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsfor- schung SIAW, Universität St. Gallen, Gelehrtenakade- mie Leopoldina und Netzwerk CESifo.

6 Siehe Drazen (2008a).

7 Siehe z. B. Abrams und Iossifov (2006).

8 Shi und Svensson (2006) sowie Haan (2014).

9 Brender und Drazen (2005).

10 Alt und Lassen (2006).

11 Jong-A-Pin, Sturm und Haan (2012).

12 Mechtel und Potrafke (2013) zeigen dies für Deutschland.

13 Vicente, Benito und Batista (2013).

Referenzen

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