AVIVO Region Basel
Altersarmut trotz AHV
Prof. Dr. Carlo Knöpfel
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW Basel, 21. Oktober 2020
Übersicht
Einführung: Die Altersarmut als Ursprung des modernen Sozialstaates
Armut und Alter: ein paar Begriffsklärungen
Einkommensungleichheit und Armut im Alter
Alter, Armut und Gesundheit
Alter, Armut, Gesundheit und Wohnen
Ausblick mit ein paar alterspolitischen Reformvorschlägen
Teil 1
Einführung: Die Altersarmut als Ursprung des modernen Sozialstaates
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Das Fanal in der Schweiz: Generalstreik 1918: Zürich, Paradeplatz
Und nochmals 30 Jahre später…
Forderung nach einer Alters- und Invalidenversicherung
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Abstimmung vom 3. Dezember 1972:
78% Nein zur Volkspensions-Initiative
74% Ja für den Gegenvorschlag (Drei-Säulen-Prinzip)
Quelle: BSV, Geschichte der Sozialversicherungen,
http://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/institutionen/bundesamt-fuer-sozialversicherungen-bsv/
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Teil 2
Armut und Alter: ein paar Begriffsklärungen
Was heisst Armut?
Wer arm ist, hat zu wenig Geld
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Wie viele alte Menschen leben in Armut, gemessen an ihrem Einkommen? I
2017, 65 plus Gesamtzahl Quote
EL zur AHV 204’800 12.5%
Armut 219’000 15.2%
Armutsgefährdung, 60%
des Medians 330’300 22.9%
Was heisst Armut?
Wer arm ist, hat zu wenig Geld
Wer arm ist, befindet sich in einer prekären Lebenslage
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Vulnerable ältere Menschen oder
arm sein ist mehr als zu wenig Geld haben, gerade im Alter
Finanzen
Gesundheit
Bildung Soziale
Integration
Aufenthalts- status
Wohnen Sozial-
raum
Was heisst Armut?
Wer arm ist, hat zu wenig Geld
Wer arm ist, befindet sich in einer prekären Lebenslage
Wer arm ist, hat keine Perspektive (mehr)
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Alt werden ohne Perspektive
Fragilisierungsprozess
Chronifizierung von Krankheiten
Sinkendes verfügbares Einkommen
Wachsende Inmobiliät
Zunehmendes Leiden an «Soziale Krankheiten»: Gefühle der Einsamkeit, Langeweile, Nutzlosigkeit
Teil 3
Einkommensungleichheit und Armut im Alter
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Soziale Ungleichheit im Alter
Haushaltseinkommen von Paarhaushalten ab 65 nach Einkommensklassen
Anmerkung: In Franken pro Monat, zusammengefasste Stichprobe für 2015-2017
0 2000 4000 6000 8000 10000 12000 14000 16000 18000
Quintil 1 Quintil 2 Quintil 3 Quintil 4 Quntil 5
AHV BV
weitere Sozialleistungen Einkommen aus Erwerbsarbeit Einkommen aus Vermögen und Vermietung
Quintil = 20%
Soziale Ungleichheit im Alter
Haushaltseinkommen von Paarhaushalten ab 65 nach Einkommensklassen
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Anmerkung: In Franken pro Monat, zusammengefasste Stichprobe für 2015-2017
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Quintil 1 Quintil 2 Quintil 3 Quintil 4 Quntil 5
AHV BV
weitere Sozialleistungen Einkommen aus Erwerbsarbeit Einkommen aus Vermögen und Vermietung
Gender Pension Gap 2012: Renteneinkommen nach Geschlecht
Gender Pension Gap 2012: Im Drei-Säulen -Konzept
Unterschied der Renten
von Männern und Frauen Gender Pension Gap
In Franken In %
Unterschied bei der AHV-
Rente 606 2.7%
Unterschied bei der Rente aus der
Beruflichen Vorsorge 18’674 63.0%
Unterschied in der 3.
Säule
(Rentenäquivalenz) 813 54.4%
Unterschied der
gesamten jährlichen
Rente 19’585 37.1%
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Quelle: BFS/BFH: GPG in der Schweiz, Forschungsbericht 12/2016
Wie viele alte Menschen leben in Armut? II
2017 Armuts-
betroffene Armuts-
quote Anteil der
Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung
Anteil der
Altersgruppe an allen Armutsbetroffenen
Alle 675’000 8.2%
0-17 103’000 6.9% 18.1% 15.3%
18-64 354’000 6.6% 64.5% 52.4%
65 plus 219’000 15.2% 17.4% 32.4%
Quelle: BFS Armutsstatistik, BSV EL-Statistik
Wie viele alte Menschen leben in Armut? III
Armutsgefährdung, 60%
des Medians, 2017 Anzahl Quote
Alle 1’244’800 15.0%
0-17 269’400 18.0%
18-64 645’100 12.1%
65-74 137’400 17.6%
75 plus 193’000 29.1%
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Armut im Alter?
Umstrittene Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS)
Telefonische Angaben in Frage gestellt
Begrenzte Berücksichtigung des Vermögensverbrauchs
Hohe Bedeutung der Ergänzungsleistungen
Vermögen und Vermögensverzehr im Alter
Personen ab 65 Jahren greifen häufiger auf Vermögen zurück, um ihre
laufenden Ausgaben zu bestreiten: 16,6% gegenüber 4,1% der Personen im Erwerbsalter
Rund drei Viertel aller einkommensarmen Seniorinnen und Senioren verfügen über liquide Mittel von mehr als 10’000 Franken, und ein Drittel sogar über
mehr als 100’000 Franken. Zum Teil ist das der Kapitalbezug aus der 2. Säule.
Bei den Personen zwischen 18 und 64 Jahren liegen die entsprechenden Anteile mit ca. 40% und 10% deutlich tiefer.
Quelle: BFS (2014), Armut in der Schweiz, Ergebnisse 2007 bis 2012, S. 3
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Armut im Alter: Einige Ergebnisse einer Studie von Pro Senectute Schweiz, 2009
Grösste Vermögensungleichheit bei den Rentnerhaushalten.
Alleinstehende Rentnerinnen tragen das grösste Armutsrisiko.
Die Zurückhaltung, EL zu beziehen ist in der heutigen Generation der Alten hoch.
Zunahme von «jungen» Rentnerhaushalten, die EL beziehen (ehemalige working poor-Haushalte)
Einzelfallhilfe der Pro Senectute vor allem für Ausgaben in den Bereichen Wohnen und Gesundheit
Arme Rentnerhaushalte stammen oft aus bildungsfernen Schichten, hatten untergeordnete berufliche Stellungen inne und «Brüche» in ihren Erwerbs- biographien.
Teil 4
Alter, Armut und Gesundheit
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Der soziale Gradient: Der Untergang der Titanic vom 15. April 1912
alle Frauen Männer 1. Klasse .60 .92 .31 2. Klasse .36 .97 .09 3. Klasse .24 .49 .14
Überlebenschancen nach Geschlecht und Klasse
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Lebenserwartung nach Geschlecht und sozialer Schicht in Deutschland
Quelle: Robert-Koch-Institut; FAZ vom 13.3.16
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Teil 5
Alter, Armut, Gesundheit und Wohnen
Gesundheitskosten nach Alter: Kosten in Franken pro Einwohner und Monat
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Bundesamt für Statistik (2018):
Gesundheitskosten nach Alter und
Geschlecht (Schätzung).
Selbstgetragene Gesundheitskosten
Selbstzahlungen, 2016 24.5 Mia. (30% aller Gesundheitskosten) Davon unter anderem
Zusatzversicherungen 5.4 Mia.
Selbst bezahlte Arztleistungen 3.0 Mia.
Zahnarzt 2.8 Mia.
Medikamente (ausserhalb des
KVG) 1.6 Mia.
Betreuung und Hotellerie in
Pflegeheimen 5.5 Mia.
Armutsrisiko «alt werden daheim»
Ungedeckte Betreuungs- und Hilfekosten (wo keine Pflege nötig ist)
Zu tiefe Mietansätze in der Ergänzungsleistungen und (zu) grosse Wohnungen
Unbezahlbare Care-Arbeit durch Angehörige (zu tiefe Ansätze bei der Hilflosenentschädigung)
Komplexe und komplizierte Anrechtsregelungen (Sozialleistungen, Steuerabzüge)
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Anteil der Personen in Pflegeheimen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung 2017
Quelle: BFS: Gesundheit im Alter, 2017
Armutsrisiko «alt werden im Heim»
Rascher Vermögensverzehr durch selbst zu zahlende Heimkosten (Betreuung, Hotellerie)
Sehr grosse Unterschiede zwischen den Kantonshauptorten
Ungenügende Betreuung
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Teil 6
Ausblick mit ein paar alterspolitischen Reformvorschlägen
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Einige Reformvorschläge
Ausbau der AHV
Vermeidung von Vorsorgelücken
Ergänzungsleistungen nach dem Bringprinzip
Steuerbefreiung des Existenzminimums bis zu den Ergänzungsleistungen
Ausweitung der Kriterien bei der Hilflosenentschädigung auf psychosoziale Aspekte
Ergänzungsleistungen für das betreute Wohnen
Entlastung und Entschädigung betreuende und pflegender Angehöriger
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und auf Wiedersehen auf www.gutaltern.ch
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