G
esundheit und Krank- heit spielen in Comics nur eine untergeord- nete Rolle. Gerade häufige Erkrankungen, wie Krebs, finden sich dort nur selten.Wilhelm Busch allerdings hat in seiner Bilder-Geschichte
„Der neidische Handwerks- bursch“ beeindruckend die Leiden des Übergewichtigen an einem akuten Gicht- anfall („Zipperlein“) nach opulentem Mahl dargestellt.
Krebserkrankungen werden erst in neueren amerikani- schen Comicstrips themati- siert, so zum Beispiel in „Our cancer year“ von Harvey Pekar, der die Geschichte sei- ner eigenen Lymphom-Er- krankung beschreibt. Auch Schwerhörigkeit, von der Mil- lionen Menschen betroffen sind, spielt selten eine Rolle.
Die extreme Schwerhörigkeit des zerstreuten Professor
Bienlein in den Tim-und- Struppi-Folgen, die er selbst nicht zur Kenntnis nimmt und die zu ständigen Miss- verständnissen führt, wird häufig als Stilmittel zur Er- zeugung von Situationskomik eingesetzt.
Comic-Helden werden nicht älter Zweifellos wollen Co- mics unterhalten; aus diesem Grund scheint eine Meidung von Themen wie Krankheit, Leiden und Tod grundsätz- lich naheliegend. Das Fehlen von Krebserkrankungen in Comics bildet somit im Prin- zip nur die Einstellung der heutigen jugendgeprägten Ge-
sellschaft ab. Entsprechend ist auch der Alterungspro- zess nicht Gegenstand von Comics: Comic-Helden wer- den nicht mit ihren Lesern älter. Erst neuere amerikani- sche Zeichner lassen erst- mals die Helden altern. So werden in den Bildbänden
„Friede auf Erden“ und
„Kingdom Come“ von Alex Ross die inzwischen gealter- ten Superhelden (Superman, Batman, Wonder Woman) wieder aktiv, um den depra- vierten und zynischen Men- schen ein Beispiel für Hoff- nung und Frieden zu geben.
Als äußeres Zeichen seines Alterungsprozesses muss Su- perman nun eine Brille tra- gen.
Psychiatrische Krank- heiten und Persönlichkeits- störungen sind häufig ein gestaltendes Element in Comicstrips. Das mag dar- an liegen, dass psychische
Absonderlichkeiten weit verbreitet sind und von vielen Menschen tagtäglich an anderen erlebt werden. Darüber hinaus bieten sie die Mög- lichkeit, interessante Cha- raktere einzuführen, die zu- sätzlich zur Erheiterung beitragen. Ein gutes Bei- spiel für eine wesentliche Rolle der Psychiatrie im Comicstrip sind die „Pea- nuts“, in denen Lucy regel- mäßig psychiatrische Rat- schläge an ihrem Limonaden- stand erteilt. Für jede Frage und jeden Ratschlag kassiert sie fünf Cent – eine einfache Gebührenordnung für aus- schließliche Privatpatienten.
Charlie Brown wird immer in seinen Neurosen bestätigt, Linus ist ohne seine Schmuse- decke in der kalten, feindli- chen Welt hoffnungslos verlo- ren. Umberto Eco führt in seinem Essay „Die Welt von Charlie Brown“ (1984) aus, dass „wir in dem Verhalten der Kindergestalten die Nöte und Sorgen der Erwachsenen wiederfinden . . . Diese Kin- der (. . .) sind die unheimli- chen miniaturisierten Reprä- sentanten der Neurosen eines Bürgers der Industriekultur.“
Zum Hund Snoopy liefert Eco eine tiefere Interpretati- on: „Wenn es jemals so etwas wie eine gespaltene Persön- lichkeit gegeben hat, dann
A-1155 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 17, 28. April 2000
V A R I A FEUILLETON
„I am a material girl“ – Lisa Simpson identifiziert sich mit Madonna und gerät in die Fänge des Gesundheitswesens.
Die Themen Krankheit, Leiden und Tod werden in Comics nur selten aufgegriffen.
“
“B Be eii D Do on na al ld d f
fl liie es ss st t n
niie em ma al ls s B Bl lu ut t“ “
Comicstrips
Snoopy. Er wäre gern ein Al- ligator, ein Känguru, ein Gei- er, ein Pinguin, eine Schlan- ge. . . Er probiert alle Wege der Mystifikation aus, schickt sich am Ende jedoch, aus Faulheit, aus Hunger, aus Müdigkeit oder Schüchtern- heit, aus Klaustrophobie (die ihn übermannt, sobald er durch hohes Gras streift) oder aus Feigheit, in die Wirklichkeit.“
„ Schwarze Gedanken“
Zum Teil haben Autoren und Zeichner selbst unter psychiatrischen Krankheiten gelitten: So hatte Hergé eine schwere Depression bei der Arbeit an „Tim in Tibet“.
Franquin – der Schöpfer des Marsupilami, von Gaston so- wie Spirou und Fantasio – hatte über viele Jahre schwe- re Depressionen. Sicher nicht unabhängig davon ist seine Serie „Schwarze Gedanken“
zu sehen, in der sich – nur in Schwarz-Weiß dargestellt – ausschließlich albtraumartige Kurz-Strips finden. Art Spie- gelman schließlich war in psy- chotherapeutischer Behand- lung, als er über mehrere Jah- re in „Maus“ die Geschichte seines Vaters im Warschauer Getto und in Auschwitz dar- stellte.
Das Gesundheitswesen wird relativ selten in Comics aufgegriffen. Krankenhaus- szenen beschränken sich im Allgemeinen auf sehr kurze Episoden, die als Aufhänger und Anfang neuer Episoden
genutzt werden. Eine treffen- de Darstellung der morgend- lichen Weck- und Wasch- rituale findet sich in dem Werner-Comic „Wer sonst?“:
Werner liegt im Krankenhaus und wird mitten in der Nacht durch die üblichen Verrich- tungen des Personals in sei- nem Schlafwunsch gestört.
So kommt die Nachtschwe- ster zum Waschritual, dann folgen Fiebermessen, die Bi- lanzierung der Ausscheidung, Frühstück, schließlich rattert noch die Bohnermaschine ins Zimmer. In dem Asterix- Band „Der Kampf der Häupt- linge“ wird treffend darge- stellt, wie sich die Medizin die Nachfrage selbst schafft:
Obelix hat unter seinem Dicksein bisher nicht gelitten.
Erst als ein Druide ihm seine körperliche Erscheinung als Makel lange genug erklärt, wird Obelix depressiv – wor- aufhin der Druide sofort die Behandlung der Gemüts- störung anbietet.
E. O. Plauen hat in seiner Bildfolge „Vater und Sohn“
die Vor- und Nachteile der Krankenrolle in wenigen Bil- dern dargestellt: Der Sohn, der über Kopfschmerzen klagt, wird von der Pflicht, zur Schu- le zu gehen, entbunden (Be- freiung von den normalen so- zialen Rollenverpflichtungen laut Parsons). Er darf im Bett bleiben, ihm wird vorgelesen.
Er muss allerdings auch Arz- neimittel einnehmen (Ver- pflichtung, gesund zu werden).
Als er es jedoch an der Koope- ration fehlen lässt und das Krankenbett als Schaukel
missbraucht, nimmt ihm der Helfer – hier der Vater – die Krankenrolle weg, und der Sohn muss nun doch noch zur Schule.
Andererseits gibt es Co- mics, in denen Krankheit oder gar Körperschäden praktisch nicht dargestellt sind. So hat Erika Fuchs, die kongeniale deutsche Disney-Übersetze- rin seit den 50er-Jahren, schon 1970 in der Zeitung
„Eltern“ positiv vermerkt:
„Bei Donald fließt niemals Blut.“ Ärzte in Disney-Co- mics tauchen selten, und wenn, dann in Gestalt des guten Hausarztes auf.
Zynischer Zeitgeist Demgegenüber themati- sieren die „Simpsons“ das Gesundheitswesen mit seinen (zur Zeit noch amerikatypi- schen) Spielarten und sogar seinen Finanzierungsproble- men nicht nur in geringem Umfang. Fragwürdige Blut- spende-Praxen, Homers By- pass-Operation und Fragen der privaten Finanzierung von Operationen sind Gegen- stand ganzer Comicfolgen.
Zwei Ärztetypen sind fester Bestandteil der Folgen: einer- seits der fachlich qualifizierte Hausarzt der Simpsons, ande- rerseits der unfähige und fragwürdige Fernseharzt Dr.
Nick Rivieras, über dessen formale Qualifikation allein schon Zweifel bestehen.
Die 100 Jahre alten Bild- geschichten von Wilhelm Busch und die Comicserie der
„Simpsons“ stellen Antipo- den dar: moralisierende Auf- klärung bei Wilhelm Busch gegenüber zynischem Zeit- geist bei den Simpsons – auch in der Darstellung von Krank- heiten und Gesundheitsstörun- gen. Busch stellt Strafen oft- mals als körperliche Schäden dar – bis zum Tod der „Böse- wichte“. Derart drastische Darstellungen von körperli- cher Gewalt und Schädigung sind hundert Jahre später bei den Simpsons nicht mehr möglich – die „political cor- rectness“ verbietet es. Auch eine moralisierende Aufklä- rung gibt es nicht mehr. All- gemeine Regeln der Moral, der Ethik, des Verhaltens sind viel schwieriger zu definieren.
Die Simpsons schildern eine korrupte, desolate und teil- weise unmenschliche Wirk- lichkeit – allerdings schildern sie unterhaltend und karikie- rend. Die zynische Darstel- lung dieser Wirklichkeit ist die Stärke der Simpsons.
Damit deckt sich die Dar- stellung jedoch auch mit der Gefühlslage im Gesundheits- wesen.
Priv.-Doz. Dr. med. Walter Popp
A-1156 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 17, 28. April 2000
V A R I A FEUILLETON
Eine längere (60 Seiten) Ausarbeitung zum Thema kann gegen Übersendung von 10 DM (Eigenkosten und Porto) angefordert werden bei: Dr. Walter Popp, Sundernholz 32, 45134 Essen.
Mit freundlicher Genehmigung der Comics Bongo Group