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Politik der Arzte
Von der Opernbühne zum Schmierentheater
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olitik im Sinne der Ärzte- schaft zu machen, ist schwerer denn je. Das liegt nicht allein am politischen Umfeld. Ein gut Teil der Schwie- rigkeiten ist hausgemacht. Inner- ärztliche Querelen, insbesondere innerhalb der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, aber nicht nur hier, beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit der ärztlichen Argumentation. Die Kassenärztli- che Bundesvereinigung (KBV), deren Vertreterversammlung in wenigen Tagen in Köln zusam- mentritt, verschleißt sich derzeit in üblen Grabenkämpfen. An Schlamm wird nicht gespart.Nicht allein die KBV ist be- troffen. Auch bei der Gebühren- ordnung für Ärzte, die Sache der Bundesärztekammer ist, konter- karieren die Ärzte selbst die eige- ne Politik. Da streichen der Vor- sitzende („Präsident") des Chef- arztverbandes und der Vorsitzen- de („Präsident") des Berufsver- bandes der Internisten (BDI) durch die Gänge des Bundesge- sundheitsministeriums, um ihre oder ihrer Verbände eigensüchti- gen Auffassungen an den Mann zu bringen. Das Agieren der Her- ren ist selbst den an Lobbyisten gewöhnten Ministerialen peinlich.
Zwei Landesärztekammern wider- sprechen dem Konzept der Ge- bührenordnung, das die Arbeits- gemeinschaft der Ärztekammern, also die Bundesärztekammer, be- schlossen hat und politisch ver- tritt. Sieht man hinter die Ein- sprüche aus den Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, dann stößt man wiederum auf je- nen Berufsverband der Interni- sten, hier in Personalunion mit der umtriebigen Zentralen Ar- beitsemeinschaft niedergelasse- ner Arzte (ZAG), und den Chef- arztverband, dessen Vorsitzender in Westfalen beheimatet ist.
Wie soll ein Politiker oder sollen gar Bundestag oder Bun- desrat von ärztlichen Auffassun- gen, beispielsweise zur GOÄ, überzeugt werden, wenn die in de- mokratischen Verfahren gefunde- nen Lösungen immer wieder von einzelnen, die innerärztlich keine Mehrheit finden konnten, hinter- trieben werden? Auf den inner- ärztlichen Streit jedenfalls können Politiker sich verlassen. Seehofer und Dreßler haben das beim Ge- sundheitsstrukturgesetz trefflich genutzt: Immer fand sich irgend- wer aus der Ärzteschaft, auf den sie sich berufen konnten.
Am unangenehmsten wirken sich derzeit die Querelen in der KBV aus. Anlässe sind das soge- nannte Hausarzt-Modell und die Neuordnung der Laborhonorare.
Vorreiter einer Kampagne ist wie- derum der Berufsverband der In- ternisten. Gewiß, die Internisten haben ihre berechtigten Sorgen.
Wie aber die Spitzenfunktionäre des BDI mit Hilfe eines hem- mungslos beflissenen PR-Trupps agieren, um sich zur Geltung zu bringen, ist schäbig. Die Details der Schmutzkampagne sollen hier nicht aufgeführt werden, um sie nicht noch weiter zu verbreiten.
Sie gehen bis zur persönlich-priva- ten Diffamierung.
Die Konkurrenz des Interni- stenverbandes, der Berufsverband der Praktischen Ärzte und Ärzte für Allgemeinmedizin (BPA), steht indes nicht zurück. Sein Vor- sitzender reist durch die Lande mit der so boshaften wie naiven Drohung, wenn das Hausarzt-Mo- dell nicht durchkomme, dann ge- nüge ein Wink an den Bundesge- sundheitsminister, um das Primär- arzt-System einzuführen. Der Verband organisiert eine Kampa- gne gegen Honorarbescheide in Sachen Labor; in seinem Ver- bandsblatt druckt er gleich den
fertigen Text eines Widerspruchs ab; der solcherart animierte Arzt braucht nur noch zu unterschrei- ben.
Was die Streitereien inner- halb des Vorstandes der KBV an- geht, so sei auf den Kommentar, der in Heft 16 an dieser Stelle er- schienen ist, verwiesen. Und damit wären wir beim eigentlichen The- ma: Die KBV ist kaum noch in der Lage, eine gemeinsame Meinung zu entscheidenden berufspoliti- schen Fragen zu finden und ge- schlossen zu vertreten. Wenn die KBV in der Politik wieder gehört und ernst genommen werden will, dann muß sie bei sich selbst anset- zen. Die Vertreterversammlung wird klare Beschlüsse fassen und daran festhalten müssen — wenn nicht, wird sie zum Spielball der Interessengruppen. Der Vorstand wird sich daran gewöhnen müs- sen, gefaßte Beschlüsse auch in die Tat umzusetzen — wenn nicht, riskiert er, sich lächerlich zu ma- chen.
Bei Gesprächen mit ganz nor- malen Ärzten und in Briefen an die Redaktion kommt zum Aus- druck, daß die sogenannte Basis, auf die sich die Funktionäre so gerne berufen, das Spiel, das an- geblich um ihretwillen geführt wird, nicht mehr versteht. „Die da oben", so kommt's dem Normal- Arzt vor, umkreisen einander, sind mit sich selbst beschäftigt, ko- chen im eigenen Saft. Das ist eine gefährliche Stimmungslage.
Zur Politik, auch zur Berufs- politik gehört ein wenig Show-Ge- schäft. Beim Ärztetag in Dresden war, nachdem Minister Seehofer eine opernreife Vorführung gelie- fert hatte, augenzwinkernd von der politischen Bühne als Opern- bühne die Rede. Freilich, der Weg zum Schmierentheater ist nicht weit.
Norbert Jachertz Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 18, 6. Mai 1994 (1) A-1245