Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 44⏐⏐2. November 2007 A3015
M E D I E N
PÄDIATRIE
Primäre und sekundäre Prävention
Das Buch widmet sich dem so wichtigen und wenig beschriebe- nen Gebiet der „Praxispädiatrie“.
Schwerpunkt bildet die primäre und sekundäre Prävention, die in der Praxis des niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziners ei- nen zentralen Stellenwert einnimmt und Themen wie Entwicklungsdia- gnostik, Unfallverhütung, Scree- ninguntersuchungen und Sozialpädia- trie umfasst.
Das Buch ist zwar primär für den niedergelassenen „Praxispädia- ter“ geschrieben. Es stellt aber auch für den pädiatrischen Hochschulleh- rer ein interessantes Werk dar, weil der Großteil der angehenden Pädiater innerhalb des Studiums nur unge- nügend zum „berufsfertigen Arzt“ in der selbstständigen Praxis vorberei- tet wird – in Anbetracht der Tatsache, dass die Kinder- und Jugendmedizin kein obligates Prüfungsfach (mehr) darstellt, ist dies ohnehin ein schwie- riges Unternehmen. Nicht zuletzt ist dieses Buch auch für den in der Kli- nik tätigen Kinder- und Jugendmedi- ziner von Bedeutung, weil er hier in voller Empathie die Welt der „Pra- xispädiatrie“ kennenlernen kann, um seine Kommunikation mit dem nie- dergelassenen Kinder- und Jugend- mediziner abzustimmen.
Der Band besteht aus drei Teilen.
Im ersten Teil stehen Anamnese und Untersuchungsbefund des Kindes (inklusive Untersuchung einzelner Organsysteme, Pubertätsentwick- lung) im Vordergrund. Im zweiten Teil werden die einzelnen Vorsorge- untersuchungen U1 bis U10/J1 ab- gehandelt. Im Anhang findet man unter anderem Normwerte, Perzen- tilenkurven, Ernährungshinweise und einen Impfplan.
Das Werk lebt von seiner Phäno- menologie; das Bildmaterial begeis- tert nicht nur den Eidetiker. Es hat nicht den Anspruch, ein Lehrbuch der Kinder- und Jugendmedizin zu ersetzen. Aber es ist unentbehrlich für den jungen „Praxispädiater“, der sein individuelles „Manual“ zu er- stellen hat. Während die primäre und sekundäre Prävention einen er-
klärten Fokus darstellt, kommt die tertiäre Prävention bei chronischen Erkrankungen im Kindes- und Ju- gendalter (Asthma, Diabetes Typ I, chronisch-entzündliche Darmerkran- kungen und Mukoviszidose) zu kurz. Auch zu den Themen Rauchen, Allergie und Neonatalscreening fehlen detaillierte Ausführungen (zum Beispiel Allergievermeidung im häuslichen Bereich, Tandem- MS). Das Frühwarnsymptom „acho- lischer Stuhl“ wird nicht erwähnt, und somit fehlt der Hinweis auf ei- ne so verhängnisvolle Screeningdia- gnose wie die extrahepatische Gal- lengangsatresie. Eine weitere häu- fige Diagnose, die mit Anamnese (zum Beispiel Pubertätsanamnese der Eltern) und körperlichem Be- fund in der Praxis differenziert wer- den kann, stellt die konstitutionel- le Entwicklungsverzögerung von Wachstum und Pubertät dar. In eini-
gen Punkten ist die Darstel- lung nicht präzise und miss- verständlich.
Insgesamt gesehen ver- mittelt das Buch eine über- sichtliche und anregende Darstellung für jeden, den das Thema Prävention im Kindes- und Jugendalter in- teressiert. Es schließt eine bedauerliche Lücke auf dem medizinischen bezie- hungsweise pädiatrischen Buchmarkt. Ob diese schweizeri- sche Initiative in der Lage ist, der deutschen Pädiatrie und dem Ge- meinsamen Bundesausschuss bei der Suche nach einer Kompromiss- linie zwischen Evidenzbasiertem und „Wünschenswertem“ im Rah- men der derzeit laufenden Neu- strukturierung der Vorsorgeunter- suchungen zu helfen, ist jedoch zu bezweifeln. Klaus-Peter Zimmer
Thomas Baumann:
Atlas der Entwicklungs- diagnostik.
Vorsorgeuntersuchungen von U1 bis U10/J1. 2.
Auflage, Thieme, Stutt- gart, New York, 2007, 532 Seiten, gebunden, 99,95 Euro