den Organen seien in Übereinstimmung mit umfangreichen Daten am Tiermo- dell bisher keine negativen Auswirkun- gen dokumentiert, sagte Jordan.
An der Chemotherapie von Hirntu- moren arbeitet auch eine Frankfurter Arbeitsgruppe – bisher allerdings noch am Tier. Wie Prof. Jörg Kreuter ausführ- te, ist das Ziel eine intravenöse Therapie mit Nanopartikeln, die die Blut-Hirn- Schranke überwinden. Sie sollen als Tro- janische Pferde inkorporiertes Doxoru- bicin ins Tumorgewebe bringen. Durch den „Überzug“ der Biopolymere mit Po- lysorbat wird ein Anker für die Anhef- tung von Apolioprotein E geschaffen – wodurch die Partikeln hirngängig werden.
Bei der Ratte gelingt es auf diese Art, im Gehirn 60fach höhere Doxorubicin- Konzentrationen zu erzielen als im übrigen Körper. Bei acht Experimenten mit 50 Tieren ist experimentell in 20 bis 50 Prozent eine Heilung erzielt worden.
Das Biopolymer selbst wird innerhalb von 24 Stunden zu 80 Prozent im Kör- per degradiert.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Rüdiger Kniep (Dresden) erforscht seit 15 Jahren, wie sich Zahndefekte – speziell über- empfindliche Zähne, bei denen die schüt- zende Zement- oder Zahnschmelz- schicht etwa infolge einer Paradontose fehlt – mit einem natur-analogen Materi- al schließen lassen. Die Wissenschaftler haben hierfür (zusammen mit SusTech Darmstadt) einen Nano-Apatit ent- wickelt, der nach mehrmaligem Auftra- gen die Defekte deckt, wobei der Vor- gang der natürlichen Neomineralisation sehr nahe kommt. Nanopartikeln von Hy-
droxylapatit wurden hierbei mit einem Biopolymer (Kollagen-Abbauprodukte)
„verbunden“, das Produkt hat in klini- schen Doppelblind-Studien eine nach- weisliche Schmerzreduktion bei Perso- nen mit hypersensitiven Zähnen bewirkt.
Quantenphänomene statt Dosis-Wirkungs-Beziehungen
Ähnliche Technologien könnten in Zu- kunft auch bei Knochendefekten hilf- reich sein. Hier betreibt die Arbeits- gruppe Grundlagenforschung im ma- kromolekularen bis atomaren Bereich, um der Selbstorganisation bei der Kom- posit-Bildung auf den Grund zu kom- men und mit dieser Kenntnis das Wachstum von Knochen zu beschleuni- gen. So könnte die Osteoporose irgend- wann einmal beherrschbar werden, oder auch „natürliche“ Hüften könnten die gängigen Metallimplantate ersetzen.
So verlockend die Chancen – kurzfri- stig zumindest werden die Möglichkei- ten der Nanotechnologie kaum auf breiter Basis angewandt werden. Darin waren sich die Teilnehmer einer Dis- kussionsrunde einig. Und auch die Ri- siken der „Schlüsseltechnologie“, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in diesem und den kom- menden Jahren mit mehr als 120 Millio- nen Euro gefördert wird, sind letztlich nicht völlig geklärt.
Anders als bisher wird es hier bei der Abschätzung der Toxizität insofern schwieriger, als es nicht um lineare Dosis- Wirkungs-Beziehungen geht, sondern um
Quantenphänomene. Das bedeutet auch den Abschied vom Prinzip: eine Ursache – eine Wirkung, wie Dr. Mike Roco als Senior Advisor der National Science Foundation klar machte. Der Amerika- ner forderte eine internationale Zusam- menarbeit zur Etablierung von Stan- dards, da die Produkte über nationale Grenzen hinaus eingesetzt werden – und der „Chefwissenschaftler“ von Green- peace, Dr. Douglas Parr, will vor allem die sichere Entsorgung gewährleistet wissen.
Er erinnerte an die noch weitgehend ungeklärten Folgen der hormonähnli- chen Substanzen, die als „endocrine dis- ruptors“ für vielfältige Umweltschäden verantwortlich gemacht werden und de- ren Auswirkungen auf den Menschen bis heute Gegenstand kontroverser Dis- kussionen bilden.
Prof. Paul Borm (Düsseldorf) verwies darauf, dass hohe Dosen inhalierter Na- nopartikel Lungenkarzinome auslösen können – vermutlich über den Weg einer Entzündung, sie können auch translozie- ren und im ZNS und der Leber gefunden werden. Ungeklärt sind mögliche direkte und indirekte Herzeffekte, bei Asthma- Patienten wurde eine systemische Blut- Koagulation beschrieben.Da die Partikel auf der Oberfläche Proteine binden kön- nen, sind zudem Reaktionen auf subzel- lulärer Ebene denkbar – Konfigurations- änderungen von Proteinen oder Funkti- onsänderungen einer Zelle.
Wichtig ist nach Auffassung von Kniep bei der Einschätzung der Toxi- zität in erster Linie, ob die Partikeln lös- lich oder unlöslich sind und welche Mor- phologie sie aufweisen. Lösliche Parti- keln dürften keine Probleme machen, bei unlöslichen ist zu klären, ob sie sich ab- lagern, akkumulieren oder ausgeschie- den werden. Entsprechende Screening- methoden müssen neben den verschie- denen Materialien auch noch die Größe und Form der Partikeln berücksichtigen, denn das gleiche Material kann je nach Größe – besser „Kleinheit“ – unter- schiedliche Reaktivität bedingen.
Langfristig jedoch, da waren sich die Experten einig, birgt die Nanotechnolo- gie für alle Bereiche des Lebens so viel- fältige Möglichkeiten, dass in ferner Zukunft niemand ohne ein Produkt aus dieser Technologie im praktischen Le- ben auskommen wird – und sei es noch so klein. Dr. rer. nat. Renate Leinmüller M E D I Z I N R E P O R T
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A2670 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 401. Oktober 2004
Die Welt der allerkleinsten Dinge
Nanotechnologie ist ein Oberbegriff für unterschiedlichste Arten der Analyse und Bearbeitung von Materialien, denen eines gemeinsam ist: Ihre Größendimension beträgt ein bis einhundert Nanometer (ein Nanometer ist ein Millionstelmillimeter. Zum Vergleich: Der Durchmesser eines menschlichen Haares ist fünfzigtausendmal größer. ). Die Nanotechnologie nutzt die mechani- schen, optischen, magnetischen, elektrischen und chemischen Eigenschaften dieser kleinsten Strukturen. Diese hängen nicht allein von der Art des Ausgangsmaterials ab, sondern in beson- derer Weise von ihrer Größe und Gestalt. Voraussetzung für die Nanotechnologie ist die Ent- deckung der Arbeitsmöglichkeiten mit einzelnen Bausteinen der Materie sowie das damit zu- nehmende Verständnis der Selbstorganisation dieser Bausteine.
Derzeit besitzen die USA und Europa etwa gleich viele Unternehmen mit Bezug zur Nanotech- nologie. Etwa die Hälfte der in Europa ansässigen Firmen stammt aus Deutschland; damit ist die Bundesrepublik die Nummer 1 in Europa.Auch hinsichtlich der Fördermittel nimmt Deutschland ei- nen Spitzenplatz ein: Seit den 90er-Jahren hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie rund 290 Millionen Euro in entsprechende Projekte investiert. zyl