Dr. Olaf Specht, Dipl.-lng. Michael Wegener
Eln Modellfür die
Stadtentwicklu ngsPlanung
1.
Problemstellung1.1 Problem derVerstädterung 1.2 StadtentwicklungsPlanung
1.3 Stadtentwicklungsplanung in der Bundesrepublik Deutschland
2.
UntersuchungsProgramm 2.1 Gegenstand2.2 Ziel
3.
Methode3.1 Aufbau des Modells
3.2 Erstes Teilmodell (Prognosemodell) 3.3 Zweites Teilmodell (Simulations-
modell)
3.4 Drittes Teilmodell (Bewertungs- modell)
4.
Ausblick1.
Problemslellung1.1 Problem der Verstädterung
!m Jahre 1800 lebten in der Welt
nur 20 l"4iliionen Menschen in Städten mit mehr als 100000 Einwohnern, im Jahre 1950 wa- ren es 500 Millionen.Seit
mehr als einem Jahrhundert entfällt der überwiegende Teil cles Bevöikerungszuwachsesauf die
sichschnell ausdehnenden Stadtregionen. In der
Bundesrepub!ik
Deutschlandwaren
vor allem die fünfziger Jahre eine Zeit starken vVachsturnsder
städtischen Verdichtungs- gebiete. Während 1950 derAnteil der
Be- wohner in den Stadtregionen 450Ä der Ge- samtbevölkerung ausmachte, betrug er 1967bereits 56%. Obwohl sich eine
Verlang-samung dieser Entwicklung
abzeichnet, begründetder
Städtebaubericht'69.)
dieDri ng I ich keit einer vorausschauenden Stadt- entwicklungspianu ng.
1.2 StadtentwicklungsPlanung
Gegenstand der Stadtentwicklungsplanung ist die Koordination der Funktionen Wohnen, Arbeiten
und Verkehr in
städtischen Bal- lungsgebietenauf
der Grundlage von Pro- -) Städtebaubericht '69, S. 98, 151, 157, 190; heraus' gegeben vom Bundesminister für Wohnungsrvesen und Städtebau; Bonn: Stadtbau-Verlag 1969gnosen über die zukünftige Bevöl[<erungs- und Wirtschaftsentwicklung. Das Umsetzen der Prognosedaten in stadtplanerische Fest- legungen erfolgt in der gegenwärtigen Pra-
xis
zumeistüber die
zeichnerische Fixie-rung
möglicher Alternativenund die
an-schließende verbale Diskussion
ihrer
Vor-und
Nachteile. Angesichtsder
zunehmen- den Vielfalt und Komplexität der zu berück- sichtigenden Faktorentritt die
Unzuläng- lichkeit dieses Vorgehens immer deutlicher zutage. Die Zahl der untersuchten Alternati-ven bleibt
wegender
zeitraubenden und kostspieligen zeichnerischen Darstellungen notwendigerweise beschränkt. Die Auswahl der dargestellten und geprüften Alternativen beruhtfast
ausschließlich aufder
lntuitionund
Erfahrungdes jeweiligen
Entwerfers und damit auch auf dessen möglichen Vor- urteilen. Zudemfehlt
zumeist ein eindeuti- ger Kriterienkatalog zur Ermittlung der vor- teilhaftesten LÖsung.ttloderne wissenschaftl iche Planungsmetho- den in Verbindung rnit der Anwendung lei-
stu ngsfäh i ger elektron ischer Datenverarbei- tungsanlagen können viel zur Erhöhung der
Effizienz, Rationalität
und Qualität
dieserwichtigen
Entscheidungsvorgänge beitra-gen. Mehr und sorgfältiger
ausgewählte Alternativen können schneller und objekti-ver auf ihre
Eignung untersucht werden' Das methodische Grundproblem der Stadt- entwicklungsplanungist dann die
Quanti- fizierungund
mathematische Analyse des Zusammenhangs zwischen Nutzungsvertei-lung und
Verkehrssystemmit dem
Ziel, Planungsmodelle als Entscheidungshilfe für kommunale lnvestitionsentscheidungen zuentwickeln.
Prognose-,Simulations-
und Bewertungsmodelledienen der Klärung
und
Überprüfung der
langfristigen Konse-
quenzen rnöglicher Alternativen auf
dem
Gebiet der Flächennutzungs- und Verkehrs-
planung.
1.3 Stadtentwicklungsplanung
in
der Bundesrepublik DeutschlandStadt- bzw. Ortsplanung ist in der Bundes-
republik
Deutschland Sacheder
Gemein- den. Fürdie
Regionalplanungsind in
derRegel Planungsgemeinschaften zuständig, 16
d.
h.
Zusammenschlüssevon
Gemeinden, kreisfreien Städtenund
Landkreisen. Die Planungshoheitder
Gemeinden erstreckt sich im allgemeinen auf Ortsplanung, Bau- aufsicht und Wohnungswesen.Die
Vorschriftendes
Bundesbaugesetzes von 1960 zur Bauleitplanung zwingen selbst kleine Gemeinden zum Aufstellen eines for- mellen FIächennutzungsplans nach einheit- lichen Gesichtspunkten. lndessensind
nurwenige dieser
Planungendas
Ergebnis fortgeschrittener wissenschafilicher Metho- dik. Während in den USA bereits seit Mitteder
fünfziger Jahrezum Teil mit
großem Aufwandan
integrierten Flächennutzungs- und Verkehrsplanungsmodellen gearbeitet wird, fanden in der Bundesrepublik Deutsch-land
mathematisch-systemtechnisch orien- tierte Planungsmethoden unter Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung zunächst allenfalls in der Verkehrsplanung Eingang.ln den Stadtplanungsämtern bestand lange Zeit
-
und besteht an einigen Stellen heute noch- eine durch jahrzehntealte Ausbil-
dungstradition begünstigte Abneigung ge-
gen die Anwendung solcher Methoden, ver-
mutlich aus Furcht vor einer möglichen Ein-
engung des Entscheidungsspielraums, der
aber
gerade dadurch erweitert und
über-
sichtlicher gemacht wird. Hinzu kamen prak-
tische
Gründe: Die
Planungsämter selbst
großer Städte sahen sich, durch die Schnel-
ligkeit des Wiederaufbaus überfordert, sel-
ten in
der Lage, über die
unmittelbare Zu-
kunft
hinauszudenken. Zudem waren
der
statische Charakter der
vorgeschriebenen
Flächennutzungspläne mit ihrer
bürokrati-
schen Reglementierung von Art und
Maß
der Nutzung sowie die unzureichendenVor-
kehrungen des
Bundesbaugesetzes a)r
Überwindung von Territorial- und
Eigen-
tumsgrenzen für eine in die Zukunft gerich-
tete Planung eher hinderlich.
Erst heute, unter dem Eindruck
der in
der Wiederaufbauphase vernachlässigten, im-mer
bedrohlicher wachsenden Probleme des Nahverkehrs, beginnen Städte und pla- nungsverbände mehr und mehr mit der wis- senschaftlich begründetenPlanung
ihrer langfristigen Entwicklung. Die zunehmende Einbeziehung der elektronischen Datenver-arbeitung in die
kommunale Verwaltung verspricht gleichzeitig eine bessere Verfüg- barkeit desfür
die Planung relevanten Da- tenmaterials und eröffnetdie
Möglichkeit, dieses in Planungsmodellen rationell zu nut- zen. Finanzreform und zukünftiges Städte- bauförderu ngsgesetz Iassen sch I ieß I ich trotzihrer Mängel eine Erweiterung der gemeind- lichen Planungsmögl ich t<eiten erwarten.
2.
Untersuchungsprogramm 2.1 GegenstandAufbauend auf seinen
Erfahrungen ausstädtischen Strukturgutachten,
Arbeits- marktprognosenund
Planungsarbeiten in den Bereichen Verkehr sowie Ver- und Ent- sorgung arbeitet dasBattelle-lnstitut an der Entwicklung eines umfassenden Modellszur rechnerischen Darstellungund
Bewertungalternativer Varianten der Stadtentwick- lungsplanung.
2.2 Ziel
Das
in der
Entwicklung befindliche Modell POLIS 2000soll den
Zusammenhang derwichtigsten die
Stadtentwicklung bestim- menden Faktoren beschreiben und die Aus- wirkungen autonomer Entwicklungen dieser Faktorensowie
alternativer Planungsein- griffe auf einzelne dieser Faktoren erkennt-lich
machen. lnsbesonderesollen die
Ko- stenvon
lnfrastrukturmaßnahmen und deraus
ihnenfür die
Stadt resultierendo Ge- samtnutzen zuverlässig bewertet werden können. Das Modell wird für eine elektroni-sche
Datenverarbeitungsanlage program-miert, so daß in relativ kurzer Zeit
eine großeZahl von
Planungsalternativen ver- glichen werden kann.3.
Methode3.1 Aufbau des Modells
Das Modell setzt sich aus drei Teilmodellen zusammen,
die stufenweise aufeinander
aufbauen. Die
Ergebnisdaten des
ersten
Teilmodells sind Eingabedaten des zweiten
Teilmodel ls. Auswi rkungen des zv.reiten Tei l-
rnodells auf das
erste Teilmodell müssen
durch erneuten Ansatz des ersten Modells
mit
korrigierten Daten berücksichtigt wer- den. Das dritte Teilmodell ist ein reines Be- wertungsmodell.3.2
Erstes Teilmodell (Prognosemodell) Das erste Teilmodell behandeltdie
Stadt als Ganzes im regionalen und überregiona- len Zusammenhang der sozialen, wirtschaft- lichenund
technischen Entwicklung. Aus- gangspunktist die
Beschreibungdes
ge- genwärtigen Zustandsder Stadt mit
Hilfe17
Ieicht
zugänglicherDaten über
Gebiets-und
Bevölkerungsstandsowie
Verkehrs- und Wirtschaftsstruktur, ferner die Verknüp- fung der Stadt mit dem Umland. Unter Hin- zuziehunganderei'
Untersuchungen überdie
regionaleund
überregionale Entwick- lung von Wirtschaft und Bevölkerung wer- den sodann die Möglichkeiten und Grenzendes
Wirtschafts-und
Bevölkerungswachs- tums für die Stadt prognostiziert. lnnerhalb dieser Grenzen wird die optimale Kombina-tion der
Strukturvariablen angestrebt. Aus den so gewonnenen Wertenfür die
Bevöl- kerunEszusammensetzung und Wirtschafts- struktur läßt sich der Bedarf an Nutzflächenfür die
einzelnen Nutzungsartenund
diedazugehörigen
Gemein bedarfsein richtu n- gen ableiten.3.3 Zweites Teilmodell (Simulationsmodell) Das zvyeite Teilmodell behandelt die Stadt
als ein
Systernaus
Zonen verschiedener Nutzung und Zugänglichkeit. Grundvoraus- setzungist, daß
Planungsentscheidungen, z. B. die Standortwahl, oder Entscheidungenüber
Erschließungsmaßnahmen überwie- gend nach rationalen Kriterien, d. h. vorher- bestimmbar, gefäl lt werden.Zunächst werden die gegenwärtige Nutzung des Untersuchungsgebiets und das gegen-
wärtige
Verkehrssystem beschrieben. Einerster
Schrittdazu ist die
Einteilung des Untersuchungsgebietsin
Untersuchungs- zonen, deren Größeso
gewähltwird,
daßsie
hinsichtlichArt und
Maßder
Nutzung als etwa homogen angesehen werden kön- nen. Das Verkehrsnetzwird in der
Weise verschlüsselt, daßfür jede
Untersuchungs- zoneein
Zonenschwerpunktund für
jedeVerkehrsbeziehung zwischen
zwei
Zonen- schwerpunktenje
nach Verkehrsart bzw.Streckentyp eine Reisezeit festgelegt wird.
Danach r,nrird versucht,
die
gegenwärtigen Verkehrsbeziehungen als Funktion der vor- liegenden Nutzungsverteilungzu
simulie- ren. Der Ansatzwird
nach einemder
ge-bräuchlichen
Gravitationsmodelle aufge- steNlt,das iterativ mit Hiife
tatsächlicher Querschnittsbelastungen kalibriertwird.
ln ähnlicher Weise simuliert mandie
gegen- wärtige Verteilungder
Nutzungenals
Er- gebnis früherer Erschließungsmaßnahmen.Dazu verwendet man Vergleichsdaten über
die
Nutzungsverteilung und das Verkehrs-system eines
zurückliegenden Zustands.Die gegenwärtigeVerteilung der Nutzungen ist dann eine Funktion der Zugänglichkeits- werte und Baulandreserven des Ausgangs-
zustands. Gelingt diese Simulation mit be- friedigender Genauigkeit, dann ist es mög- lich, den Aufschaukelungsprozeß zwischen Erschließung und Nutzungsverteilung auch
für eine
zukünftige Entwicklungzu
simu- lieren.Ausgehend
von den
aus dem ersten Teil- modell ermittelten Prognosewertenfür
den Gesamtbedarf an verschiedenen Nutzungs- flächen und von den vorhersehbaren Fort- schrittenauf den
Gebieten des Verkehrs-und
Bauwesens werden sodann verschie- dene denkbare Alternativenfür die
räum- liche Stadtentwicklung entworfen. Die For- mulierung der Varianten kann einmal in der Zuweisung von Nutzungs- und Dichteanga- ben auf bisher ungenutzte Flächeneinheiten bzw. der Anderung derNutzung oderDichte bereits genutzter Flächen bestehen; in die- sem Fall werden nach dem beschriebenen Verfahren derlür die
Planungsvariante zu erwartende Verkehr simuliert und das Ver- kehrsnetz entsprechend ausgebaut. Zum anderen können Varianten dadurch formu-liert
werden, daß Veränderungen des Ver- kehrsnetzes und damit Veränderungen der Reisezeiten zwischenden
Untersuchungs- zonen vorgegeben werden;dann nimmt dasModell die
Verteilungdes
Zuwachses an Nutzungsflächenin
Abhängigkeitvon
der verbesserten Zugänglichkeitder
Untersu- chungszonen vor. Es ist sogar denkbar, daß das tVodell selbsttätig, unterder
Kontrolle einer Reihe zusätzlicher Randbedingungen, eine ganze Folge solcher Schritte so lange durchführt,bis der
Bedarfan
zusätzlicher Nutzungsf läche gedeckt ist.3.4 Drittes Teilmodell (Bewertungsmodell) Die Planungsvarianten werden auf zweierlei Weise vergleichend bewertet: erstens durch
eine monetäre
Kosten-Leistungs-Analysedes Verkehrs- und
Bebauungssystems, zweitens durcheine
Nutzwertanalyse, die auchdie
nichtin
Geldwert ausdrückbarenNutzeffekte planerischer
Entscheidungen berücksichtigt.Bei der
Kostenanalysewird den
Erschlie- ßungs-, Gebäude- und Unterhaltungskosten der jeweiligen Planungsvariante der aus ihrresultierende Nutzen
gegenübergestellt, soweit er sich in Geldwert ausdrücken läßt.Ein gutes Maß für den Nutzen sind bei Ge-
bäuden die durch sie
erzielbaren Wert- schöpfungen, bei Verkehrseinrichtungen die Fahrtkostenersparnisseder
Benutzer. Die Fahrtkosten können zum Beispiel definiertwerden als die Summe aller Aufwendungen 18
der
Benutzerfür
Reisezeit, Fahrzeughal- tung, Betriebsmittel oder Fahrgeld.Auf diese Weise kann
für
einen prognosti- zierten Bedarf anzu
erschließender Nutz- flächeder
einzelnen Nutzungsarten relativ müheloseine große Zahl von
Planungs- variantenfür die
räumliche Stadtentwick-lung
vergleichendbewertet werden.
Die Einflüsse von Planungsentscheidungen über die Verteilung der Nutzungsarten, die Dichte der Bebauung, die Art und die Richtung von Stadterweiterungen auf die Kosten-Nutzen- Relation des gesamten Verkehrs- und Be- bauungssystems werden so erkennbar. Um- gekehrt beantwortet das Modelldie
Frage, durch welche Verkehrsinvestitionen die Be- dingungenfür
eine optimale Stadtentwick- lung geschaffen werden können.Die zweite
Bewertungsmethode versucht, alle, auchdie
nichtin
Geldwert meßbaren Auswirkungen einer Planungsentscheidung in einem Maßfür
deren Gesamtnutzen zu- sammenzufassen.Das Verfahren
bestehtaus drei
Schritten: Zunächstwerden
die Kriterien festgelegt, an denen die Planungs- alternativen gemessen werden sollen. Dann wird jedem der Kriterien entsprechend sei- ner relativen Wichtigkeit eine Gewichtszahl zugeordnet. Zuletzl wird der Erfüllungsgrad der Kriterien bei den einzelnen Alternativen festgestellt. Die Summeder
Produkte aus Gewichtsfaktorund
Erfüllungsgrad ergibt ein Maß für den Gesamtnutzen einer jeden Alternative.Dieses Bewertungsverfahren enthält in allen
drei Schritten mehrere nur subjektiv
zufältende W'erturteile. Sein Ergebnis ist dbs- halb weniger ,,beweiskräftig" als das einer rein monetären Bewertung; es ist nur inso- weit verbindlich,
als in
eben diesen lVert- urteilen Übereinstimmung besteht. Deshalbist es
erforderlich,die
Auswahlund
Ge- wichtungder
Kriterien ebenso wie die Be- urteilungder
Alternativenim
Hinblick auf die Kriterien zusammen mit den jeweils tat- sächlich an den Entscheidungen Beteiligten vorzunehmen. Dannist das
Verfahren je- doch dadurch, daßes die
subjektiven Ur-teile der einzelnen
Entscheidungsträger transparent macht,ein
äußerst hilfreiches lnstrument zur Erzielung einer höheren Ra- tionalität des konkreten Entscheidungspro-ZESSES.
4.
Ausblid<Zunächst ist vorgesehen, das Modell in der
hier
beschriebenen einfachen Formin
Zu-sammenarbeit mit ausgewählten
Groß- städten versch iedener Ei nwohnerzah I g ründ- lichauf
Genauigkeit und Stabilitätder
Er- gebnisse zu testen. Später soll das Modell auch anderen Großstädtenzur
Ubernahme angeboten werden. Dabei werden, bei Ver- wendung des stets gleichen Grundmodells,die
individuellen Gegebenheiteneiner
je- den Stadt, z. B. besondere topographische, wirtschaftliche oder soziale Verhältnisse, in entsprechenden Untermodellen berücksich- tigt. Für die fernere Zukunft ist geplant, das Modell durch Einbeziehen zusätzlicher Va- riablen und Erfassen weiterer Abhängigkei-ten
allmählichzu verfeinern und
auszu- bauen.19