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Gesundheitsreform 2012 – die Wievielte?

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Gesundheitsreform 2012 – die Wievielte?

Anmerkungen zum geplanten GKV-Versorgungsstrukturgesetz Allgemein

Am 3. August 2011 hat das Bundes- kabinett den Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungs- strukturen in der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV-VStG) verab- schiedet. Vorausgegangen waren Debatten im Rahmen der Gesund- heitsministerkonferenz zu stärkeren Einwirkungs-/Gestaltungsmöglichkei- ten der Länder in der medizinischen Versorgung sowie die zunehmenden Diskussionen zum Thema Ärzteman- gel. Mit Beginn dieses Jahres über- trumpften sich dann die verschiede- nen Regierungsfraktionen mit ein- schlägigen Eckpunktepapieren, die schließlich ihren Niederschlag in einem Gesetzentwurf der Bundesre- gierung gefunden haben. Schon nach der ersten Lesung im Bundes- tag am 23. September 2011 war ein erheblicher Diskussions- und Nach- besserungsbedarf zu verzeichnen.

Mehr als 140 Änderungsanträge bis zum 19.10.2011 – einige sogar aus dem Hause des Bundesgesundheits- ministeriums selbst! – sprechen eine deutliche Sprache und zeigen die unterschiedlichen Interessenlagen auf.

Nachfolgend werden die wesentli- chen Ziele, Inhalte, Schwerpunkte und die beabsichtigten Maßnahmen dargestellt. Mit Blick auf einige aus- gewählte Vorschriften aus dem Gesetzeskonvolut setzt sich der Ver- fasser mit den berufspolitischen Implikationen auseinander.

Ziele des Gesetzes

Der Gesetzgeber definiert zunächst die Sicherstellung einer flächen- deckenden bedarfsgerechten und wohnortnahen medizinischen Ver- sorgung der Bevölkerung als ein zen- trales gesundheitspolitisches Anlie- gen und erkennt gleichzeitig gesetz- geberischen Handlungsbedarf ange- sichts der demografischen Entwick- lung, der unterschiedlichen Versor- gungssituation von Ballungsräumen und ländlichen Regionen und der neuen Möglichkeiten, die der medi-

zinisch-technische Fortschritt mit sich bringen wird. Intendiert ist die spür- bare Verbesserung der Situation vieler Patienten im konkreten Versor- gungsalltag, etwa durch Abbau bürokratischer Hemmnisse, der Si cher- stellung des Zugangs zu erforderli- chen Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln und die bessere Abstimmung der Behandlungsabläufe für den Patien- ten zwischen Krankenhäusern, Ärz- ten und anderen Einrichtungen.

Erstmals postuliert die Politik einen drohenden Haus- und Fachärzteman- gel, insbesondere in ländlichen Regi- onen, falls die Rahmenbedingungen nicht geändert werden. Daraus wer- den folgende Ziele abgeleitet:

■ künftige Sicherung einer flächen- deckenden wohnortnahen medi- zinischen Versorgung,

■ Flexibilisierung und Regionalisie- rung des Systems der vertrags- ärztlichen Vergütung durch Zu - rücknahme zentraler Vorgaben,

■ Verbesserung der Verzahnung der Leistungssektoren,

■ Sicherstellung eines schnelleren Zugangs zu Innovationen,

■ weitere Erhöhung der Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung mittels Stärkung wettbewerblicher Instrumente.

Wesentlicher Inhalt

Neben mehr Mitwirkungsrechten der Länder, der Lockerung starrer Pla- nungsvorgaben auf verschiedenen

Steuerungs- und Verantwortungs- ebenen und der Eröffnung flexibler Möglichkeiten der Beteiligten, ent- sprechend der regionalen Gegeben- heiten und Erfordernisse, die gesund- heitliche Versorgung in größerer Eigenverantwortung zu steuern, aus- gerichtet am jeweiligen Bedarf der Menschen vor Ort, enthält das Gesetz ein Bündel von Maßnahmen, zu dem finanzielle Anreize, erwei- terte Optionen etwa bei Zweigpra- xen und der Delegation ärztlicher Leistungen sowie gezielte Maßnah- men zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf im ärztlichen Bereich gehören. Zur Förderung einer sektorenverbindenden Versorgung soll stufenweise mit der ambulanten spezialärztlichen Versorgung ein Korridor eröffnet werden, in dem sowohl Krankenhäuser als auch nie- dergelassene Fachärzte unter glei- chen Voraussetzungen und Bedin- gungen wettbewerblich die medizi- nische Versorgung gestalten können.

Daneben erhält der Gemeinsame Bundesausschuss weitere Befugnisse.

Zudem werden die wettbewerbli- chen Spielräume der Krankenkassen vergrößert, damit Patienten künftig auf breiterer Basis Angebote nutzen können, die ihrem individuellen Be - darf entsprechen.

Schwerpunkte/Maßnahmen

■ Zur Sicherstellung einer flächen- deckenden bedarfsgerechten Ver- sorgung soll die Bedarfsplanung insbesondere durch die Flexibili- sierung der Planungsbereiche, der Berücksichtigung von Demo- grafie bei der Anpassung der Verhältniszahlen und der Erwei- terung der Möglichkeit zur Ertei- lung von Sonderbedarfszulassun- gen weiterentwickelt werden.

■ Unter Berücksichtigung regiona- ler Besonderheiten sollen die Ein- wirkungsmöglichkeiten der Län- der gestärkt werden, etwa durch Erhalt eines Mitberatungsrechts beim Gemeinsamen Bundesaus- schuss zu Fragen der Bedarfspla- nung, der Einräumung eines Be - anstandungsrechts beim Bedarfs- plan, der von den Kassenärztli- chen Vereinigungen im Einver- nehmen mit den Landesverbän- 574

Ass. jur. Michael Schulte Westenberg, Hauptgeschäftsführer der Sächsischen Landesärztekammer

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den der Krankenkassen und den Ersatzkassen aufgestellt wird, der Einräumung eines Mitberatungs- rechts bei den Landesausschüs- sen und dem Recht zur Schaf- fung des sogenannten (neuen) gemeinsamen Landesgremiums.

■ Um Überversorgung abzubauen, wird die bestehende Möglichkeit der Kassenärztlichen Vereinigun- gen, in überversorgten Gebieten den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung finanziell zu fördern, erweitert. Ferner wird den Kas- senärztlichen Vereinigungen er - möglicht, bei der Ausschreibung von Vertragsarztsitzen zur Nach- besetzung in überversorgten Pla- nungsbereichen ein Vorkaufs- recht auszuüben.

■ Die Steuerung des Niederlas- sungsverhaltens über Vergütungs- anreize soll weiterentwickelt wer- den, z.B. soll die Abstaffelung aller Leistungen von Ärzten, die in strukturschwachen Gebieten tätig sind, entfallen; Preiszu- schläge für Leistungen von be - sonders förderungswürdigen Leis- tungserbringern, die in struktur- schwachen Gebieten tätig sind, werden optional möglich; die Ein- richtung eines Strukturfonds bei entsprechendem Versorgungsbe- darf durch die Kassenärztlichen Vereinigungen wird ermöglicht).

■ Bei lokalem Versorgungsbedarf sollen Krankenkassen und Ärzte, die in Rehabilitations- oder Pfle- geeinrichtungen tätig sind, er - mächtigt werden können. Der ärztliche Notdienst soll sektoren- übergreifend organisiert werden können.

■ Die Rechtsgrundlagen für den Betrieb von Eigeneinrichtungen durch die Kassenärztlichen Ver- einigungen werden verbessert (dort erbrachte Leistungen wer- den aus der Gesamtvergütung und nicht aus den Verwaltungs- kosten der Kassenärztlichen Ver- einigung vergütet) und kommu- nalen Trägern wird in begründe- ten Ausnahmefällen, mit Zustim- mung der Kassenärztlichen Verei- nigung, die Möglichkeit zum Betrieb von Eigeneinrichtungen eingeräumt.

■ Auch in nicht unterversorgten Regionen wird die Residenz- pflicht aufgehoben, wobei die Notfallversorgung jedoch nicht gefährdet werden darf. Zudem sollen „mobile“ Versorgungskon- zepte ausgebaut werden.

■ Die Nutzung von Delegations- möglichkeiten von Leistungen zur Entlastung von Ärzten wird befördert.

■ Die Telemedizin soll ausgebaut werden. So wird der Bewertungs- ausschuss beauftragt festzulegen, in welchem Umfang ärztliche Leistungen des EBM ambulant- telemedizinisch erbracht werden können.

■ Ferner soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestärkt wer- den, zum Beispiel über die Mög- lichkeit für Vertragsärztinnen, sich im zeitlichen Zusammen- hang mit einer Entbindung 12 (anstatt wie bisher 6) Monate vertreten zu lassen oder über die Möglichkeit für die Beschäfti- gung eines Entlastungsassisten- ten für die Erziehung von Kin- dern für bis zu 36 Monate sowie für die Pflege von Angehörigen für bis zu 6 Monate (mit der

Möglichkeit der jeweiligen Ver- längerung).

■ Um den Patienten schnellstens Innovationen zur Verfügung zu stellen, erhält der Gemeinsame Bundesausschuss ein neues Ins- trument für die Erprobung von nichtmedikamentösen Untersu- chungs- und Behandlungsmetho- den, deren Nutzen noch nicht mit hinreichender Evidenz belegt ist. Darüber hinaus sollen die Strukturen des Gemeinsamen Bundesausschusses weiterentwi- ckelt werden. So soll zum Bei- spiel die Neutralität seiner unpar- teiischen Mitglieder wesentlich gestärkt werden, indem sie zukünftig nicht mehr aus dem Kreis der Trägerorganisationen und ihrer Mitglieder kommen dürfen. Dem Bundestags-Ge - sundheitsausschuss wird ein Anhörungs- und Widerspruchs- recht betreffend die Besetzung dieser Positionen eingeräumt.

■ Die wettbewerblichen Hand- lungsmöglichkeiten der Kranken- kassen werden gestärkt, etwa durch die Erweiterung der Ange- botsmöglichkeiten für Satzungs- leistungen oder der Möglichkeit

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einer spezifischen Leistungsge- staltung durch Verträge mit Be - schäftigtengruppen sowie mit Patientenorganisationen und Be - hindertengruppen in Form von Gruppentarifen.

■ Weitere Maßnahmen des Geset- zes sind die Modifizierung der Zulassungsregelungen für Medi- zinische Versorgungszentren, De - regulierungen und Flexibilisierun- gen im Bereich der Richtgrößen und der Wirtschaftlichkeitsprü- fungen (Prinzip „Beratung vor Regress“), die Verbesserung der Datengrundlage für die Versor- gungsforschung und die Stär- kung der ambulanten Rehabilita- tion.

Insgesamt werden mit dem Artikel- gesetz allein 83 Paragrafen des SGB V geändert oder novelliert, neben Vorschriften aus dem SGB IV, SGB X, SGB XI, dem Krankenhausfi- nanzierungsgesetz, dem Kranken- hausentgeltgesetz sowie weiteren Vorschriften. Insgesamt besteht allein die „Grundversion“ des Geset- zes aus 181 Seiten (inklusive Geset- zesbegründung).

Einzelne Vorschriften

Nachfolgend werden einige Vor- schriften näher erläutert, die für die Ärzteschaft von besonderer Bedeu- tung sind.

§ 28 Absatz 1 Satz 3 SGB V (neu) Nach dieser Vorschrift legen die Part- ner der Bundesmantelverträge für die ambulante Versorgung beispiel- haft fest, bei welchen Tätigkeiten Angehörige medizinischer Assistenz- berufe ärztliche Leistungen erbrin- gen können und welche Anforderun- gen an die Erbringung zu stellen sind, wobei der Bundesärztekammer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist. Intendiert ist eine Stär- kung der Delegation zur Verbesse- rung der Versorgung, zumal der stei- gende Versorgungsbedarf nach Auf- fassung des Gesetzgebers eine stär- kere Einbeziehung nichtärztlicher Gesundheitsberufe nahelegt. Die zu erstellende Beschreibung delegati- onsfähiger Leistungen ist nicht abschließend, sondern hat den Cha-

rakter einer beispielhaften Aufzäh- lung, die der Orientierung der Han- delnden dienen soll. Mit der Geset- zesänderung soll zwar mehr Klarheit über die Grenzen und Anforderun- gen der Delegation geschaffen wer- den. Jedoch erscheint die Lösung einer „beispielhaften Festlegung“

auf Vertragsebene dazu als Wider- spruch in sich. Auch wenn die Ärzte- schaft die arztunterstützende oder arztentlastende Delegation von Tätigkeiten an entsprechend qualifi- ziertes Praxispersonal befürwortet, so entzieht sich dieses Thema doch angesichts der Vielzahl delegations- fähiger Leistungen, der Vielzahl unterschiedlicher Qualifikationen und der Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen in der Praxis weit- gehend einer verbindlichen und zugleich konsensfähigen Regulie- rung. Zudem besteht die Gefahr, dass durch die flächendeckende Festlegung delegierbarer/nicht dele- gierbarer, nur an bestimmte Perso- nen oder nur unter bestimmten Vor- aussetzungen delegierbare Leistun- gen der Spielraum für im Einzelfall verantwortbare Entscheidungen in Arztpraxen und Krankenhäusern ein- geengt wird. Ferner müsste in Anbe- tracht der dynamischen Fortschritte in der Medizin eine solche Liste regelmäßig aktualisiert werden. Die Bundesärztekammer hat – bei allen Bedenken – daher eine gleichberech- tigte Beteiligung bei der Festlegung der delegierbaren Leistungen gefor- dert, um die Kompatibilität mit dem ärztlichen Berufsrecht zu gewährleis- ten.

Unberührt bleibt der Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, in Richtlinien (sog. „Heilkundeübertra- gungsrichtlinie“) festzulegen, in wel- chen Fällen eine Übertragung von Heilkunde auf Angehörige der Pfle- geberufe möglich ist (Modellvorha- ben nach § 63 Abs. 3c SGB V). Dies- bezüglich plädiert die Bundesärzte- kammer für eine Streichung dieser Vorschrift im Sinne der Patientensi- cherheit, der Versorgungsqualität und der Rechtssicherheit.

§ 73 Absatz 7 SGB V (neu)

Nach dieser Vorschrift ist es Vertrags- ärzten nicht gestattet, sich für die

Zuweisung von Versicherten ein Ent- gelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile versprechen oder gewähren zu lassen. Besondere Bedeutung erlangt diese Vorschrift durch den Verweis auf die entsprechende Anwendung von § 128 Absatz 2 Satz SGB V. Danach sind unzulässige Zuwendungen auch die unentgeltli- che oder verbilligte Überlassung von Geräten und Materialien und die Durchführung von Schulungsmaß- nahmen, die Gestellung von Räum- lichkeiten oder Personal oder die Beteiligung an den Kosten hierfür sowie Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungser- bringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsver- halten selbst maßgeblich beeinflus- sen können. Die Neuregelung, die sich an den entsprechenden berufs- rechtlichen Regelungen vor der Änderung des § 31 Absatz 1 MBO im Rahmen des diesjährigen Deut- schen Ärztetages orientiert, will ver- hindern, dass Vertragsärzte das Zuwendungsverbot durch Beteili- gung an Unternehmen von Leis- tungserbringern im Hilfsmittelbe- reich umgehen, wobei die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs berücksichtigt wird. Durch die Regelung wird es insbesondere ermöglicht, im Rahmen der Zulas- sung von Teil-Berufsausübungsge- meinschaften nach § 33 Ärzte-Zulas- sungsverordnung zu prüfen, ob diese nicht allein zu dem Zweck gegründet werden, unzulässige Zuweisungen gegen Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile zu verschleiern. Nicht erfasst werden gesetzlich zulässige Vereinbarungen mit Krankenkassen über finanzielle Anreize für die Mitwirkung an der Erschließung von Wirtschaftlichkeits- reserven und die Verbesserung der Qualität der Versorgung bei der Erbringung vertragsärztlicher Leis- tungen.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Regelung einer verfassungs- rechtlichen Überprüfung standhält, da pauschal jede wirtschaftliche Beteiligung des Arztes an den ent- sprechenden Unternehmen von Heil- und Hilfsmittelerbringern verboten wird.

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§ 90a SGB V (neu)

Nach dieser Vorschrift kann, nach Maßgabe der landesrechtlichen Be - stimmungen, für den Bereich des Landes ein gemeinsames Gremium aus Vertretern des Landes, der Kas- senärztlichen Vereinigung, der Lan- desverbände der Krankenkassen sowie der Ersatzkassen und der Lan- deskrankenhausgesellschaft sowie weiteren Beteiligten gebildet werden.

Das gemeinsame Landesgremium kann Empfehlungen zu sektorüber- greifenden Versorgungsfragen abge- ben.

Kritisch wird seitens der Ärzteschaft die Tatsache bewertet, dass eine mögliche Beteiligung der Ärztekam- mern in diesem wichtigen Gremium nur in der Gesetzesbegründung er wähnt wird, neben Patientenorga- nisationen, Landesbehörden und anderen Sozialleistungsträgern, so - weit deren Belange berührt werden.

Eine der wesentlichen Forderungen der Bundesärztekammer im laufen- den Gesetzgebungsverfahren ist die zwingende Einbindung/Beteiligung der Ärztekammern in das neue Gre- mium, zumal auch Fragen im Zusam- menhang mit der neuen ambulanten spezialärztlichen Versorgung nach

§ 116b SGB V zu den Beratungsthe- men des gemeinsamen Landesgremi- ums gehören. Die Ärztekammern verfügen, im Gegensatz zu anderen direkt beteiligten Institutionen, über eine Fülle sektorenübergreifender Expertisen. Hinzuweisen ist diesbe- züglich unter anderem auf die Tatsa- che, dass die Ärztekammern das zentrale Bindeglied zwischen allen Ebenen der ärztlichen Versorgung sind, da sie als einzige Institution den Berufsweg der Ärzte lebenslang und sektorenübergreifend begleiten, dass sie sektorenübergreifend über die Definitionskompetenz der ärztli- chen Weiterbildungsinhalte verfügen und hierüber maßgeblich das Versor- gungsangebot mitsteuern und dass sie eine wichtige Rolle im Rahmen der Qualitätssicherung ärztlicher Leistungen einnehmen. Zudem kön- nen die Ärztekammern als markt- neutrale, vom Wettbewerb zwischen Krankenhäusern und Vertragsärzten nicht betroffene und an Versor- gungsverträgen nicht beteiligte Insti-

tutionen die Funktion einer „neutra- len“ Stelle einnehmen.

§ 91 SGB V

Die geplanten Neuregelungen beim Gemeinsamen Bundesausschuss sehen zunächst, wie oben bereits erwähnt, veränderte Anforderungen an die Neutralität der unparteiischen Mitglieder vor, die zu einer Schwä- chung der Selbstverwaltung und der Verschmelzung der unabhängigen Selbstverwaltung mit der Exekutive führen. Darüber hinaus erfolgen wei- tere Aufgabenzuweisungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss, so zum Beispiel die Befugnis, das Nähere zur ambulanten spezialärztli- chen Versorgung nach § 116b SGB V neu in einer Richtlinie zu regeln sowie die Einräumung der Möglich- keit, Methoden mit noch nicht belegtem Nutzen, aber dem „Poten- tial einer erforderlichen Behand- lungsalternative“ erproben zu lassen und seine Bewertung auf diese Weise auszusetzen. Bislang ist auch

der Forderung der Bundesärztekam- mer, zum Ausgleich der faktischen Disparität zugunsten der Kranken- kassen-Bank im Gemeinsamen Bun- desausschuss, welche die Entschei- dungsfindung dominiert, die einheit- lich durch den GKV-Spitzenverband repräsentiert wird, ihr eine stimmbe- rechtigte Mitgliedschaft einzuräu- men, noch nicht genüge getan wor- den.

§ 116b SGB V

Die wohl derzeit umstrittenste Neu- regelung findet sich in § 116b SGB V, mit dem ein sektorenverbindender Versorgungsbereich der ambulanten spezialärztlichen Versorgung, zwi- schen der wohnortnahen fachärztli- chen und der stationären Versor- gung, eingeführt werden soll. Nach dem Motto „Wer kann, der darf“

soll dieser Versorgungsbereich außer- halb der Bedarfsplanung und des Budgets praktiziert werden, so dass die Gefahr des Entstehens eines voll- kommen ungesteuerten Leistungs-

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segmentes besteht und ein Wettbe- werbswildwuchs zu befürchten ist, nicht zuletzt deshalb, weil nicht hin- reichend klargestellt ist, welche Erkrankungen dem Bereich zuzuord- nen sind. Es werden erhebliche rechtliche Bedenken seitens der Ärz- teschaft geäußert, da laut Gesetzes- begründung besondere medizinische Kenntnisse und Erfahrungen erfor- derlich sind, die deutlich über allge- meine Facharztqualifikationen hin- ausgehen. Die fachliche Qualifika- tion von Ärzten wird durch die ärztli- che Weiterbildungsordnung in Form von Gebieten, Schwerpunkten und Zusatz-Weiterbildungen verbindlich geregelt, unabhängig von einer Tätigkeit im ambulanten oder statio-

nären Bereich und unabhängig von einer vertragsärztlichen oder rein pri- vatärztlichen Tätigkeit. Diese Rege- lung stellt daher einen Eingriff in das ärztliche Berufs- und Weiterbildungs- recht dar.

Daneben hat der Gemeinsame Bun- desausschuss Regelungen zur Struk- turqualität, zu organisatorischen, bau- lichen, apparativ-technischen und hygienischen Anforderungen, Anfor- derungen an das interdisziplinäre Team, einschließlich Notfallsituatio-

nen und besondere Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Richtlinie zu treffen. Dabei handelt es sich um einen nur schwer abgrenzbaren Regelungsbereich, der unausweich- lich zu Doppel- oder konkurrieren- den Regelungen führen wird, zum Beispiel im Bereich der Hygiene; man denke nur an das neue Infektions- schutzgesetz. Auch ist mit einer Zunahme der Bürokratie zu rechnen.

Während die Bundesärztekammer dafür plädiert, diesen Bereich einer Vertragslösung der Selbstverwal- tungspartner zu überlassen, da er dann zielgerichteter und effizienter gestaltet werden könne (in Form von vierseitigen Verträgen zwischen der Bundesärztekammer – als neuer Ver- tragspartner – , der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV Spitzenverband), sprechen sich die Bundesländer für die Regelung in einem eigenen Gesetz aus. (Anmer- kung: kurz vor Redaktionsschluss haben sich Bund und Länder auf

„Eckpunkte zu § 116b SGB V“ geei- nigt. Danach muss die wesentliche Ausgestaltung des neuen ambulan- ten spezialärztlichen Versorgungsbe- reichs im Gesetz geregelt werden. Es soll klargestellt werden, dass zu die- sem Bereich ausschließlich komplexe, schwer therapierbare Erkrankungen gehören, die ein hochspezialisiertes Wissen für Diagnostik und Behand- lung, interdisziplinäre Kooperation und besondere Ausstattungen erfor- dern. Bei Erkrankungen mit beson- deren Krankheitsverläufen ist zur Verzahnung und Mengenbegren- zung ein vertragsärztlicher Überwei- sungsvorbehalt gesetzlich vorzuse- hen (Ausnahme: direkte Zuweisung vom stationären in den ASV-Bereich).

Die Vergütung der § 116b-Leistun- gen sollte für alle Leistungserbringer einheitlich gestaltet sein. Die Länder empfehlen, die Abrechnung aus- schließlich über die Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgen zu lassen, insbesondere aus Gründen der Wirt- schaftlichkeit und der Evaluation.) Schlussbetrachtung

Ist der Regierungskoalition mit dem GKV-VStG der große Wurf gelun- gen? Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Von „vernünf- tiger Ansatz“ (Bundesärztekammer) über „Sammelsurium an Einzelmaß- nahmen, dem es an Mut und Krea- tivität fehlt“ (Bundesländer) und einem „prinzipiell positiv“ (Kranken- kassen) bis zur Aussage „Ärztebeglü- ckungsgesetz“ (Opposition) ist die gesamte Bandbreite von Bewertun- gen vertreten. Nun lehrt die Erfah- rung, dass besonders heftige Kritik (aus Oppositionsreihen) ein Zeichen für grundsätzlich gute Lösungen und Lösungsansätze ist. Hier wird aber die Zukunft erst weisen, wie gut die gesetzlichen Maßnahmen wirklich sind.

Fakt ist, dass nach 15 „großen“

GKV-Reformen (seit 1977), allesamt mit dem Ziel einer Kostendämpfung, erstmalig ein anderer Weg beschrit- ten wird nach dem Motto „Anreize statt Zwang“. Fakt ist aber auch, dass kein einziger Satz im Gesetz eine unmittelbare Wirkung auf die medizinische Versorgung als solche hat!

Derzeit werden beinahe im Tages- rhythmus neue Änderungsvorschlä- ge zur Diskussion gestellt, wobei ins- besondere die Bundesländer mit dem Umfang ihrer Beteiligung noch immer nicht zufrieden sind. Es er - scheint daher nicht ausgeschlossen, dass der Bundesrat in seiner ent- scheidenden Sitzung am 16. Dezem- ber 2011 den Vermittlungsausschuss anrufen wird, so dass ein Inkraft- treten des GKV-VStG zum 1. Januar 2012 Wunschtraum des Gesund- heitsministers bliebe.

Für die Ärzteschaft positiv ist die Tat- sache, dass zahlreiche ihrer Forde- rungen berücksichtigt worden sind.

Auch zeigt das Gesetz den Willen der Bundesregierung, den nun erstmalig konstatierten Ärztemangel zu be - kämpfen. Allerdings sind wichtige Anliegen der Ärzteschaft, etwa ein Sitz- und Stimmrecht im Gemeinsa- men Bundesausschuss für die Bun- desärztekammer oder aber die gesetzliche Einbindung der Ärzte- kammern in das neu einzurichtende gemeinsame Landesgremium bislang (noch) nicht umgesetzt worden. Kri- tisch gesehen werden muss der Umstand, dass dem Gemeinsamen Bundesausschuss mit der Novellie- rung noch mehr Befugnisse einge- räumt werden. Die zunehmende Bündelung von Aufgaben und Zu - ständigkeiten beim Gemeinsamen Bundesausschuss konterkariert aber die eigentliche Absicht des Gesetz- gebers, nämlich die der stärkeren Regionalisierung. Mit Sorge zu betrachten ist der Umgang des Gesetzgebers mit dem Thema Erbrin- gung ärztlicher Leistungen durch Angehörige medizinischer Assistenz- berufe. Auch bei Befürwortung einer arztentlastenden bzw. -unterstützen- den Delegation von bestimmten Tätigkeiten an entsprechend qualifi- ziertes Praxispersonal muss auch künftig der Grundsatz „Delegation statt Substitution“ gelten.

So bleibt abzuwarten, welche Wir- kungen das GKV-VStG (und die in seinem Windschatten geplanten wei- teren Gesetzesvorhaben) im Hinblick auf die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung entfalten werden.

Ass. jur. Michael Schulte Westenberg Hauptgeschäftsführer

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