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Der neue Kalte Krieg

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Am Ende des Zweiten Weltkriegs wollte die überwiegende Mehrheit der internationalen Staatengemeinschaft auf der Seite der siegreichen Alliier- ten stehen. Eine so imposante Koaliti- on von 47 Staaten, wie sie im Mai 1945 gegen Deutschland und Japan Krieg führte, hatte die Welt bis dahin nicht gesehen. Selbst Italien, einst wichtigster Juniorpartner Hitlers, war aus der „Achse“ ausgeschieden. Be- dingungslose Kapitulation lautete das alliierte Ziel. Doch so sehr der ge- meinsame Kampf auch einte, so sehr spalteten gegensätzliche Ideologien und Gesellschaftsentwürfe die unglei- chen Partner. Die Anti-Hitler-Koaliti- on zwischen der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten und ihren Ver- bündeten zerbrach am Frieden.

Seit dem 11. September 2001 hat sich eine ähnliche Entwicklung voll- zogen: Wie einst Churchill, Roosevelt und Stalin gegen Hitler, Mussolini und den Tenno hatte der „Krieg gegen den Terror“ eine beeindruckende Al- lianz geformt. Neben Amerika und Europa standen erneut Russland und China in einer Reihe, so, als hätte es nie eine Ost-West-Konfrontation ge- geben. Als „Heilige Allianz“ gegen das „Böse“ gefeiert, schien Washing- ton eine neue Ära von Bündnispolitik einzuleiten. Euphorisch wurde die Weltgemeinschaft immer wieder auf die außergewöhnliche Zusammenset-

zung der Antiterrorkoalition hinge- wiesen. Ein Eindruck, der sich zu- nehmend als Illusion erweist.

So verschieden die Ziele der Alliier- ten bereits während des gemeinsamen Kampfes gegen Hitler waren, so sehr unterscheiden sich auch heute die Motive der Koalitionspartner, am Kampf gegen den Terrorismus teilzu- nehmen. Erneut will die überwiegen- de Mehrheit der internationalen Staa- tengemeinschaft auf der Seite der ge- genwärtigen Alliierten stehen, auch wenn ihr Sieg im „Krieg gegen den Terror“ nicht abzusehen ist. Schließ- lich legitimiert man so zugleich das Vorgehen gegen so genannte Terroris- ten im eigenen Land.

Wie einst Stalin seinen „Großen Vaterländischen Krieg“ nutzte, um halb Europa zu besetzen, so will Wla- dimir Putin die Chance nicht verstrei- chen lassen, die „Treibhäuser des Terrors“ vom Mittleren Osten bis zum Kaukasus von „tschetscheni- schen Banditen“ zu „säubern“, wie sich der russische Präsident aus- drückt. Auch China hat sich der glo- balen Antiterrorkoalition angeschlos- sen und gefordert, dass der Kampf gegen die islamischen Uiguren im hei- mischen Singkiang Teil der globalen Kampagne werde.

Eine Entwicklung kündigt sich an, die sich auf ähnliche Art und Weise bereits vor über einem halben Jahr-

Der neue Kalte Krieg

Trotz Antiterrorkoalition: Die Ost-West-Konfrontation kehrt wieder

von Thomas Speckmann

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kündigt sich eine Entwicklung an, die an den Beginn des Kalten Krieges erinnert.

Angesichts der NATO-Osterweiterung, der Yukos-Affäre, des dritten Golf-Krieges und der innenpolitischen Entwicklung in der Ukraine haben sich die Beziehungen zwischen Moskau und Washington

abgekühlt. Hinter den Kulissen der Antiterrorkoalition ringen die Verei- nigten Staaten, Russland und China um alte und neue Einflusszonen.

Dr. THOMAS SPECKMANN, geb. 1974, Historiker und Poli- tikwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn und Lehrbeauftragter am Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn.

2003 erschien von ihm „Hugo Dornho- fer. Biographische Studien 1896–1977“.

Im Juni 2005 erhält er den Ernst-Robert- Curtius-Förderpreis für Essayistik.

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hundert abgespielt hat: Während die Anti-Hitler-Koalition erzwungener- maßen vier Jahre hielt, zeigte ihr An- titerrornachfolger bereits nach vier Monaten erste Risse. Wie nach dem Sieg über die Achsenmächte von 1945 brachen nach den ersten Erfolgen in Afghanistan abermals unterschiedli- che nationale Interessen hervor.1 Vor allem Russland und China fragen immer lauter nach der Antiterrordivi- dende und wollen Washingtons Uni- lateralismus zügeln. Alte Konflikte brechen wieder auf, neue entfalten sich vor dem Hintergrund divergie- render nationaler Interessen.

Die Osterweiterung der NATO Das Nordatlantische Bündnis provo- ziert Russland nicht nur mit seiner politischen Ausdehnung, sondern auch mit seinen militärischen Maß- nahmen wie der Verlagerung von amerikanischen Stützpunkten von West nach Ost. Ein Bedarf an US- Basen in Polen ist Moskau nur schwer zu vermitteln, zumal Warschau sein Militärbudget in den letzten Jahren für den Ankauf deutscher Panzer und amerikanischer Kampfflugzeuge ver- wendet hat. Da sich diese Waffensys- teme nicht für den Antiterrorkampf eignen, jedoch für Feldzüge wie den im Irak benötigt werden, sieht der Kreml in der NATO weiterhin eine Bedrohung.

Auch die neue Sicherheitsdoktrin der transatlantischen Allianz dreht sich nicht zuletzt um den Schutz ihrer Mitglieder vor dem alten Gegner im Osten. Aufklärungsflüge an der Gren- ze zu Russland ohne russische Beob- achter an Bord erscheinen in diesem Zusammenhang ebenso wenig als ver-

trauensbildende Maßnahme wie die Verzögerung der Ratifizierung des 1999 adaptierten Vertrags über kon- ventionelle Streitkräfte in Europa, der die Bewegung nichtnuklearer Trup- penverbände beschränkt. Mit den bal- tischen Staaten und Slowenien hat sich die NATO zudem um Länder er- weitert, die keine KSE-Vertragsteil- nehmer sind und folglich keinen Rüs- tungsbegrenzungen im konventionel- len Bereich unterliegen. Der russische Marinestützpunkt Kaliningrad sieht sich nun geographisch von NATO- und EU-Staaten umringt.

Streitfall Rüstungspolitik

Aus dem Weißen Haus sind Stimmen zu vernehmen, die Regierung solle die Kernwaffen, die George W. Bush und Wladimir Putin Ende 2001 zur Ver- nichtung freigegeben hatten, weiter- hin für den Ernstfall aufbewahren.

Der russische Generalstab spricht an- gesichts der amerikanischen Kündi- gung des Vertrags zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM) von 1972 und des Verzichts auf eine Rati- fizierung des umfassenden Teststopp- vertrags von 1996 von einem „exis- tenziellen Schlag“ gegen die strategi- sche Stabilität. Dieser Schritt löse Staaten wie China, Indien oder Pakis- tan die Hände, was zu einem neuen Wettrüsten führen könne.2

Aber eben ein solches wünschen sich Russlands chronisch unterfinan- zierte Militärs, vor allem die Nuklear- streitkräfte. Seit Reagans Sternen- kriegsvisionen verfügen sie über Pläne für „asymmetrische“ Projekte, um einem amerikanischen Raketenschild zu begegnen. Im Juni 2002 hat Mos- kau den von der Duma ohnehin nie

Russland und China fragen immer lauter nach der Antiterror- dividende und wollen Washingtons Unilateralismus zügeln.

1 Vgl. Angela Stent: Russland – globaler Akteur im internationalen System. Eine Washingtoner Perspektive, Internationale Politik (IP), Oktober 2002, S. 4.

2 Vgl. Sergej Karaganow: Vor neuen Herausforderungen. Die künftige Sicherheitspolitik Russ- lands, IP, Juli 2002, S. 43.

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ratifizierten START-II-Vertrag gekün- digt, wodurch sich Russland des Ver- bots von Raketen mit Mehrfach- sprengköpfen entledigt. Nun können die vorbereiteten Systeme realisiert werden, da Putin angekündigt hat, das Prinzip der gegenseitigen Ab- schreckung durch die Entwicklung neuer Waffen aufrechtzuerhalten.3

Im Pentagon gewinnen die Generä- le den Entscheidungen ihres Präsi- denten und Oberbefehlshabers positi- ve wie negative Effekte ab. Einerseits hat ihnen Bushs Raketenabwehrpro- jekt in den letzten Haushaltsjahren deutliche Etatzuwächse beschert.4 Andererseits geraten sie bei der Redu- zierung ihrer atomaren Arsenale in Bereiche, die einige bisher unverän- derte Konzepte des Kalten Krieges in Frage stellen. Schließlich existiert weiterhin eine Vielzahl wichtiger strategischer und taktischer Ziele in Russland, und ein Abbau beispiels- weise der Bomberflotte würde auch die konventionelle Kriegführung von Feldzügen wie in Afghanistan oder im Irak beeinträchtigen.

Mit den Abrüstungsgesprächen alten Musters, wie sie Generationen amerikanischer Präsidenten mit dem Kreml zu führen pflegten, haben die neuen Verhandlungen wenig gemein.

Moskau und Washington rüsten nicht ab, sondern lediglich um. Zur Finan- zierung neuer Projekte haben die Amerikaner ihre ohnehin beträchtli- chen Ausgaben noch einmal gestei- gert. In Russland ist der Verteidi- gungshaushalt sogar beinahe verdop- pelt worden und liegt, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, bedeutend höher als in den westlichen Staaten.

Der dritte Golf-Krieg

Aus strategischer Schwäche heraus war der Kreml dem Weißen Haus im dritten Golf-Krieg entgegengekom- men und bekam nach eigenem Emp- finden wenig zurück, wie die verwei- gerten Ölförderverträge für den Irak nach der Entmachtung des Saddam- Regimes zeigen. Der Konflikt um das Zweistromland verdeutlicht, wie sehr der internationale Einfluss Russlands gesunken ist, nicht zuletzt in Zen- tralasien.5 Der politische Differenzie- rungsprozess zwischen den postsow- jetischen Staaten ist weit fortgeschrit- ten. Während Weißrussland, Kasachs- tan, Tadschikistan, Kirgistan und Armenien grundsätzlich eine ableh- nende Haltung zum amerikanischen Angriff auf Bagdad und damit die Po- sition Russlands vertraten, billigten Georgien, Usbekistan und die Ukrai- ne das Vorgehen Washingtons und gewährten militärische und logisti- sche Unterstützung für den Feldzug gegen Saddam Hussein. Trotz vielfäl- tiger Bemühungen von russischer Seite gelang es nicht, im Rahmen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) einen kollektiven Standpunkt zur Unterstützung von Moskaus Posi- tion zu vereinbaren.

Russlands Versuch eines Wiederaufstiegs zur Großmacht Dennoch handelt es sich beim heuti- gen Russland nicht mehr um den Kri- senstaat postsowjetischer Jahre. Die russische Wirtschaft steht wieder auf solideren Beinen, gestärkt durch den hohen Ölpreis. Die enormen Gewinne aus dem Energieexportgeschäft wer- den nicht zuletzt in die Rüstung inves-

Moskau und Washington rüsten nicht ab, sondern lediglich um. Zur Finanzierung neuer Projekte haben die Amerikaner ihre beträchtlichen Ausgaben noch einmal gesteigert.

In Russland ist der Verteidigungshaus- halt sogar beinahe verdoppelt worden.

3 Vgl. Rose Gottemoeller: New Shape of the East-West Nuclear Relationship, in: Andrew C.

Kuchins (Hrsg.): Russia after the Fall, Washington 2002, S. 264–265.

4 Vgl. Christoph Grams und Jan C. Irlenkaeuser: Raketenabwehr. Die USA ziehen davon, wer folgt?, IP, Januar 2004, S. 33.

5 Vgl. Manfred Sapper: Ein schwieriger Balanceakt. Russlands Irakpolitik in Zeiten des Antiter- ror-Kampfes, Osteuropa, Bd. 52, Nr. 12, 2002, S. 1544–1546.

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tiert.6 Durch groß angelegte Militär- manöver versucht Russland, wieder- gewonnene Stärke zu demonstrieren.

Beim Volk genießt Putins Außenpoli- tik mehrheitlich Unterstützung, da sie dazu geführt hat, dass Russland in der Weltpolitik nicht mehr als Verlierer des Kalten Krieges gesehen wird.7

Da die wieder erwachende Kraft für die globale Bühne noch nicht aus- reicht, konzentriert sich Moskau ge- genwärtig auf seine Peripherie. Pu- tins Mittel: politische Zusammenar- beit im Kampf gegen den Terror, wirtschaftliche Kooperation, Militär- bündnisse und Truppenstationierun- gen in ehemaligen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan oder Kirgistan.

Auch die Gründung des „Gemeinsa- men Wirtschaftsraums“ zwischen Russland, der Ukraine, Kasachstan und Weißrussland im September 2003 steht im Zeichen dieser Politik.

Erneut nimmt der Kreml Einfluss auf die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarstaaten. Dabei schreckt Putin nicht davor zurück, seine Reintegrati- onsziele mit wirtschaftlichem Druck und Sanktionen wie der Blockierung der Gaslieferungen an Weißrussland durchzusetzen.8

Ein Ergebnis dieser Vorgehenswei- se ist die „Organisation für kollektive Sicherheit“ (OKS), ein im April 2003 von Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Armenien und Weiß- russland geschaffenes Verteidigungs- bündnis, das die Arbeit des 1992 in Taschkent unterzeichneten „Kollekti-

ven Sicherheitsvertrags der GUS“

wiederbeleben soll und eindeutig von Moskau dominiert wird. Die Charta der OKS kopiert Artikel V des Nord- atlantikpakts, welcher den Charakter eines kollektiven Verteidigungsbünd- nisses statuiert. Wichtigstes Integrati- onsziel ist die Schaffung einer schnel- len Eingreiftruppe nach NATO-Vor- bild, die vor allem dem Kampf gegen Terror und Drogenhandel dienen soll.

Der anti-westliche Tenor der Organi- sation drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass die Mitgliedsstaaten künftig Drittländern ohne die Erlaubnis der OKS keinen militärischen Zugang mehr zu ihren Territorien gewähren dürfen.9

Konfliktzone Kaukasus

Desgleichen erlebt die Geopolitik eine Renaissance. Das von Rudyard Kip- ling bereits für das ausgehende 19.

Jahrhundert als „Great Game“ be- zeichnete Ringen um die strategischen Rohstoffe geht weiter.10 Staaten wie Georgien und Aserbaidschan geraten durch den Konflikt in Tschetschenien und russisches Großmachtstreben zwischen die Lager. Nirgendwo sonst in der Welt wird der Gegensatz von amerikanischen und russischen Inter- essen deutlicher als hier.11

Amerika hat auf Georgien gesetzt und große Summen in das Land in- vestiert. Da die Resultate dürftig blie- ben, wuchs die Enttäuschung über den georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse. Das Weiße Haus ließ

Das „Great Game“

um strategische Rohstoffe geht weiter. Georgien und Aserbaid- schan geraten zwischen die Lager. Nirgends sonst in der Welt wird der Gegensatz von amerikanischen und russischen Interessen deutlicher als hier.

6 Vgl. Gawdat Bahgat: Terrorismus und die Ölversorgung des Westens. Die Energiepartnerschaft mit Moskau, IP, März 2003, S. 12.

7 Vgl. Alexander Rahr: Der kalte Frieden. Putins Russland und der Westen, IP, März 2004, S. 1–5.

8 Vgl. Olga Alexandrova, Roland Götz und Uwe Halbach (Hrsg.): Russland und der postsowjeti- sche Raum, Baden-Baden 2003.

9 Vgl. Alexander Warkotsch: Zwischen Konfrontation und Kooperation. Die russische Zentralasi- enpolitik, Blätter für deutsche und internationale Politik, Bd. 49, Nr. 9, 2004, S. 1114, 1118–1119.

10 Vgl. Friedemann Müller: Energiepolitische Interessen in Zentralasien, Aus Politik und Zeitge- schichte, B 8, 2002, S. 23.

11 Vgl. Alexander Rahr: Ukraine, Kaukasus und Zentralasien. Wie die Europäer das „Great Game“ verschlafen, IP, Juli 2003, S. 53–54.

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ihn fallen. Dennoch blieb Tiflis auf Westkurs, dem starken Einfluss Russ- lands zum Trotz, zu dessen Macht- sphäre Georgien seit dem 18. Jahr- hundert fast ununterbrochen zählt.

Das amerikanisch-russische Miss- trauen ist dementsprechend hoch.

Wechselseitig beschweren sich Mos- kau und Washington über Provokatio- nen der Gegenseite: Putin reagiert verstimmt auf die Entsendung ameri- kanischer Militärausbilder nach Ge- orgien, die offiziell einen Teil der schwachen Armee für den Antiterror- kampf modernisieren sollen. Moskau hingegen unterhält selbst noch zwei Militärstützpunkte im Land und ver- sucht, den auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 vereinbarten Truppen- abzug aus Georgien in eine ferne Zu- kunft zu verschieben, was auf ameri- kanischer Seite zu öffentlicher Kritik aus dem Pentagon und dem State De- partment führt. Russische Kampfflug- zeuge bombardieren Ziele in Georgi- en, angeblich um „Terroristen“ zu treffen. Aufklärungsmaschinen der Amerikaner fliegen dicht an Russ- lands Grenze entlang, als der Kreml im angrenzenden Tschetschenien

„saubere“ Wahlen abhalten lässt.

Radio Liberty sendet auf Geheiß des amerikanischen Kongresses in tschet- schenischer Sprache.12

Diese Entwicklungen verstärken die russische Perzeption, wonach die Bush-Regierung zwar vermeidet, Russland öffentlich zu kritisieren und die Aktivität von Al-Qaida- Kämpfern im Nordkaukasus aner- kennt, aber zugleich eine strikte Trennlinie zwischen islamistischen Terroristen und tschetschenischen Rebellen zieht und so letztlich Sym- pathie für den Kampf der Tschetsche- nen um staatliche Unabhängigkeit

aufbringt. Nicht zuletzt nach dem Geiseldrama von Beslan hat Putin dem Westen vorgeworfen, durch die Unterstützung tschetschenischer Terroristen Russland schwächen zu wollen. Moskau versucht, durch die Kontrolle der Energieressourcen in Aserbaidschan entscheidenden Ein- fluss in seinem Vorhof zu gewinnen.

Gelänge dies auch in Georgien und Armenien, wäre diese Politik auf Zentralasien und die Ukraine über- tragbar, wo die „orangene Revoluti- on“, der Aufbruch der ukrainischen Zivilgesellschaft, in Moskaus Augen vom Westen finanziert und gesteuert, im Kreml Erinnerungen an die „sanf- ten Revolutionen“ in Osteuropa von 1989 und den nachfolgenden Zerfall des Ostblocks geweckt hat.

Schließlich garantieren die Ameri- kaner seit den neunziger Jahren im Gegenzug zum ukrainischen Verzicht auf die sowjetischen Atomwaffen die territoriale Integrität der Ukraine ge- genüber Russland. Hierbei spielt die vom ehemaligen amerikanischen Prä- sidentenberater Zbigniew Brzezinski entwickelte Doktrin eine große Rolle, wonach die Bewahrung der Unab- hängigkeit Kiews Voraussetzung dafür sei, dass im Osten kein neues Imperium entstehe. Die Amerikaner haben deshalb die militärische Zu- sammenarbeit auf bilateraler Ebene verstärkt und die Annäherung der Ukraine an die NATO betrieben.

Doch gerade hier gilt, was für West- europa bereits im Kalten Krieg galt:

Die Vereinigten Staaten sind zwar reich und mächtig, Russland aber ist nah und bedrohlich.

Konfliktzone Zentralasien

Bereits Anfang der neunziger Jahre hatten es sich die USA zum Ziel ge-

Aufklärungsflüge der Amerikaner dicht an Russlands Grenze finden statt, als der Kreml im angrenzenden Tschetschenien

„saubere“ Wahlen abhalten lässt.

Radio Liberty sendet auf Geheiß des amerikanischen Kongresses in tschetschenischer Sprache.

12 Vgl. Sebastian Mayer: Tbilisi, Washington und die NATO. Perspektiven der georgischen Außen- und Sicherheitspolitik, Blätter für deutsche und internationale Politik, Bd. 48, Nr. 6, 2003, S. 706–713.

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setzt, die zentralasiatischen Staaten in ihrer Unabhängigkeit und Souverä- nität zu stärken, sie in das westliche Wirtschafts- und Politiksystem zu in- tegrieren und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland ein Ende zu bereiten. Dazu zählten seit 1995 Bemühungen, das russische Monopol im Energiesektor aufzubrechen, die Iraner in Zentralasien möglichst nicht zum Zuge kommen zu lassen und sich für den Bau einer Ölleitung durch die Türkei einzusetzen.13

Die Hegemonie, die Washington in- nerhalb kürzester Zeit in Zentralasien errichtet hat, stützt sich auf Faktoren, die eng mit dem Antiterrorkrieg ver- knüpft sind. Alle Staaten in dieser Region – ob regionale oder externe Akteure – verbindet ein gemeinsames Ziel: die Zerschlagung des islamisti- schen Terrorismus, der als Bedrohung der nationalen und internationalen Ordnung wahrgenommen wird.

Da der Terrorismus weder in Af- ghanistan noch in den angrenzenden Regionen besiegt ist und darüber hin- aus die gegenwärtigen Gesellschafts- strukturen in sämtlichen Staaten Zen- tralasiens einen idealen Nährboden für islamistische Strömungen bilden, sind alle Akteure daran interessiert, die ursprünglich kurzfristig avisierte amerikanische Militärpräsenz mittel- bis langfristig fortbestehen zu lassen.

Ferner versprechen sich die Regierun- gen der Region von der den Vereinig- ten Staaten im Kampf gegen den Ter- rorismus entgegengebrachten Unter-

stützung den Schutz ihrer eigenen autokratischen Regime.14

Auch für die Aufrechterhaltung der regionalen Balance sind die USA will- kommen, da sie dafür sorgen, dass ein relativ stabiles Gleichgewicht im Kräf- tespiel konkurrierender Mächte be- steht. Schließlich drängt Washington den russischen Einfluss zurück, der in der Region partiell als Bedrohung empfunden wird.15 Die überlegene Macht der Vereinigten Staaten er- scheint hier nicht als erzwungene Hegemonie oder als imperiale Ord- nung. Vielmehr werden die USA als Ordnungsfaktor perzipiert, der dazu beiträgt, regionale Sicherheitsdilem- mata zu überwinden. Der Antrieb zur Gegenmachtbildung entfällt, da ihre Kosten den aus der Hegemonie abge- leiteten Nutzen bei weitem überstei- gen würden.16

Streitfall Nonproliferationspolitik Das Weiße Haus wirft dem Kreml vor, die nuklearen Ambitionen Teherans zu unterstützen, die nicht zuletzt durch die starke Beanspruchung der amerikanischen Ressourcen im Irak nahezu ungehindert verfolgt werden können.17 In ihrer Not drohen die Vereinigten Staaten, die Überweisung des Disputs über das iranische Atom- programm an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und in der Konse- quenz auch Sanktionen zu initiieren.

Die Vetomächte Russland und China haben angekündigt, dass sie sich einer Anrufung des UN-Gremiums wider-

Die Hegemonie, die Washington innerhalb kürzester Zeit in Zentralasien errichtet hat, stützt sich auf den Antiterrorkrieg. Alle Staaten in dieser Region verbindet ein gemeinsames Ziel:

die Zerschlagung des islamistischen Terrorismus.

13 Vgl. Birgit Brauer: Machtrivalitäten in der zentralasiatischen Region. Chinas Einfluss bleibt begrenzt, IP, Februar 2002, S. 23–24.

14 Die USA geraten dabei in einen Zielkonflikt: Einerseits sind sie auf die undemokratischen Regime im Kampf gegen den Terrorismus angewiesen, andererseits entfernen sie sich dadurch von dem selbst deklarierten Wilson’schen Ideal einer umfassenden Demokratisierung.

15 Vgl. Rajan Menon: The New Great Game in Central Asia, Survival, Bd. 45, Nr. 2, 2003, S. 187–204.

16 Vgl. Stephen M. Walt: Keeping the World „Off Balance“. Self Restraint and U.S. Foreign Policy, in: G. John Ikenberry (Hrsg.): America Unrivaled. The Future of the Balance of Power, Ithaca/Lon- don 2002, S. 121–154.

17 Vgl. Mangol Bayat-Philipp: Die Beziehungen zwischen den USA und Iran seit 1953, Aus Poli- tik und Zeitgeschichte, B 9, 2004, S. 38.

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setzen würden. Der Iran, der sich ringsum von Verbündeten der USA umgeben sieht, hat eine so genannte strategische Partnerschaft mit Russ- land geschlossen, deren gemeinsames Ziel in der Fernhaltung der Vereinig- ten Staaten aus der Region um das Kaspische Meer besteht.

Der amerikanische Verteidigungs- minister nennt Russlands Präsiden- ten einen Proliferateur, da Washing- ton befürchtet, dass Teheran russi- sche Technologie zum Bau von Atom- waffen verwenden könnte.18 Mit dem Bau des Atomkraftwerks Buschir am Persischen Golf, an dem Moskau maß- geblich beteiligt ist, gelangt Teheran in den Besitz moderner Atomtech- nik.19 Zusätzlich zur Fertigstellung des bereits seit 1975 geplanten Kern- reaktors, dessen erster Reaktorblock nach russischen Angaben 2006 ans Netz gehen soll, hat sich Russland zur Lieferung weiterer, militärisch sensib- ler Nukleartechnologien wie einer Anlage zur Anreicherung von Uran bereit erklärt.20 Daneben bildet Mos- kau rund 500 iranische Nuklearfach- leute aus.

Russische Unternehmen und Wis- senschaftler sind darüber hinaus er- heblich in das iranische Programm zur Entwicklung ballistischer Rake- ten involviert, das unter den Gesichts- punkten der militärischen Effizienz wie der politischen Symbolwirkung nur dann als sinnvoll gilt, wenn zu deren Bestückung ABC-Sprengköpfe zur Verfügung stehen, wobei Kern-

waffen allein aus technischen Grün- den am attraktivsten sind.

„Strategischer Rivale“ China

Neben dem traditionellen Rivalen Moskau sieht sich Washington mit Peking mehr und mehr einer aufstei- genden Macht gegenüber, die eine entscheidende Rolle in der Staaten- ordnung des 21. Jahrhunderts spielen dürfte. China hat seit den 1990er Jah- ren sowohl einen rasanten wirtschaft- lichen Aufschwung als auch eine mas- sive Aufrüstung zu verzeichnen, die neue Bedrohungsperzeptionen nicht nur bei zahlreichen Nachbarstaaten, sondern auch bei den USA geschaffen hat.21 Moskau scheint hingegen die Etablierung Chinas als Gegenmacht zu den Vereinigten Staaten und als Kontinentalvormacht in Ostasien nicht nur akzeptiert zu haben, son- dern auch willens zu sein, seinen Aufstieg zur Großmacht zu unterstüt- zen. Der Kreml entwickelt sich zum stärksten Förderer der chinesischen Militärmodernisierung, indem er der Volksbefreiungsarmee hochmoderne Waffensysteme zur Verfügung stellt.22

Vor diesem Hintergrund misst und reibt sich China zunehmend an den Vereinigten Staaten. An einem Ame- rika, das durch seine Schutzgarantien die Erpressung und Eroberung Tai- wans verhindert;23 an einem Ameri- ka, dem Peking zutiefst misstraut, da man hier glaubt, das Weiße Haus wolle der Volksrepublik den Aufstieg zur pazifischen Supermacht verweh-

Der amerikanische Verteidigungsminis- ter nennt Russlands Präsidenten einen Proliferateur, da Washington befürchtet, dass Teheran russische Technologie zum Bau von Atomwaffen verwenden könnte.

18 Vgl. James M. Goldgeier und Michael McFaul: George W. Bush and Russia. The Great Rever- sal, Current History, Bd. 100, Nr. 10, 2002, S. 316.

19 Vgl. Benjamin Schreer: Who’s next? Die USA, Iran und die Präemption, IP, Juni 2003, S. 56.

20 Vgl. Robert J. Einhorn und Gary Samore: Ending Russian Assistance to Iran’s Nuclear Bomb, Survival, Bd. 44, Nr. 2, 2002, S. 53.

21 Vgl. Kay Möller: China und die USA. Washingtons Fernostpolitik nach dem 11. September 2001, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25, 2002, S.44.

22 Vgl. Bobo Lo: The Long Sunset of Strategic Partnership. Russia’s Evolving China Policy, Inter- national Affairs, Bd. 80, Nr. 2, 2004, S. 295–309.

23 Vgl. Gottfried-Karl Kindermann: Taiwan im Brennpunkt, IP, September 2004, S. 23–24, 28.

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ren, und da man befürchtet, bei nächs- ter Gelegenheit erneut als Feindbild herhalten zu müssen. Die amerikani- sche Kategorisierung Chinas als „stra- tegischer Rivale“ hat tiefe Spuren hinterlassen.24

Washington hat an der Peripherie der Volksrepublik ein nahezu lücken- loses Netz sicherheitspolitischer Alli- anzen geknüpft. Die USA haben sich nicht nur militärisch in Zentralasien eingerichtet, sie etablierten auch Part- nerschaften mit Indien und Pakistan, kehrten mit Truppen auf die Philippi- nen zurück, engagierten sich sicher- heitspolitisch und folgend auch mili- tärisch im Rahmen der Flutopferhilfe in Indonesien, motivierten Japan zu maritimen Hilfsleistungen im Arabi- schen Meer, verabschiedeten sich von der bisher in der Taiwan-Straße prak- tizierten „strategischen Ambiguität“, intensivierten die militärische Zusam- menarbeit mit Taiwan und beschleu- nigten die Entwicklung eines regiona- len Raketenschirms.25

Chinas Außenpolitik dreht sich aber auch um ein Amerika, das Pe- king nach dem 11. September 2001 überraschend schnell in der „Allianz gegen den Terror“ unterstützte;26 um ein Amerika, das die Chinesen nicht aufzuhalten versuchten beim Marsch auf Bagdad. Zwar ragt die Volksrepu- blik im globalen Machtspiel theore- tisch schon längst über die meisten anderen Staaten hinaus, und dies nicht nur, da China einen der fünf

ständigen Sitze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen innehat. Aber in der Praxis internationaler Diplomatie verhielt sich Peking in den letzten beiden Jahrzehnten wirtschaftlicher Öffnungspolitik meist passiv.27 Erst seit kurzer Zeit schaltet sich China aktiv ein. Pekings neue Außenpolitik ist dabei von starkem Realismus ge- prägt. Denn Wirtschaftswachstum hat absolute Priorität.

Die Annäherung an Washington ist dem Umstand geschuldet, dass die Volksrepublik die Vereinigten Staaten benötigt, wenn sie zur Supermacht aufsteigen will: als größten Absatz- markt und wichtigsten Lieferanten von High-Tech-Produkten.28 So ak- zeptiert es Peking derzeit ohne öffent- liche Proteste, wenn die USA die di- plomatischen Initiativen Chinas blo- ckieren wie zuletzt in Zentralasien, wo sich die Volksrepublik über die

„Shanghaier Organisation für Zusam- menarbeit“ (SOZ)29 schnell wachsen- den Einfluss erhofft hatte und dann zusehen musste, wie sich mit Wa- shingtons Afghanistan-Feldzug ame- rikanische Truppen an Chinas West- grenze festsetzten.

Wie im Fall Moskaus wurzelt auch Pekings erstaunliche Zurückhaltung gegenüber den USA allein in der Er- kenntnis der eigenen Schwäche.

China wird noch auf viele Jahre hin- aus keine zur Machtprojektion fähige Großmacht sein.30 Die derzeit gemel- deten Wachstumszahlen in Wirtschaft

Wie im Fall Moskaus wurzelt auch Pekings Zurückhaltung gegenüber den USA allein in der Erkenntnis eigener Schwäche. China wird noch auf viele Jahre hinaus keine zur Machtprojektion fähige Großmacht sein.

24 Vgl. Tang Shaocheng: Das Dreiecksverhältnis zwischen den USA, der VR China und Taiwan, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35-36, 2003, S. 22.

25 Vgl. Kay Möller: Die USA und China. Sanftes Containment, Zeitschrift für Politik, Bd. 50, Nr. 4, 2003, S. 438, 440.

26 Vgl. Karl Kaiser: Strategischer Partner China, IP, Februar 2002, S. 17.

27 Vgl. Wang Guangcheng: Chinas Politik der „guten Nachbarschaft“. Die Modernisierung des Landes hat Vorrang, IP, Februar 2002, S. 51.

28 Vgl. Joseph Yu-shek Cheng: „Blühendes neues Asien“. Chinas Politik der guten Nachbarschaft, IP, September 2004, S. 17–19.

29 Neben China zählen dazu Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan.

30 Vgl. Joachim Krause und Christoph Grams: Droht ein globaler Rüstungswettlauf? Perspekti- ven der Rüstungsindustrie im Vergleich, IP, Juli 2003, S. 38.

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und Rüstung können den Blick auf ein paar ernüchternde Tatsachen nicht nehmen: Nach Einschätzung des amerikanischen Council on For- eign Relations hinkt die Volksrepub- lik den USA militärisch gesehen immer noch um mindestens zwei Jahrzehnte hinterher.

Daher gilt es aus chinesischer Sicht, eine offene Konfrontation mit den Vereinigten Staaten um jeden Preis zu vermeiden. Peking ist weniger daran interessiert, mittelfristig ein wirkli- ches militärisches Gleichgewicht mit Washington zu erreichen, als daran, wirkungsvolle Abschreckungskapazi- täten aufzubauen, um für die USA die Verwundbarkeit und damit die Inter- ventionsschwelle signifikant anzuhe- ben. Hierfür benötigt China keine mit den Vereinigten Staaten auf globaler Ebene vergleichbaren militärischen Fähigkeiten.31

Konfliktfall Taiwan

In Bezug auf Amerikas Schützling Taiwan ist die chinesische Diplomatie nach wie vor von Inflexibilität, Dog- matismus und politischer Kurzsich- tigkeit geprägt. Wenngleich der Konf- likt zuletzt auch von taiwanesischer Seite politisch angeheizt wurde, kön- nen aus Sicht Taipehs die militäri- schen Drohgebärden und die weitere Aufrüstung der chinesischen Bedro- hungskapazitäten mit jährlich 50 bis 75 neuen Kurz- und Mittelstreckenra- keten auf gegenwärtig rund 700 auf Taiwan gerichtete Flugkörper nicht unbeantwortet bleiben.

Da sich Taipeh auf längere Sicht keinen Rüstungswettlauf mit Peking leisten kann, wird Taiwan als die schwächere Seite auf zunehmend asymmetrische Kriegführungsstrate-

gien zurückgreifen – ähnlich wie China gegenüber den Vereinigten Staaten, die das chinesische Vorha- ben, eine Raketenabwehr in Koopera- tion mit Israel zu entwickeln, durch- kreuzt haben.

In diesem Kontext bezweifeln tai- wanesische Verteidigungsexperten immer mehr, ob ein gemeinsames Ra- ketenabwehrsystem mit den USA dem eigenen Land ausreichend Schutz bie- ten kann. Stattdessen favorisieren sie als finanziell attraktivere Lösung den Bau eigener Kurz- und Mittelstre- ckenraketen und schließen eine Nuk- learwaffenoption nicht länger aus.

Dies würde aber nicht nur die welt- weiten Bemühungen der Vereinigten Staaten und der Weltgemeinschaft um die Nichtverbreitung von ABC- Waffen in Frage stellen und die globa- len Rüstungskontrollregime weiter schwächen. Vielmehr könnte dies auch das zukünftige regionale Kon- fliktmanagement in Zeiten eskalie- render politischer Krisen in der Tai- wan-Straße erheblich erschweren und zu nicht beabsichtigten Handlungen sowie unkontrollierbaren Automatis- men führen.

Konfliktfall Nordkorea

Pjöngjang liegt weiterhin in der Ein- flusszone Pekings, allen Differenzen der kommunistischen Regime zum Trotz. Und auch Moskau will aus der alten Dreiecksbeziehung nicht aus- steigen.32 Daher können die USA nur hoffen, dass China und Russland heilenden Einfluss auf den nuklearen Rüstungswahn der Nordkoreaner nehmen. Damit ist Kim Jong Il schon jetzt gelungen, was Saddam Hussein leichtfertig verspielt hatte: Washing- ton muss multilateral agieren, will es

Da sich Taipeh auf längere Sicht keinen Rüstungswettlauf mit Peking leisten kann, wird Taiwan als die schwächere Seite auf

zunehmend asymmetrische Kriegführung zurückgreifen – ähnlich wie China gegenüber den Vereinigten Staaten.

31 Vgl. Frank Umbach: Der Drache schärft die Klauen. China modernisiert seine Streitkräfte und ist zum weltgrößten Rüstungsimporteur aufgestiegen, Der Überblick, Bd. 38, Nr. 2, 2002, S. 81–82.

32 Vgl. Dmitrij Trenin: Russland und die neue Weltordnung. Eine Moskauer Sicht, IP, Oktober 2002, S. 15.

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seine unilateralen Interessen wahren.

Bushs Präventiv-Doktrin hat ihre erste Grenze erreicht.

Moskau und Peking hingegen ste- hen im koreanischen Drama erneut auf der Weltbühne. Durch verständ- nisvolle Äußerungen für das Verhal- ten des Nordens angesichts wachsen- den amerikanischen Drucks versu- chen sie, eine Vermittlerrolle einzu- nehmen und dadurch ihr regionales wie internationales Gewicht zu erhö- hen. China hat erreicht, dass die USA über Sicherheitsgarantien für Nord- korea mit sich reden lassen. Kim Jong Ils atomares Abschreckungs- und Be- drohungspotenzial dient den Chine- sen als Katalysator, um zur Vormacht im östlichen Pazifik aufzusteigen. Erst regional, dann global wollen sie den Amerikanern die Grenzen ihrer Macht aufzeigen. Eine erneute Krise am Rande des Krieges als Ursprung eines neuen Machtgleichgewichts in Fernost erscheint ihnen als Perspekti- ve für den pazifischen Raum.

Seoul und Tokio denken indessen an eigene Raketenabwehr und Kern- waffen, um sich gegen jegliche Even- tualität abzusichern.33 Vor allem wegen der amerikanisch-japanischen Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Flugkörperschutzschilds ist China äußerst besorgt. Sollten in diese Überlegungen auch Südkorea und Taiwan einbezogen werden, so dürfte dies zu einer heftigen Reaktion Pekings führen. Die Folge könnte ein neuer Rüstungswettlauf sein. Die Perspektive, in absehbarer Zeit eine strategische Verständigung zu errei- chen, scheint in immer weitere Ferne zu rücken.

Im „Krieg gegen den Terror“ exis- tiert keine gemeinsame Auffassung

von „Terrorismus“, welche Russland, China und die westlichen Staaten mit den USA an der Spitze teilen würden.

Das unterschiedliche Verständnis die- ser Erscheinung stimmt lediglich im Fall der Taliban und der Al-Qaida überein, so dass eine in Moskau und Peking innenpolitisch umstrittene passive Teilnahme an der „Antiter- rorkoalition“ möglich ist. Doch um ihren Zusammenhalt steht es nicht gut, zu sehr dominieren erneut natio- nale Interessen das Handeln der Ak- teure. Russland und China haben auch nach dem 11. September 2001 keinen Zweifel daran gelassen, dass für ihre Politik die Liste von Staaten, die Washington zufolge Terror unter- stützen, keine Bedeutung hat und dass sie eine Ausdehnung des „Krie- ges gegen den Terror“ wie auf den Irak ablehnen.

Die nach den Anschlägen von New York und Washington im Westen eu- phorisch begrüßte große Wende in Moskaus und Pekings Außenpolitik ist empirisch nicht zu belegen. Statt- dessen versuchen Russland und China ihren in Krisenzeiten gestiegenen Marktwert in den internationalen Be- ziehungen als Faustpfand in anderen Politikfeldern einzusetzen. Wie sehr bei der politischen Bewertung der

„Heiligen Allianz gegen den Terror“

die Partie auf dem „eurasischen Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zu- kunft ausgetragen wird“,34 übersehen worden ist, zeigt die Vehemenz, mit der der 11. September 2001 zur Epo- chenschwelle stilisiert wird. Dabei haben sich mit diesem Tag nicht die geostrategischen Rahmenbedingun- gen verändert. Verändert hat sich le- diglich deren Wahrnehmung.

Der 11. September 2001 wird zur Epochenschwelle stilisiert. Dabei haben sich an diesem Tag die geostrategischen Bedingungen nicht verändert.

Verändert hat sich lediglich deren Wahrnehmung.

33 Vgl. Ramesh Thakur und Martina Timmermann: Von der Vorstellung zur Verwirklichung.

Japans Politikwechsel, IP, September 2004, S. 40.

34 Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Berlin 1997, S. 57.

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