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Bilder „des“ Islam

Ob wir über „den“ Islam in Deutschland sprechen oder über die Rolle „des“ Islam im Nahen Osten – es scheint immer Konsens zu sein, was wir eigentlich unter Islamverstehen.

Zu unserem „Wissen“ vom Islam gehören teilweise Klischeebilder, Voreinstellungen, Vor- und Vorausurteile. Weit mehr als durch Fachbücher wirken Religionen durch Kommunikatoren, Medien und Rezipienten fort.1

Die Wahrnehmung „des“ Islam hat sich spätestens mit den Anschlägen in den USA verändert, weltweit, mithin auch in Deutschland. Seitdem wird zwischen einem radikalen, moderaten, friedlichen, dialogoffenen, politischen usw. Islam unterschieden, deren Anhänger dann wahlweise gläubige Muslime oder Vertre- ter von Intoleranz, Gewalt, Bedrohung und Rückständigkeit sind. Damit werden zugleich verschiedene Formen des Islam sprachlich konstituiert und in immer neuen Kommunikationszusammenhängen transportiert und festgeschrieben.

Andererseits haben Anschläge wie diejenigen vom 11. September 2001, aber eben auch die dauerhafte Präsenz von Muslimen in Europa, ein Bedürfnis in breiten Teilen der Bevölkerung nach Information über „den“ Islam geweckt, und der Wortschatz der Nichtmuslime in Deutschland ist durch die jeweiligen ak- tuellen Bezüge, die zum Islam hergestellt werden, deutlich gewachsen. Dabei werden auch sprachliche und semantische Fehler berichtigt – von „Mohamme- danern“ spricht heute kaum noch jemand –, zugleich halten aber Assoziations- muster im Alltagssprachgebrauch Eingang, die im Zusammenhang mit dem Is- lam häufig die Trennlinie von Beschreibung zu negativ wertenden Stereotypen überschreiten.

Dass dies kein spezifisches Phänomen ist, das erst durch Begegnungen mit

„dem“ Islam entstanden ist, liegt auf der Hand, denn bevor in der Bundesre- publik Deutschland der Islam wahrgenommen und oftmals einseitig auf Kon- fliktthemen wie Unfreiheit, Gewalt oder internationale Auseinandersetzungen reduziert wurde, musste dafür der Kommunismus herhalten, von noch früheren Feindsymbolen ganz zu schweigen. D. h., bei dem Zusammentreffen mit „dem“

Islam wird durchweg auf erprobte Stereotypen zurückgegriffen, deren Essentia-

1Monika Tworuschka, Grundwissen Islam. Religion, Politik, Gesellschaft, Münster 2009, S. 11.

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lismus sich als aufgeklärte Kritik versteht und als „gesundes Rechtsempfinden“

kommuniziert werden möchte, allerdings von berechtigter Kritik am Islam ein- deutig zu unterscheiden ist. Mithin können auch nur völlig Ahnungslose von einer zufälligen Häufung solcher Sprachmuster sprechen. Gründe genug, einen genaueren Blick auf „den“ Islam zu werfen, allerdings würde die Fülle von Be- schreibungen und Zuordnungen dazu bereits ein ganzes Buch füllen, da „dem“

Islam alleine in Deutschland zwischen 70 und 80 Organisationen und Strömun- gen zugeordnet werden können. Dazu gehören ebenso Erzkonservative aus der Türkei und aus arabischen Staaten wie bosniakische Reformkräfte, also Muslime mit der Herkunft Bosnien.2

Hayrettin Aydınhat sich aus diesen Gründen auf die Fragen konzentriert, wie religiös-islamisches Leben, gemessen an den „Fünf Säulen des Islam“ so- wie den sechs Glaubensgrundsätzen (Glaube an Allah, die Propheten, die hei- ligen Bücher, die Engel, die Vorbestimmung und ein Leben nach dem Tod) in einer mehrheitlich nichtislamischen Gesellschaft wie der in Deutschland gelebt werden kann. Dabei hebt er zuweilen die Wechselwirkung islamischer Gemein- schaften zu nichtislamischer Umgebung hervor, in der sich islamisches Leben durchweg auch in Variationen zu religiösen Praktiken in den Herkunftsländern herausbilden kann.

Einen Blick auf umstrittene Seiten „des“ Islam werfen hingegen explizit in diesem BandWolfgang Bock, der der Vereinbarkeit von Islam und säkularem Verfassungsstaat nachgeht, sowieEkkehard Rudolph, der salafistische Bewegun- gen zwischen religiösem Wahrheitsanspruch, politischer Protestkultur und der Legitimierung von Gewalt beschreibt. Damit greifen sie exemplarisch die Sprei- zung des Islam zwischen „Religion“ und „Staatstheorie“ auf, die viele Nichtmus- lime nicht mit ihrem Gesellschaftsverständnis vereinbaren können und sie daher ebenso rat- wie sprachlos zurücklässt oder Islamkritiker aus ihnen macht.

Denn manche schariatische Bestimmung [etwa der des Islam als einzig wah- rer Religion (Suren 3:19 und 98:6), die Geringachtung Andersgläubiger (98:6), Recht und Pflicht, Ungläubige zu bekämpfen (8:38ff. und 47:8) oder zu töten (9:5), die Ungleichstellung von Mann und Frau, bei dem Männer über den Frau- en stehen (4:34), Männern ein Züchtigungsrecht gegenüber Frauen (4:34) sowie

2Vgl. dazu etwa Smail Balic, Islam für Europa. Neue Perspektiven einer alten Religion, Köln 2001, sowie dem Beitrag von Yasemin El-Menouar (S. 369–385) in diesem Sammelband.

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ein Recht auf Polygamie (4:129) zugestanden wird, weibliche Erben nur die Hälf- te von dem männlicher Erben erhalten (4:11) und Zeugenaussagen von Frauen nur halb so viel wie die von Männern wiegen (2:282), Frauen sich bedecken müssen (24:31, 33:53 und 33:59) u. a. m.] bewerten aufgeklärte Gesellschaften als zutiefst intolerant, wo hingegen islamische Stimmen auf das goldene Zeitalter von Al-Andalus verweisen, in dem Muslime, Christen und Juden gemeinsam einer Region zu wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Blüte ver- holfen haben – trotz oder gerade wegen der Scharia, auf jeden Fall mit gelebter Religionstoleranz.

Der Dissens mag mit einer unzureichenden Übersetzung von Scharia als „is- lamisches Recht“ zusammenhängen. Bei der Scharia (arab.:šarî’a) geht es nicht nur um Recht im westlichen Sinne. Vielmehr sind die Beachtung religiöser Re- geln und Vorschriften wie der Speisevorschriften ebenso Teil der Scharia wie das Fasten, die Pilgerfahrt nach Mekka, das Entrichten der Armensteuer, das Glaubensbekenntnis und das tägliche Gebet.

In der Definition des Sayyid Abu’l A’la Maududi (1903–1979), der vielen als Apologet des politischen Islam gilt, ist Scharia alles, was das „Verhalten des Menschen“ – privat und öffentlich – regelt. Es geht also auch um Politik und den Staat. Denn die Scharia vermittelt ein „islamisches System des Lebens“. Handlungen des Menschen werden eingeteilt in „geboten“, „Pflicht“, „erlaubt“, „verboten“, „empfohlen“, „missbilligt“. Eine

„missbilligte“ Handlung führt im Gegensatz zu einer „verbotenen“ in der Regel „keine diesseitigen Sanktionen nach sich“, weil es hier um „jenseitsorientierte Bewertungen geht“, die auch im Koran mit der Hölle nach dem Tode bestraft werden. Koran und Scharia [. . .] sind nach Auffassung der Muslime kein Menschenwerk, sondern kommen von Gott.3

Neben dem Absolutheitsanspruch, der monotheistische Religionen kenn- zeichnet, versteht sich der Islam als Abschluss und Vollendung göttlicher Bot- schaften und überwindet damit die „Verfälschungen“ von Judentum und Chris- tentum. Gott selbst habe die Lebensregeln bestimmt, und seine Worte gelten Muslimen als unhinterfragbar. Mithin wird Toleranz nicht nur Nichtmuslimen verweigert, sondern auch Muslimen, die sich vom Islam entfernt haben oder entfernen wollen oder Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen. Sure 2:256

3Peter L. Münch-Heubner, Der islamische Staat. Grundzüge einer Staatsidee, in: Hanns-Seidel-Stif- tung (Hrsg.), Aktuelle Analysen 60, München 2012, S. 8.

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„Es gibt keinen Zwang in der Religion“ ist eben keine Interpretation von Religi- onsfreiheit, sie lässt sich vielmehr gut und unter islamischen Juristen unstreitig mit der Todesstrafe für einen Apostaten (einenmurtadd, der sich als Muslim vom Islam lossagt) vereinbaren.4

Wenn es um die Einheit von Religion, Politik und Staat geht, werden im- mer wieder als kritische Beispiele die Islamische Republik Iran sowie die wha- habitische Regierung in Saudi-Arabien genannt, die eine schiitisch, die andere sunnitisch basiert, was Pauschalkritik am Islam durchaus fördert und den Blick auf „Unrechtsregime“ lenkt, zumal der Whahabismus den auch in Deutschland agierenden Salafismusfinanziell und ideologisch nährt.

Es ist unstreitig, dass die Wurzel von Demokratie und Religionsfreiheit im Westen hauptsächlich in jahrhundertelangen Entwicklungen liegen, was jedoch deshalb nicht als Exklusivitätsanspruch postuliert werden kann, weil Verände- rungen auch in anderen Gesellschaften stattfanden und stattfinden.

Daher kann man den Ablauf der Geschichte nicht einspurig betrachten und erwarten, dass die strukturellen Wandlungen in den islamischen Gesellschaften ebenso stattfan- den wie es in den westlichen Gesellschaften der Fall war. Auch wenn die Globalisie- rung und die Ausweitung der Medien und der Kommunikation gekoppelt mit dem überlegenen Fortschritt der Technik im Westen einen starken Einfluss darauf haben, dass sich Kulturen immer ähnlicher werden und Änderungen in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen in den islamischen Ländern bewirken, kann dies alles nicht eine solche Renaissance bei den Muslimen in Gang setzen, dass die islamischen Gesellschaften eine westliche Form annehmen und alle Bindungen zu ihrer Geschichte abreißen, um dann einen Wandel in ihrer gesamten Denkweise und gesellschaftlichen Struktur zu verursachen.5

Es ist schwer vorstellbar, dass sich der Islamismus, der sich als Staatstheorie versteht, mithin einen vollkommenen islamischen Staat aus Koran und Sunna ableitet, jemals Herrschaft aufgibt und Autonomie von Individuen unterstützt, sich in Richtung „westliche“ Gesellschaftsformen entwickelt und dazu wesent- liche eigene historische Stränge durchtrennt. Dieses wäre dann der „Euroislam“,

4Vgl. zu dieser Diskussion auch den Beitrag von Wolfgang Bock (S. 163–190) in diesem Sammel- band.

5Younes Nourbakhsh, Soziologie des religiösen Staates im Islam und im Christentum. Disserta- tion zur Erlangung des Doktortitels der Philosophie im Department für Sozialwissenschaften der Universität Hamburg, Hamburg 2008, S. 12, unter:http://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2008/3819/pdf/

SOZIOLOGIE.pdf(10.10.2012).

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der Bassam Tibi vorschwebt, der – notwendigerweise – auf die Scharia verzich- tet und sich der kulturellen Moderne und damit Pluralismus, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechten und Religionsfreiheit öffnet.6

Das Fazit ist dennoch verhalten optimistisch: Zwar wird hinter der großen Mehrheit gläubiger, regelmäßig, gelegentlich oder gar nicht praktizierender, vor allem aber friedfertiger Muslime auch immer wieder die dunkle Seite des Islam sichtbar, mit der ein uneingeschränkter Wertekonsens offensichtlich nicht zu erzielen ist. Aber gerade bei der Mehrheit der hier lebenden Muslime hat die Debatte um die Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland jedoch demokratische und pluralistische Spuren hinterlassen, auch wenn sich deren Belastbarkeit im- mer wieder bei auftretenden Konflikten erweisen muss. Die meisten Muslime in Deutschland scheinen jedoch verstanden zu haben, dass sie zwar archaische Strukturen, nicht aber ihre Glaubensessenzen aufgeben müssen, wenn sie sich zur Werteordnung des Grundgesetzes bekennen. Mehr noch: Sie haben deren Auswirkungen als bereichernd für ihre Lebensgestaltung schätzen gelernt.

Dieser Prozess könnte beschleunigt werden, wenn sich die Schar der Re- former kontinuierlich auch um Wissenschaftler der islamischen Theologien in Deutschland vergrößern würde und sich mehr von ihnen als bislang als Strei- ter für einen modernen Islam vernehmlich zu Wort melden würden.7 Wenn sich dann auch noch die islamischen Dachverbände der Mehrheit der Musli- me anschließen oder hierbei über ihre Imame und ihre Verbandspolitik gar eine Vorreiterrolle einnähmen, wären gute Voraussetzungen dafür geschaffen, „die Entmündigung der Gläubigen zu überwinden“8und Islamkritikern das Wasser abzugraben.

Klaus Spenlen

6Vgl. Bassam Tibi, Euro-Islam, Darmstadt 2009: ders., Der Euro-Islam als Brücke zwischen Is- lam und Europa, Essay vom 20. März 2007, veröffentlicht bei perlentaucher.de, unter:http://www.

perlentaucher.de/essay/der-euro-islam-als-bruecke-zwischen-islam-und-europa.html(05.10.2012). Wahlweise kann auch vom „deutschen Islam“ gesprochen werden, so Wolfgang Schäuble am 26.09.2006 zu n-tv, unter:

http://www.n-tv.de/politik/Werdet-deutsche-Muslime-article335411.html(05.10.2012).

7Man darf gespannt sein auf das Buch von Mouhanad Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit – Grund- züge einer modernen Religion, das bei Herder verlegt wird und bis zur Endredaktion dieses Sam- melbandes (Ende Oktober 2012) leider noch nicht erschienen war.

8Mouhanad Khorchide in DIE ZEIT, Nr. 41 vom 4. Oktober 2012, S. 4.

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