Beiträge zur Erklärung des Buches Henoch
nach dem äthiopisclien Text*).
Von
Prof. Dr. tl. Yolkmar
in Züricli,
L
Die lieriiöuiuiliehe Annalime, das Bucli Henocb sei vorclirist-
liclier Entstehung oder, was dasselbe ist, seine Weissagung gehe
auf die makkabäische und nachmakkabäische Zeit, beruhte auf
eioer inuogelliaften Uebersetzuug. Dillmann hat in dem betreifen¬
den Hauptabschnitt (c. 90) mehrere Fehler berichtigt, aber es ist
gut, dass er deo äthiopischeo Text selbst berausgegebeo hat,
deon so sieht man, dass er noch F'ehler steheo gelasseo, oeue
liineiogebracht hat, im Dienste wesentlich derselben Voraus¬
setzung.
I) Cap. 90, V. 11 der Dillmann'schen Ausgabe hieten alle
Codd. (vgl. p. 71 n. Ann, p. 30) folgeoden Text dar:
a)<^fi AH : m A- : Ts AYi- : A^hCT : (D Aorfi^ :
(dS^o,-^ : (DunjE : "hfiYi : jBKnij^c^h'f^ßx^:
AAa70 : (DjiwC^ : .^laifo^ : (DjinAöpö^ :
(DAa7ö/i : jpz.f^a^ : a)J?a : pö(d.E(d. : (d
jBRCdf-.:
d. i. wörtlich :
Et cum eo : omnis, e : illue : aquilae : et vultures : et corvi : et
milvi : usque : hue : lacerabant : oves : et devolabaot : in eas : et devorabant eas : et oves : quiescebant: et Dabelat: lamentabantur: et clamabant::
*) Obwohl diese Abhandlung, hesonders in ihrem späler folgenden zweilen Arlikel, hart an dus Iheologisehe Gebiet anstreift, so gluuble die Kedacliou doeb eineni so eingehenden neuen Versuche über einen der bedeulsamslen und schwierigsten Abscbnille des nur in einer orientalischen Sprache voll¬
ständig erbultenen Bucbes Henoch die Aufnabme nicht versagen zu dürfen,
wenn sie auch etwanige weilere Erörterungen nach jener Seite hin den
Iheologischen Zeilscbrirten überlassen luuss. Die Red,
88 Volkmar, BeUräge zur Erklärung des Buches Hcnwh,
Dies giebt Dillmaon so wieder:
„Uod während alle dem zerrissen jene Adler und Geier und
Raben und Weihen die Sebafe nuch immer fort und flogen nuf
sie berab und frassen sie; die Schafe aber blieben ruhig, und die
Jungen wehklagten und schrieen." Es wäre danach eine fort¬
dauernde Missbandlung der Schafe angezeigt, nachdem schon
(v. 9] das grosse Uoro für sie hervorgetreten ist. Ist dies so,
dann ist meine Ansicht, weicbe soost völlig mit dem wirklichen
Text barmooirt, von Einem Gebrechen behaftet. Ich glaube, es
ist nicht so.
Er hat oicbt Uorecbt, vor Gfrörer's lateinischer Versioo
(Proph. Pseudepigr. p. 169 f.) zu warnen , deoo diese war blos
After-Uebersetzung und verdarb oft selbst das Ricbtige bei Law¬
rence und Hoffmann, so auch bier:
,, Attameo omnes aquilae, milvi, corvi et vultures etiamnunc
continuarunt caedere oves, devolaotes in eas easque devoraotes.
Oves tacebant, sed boves lamentabantur et pugnabant."
Er hat nur nach Vermuthung den Sinn der Worte bei Hoff¬
mann wiedergegeben (Das Buch Henoch. II, 747):
„Und trotz dessen brachten alle jene Adler und Geier und
Raben und Weihen bis jetzt um die .Schafe und flogeo aof sie
herab und verschlangen sie. Die Schafe aber wurden still , uod
die Ocbsen wehklagten und schrieen."
Gegen eine partizipiale Wendung überhaupt kann man nichts
einwenden, wie sie sich beim deVolare io eas et devorare von
selbst empfiehlt; bedenklicher schon ist's, Tautologieen in dieser
Schrift anzunehmen, deren Hülle nur die kürzesten Andeutungen
erlaubte. Es fragt sich, ob lacerare und devorare in dieser Ty¬
pologie dasselbe ist.
Ferner berechtigt ist es, das semitische „und" zusammen-
hanggemäss mit bestimmtem Partikeln wiederzugeben. Das „sed"
boves lamentabantur, nach dem oves silebant ist geboten. Aher
gefährlich ist jede Auslassung, so vor „oves silebant". Willkür aber ist die Einschiebung des ,, etiam" nunc und „cootiouaruot"
occidere, wovoo oichts im Text steht.
ünd doch briogt auch Dillmann ein solches continuare durch
sein „noch immerfort" hinein. TsflYl ; JB/\hL'. hat Hoffmaoo
viel getreuer und notorisch allein richtig wiedergegeben „bis jetzt".
Hiermit hängt aber auch der Anfang des Satzes und selbst der
Schluss desselben aufs engste zusammen.
Dillmann selbst hat in der Erklärung (S. 280) angedeutet,
dass er den Anfang „und während alle dem" nur nach dem Sinne
wiedergegeben hahe: das sei „dem Zusammenhang angemessener".
Wobl steht diese üebersetzung im Zusammenhang mit seiner Deu¬
tung des ganzen Abschnittes, auf dem die Entscheidung über den
Ursprung des Buches überhaupt, wenigstens seiner für Alle zwei-
fellosen Grundlage (c. 71—90) berubt. Der Zusammeubang jener
Worte selbst wie der mit dem uumittelbar und mittelbar Vor¬
ausgegangenen widerspricht der willkUrlicbeo Deutung des
^^jflA*Hl „cum eo". Dies heisst nicht „aasserdem" wie
I>awreoce wollte, aber nuch nicht voo selbst ,, während dem",
sondero wie Holfmann gaoz getreu im Sinne des parallelen ara¬
bischeo angiebt „trotzdem". Nur das YY'/V I omois, e hat
Dillmaou richtiger bezogen. Das ,,alle" gehört zu der Partikel, nicht zu den ,, Adlern",
Dies „bei dem alle" gehört aher syntaktisch zusammen mit
dem et oves quiescebaot am Schlüsse, uod bildet Eioe Periode,
die wir wörtlich so wiederzugebeo babeo:
,, Und trotz alledem zertleischteo ood aufzehrten jene Adler
und Raben... die Schafe bisjetzt: doch schwiegeo die Schafe",
,, Und (d. h. aber) die Juogeo webklagten und schriceo". Durch
„bis jetzt" aber ist weiterhin das Imperfectum dem Sinne nacb als
ein Perfecto-Praeteritum oder Plusquamperfectum indicirt (lacera¬
verant). Dillmann giebt freilich nirgends, so weit ich sehe,
eio Plusquamperfectum, selbst da nicht, wo es der Zusammen¬
hang direct verlangt, wie 90, 17 „Und ich sähe jeoen IVlann, der
das Buch schrieb", was auf 89, 61 fg. zurückgeht. Er schrieb
es nicht jetzt, sondero hatte es geschriehen. Aehnlich ist 90,
I. 5 „und ich sähe, bis dass die Weide übernahmen siehen-
dreissig", hernach ,,drei und zwanzig Hirten", wo nach Dillmauo's
eigoer Einsicht das ,, übernahmen" als Plusquamperfectum zu fas¬
sen ist, indem mit der Angahe zurückgeblickt, das Vorige über¬
schaut, nicht ein weiterer Fortgang angegeben wird.
Endlos fast sind die Streitigkeiten geweseo über die Be¬
ziehuog dieser Hirten. Die eiofache Observation , dass das ätbiop.
Imperfect auch Plusquamperfect sein kunn, die einfuche Ueber¬
setzung diesem syntuktischen Gebote (gemäss bätte sie au jenen
.Stellen vun Anfung abgeschoitteu und DiUmann selbst hätte die
Uberaus lange Erörterung hierüber sehr abkürzen können, wenn
er gleicb anfangs das Aethiopische hier auch dem deutschen
Idiom getreu wiederzugebeo sich bemüht hätte ').
An unserer .Stelle aber hat der Mangel an Reflexioo darauf,
wo das Imperfect einfach erzählendes Tempus ist oder wo es re¬
capitulirt, verbuodeo mit dem Postulat der Deutifog, gar in die
Irre gefuhrt. Der .Satz heisst wortgetreu io lateinischem Idiom:
,,Et quantumvis laceraverant illae aquilae et vultures, corvi
et milvi usque hue oves ct in eas devolaotes eas devoraverant:
turnen oves silebant. Sed juveoes (ich will noch bei Dillmaoo's
Ausdruck für ,, dabelat" stehen bleiben) lumentubantur et clamabant."
1) Erbat selbst eingeseboy dass ganz wörtlieb Überselzen, wie Holfmann versucbt hat, nicht geboten sei.
9() Volkmar, Beiträge zur Erklärung dts Buches Henoch.
Es war nämlicli nnbegreiflicli , dass „die Sebafe" (der ge¬
wöbnlicbe Juden-Haufe) aucb jetzt scbwieg, trotzdem die Adler
und andern Raubvögel (die heidnischen Gewalthaber oder speciel¬
ler ihre Heere) bis dahin nicbts gethan hatten, als die Schafe zu
zerfleischen und zu verzehren. Eine unglaubliche Verblendung
war es , will der Verf. bier besooders hervorheben , dass die
Schafe auch jetzt noch wähnten , sie könnten bei jenen Gewalt¬
habern , bei Heideo Scbutz oder doch Milde fioden. Die ,, Jun¬
gen" aber, die wirklich Gutt Getreuen und Entschiedenen, weh-
Idagten (sei es nun über den Stumpfsinn der Masse, oder über den
Frevel der Heiden, den sie vor Augen sahen). Aber sie „schrieen"
auch , sie erhoben Kriegsgeschrei , wie das Folgende zeigt.
Der Gegensatz ist also, dass die Alten ,, schwiegen", nicht mit¬
schrieen iJPZ,^^^^'.) j ungeachtet aller von jeher vorgegang-
ner Misshandlung durch die Rauhvögel —; die Juogeo dagegeo
„schrieen", wie es sich verstand und gerecht war').
Diesen Sinn gestatten die Worte. Dass sie iho aber for-
dero, das, glaube ich, zeigt auch der Zusammenhang mit dem
ganzen Abschnitt vorher (bei Dillmann c. 90, v. 6—10, hei
Hofl'm. c. 89, 8-l.'>).
li) Hier stossen wir (v. 10) vor Allem auf jenen Ausdruck,
der nicht hlos dndorcli «nerkwürdig ist, dass er in dem frübern
äthiop. Wörterbuche fehlte, sondern der auch tief eingreift in das
Verständniss der ganzen Symbolik des Verfassers. Dillmann bat
gezeigt, dass die .^fLA^I hier, wie der J^fL A I v. 14.
16. 31 ,, Junge" oder ,, Junges männlicbeo Geschlechtes" voo klei-
oem Vieh, von ]t<x bezeichneo, wie es denn hier mit den „Läm¬
mern" (v. 6 fg.) parallel steht und im Amharischen däbdl „catu-
lus" hedeutet. Nur weiss ich nicht, warum das etwas Verscbie¬
denes von andern (voo I^awreoce alleio beachteten) Stellen ent¬
hielte, wo dabela dem griechischeo rgäyog entspricht, und warum
D. die allgemeine Uebersetzung „Junges" und „Junge" K'enügend
gefunden hat. Man soll das männliche Geschlecht zudenken, sagt
Dillmann indem Commentar, aber man hat noch viel mehr hinzu¬
zudenken. Es kommt darauf an, das Verhältniss dieser dabelat
zn den ,, Schafen" und „Lämmern" genügender zu erfassen. Es
war ein erfreulicher Gewinn , dass Dillmann die frühere Ueber¬
setzung, die Hoffmann vorschlug, Gfrörer acceptirte, ,, Ocbsen"
(boves) aufgehoben hat'). Diese Version war direct sinnentstel-
1) leb weiss auch nicht, warum Dillmann das JPZjP^^^ l (tacere,
silere nach Ludoir) so vag übersetzt „sie blieben ruhig". Es ist der Ge¬
gensatz vom „scbreien".
2) Nur kann ieb mich nocb nicht davon trennen, dass Säfialit, worauf Hoffmann zurückging, nicht docb zu vergleichen sei. In Sa/ttilti, SäfiaXig und was noeh weiter bei Griechen selbst vorkommt o SafiaXrji und Säftaloe liegt ja von Haus aus nicht die Beziehung auf das Stiergeschlecht , soodern
lend. Denn der Stier ist für unsern Scliriftgelelirten Symbol für
ein königliches Haupt , ood kommt nach solcheo Grössen des
j\. 'I\ wie Nouh und Abraham nur dem König des Guttesreicbes,
deui Messius zu, der unter den , über den letzten Feiud siegreich
gewordenen Schafen uls ,, weisser Furre" geboren wird (90, 37).
Warum solleo wir uun nicht für dus voo diesem Symbol Ver¬
schiedene Das geben, wus Ftyinnlogie , nller Sprachgebrauch
und der Zusaniinenliang des Verfassers selbst verlangt, wenn wir
auch im Deutsclien kein einfuclies Wort dafür habend Der catu-
lus von Scliaf-\ ieh ist der ipdyog, uur niclit vom Ziegengeschlecht,
nicht ,,der Ziegenbock", wie Lawrence wollte, um so auf den
Ziegenbock des Duiiiel-Buclies (8, 5), also auf Ale.xaoder den
Grosseu zu kommen. Der dabela ist „der junge Widder".
Dies .Symbol ist allerdiogs wesentlich gleich, wie Dill¬
maun gauz förderlich hervorgehoben hat, mit dem des Lumnies.
Ueide bezeichneo eio junges Geschlecht von Gott getreueo Judeo.
So weit fulleo „junge Widder" uud die ,, Ijäniiner" in dieselbe
Kategorie, zu welcher die ,, weissen Schüfe" (90, 6) gehören.
Denn unter dieseu siod die frommen Juden verstanden, die oicht
blos Goltverelirer (Schafe) überhaupt sind, soodern auch fest an
der jüdischen Sitte und so weit uo ihrem Gott hulteo. Es siud
die Cbasidim oder mit einem Furtei-Nunieu bezeicbnet, die Phari¬
säisch gesinnten Joden, im Gegeosatz zu „den Schafen des Fel¬
des", die sich unter Heiden mischen, mit Heiden und ihnen ge¬
mäss leben, also zu den wild gewordeoeo oder .Sadducäischeo
Juden. Die jungen Schafe uher, sowohl die dabelat als die
inalise, sind etwus mehr als blos „weisse Sebafe", mehr als io
der Sitte treu, sie siud auch entschieden oder reio Treue,
die für Guttes Sache eifrigeo Judeo, die deoo auch nur uuf
Gott und seinen .Schutz bauen, voo keinerlei Verbindung mit
den Heideo, von keinem Bund mit Heiden-Reichen, von keinem
Verlass auf ihre Hülfe etwus wissen wollen. Denn das thaten
auch die weissen .Schafe, die Cbasidim, die ersten RUckkehrenden
schoo (98, 73) wie die Spätero deo Lämmero gegenüber in der
äussersten Verblendung (90, 6 fg.). Das junge aus den weissen
Schafen geboroe Geschlecht uinfusst mit einem Wort die Eiferer
unter den Gott-Getreoeu , die CrjXuitul , die mit jugendlicher Ein¬
falt des Herzens und des Strebens rein Gott dieoeo, ihm alleio
ergeheo seio wolleo. Parteiisch ausgesprochen sind es die Ze¬
loten der Pharisäischen oder „weisseo" Seite, und soferu sie
sich in der Chaburn zusammengeschlossen hatten, die Chabe¬
rim '). In der That haben wir in dieser ,, Genossenschaft" eine
.4rt „Treu- uod Tugeod"-Bund , wie von eioem solchen ja auch
ilerseihe .Sinn des jrwAoe, des jnngen Thiers. Warum sollle dahela nicht mit Sa/iiiltii zusammenhängen ?
1) Vgl. Graetz, Geschichte des Judenthums Bd. IV. S. 84 f.
O'i Volkmar, Beiträge zur Erklärung des Buches Henoch,
unsere deutsclien Freiheitskriege gegen die Frenidlierrschafl her¬
vorgegangen sind.
Die Krörterung, bez. genauere Fassung des einen Terminus
oder Symbols onserer .Schrift fülirt geraden .Schrittes dazu, den
.Sinn und die Tendenz ihres Verfassers selbst näher zu erfassen.
Er ist im Allgemeinen auf Seite der ,, weissen Schafe", der Pha¬
risäischen, aber auch nur so im Allgenieineii. Er steht näher
auf der Seite ,,Jutig-lsrai>ls", das er mit seinem „jungeo Schaf"
bezeichii t; er gehört mit zu den Zeloten seiner Zeit, oder wie
er io seinem Bild sagt, zu den Lämmern und jungen Widdern".
Der Unterschied zwischen mabse und dabela ist our der,
dass die I.iäminer obwohl aoch männlichen Gescblecbts uoch zar¬
ter, schwächer sind , die dabelat schon wehrhafter ibre Hörner
zeigen. Der Verf. giebt auch, sobald dies eine Wort genauer
als bisher erfasst ist, selbst eine ganz richtige Folge, lo der
Periode, io welcher überliau|it zuerst eine solche Entschieden¬
heit der Treuem der Cbasidim hervortrat, mit keiuer Heiden¬
macht mehr Bund zu haben, werdeo ( v. 6) aus ,,deo weisseo
Schafeo kleine Lämmer" geboren. Sie sind hier ausdrück¬
lich „klein" genannt, weil noch ohne alles Horn, nur mit der
treuen Einfalt oder ihrem Vertrauen rein uuf Gott ausgerüstet.
Dann (v. 8) ,,wachsen jenen Lämmern die Hörner". Und
endlich stehen die Höruer ebenderselben Lämmer hoch geoug
hervor, (v. 10) als ein ,, grosses Horn" da. Lämmer können
sie desshalb nicbt mehr gut heissen, ,,Jung" sind und bleiben
sie zwar, desselben reinen, einfältigen Herzens wie voo Aofang;
aber sie haben bei aller,lugend des Herzens männliche
Wehrkrnft, sie siod oun vollends kumpffäliig, stark
geoug um mit sicherm Erfolg deu heidnischen Heeren die Stirn
zu bieten. Dus ist der specifische Begriff, den der Verf. so
sinnig und scbarf zugleich mit seinen ,,j ungen Widdern" ver¬
bindet'). Es ist Jung-Israel in voller Wehrkraft, und
der dabela ist der Führer der streitbaren Chebura,
selbst durch ,,das grosse Horn" gekennzeichnet.
Dillmann hat in Folge seiner, obwohl fast selbstbewusst,
ungenauen vagen Fassung des für den ganzen Text wichtigen
Symbols dasselbe dabela, wo es zuletzt vorkommt (v. 31), auch
ganz irrig gedeutet, wie mir scheint. Nachdem ,, das grosse
Horn" völlig den Sieg errungen bat mit Gottes alloiächtiger Hülfe
und nun das Gericht Uber alle Gottesfeinde gehalten werden soll,
I) Da.s griech. Original für den ülhiopiscben Text hat wohl iQnyot veoa geboten und der älhiop. L'eberselzer hal Lebersicbl und Sinn genug gebabt,
dafür nicbt I gebrauchen , was den Ziegenbock ausdrücken
wiinle, sondern sein ^|^iY J zu wählen, den Zusammenhang mit den Läm¬
mern und Sebafen fesl/.iihalleii. Wer bürgt ,nher, dass das Original nicht 'Iis gut (;riccbische SäftdXot geboten habe?
da sagt Uenoch: „da nahmen mich die drei Weissgekleideten
(Engel), die mich zuvor hinaufgebracht hatten, an meiner Hand,
und indem micb die Haud ,, jenes Jungen" fasste, brachten sie
mich hinauf io Mitte jener Schafe". Dillmann bat durch die
eigne llehersetzung verleitet den Unterschied des dabela (ipojoff)
vom mahse {ü/.ir6g) so völlig ausser Augen verloreo, dass er sein
„Juoges" mit deo I..äuimern ganz identificirt, wobei er auch spä¬
ter (S. XL\'III) bleibt. Elias ist nun ein so treuer und zugleich
flir Gott eifernder Israelit gewesen , dass er wohl als eio erstes
der ,, Lämmer" (ein heiliges Vorbild des rechten fjyXo^TjJf) gelten
könote. Der Verf. hat io seiner geschichtlicheo Uebersicht (89, 52)
die Auffahrt des über die untreuen Schafe schreienden , voo ihoen
verfolgteo Propheteo so erwähnt: „der Herr der Schafe rettete
dies treue Schaf aus ihrer Mitte, aus ihrer Hand uud holte es
zu mir herauf und liess es da wohoen". Nun glaubt Dillmano,
Henoch sei als ,,ein Seliger" zu der beilig gewordenen Gemeinde
Israöls herabgestiegen. Desshalb hätte ihm ausser deo Engeln
auch ,, jenes Junge oder Lamm" die Hand gereicht. Der Sinn
des merkwürdigen Passus soll also der seio, duss „die Seligen
überbaupt uud die Engel" mit iu der .Messias-Gemeinde des Israe¬
liten lebten. Dieser Gedanke ist zwar von dem Verf. nicbt aus¬
gescblosseo, aber in diesem jüdischen Uuche nirgends (auch 71, 16
niclit direct) ansgesprochen. Jedenfalls kann schon dem äusser-
lichsteo Zusammenhang nach ,, jener junge Widder" nur auf den
kurz vorher geoannten, auch im ganzeu Uuch allein so charak¬
teristisch Oller siogulär geoannten dabela v. 14. 16, zurückgehen.
Näher zugcselin ist Elias auch nicht einmal „ein Lamm" in dem
scharfen Sinne des Uuehes. Dazu gehört unserm Eiferer thät-
I ich es Eifern, Losgelio auf die heidnische Macht. Elias war
nur ein Eiferer mit der Schärfe des Wortes. Durchaus aber ist
er nicht ein „junger Widder", deoo er konnte keine Hör¬
ner zeigen : er ist kein kriegsgerüsteter Streiter.
Dass Henoch an der Hand des ,, jungen Widders" hinaufsteigt in
die Mitte der weiss gewordenen Sebafe, zu denen nun auch die
Heiden-Thiere in Sebafe omgewaodelt gehören, muss einen ganz
andern Sinn haben. Henoch gilt io dem Uuche auch nicht etwa
als einer der Seligen so im Allgemeioen , soodero er ist hier
specifisch der propheta summus (wie schoo Philo sagte), der
Träger der Gesammt-Weissagung von Anbeginn der Welt an, der
die ewige göttliche Vorausbestimmung der Vernichtung alles Ab¬
falles von Gott verzeichnet (in diesem Uuche). Durch die Hand
des jungen Widders oder durch dessen Sieg iu dem letzten ent¬
scheidenden Kampfe ist nun in der sichern HoflPoung dieses be-
geisterteo Anhäogers jeoe Weissagung so weit in Erfüllung ge¬
gangen, dass das Gericht über alle Gottes-Feindschaft, auch über
den Ur-Abfall von Gott ( c. 3 fg.) erfolgeo kaon und erfolgt
(c. 90, 20 fg.). Das Gesichtehaben (durch dies Buch seihst
94 Volkmar, Ueilräge zur Erklüiung des Buches Heuuck.
Ilio) Ii at nun ein Ende: die Zeit des niitAugen Sehens
ist h e r h e i g e k h ni in e n. Das heisst in dieser Spruche: der
einst zu Gott entrückte Seher steigt nuo hernieder uod ao der
Hand des Helden selbst, der deo Endsieg und so die Erfülloiig
von Allem, die Messias-Zeit lierbeigeführt bat, geht er hinauf
zu den Höhen Jerusalems, dass er nun sehe die Erfüllung von
Allem, was er geschaut hat im Geiste, sehe dns Gericht sich
vollziehen ').
Es giebt für uosern Verf. ,, Lämmer" seioes Siooes (Zeloten,
wie die Andern sagten) nur io der allerletzten Periode der Un¬
terdrückung durch die Heideo, uod our ,, d e n jungen Widder"
und die von ihm Geführten, zu dereu heiligem krieg gegen die
Heiden, kurz deren Rebellion er ganz Israel aufrufen will,
durch unsern Abschnitt am olfeiisteu , zu desseo Context wir uun
übergehen könneu.
III) Bleiben wir für jetzt bei dem nächsten Zusammenhang
des Satzes selbst steben, den Dillniann doch wohl durchweg un¬
richtig verdeutscht hat. \orao steht (bei ihm 9a —10, bei H.
89, 13—16), wie ich abtheile, dies:
V. 10 Et vidi, donec magnuin cornu provenit, una de ovibus, el
oculi earum uperti sunt: et illu respexit has, et oculi eariiiii
aperti sunt! v. 1 1 Et conclainabat ad oves, et liirci ju-
venes videntes coocurrerunt cuncti ad eam :
— dies but bisher eine seltsame Tautologie gedünkt, scheiot es
mir aber gar nicbt, sobald mao nur den folgendeo obeo zuerst
erörterteo Satz richtig erfasst bat —
V. 12 et i|uaiiiquum aquilae ... oves laceraverant hucusque eas¬
que devoraverant, tameo oves silebant: sed arietes juveoes
lamentaliantur et clainubunt.
„Sehend" waren die ulten Schafe endlich geworden, von seihst
Schoo, über den Frevel der vor ihren Augeo vorging (v. 10 a),
und als der junge Widder hervortrat und sie anblickte, alse
gleichsam mit ibnen darüber Blicke wechselte, zeigten sie sich
auch sehend, erkannten den Frevel und seine Folgen wohl (v. 10 b).
1) Damit erledigt sieb aucb der Ansloss, den Dillinann an dem Aus¬
druck nimmt ,,die Kngel nahmen mich zur Hand (vom Himmel ber), und du micb die Hand des jungen Widders fasste, brachten sie mich hinauf in die Mitle der Schafe". I). möchte, und muss sogar bei seinem Verstehen des
„Jungen" erwarten binab". Die richtige Fassung- des dabela-Syinbols lebri das (iegenlbeil. Denn der ,, junge Widder" isl der Krieger für Gottes Saehe auf F.rden, steht als Hort Jerusalems da. Als nun die Engel den Seher hringen — natürlich und selbstverständlich hernieder — da isl es an iliin, den .Seher „hinauf" zu fiihren (d. b. doeh naeb Jeru.salem) , wenn aucb von den Engeln umgeben, dass er nun sehe die Erfüllung von Allem, das Ge- riehl. (Dessbalb steht auch ausdrücklich dabei ,, hinauf in die Mitte der Schafe, bevor das Gericht geschah", woran man so viel Ansloss ge¬
nommen hal.)
Als er aber zu alleu Schafen auch schrie, sie aufrief zum uffneu
Widerstand (v. IIa): du waren es wohl die andern jungen Wid¬
der, die mit lautem Welicruf antworteten, in das Kriegsgeschrei
mit ihm einstimmten, sich an ibn (ad eum) sofort anschlössen
(coocurrerunt) wie ein Mann (cuncti). Die ulten .Schafe dagegen
autworteteo , entsprachen dem Aufrufe zu deo Waffeo doch oicht,
„schrieen nicht mit" ( v. 12). Obwohl sie ,, sehend" gewordeo
wareo (v. 10), uud obwohl sie voo jeher die bittersten Erfabrun-
geo gemucht hatten (v. II), schwiegen sie dennoch (v. 12).
Dieser Zusamiueubaog lässt wohl keinen Zweifel mebr dar¬
über, wie V. 12 (bei Dillm. v. 11) zu verstehen, dass er keinen
neuen, weitern Vorgang erzählen will, soodero unr hervorheben,
wie unbegreiflich es war, dass der einstimmigeo Theil¬
oahme aller Entschiedeneo so viele, der Sitte uach gaoz richtige,
(pharisäisch) fromme Judeo sich nicht ebeoso bald und entschieden
der Empörung angeschlosseo habeo. — Freilich wird die Eiosicht
in diesen richtigeo Zusammenhang uud sinnvollen Fortschritt nicht
hlos durcb die Uebersetzung Dillmanu's, sondern auch durch die
(vou ihm selbst herrührende) Abtbeilung in Verse, Sätze und
Glieder völlig verwirrt. Er giebt dies :
V. 9 b ..; uud [stutt: Uud] ich sab bis ein grosses Horn hervor¬
sprosste, eines voo jeneu Schufen und ibre Augen ge-
V. 10 öffoet wurdeu. [So statt:] Und es sah nuch ihneo uud
ihre Augeu tbatcu sich auf; [.So statt.] und es schrie zu
den Schafen , und die Jungen sahen es [richtiger sehend]
V. 11 liefen ihm alle zu. [So statt:] Und wäbrend [!] alle dem
zerrissen jene Adler u. s. f. die Schafe noch immer fort [!]
... und die Schafe blieben ruhig [oeiu, sie sclirieeo nur
nicht , waren im Herzen unruhig genug] , uod [aber] die
Juogeo wehklagten und sclirieeo.
Der Gegeosatz soll doch lediglich der seio: die Augeu der Schafe
wareo wohl aufgegangen (v. 10 d. h. bei D. 9 b u. 10): aber auf
den Zuruf des grosseo Führers aotworteten nur die juogeo Wid¬
der, die ,, ältero", wenn auch ,, weiss " sich dünkenden Juden
scblossen sich dem Aufruhr nicbt un ,, trotz alle dem" ( v. 12,
hei mir, v. 11, bei D.).
IV) Es fragt sich hier noch, was liubeo wir oäher zu dem
,, dennoch schwiegen die Schüfe", wus durch deo Zusaminenliung
resultirt, hinzuzudenken^ Es könute widersprechend scheinen:
,,ihre Augen wuren geöffnet", sie hatten volle Einsicht (v. 10),
und doch waren sie trotz aller bittern Erfahrung nuch s« ver¬
blendet ( V. 12): wie sie denn nachher (v. 20) ausdrücklich die
„verblendeten Schafe" heisseo.
Dies fülirt auf den Anfang des gunzen Abschnittes (v. öfg.)
der unserm Schlüsse genuu correspondirt, was Dillmanii uueh
nicht bemerkt hut, Hund in Hand mit der Entstellung des Schluss-
7 «
96 Volkmar, BeUräge zur Erklärung des Buches Henoch.
Satzes durch falsche Uebersetzung', des Vorangehenden durch so
falscbe Gliederung, freilich auch mit der Aufi'ussi.ng des Gaozen,
welche nur in den Text trageo musste, ihn nicht in seiner Glie¬
derung sich selbst uussprechen liess.
Der Text des correspondirenden Anfangs ist dieser:
V. 6 Et parti sunt agni parvi de ovibus illis albis: et cocpe-
V. 7 root oculos aperire et videre, et ad oves clamare. Sed
oves 000 couclamarunt ad eos oeque audiebant, quod illi
i sis dicebant: sed surdae erant quam maxime, et oculi
earum coeci erant admodum et immodice.
Hier ist das GegeostUck zu dem spätero Vorgang. Im Anfang
der letzteu Periode der gesammteo Uoterdrückungszeit von Nebu¬
kadnezar an ( c. 89, 72. H. c. 88, ilOf. ), im Beginne zwölf
neuer, der letzten Hirten, wie der Verf. sicher hofft (c. 90, 17.
H. 89, V. 25), ward es anders, als früher, will er hier sagen.
Unter alleo vorigen Hirteo wareo sämmtliche Schafe, auch
die bessero (die weisseo) wie bliod uud taub. Blind darüber,
dass von Heiden-Herrschern Schutz für Palästioa uie zu erwarten
ist, soodero nur Missbandlung uod Ausbeutung durch sie dir
Folge seio muss; taub gegen alle Warnungen uud Webe-Rufe der
Propheteo Gottes, so oft die Schafe so Gottvergessen wareu,
mit Ueiden sicb zu verbünden (89, 51 fg. 74 fg.).
Erst im Begioo der 12 (sicher) letzteo Hirteo oder letzteo
Periode der Heideoberrschaft über Palästiua wird es anders. Da
treten ,, Sehende" hervor, die eben damit auch Kriegs-,,Geschrei"
erheben gegeu die Heidcumacht (v. 6). Es wur dus Geschlecht
jeuer ,, Lämmer" oder gegeo jede Heideo-Beherrschung Entschie¬
deneo, das jetzt (v. 9 b fg.J io deo ,, juugen Widdern" auch völlig
wehrfähig gewordeo isl, mit gereifter Krafl rebellirt bat.
Die andern Juden, auch die ,, Frommeo " (Cbasidim), die
weissen Sebafe, wareo uoch über die Massen bliod und taub
(v. 7). Sie glaubteu , auch io eineoi uufreieu Palästiua könne
es noch Scliutz für ihre .Sitten und ihren Tempel geben. Sie
waren blind darUber, dass der Götzcodienst den Gottesdienst,
dieser jeoen ausschliesst, dass es keinen Bund Israels mit Heiden
geben könue, soweit gleich wie Alle vorher (89, 51 fg. 74 fg.),
und taub sowohl gegen der Projibeteo Muhouogeo wie jene, als
gegen den neu erschallenden Zuruf. Sie hörten daher nicht auf
den Ruf zu den Waft'en , den die Treuen erhoben, als Palästina
io deo vorher geschilderten (v. 4) jämmerlich kläglichen Zustand
mit durch die .\ii\er gebracht war, dass es dastand wie ein Ge¬
rippe, oder vielmehr ,,ani Boden lag", um alle Selbstständigkeit gebracht.
Jetzt (v. 10 f. 1 endlich war (durch einen besoodero Frevel,
den jeder sah und deo der Verf. deu Lebenden nicbt zu nennen
brauchte) Jedem die Binde von den Augen gefallen, dass von
den Adlern o. s. f. her nicht einmal .Schutz für ihr jüdisches
Wesen, duss im Frieden mit Heiden nie eine Wiederlierstellung
Jerusalems zu erwarten sei. Docli liolften sie wenigstens noch
auf Milde, auf Schonung von den fremden Gewalthabern ,, quan¬
tumvis aquilae illae ... oves Judaeae usque ad hoc tempus lace¬
raverant et devoraverant". Voo Aofaog ao, wo „die Adler,
Weiheo, Geier und Raben, unter der Adler F'ührung " (9ü, 2)
eingetreten waren , (accedentes) in Palästina eindringend (v. 2),
in der ganzeu Zeit seit den 37 ersten Hirten (v. 1) bis hierher,
his zu dem letzten der 12 letzten (v. H), waren sie stets nur
„lacerati" (gemisshandelt, bis aufs Blut) et devorati ausgebeutet).
Das sollte sie schon mahnen, sich mit „Blut" und „Gut" für ein
freies Jerusalem zu erbeben. Trotz alle der Erfahrung waren
sie also noch so verbleodet , auf Schoo oog von demselben
Feind zu hoifeo, blieheo daher „taub" wie früher gegeo deo
,,Ruf" der Eutschiedenen, schwiegen, scblosseo sich nicbt au,
als diese siegesfähig das Kriegsgeschrei erhobeo hatten.
Hiermit waren aber auch „die Sebafe" insgemein, auch die
noch weiss scheinenden Verräther an Gottes h. Sache gewor¬
den. Beide Classen voo Schafeo, die ,, weisseo" (v. 6) uod die
völlig verwilderten , mit den Adlern u. s. f. gemeinsame Sache
macheoden ,,. Schafe des F'eldes" ( v. 16) gehören jetzt, dieser
heiligen Erhebuog gegenüber, in Eiue Classe der voo Gott Ab-
gefalleneu, deneu das Feuer der Hölle bestimmt ist wie dem
ürabfall von Gott (v. 20—27).
So hat der ganze Abschnitt seinen völlig klareo Fortschritt,
und danach wird nun wohl jeder Zweifel dagegeo wegfallen,
dass der Scbluss (v. 11) so zu Ubersetzen, das Voraogebeode
so zu gliedern war, wie geschehn.
Zugleich wird wohl eioleuchten , wie geuau die Andeutungen
des Verf., dem seine Hülle diese Bildersprache und Kürze auf¬
dringt , zu fassen sind , wie specifisch die Symbole sind , die er
hat und festhält: clamare immer Kriegsgeschrei erheben, silere
nicht dem Aufstand sich aoschliesseo ; oculi aperti, videntes, ein¬
sehen, dass der Gottesverehrer nur unterdrückt wird, weoo er
sich mit Heideo verbiodet, sie im Lande duldet'); lacerari ge¬
misshandelt, devorari , ausgebeutet werden.
Dies Letztere jed ch kann nur durch das Ganze seine nähere
Bewährung finden. Dagegen wünschte icb sehr, von dem ein¬
sichtigen Leser möglichst schon vor eioer weitern Ausführung
die hier begoooene Erörteruog über jeoe voraogestellten Mo¬
mente des für den Ursprung des Buches entscheidenden Ab¬
schnittes oäher geprüft zu sehen.
Nach der gegebenen F'assung scheint mir der ganze Ab-
1) Dies sagt mit seinem Gegensalz coecns überall dasselbe aus , obne dass ausgescblosseo ist, dass man mit so weil geölfneten Augen nicbt doch nocb weiter verblendet wäre,
Bd. XIV. 7
98 Volkmar, Beilräge zur Erklärung des Buches Henoch.
schnitt des wichtigen Buches his ins kleinste Detail sinnvoll, und
der äthiopische Text selbst eioe höchst treue Wiedergabe sei¬
oes griechischeo Originals , was ja auch Dillinann durch das
Ganze hin bewährt gefuodeo hat. So aber scheinen mir auch
die heiden Textänderungen, die er dessenungeachtet vorschlagen
möchte, oicht hlos unnöthig, soodern nach äussern und innern
Kriterien unmöglich ; nur Folge jener vorgefassten Ansicht
voo der Entstebuog des Buches Uberhaupt. Er will nämlicb
89, 72 das r (y) aller Haudschriften in ß (ß) verwandeln: es
solleo oach ibm nur 2 Schafe Tempel wiederherstellend zurück¬
kehren. Ich glaube, dass der Verf. sehr absichtlich 3 sagt, den
Leser zu mahnen, was er unter den „70" Hirten, bezieh, den
12 ersten verstehe. Und liesse sich auch denken, dass die codd.
sämmtlich gerade das ,, leichtere" ß verkehrt hätteo I Ebenso
bemerkt Dillmano (Ann. p. 30) zu 90, 1, wo diese Zahl vor¬
kommt IQ CD i „k' et ^": iocertum, utruin "X (T) an 2 (?')
legendum sit. Er will ,,36" leseu, und setzt das sogar — gegen
alle codd. — in der Uebersetzung voran (37 nur iu Pareothese).
Deun er möcbte gern 35 Hirten statt 37 habeu, die allerdings
aulfallend vortreteo, aber icb glaube wieder der Absiebt des Ver¬
fassers ganz gemäss, die eioleuchtet, sobald man nur allen an¬
dern Winken des Buches folgt. Könnte auch nur das gewünschte
IQ (D Jbs et t') die Grundlage seio, aus der sämmtliche codd.
zu ihrem einmüthigen [Q (J) "J. gelangt wären ^ Mir scheint in
diesen Versuchen, den sichern Text zu brechen, nur das Ge¬
ständniss zu liegen, dass die bisherige Auffassung des ganzen
Buches unhaltbar ist, die Dillmann so unverdrossen und gewiss
am ernstesten unter Alleu durchzuführen gesucht hat. Vielleicht
liest sich seine Entstehungszeit schoo aus dem obeo Erörterten.
Im Folgenden soll nun das Nähere dargelegt werden.
IL
Niemand findet sich verletzt , wenn Aao den neutestament¬
lichen Brief Judae Jacobi, der ( v. 14 f.) uoser Heoocb-Boch
als eioe wirkliche Prophetie aos der Urzeit beoutzt, schoo dess¬
halb für eio späteres Mabowort erklärt. Die alte Kirche ist ja
soweit seihst im Widerspruch mit sich, weon sie eioerseits das
Buch Henoch pseudepigraph oder apokryph gefuodeo hat, da¬
gegeo den darauf sich berufenden Brief allmäblig kanooisirte ').
I) Zuersl isl er vuu deui Kanon Muratori's aufgeführt, e. 170 n. Chr., worüber C. A. Credner's Nacblass demnächst, wie ich holfe, volles Lichl verbreilen wird.
Man würde auch wolil zufriedeo selo, weno das jüdische, uur
christlich überarbeitete Buch wenig-stens schon laugst vor dem
Cbristenthum vorbandeo, allgemeio harmlos biogenommeo und so
von unserm Christen mitbenutzt wäre. Dies ist auch der iooere,
wir werden seben, der einzige Gruod, warum mao das jüdische
Buch vorchristlich hobeo, also auf die Maccabäer deuteo will.
Aucb das würde oicht verletzeo, wenn es in der römischen Epoche
entstandeo wäre, aber dano auch einen Christeu zum Verfasser
hätte, der den andern so aozieheo konnte. Aber hart klingt es
schoo, weon das Henoch-Buch erst iu der Bar-Cocliba-Zeit eot¬
standeo, der Judas-Brief also noch spätern Datums sein soll.
Wie aber, wenn man es aussprechen muss, diese Prophetie, die
jener Brief als göttliche Eingebung preist, hat ihrem Grundbe¬
stand nach nicbt blos eioeo schroff-jüdischeo, soodern einen direct
widerchristlichen Ursprung? Sie stammt zwar nicht von R, Aki-
ba's Hand, aber doch aus desseo Kreis, der das Kreuz ver-
wüoscbt , das Leseo christlicher Schriften als gottlos verboteo
hat ') uod die treuen Bekenner Christi , welche dem falschen
Messias nicht folgeo wollten, geisselo liess ')? Diese Apokalypse
hat keioeo aodero Sioo , als zur entschiedeoeo Theiloahme an
Bar Cocbba's Sache lebendig aufzufordern? Die Worte unseres
N. T.'s, des Judas-Briefes ( v. 14 f.) siod, weoo die folgende
Darleguog sich als richtig bewäjirt, von eioem feurigen Anhänger
des Pseudo- oder Aoti-Messias, sei es nun R. .Simon ben Jochai
oder beo Azai ? Nur über dies Eioe kann man, so weit ich finde,
noch zweifelhaft sein, seitdem der aothentische Text dieser Pro-
clamatioo Akiba's, om das Resultat so kurz zu fassen, uns zu¬
gänglich geworden ist.
Redeo wir nicht vorher davoo, welch ein Fanatismus diese
Schrift durchdringt, der auch dem Frömmsten das Feuei; der Hölle
droht, wenn er nicht dem .4ofstaode sicb aoscbliesse (90, 20 fg.)
gaoz eotsprecheod jeoer Zeit der verzweifeltsten Erhebung, —
der sogar alles Opfer des zweiteu Tempels als unrein verwirft,
weil dieser unter heidnischer Botmässigkeit, mit Heidenhülfe er¬
richtet war (89, 72 f.), nur begreiflich, seitdem dieser Tempel
gebrochen war von Heiden, wie eiost voo Heideo initerbaut, —
auch nicht von den nahen Berührungen dieses Buches der Stern-
und Geistergeheimnisse mit dem Anfange der Kabbala in dem
Buche Jezirah , welches seiner Grundlage nach gleichfalls auf
Akiba's Halaeha hinweist '}, ebeuso weoig von der höchst aus¬
gebildeten Eogel- und Dämoneolehre, die vor dem 2ten Jahrb.
1) Sanhedr. X, 1, was Jost Gesch. d. Jud. 1858. II, S. (i3 allzu vag iiussprichl.
2) Vgl. Justin. M. Apoi. I, c. 31.
3) Vgl. Bayle Diel. crit. I, 123 sq. Fabricius Cod. Pseiid. V. T. I,
•in Sil.
7 *
100 Volkmar, Beilräge zur Erklärung des Bxiches Uenoch.
niclit Ditcliweigjjiir ist, oder voo monclien eigentliUinlichen Annülie-
ruDgeo an christliclic Aiiscliaoungeo jener Zeit auch in der offeo¬
bar, ja schroff jüdischen Grundlage der äthiopischen Gestalt.
Weoo wir oichts wüssten , so würde der Text der Zeitgeschichte,
welche der Verf. des Grundbestandes erzählt, schoo allein genü¬
gen, um auszuschliessen jeden Gedanken au eine andere Ent-
bteliung dieser jüdischen Nachbildung des Daniel-Buches als aus
dem ersten Jahre der Bar-Cochba-Erhebung (132 n. Chr.), un¬
mittelbar nach Akiba's Eintreten für den kühnen Führer der
Chebura.
Nachdem der Verf die Tiefen der göttlichen Weisheit io
der ganzen Schöpfung „des Herro der Geister" eothüllt hat
( c. 71 fg.) überblickt er die Geschichte des Gottesvolkes von
Anbeginn bis zur Zerstörung Jerusalems und des Tempels , so¬
weit für Jedeo deutlich genug. Daoo ( c. 89, 71) begiont die
Periode der üotcrdrückung : es werdeo 70 Hirten berufen, denen
die Heerde zur .Strafe für ihren frühem Ungehorsam , zum Weiden
wie zum Ausbeuten überlassen wird. Doch sollen diese Heiden-
Herrscher auch oicht über Gebühr zerfleischeo uod aufzehren.
Der Herr hat eiu Einsehn dabei uod beruft Kiuen dazu. Buch
zu halteo iiber ulle Frevel jeoer Hirten, bis das Mass vull uud
dus Gericht über sie alle da sei. Dunn werden diese Hirteo in
das Feuer des Abgruods gestürzt (90, 17 fg.) unter besonderer
Hervorhebong „zwölf letzter Hirteo, welche viel mehr um-
gcbruclit buben als alle vorher" (90, 17. 22).
Schrieb der Verfasser im Bar-Cochbu-Krieg , so hat er mit
dieser .\ogube vollkommeo Recht. Ks siod von dem Augustus
uo , welcber 760 u. c. (6 n. Chr.) Judäa förmlich unterdrückte,
(zur Provinz machte und den Census einführte) bis Adrian gerude
12 Kuiserregierungeii zu zählen ; denn die drei in der Mittelzeit
(Gulba, Otho uud Vitellius) macheo Kiue Zwisclienregieruug von
drei Usurpatoren aus'). .4ucli das ist gaoz wabr, dass uoter
1) (ierade su hat auch ein Christ der Adriauischen Zeit die drei l'sur- paloreii-Kegierungen gerechnet zu Einer ßaaii.eia , um in Adrian das Ende geweissagt zu linden ( Kp. Bani. c. 4). Er erwartet die Pai usie nach der Joh. Apoc. mit dem rüclikehrendeii Nero und weiss hierfür einen Zug des Buches Daniel, von dem ,, kleinen Horn, welches drei andere verdrängte"
gellend zu machen. Consummata enim tentatio, sicut scriptum est, sicut Daniel dicit , adpropinquavit. Propter hoc eniin Dominus inlercidil tempora el dies, ul acceleret dileclus illius ad hereditateni suam. Dicil sie pro¬
pheta I Dan. 7, 7. sJ, ,,Kegna in terris decem regnabuni [i^fxn ßdoiltim], et rcsurget retro pusillus , qui deponel tres in anum". Die drei sind natür¬
lich für unsern Verfasser nacheinander zu denken, und zur ErHillung der 10 vorher ist der ersle Caesar mitzurechnen: I) Jul. Caes., Aug., Tih. —, '2i Caius, Claudius, Nero — .t) Das Interregnum der Drei und die drei Klavier. Die drei folgenden Nerva, Trajan, Adrian hilden durch Adoption Eine Dynastie von Dreien (Ires in unum), und diese soll von Nero nieder¬
gelegt Herden.
diesen Raiserregierung-en mehr Schafe der Heerde ums^ebracht
siüd als unter den frübern zusammengenommen: 1) Augustus hat
den Aufstand des Judus Galilaeus niederschlagen lassen, unter
Tiberius und Cajus gab cs viel Verfolgung und selbst Hinrich¬
tung, 2) Claudius war auch ein Verfolger, unter Nero aber und
dem Interregnum der rsurpatoren (64—69) ist das Blut der Ju¬
den in Strömen geflossen , 3) die drei Klavier galten nach dem
Sturz Domitian's (dem IV Ksra) gar als Häupter der Verrucbtheit ;
doch den Gipfel erreicbte das Blutbad 4) in der Dynastie des
Nerva: unter Trajao hat es furchtbare Juden-Metzeleien in Cyrene,
Cyprus, Alexandrien, Mesopotamien und Medieo gegebeo (Dio 68,
c. 32), und gleich im Anfang des Bur-Cocbba-Krieges hat der
Legat Adrian's in Palästina, T. Annius Rufus, fwgiudai u&göiog
uvdgwy ofjov xai nulSwv xai yvraixwv hinschlachten lassen (Kuseb.
IV, 6). Die verruchtesten werden auch die letzten sein, ond ist
Adrian gerade der I2te dieser völligen Unterdrücker, so wird
das Eude dieser Verrucbtheit da sein.
Doch unter Augustus kam es nur von Neuem zu förmlicher
Knechtung, uur zu einer letzten Periode der ganzeo UnterdrUk-
kung, die seit Nebukadnezar nicht aufgehört bat. Enthält diese
nicbt auch .Andeutungen , dass die 12 verderblichsten Herrscher
auch die letzten, Adrian der allerletzte sein werde, der zwölfte
unter ilinen, der letzte aller Heidenlierrsclier über das h. Land (
Er schildert diese Unterdrückungszeit seit Nebukuduezar zuerst
(89, V. .54—70) im Allgemeinen, dann (c. 89, 71—90, 14) durch¬
geht er sie im Kinzelnen.
A) 89, 54 fg. Posten vidi : domum Domioi ovium et turrem
eius (Jerusalem und den Tempel) dcrelinquebant , et prorsus de-
linquebant, et oculi earum erant coeci .. Kt eas tradidit io manus
leouum et tigrium et luporuoi et vulpium rapaciuin et omnium
hestiarum . . Kt vidi: illam domum earum et turrem earum reli-
qoit, et tradidit eas iu manus leonum , qui eas lacerareot et de-
vorareot. Et coepi vehementer clamare et Dominum ovium ioi-
plorure (v. 57).
Et vocavit 70 pastores et rejecit ilias oves, quas illi pasce-
reot, et dixit ad pastores eorumque ministros : quisque vestrum
abbioc pascitc oves et perficite, quodcunque jussero .. Aher sie
sollten auch nicbt mehr umbringen; darüher soll genau Buch ge¬
führt werden. Et vidi, donec illi pastores puscebuut suo tem¬
pore (v. 65). Et coeperunt plus interficere quam jussi eraot, et
relinquebunt io inuiius leonum. Et leoues et tigres devorarunt et
comedcruot maximum partem illaruin ovium et apri cum illis de-
vorabaot eas, et coocremarunt illam turrem et destruebant illam
domum: .. et (lostea oves oon amplius videre poteram , an illam
domum accederent (v. 67).
Hiermit ist der Anfang der Hirtenzeit lixirt, die Zerstörung
uod der Beginn des Exils, zugleich aogedeutet, dass die Hirten
102 Volkmar , Beilräge zur Erklärung des Buches Henoch.
von den die Juden direct Würgenden verschieden seien. Diese
sind wohl die Heere der Gewalthaber, verglichen mit räuberi¬
schen Bestien: die Löwen sind die Chaldäer, die Tiger, die mit
ihnen verbundenen Heere, die Kber die Nachbarvölker , besonders
die Kdomiter (nach 89, 12), welche an der Zerstörung Jerusa¬
lems Theil nahmen.
Et pastores eorumque ministri tradiderunt ilias oves omoibus
bestiis devoraodas, et quisque eorum accepit suo tempore nume-
rum earum definitum : ... et quisque eorum ioterfecit plures,
quam licuit: et ipse coepi plorare et lamentari de iis ovibus.
Doch wurde geoaues Bucb über diese Frevel geführt (v. 71).
Die Hirteo beginnen also mit der Zerstöruog Jerusalems zu
herrscheo , und betont ist zweimal (v. (>.'> : pascebant suo tempore,
V. 68: quisque accepit suo tempore), dass jeder der 70 Hirten
,, eine bestimmte Zeit" eiooimmt. Dies erinnert lebhaft an
die berühmte, auch dem Daniel-Buche zum Anhalt dienende Weis¬
sagung über die Dauer der Knechtschaft durch Nebukadnezar
(Jerem. 25, 11. 12): „Das Volk soll dem König voo Babel dienen
70 Jahre; wenn aber die 70 Jahre um siod, will ich den Köuig
voo Babel heimsucheo uod all sein Volk um seiner Missethat
willen." Hiermit war aber die Ankündigung des Strafgerichtes
über alle Könige verknüpft, weicbe über Israel je Gewalt ge¬
habt hatten (Jer. 25, 34 fg.): „Heulet ihr Hirten, und schreiet
ihr Gewaltigen über die Heerde; denn die Zeit ist hier, dass ihr
geschlachtet werdet und zerfallen müsst".
Die Weissagung des Jerem. war, wörtlich genommen, nicht
ganz erfüllt, auch der Versuch des Spätern (Daniel), die 70
Jahre der Uoterdrückuog als „Jahrwocheo" zu zählen zu je 7
Jahren, so dass das Gericht über die Heideo auf die Besiegung
lies Antiochus Epiphanes folge, war der Art nicht eingetroffeo.
Die Unterdrückung dauerte fort, uod hoffte man durch Bar Cochba
ihr Knde, so war jede der 70 Zeiten weiter ausgedehnt. Es lag
nun nichts näher, als jene beiden so oahe zusammeosteheodeo
Orakel (Jer. 25, 11 f. 34 f.) zusammenzufassen, also „siebenzig" zu
zählen, aber die ,, Hirten" selbst, welche endlich das Gericht
treffeo soll, so bestimmt zu finden. Diese sind also die Reprä-
seotanteo voo siebenzig Zeiten der Heiden gew alt über
die Heerde, ohoe dass im Allgemeinen an hestimmte Herrscher
und ihre Numen gedacht wird. Führt aber das Orakel des Jere¬
mia näher gefasst auf ,,70 Hirten" Zeiten , so ergiebt sich aus
der 10 io 70 selbst, wie aus der Natur der Sache bei Regie-
ruogs-Zeiten in einer längern Aufeinanderfolge , dass diese (über
die Daoielsche 7 Zahl hin) im Ganzen zu 10 Jahren zu denken
sind. Mit 10 Jahren und etwas darüber aber führt das
Orakel über das Kode der „70" Koechtscliafts-Zeiten und das
Gericht über alle die „Hirten" auf dieselbe Zeit der 12ten Kai-
scrregierung, Adrian's als des letzten unter allen: 700 Jahre seit
Nebukaduezar und etwuü darUber. Dies näher zu ermitteln ist die weitere Aufgabe.
B) Kü folgt alsbuld c. 89, 72 die Nacbweisung im Detail:
I) 89, 72 — 75.
Et statim vidi, quomodo pastores pascebant 12 Horas '): et
ecce 3 oves redibant. Et venerunt et accedentes coeperuut
restituere, quod de illa domo corruerat. Et apri impedie-
bant, quomious perficerent: sed denuo coeperunt aedificare et
exstruebaut illam turrem.
Die obeo (v. 65) erwäboteo Hirteo, die seit der Zerstörung Jeru¬
salems und des Tempels begannen, quisque suo tempore die Auf¬
sicht empfingen uod sich vergingen, füllten 12 Zeiten aus, binnen
welchen drei zurUckkehrten als die Wiederhersteller der zerfal¬
lenen Hütte, des Hauses (Jerusalem) und des Thurmes (des Tem¬
pels): nicht blos die heideo ersten Führer des Volkes uus der
Gefaogenschaft Serobbabel und Josua, sondern erfüllend der dritte
und grösste Wiederhersteller Esra -). Er kehrte 130 post Neb.
(458 V. Chr.) zurück : die zwölf ersteo Hirten-Zeiteo sind also
zu zähleo zu 10 Jahreo uod etwas darüber. Nacb 700
Jahren seit dem Beginne kommt das Ende der gaozeo Koeclit-
schaft so sicber, als der dritte „Wiederhersteller" die erste Pe¬
riode schliesst.
Zugleich mahnt diese erste Periode der Unterdrückung dass
wir nicht verzweifeln sollen, weno wir auch bisdahin (uoter Tra¬
jao und Adrian) verhindert wurdeo von deo Bestien, das Haus
wiederlierzustelleo. Trotz der schoo damals durch die heidni¬
schen Feiode (Esr. 3. 4. 5 Edomiter uud Samariter) wiederholten
Verhinderung, haben sie es docb aufgebaut das Haus und deo
Thurm; und gerade am Ende von 12 Zeiten seit der vollen Uo¬
terdrückuog ist der grosse Dritte erfüllend eingetreten. Wird
es jetzt (132 n. Chr.) nicht alsobald zur vollen Wiederherstellung
kommen — 130 Jahre seit der neuen vollen Knechtung (seit
6 n. Chr.)? 0-
1) j'lOJf'f'I ägas, gewiss in demselben Sinn als später (90, 5) ge¬
sagt wird ^HiJ*'!'! XQÖvovs.
2) In dem lianoniscben Bucb dieses IVamens ist zwar nur wenig Be¬
stimmtes von seiner wiederberstellenden Thätigkeit angegeben, die ohne Frage bedeutender und umfangreicher gewesen ist (vgl. E. Rödiger in Ersch u. Gruber Encyclop. Ser. I. Bd. .38. S. 169); für das spätere Rabbinen- Ibum galt er aber geradezu als der Restaurator. Im Besondern ruht auf der Vorslellung, dass er der grosse oder grössle Wiederhersteller des Tempels sei , die ganze Esra-Apokalypse.
,3) Dillinann (S. 269 f.) bat gut gezeigt, wie schon dieser Anfang der ganzen Detail-Schilderung, d. b. der Reebnung in dieser Apokalypse über¬
haupt bei ihrer Beziebung auf ein Ende vor Cbr. oder in der Makkabäer- Zeil , nicbl durchführbar ist, wenn nicbt der authentische Text ,, verbessert"
wird r (/) in g (fl).
104 Volkmar, Beiträge zur Erklärung des Buches Henoch.
V. 73b. Et vocahatur turris alta, et ineipiebant denuo mensain
apponere coram turri : sed omnis paois io ea erat macu-
latus et impurus.
V. 74. Et super omniu harom ovium oculi eraot coeci , ut non
viderent: et pariter pastores earum.
Eio so erfreuliebes Vorieicbeo der Zukunft die Wiederber¬
stellung des „Tempels" war, so ist diese docb niclit blos eine
schwache, sondern selbst eine verblendete gewesen. Dieser Tem¬
pel war nur ein ,, angeblicher " (vocabatur alta), nichts weniger
als gleich dem salomonischen (der eiue turris alta war), und dies
gaoze Opfer war keio Gottes würdiges, eio uoreioes. Denn
recht ist Tempeldienst nur iu eiuem freien, ringsum herrschenden
Jerusalem, wie zu Salomoo's Zeit. Der Neubau Jerusalems war
geboten, die Wiederherstellung der Sitte uod Ordnung gerecht
und ein Verdienst. .Aber der Neuhau des Tempels in jener Zeit
geschah ja im Buud mit Heiden (Cyrus, Darius, Artaxerxes),
unter ünterstützung derselben, die auch so blind [wie Adrian]
wähnten, so das Volk Gottes in Frieden erhalteo zu köooeo.
Die rechte Wiederherstellung kann nur Gott selbst gebeo durch
seioe Treuen allein, nach der volleo Befreiung, 'nach dem Ge¬
richt über die 70.
v. 74 b. Et oves [coecae] pastoribus tradebautur caedendae per-
multae, qui pedibus eas cooterebant et eas devorabaot.
v. 75 Et dominus ovium silebat, donec omnes oves io campum
dissipabaotur ') et cum iis [pastoribus] miscebautur, qui
eas 000 defendebant a potestate hestiarom.
Da alle Schafe, anch die hesteo, soost wohl verdienten wie
Esra, so verbleodet wareo, zu wähnen,'man könne Gott recht
dieoeo, wenn man ihm nicbt allein diene, so liess er es ruhig
geschehen, dass sie sich allgemein mit ihnen einliessen, mit den
Thieren „des Feldes", wie mit den Hirten, den Oberherren selbst;
sie gingen nach Aegypten, Medien, Mesopotamien, Syrien. Es
geschah ihnen Recht, dass sie wegen des Bundes mit Persien
voo Alexander dem Gr. „in grosser Zahl" umgebracht wurden,
und überall, wie vou Aotigonus , auch in Aegypten von Ptole¬
maeus Lagi misshandelt und ausgebeutet wurden.
V. 76. Et ille, qui librum scribebat, eum proferehat sursum ad
domicilia Domini, eumque moostrabat et legebat, et per-
orahat eum dc iis et contestabatur de omoibus pastoribus.
V. 77. Et prehendit librum, seposuit eum apud illum et abiit.
Gott liess zwar ruhig geschehen, da es die Schafe nicht anders
wollteo , dass sie von den Herrschern , denen sie sich anvertrau¬
ten statt dem Herrn allein, in jeder Weise missbandelt wurden.
1) Hier hat Dillinann den Text 'I'HCH/C^I zerstreuten sich"
gegen Lawrence (destroyed) und HolTniann (imininutae) zuerst zu seinem Sinn gebracht.
Aber desshalb sind diese Frevelthaten nicht vergessen : es giebt
ein Buch (der Geschichte) dariiber, das sie alle verzeichnet, die
Frevel der Chaldäer, der Perser, des Alexander, der Aegypler.
Das Scbriftgelebrtenthum verzeichnet das Alles und legt vur Gott
Zeugniss ab ( v. 76)'). Die erste Rolle ist geschlossen: das
erste Buch über die Heiden-Frevel, die erste Hälfte der ganzen
Unterdrückungszeit ist aus: nur nicht aus der Welt gebracht.
Denn es ist vor Gottes Thron niedergelegt ( v. 77), aufbewahrt
his zum allgemeinen Gerichtstage (90, 17).
Ii) 90, 1—4.
Et vidi, donec ea ratione curam gregis egerant ^) triginta
et Septem pastores, qui omnes tempus suum perßcie-
hant, quisque uti priores: et in ali orom [pastorum] ma¬
nus tradebantur oves, qui eas pascereot suo tempore,
quisque suo tempore, (v. 1.)
Jeder Hirt bezeichnet Eine Zeit (quisque suo tempore), uod
zwar voo gleicher Dauer (quisque uti priores). Das wird bier
mit besooderm Nachdruck wiederholt.
Es beginnt eine neue Art voo Hirten zu herrschen („alii"
pastores), die mehr bedrückt babeo als alle frübero , eine Heiden¬
herrschaft neuer Dynastie, die tumultuoser wurde als alle frühern
(v. 3 f.), und zwar puncto 37mal 10 Jahre oach 588, im Jahre
218 V. Chr. Da bekam Antiochus der Grosse Palästina zum
ersten Male unter sich ; dauerte auch der Kampf zwiscbeo ihm
uod deo Ptolemäern noch läogere Zeit fort um den Besitz von
Palästina, so war doch jenes Jahr«) der Aofang der Seleuciden-
Herrschaft, einer so völlig neuen Periode der Uoterdrückuog der
Gottesheerde '). Je olfeobarer dies das Buch der Geschichte
1) Allerdings ist der Schreibende als ein Engel gefasst, der über Israel in dieser VVeise VVache hält; aber willkürlich ist es, mit Dillmann sofort an Michael zn denken , der eine ahnliche aber allgemeinere Funetioo bat.
Sein Name wird nicht genannt, weil mehr die Sache im Auge behalten wird, die er repräsenlirl. Es isl der Engel der Geschichte, oder das forldauernde Scbriftgelebrtenthum in seiner himmlischen Bedeutung. Die Rabbinen haben wenigstens seil der zweilen Teinpelzerslörung solebe Verzeichnisse geschicht¬
licher Art gemachl (vgl. Seder Olam u. s. f., s. Sei. Cassel in Ersch u.
Gruber Encycl. II. 27, S. 321). Speciell war Seder Olam von Akiba's Zeit¬
genossen , Jose, angelegt.
2) Dem aucb von Dillmann erkannten, nur nicht wiedergegebenen Sinne naeh , statt agebant.
3) Vgl. über diese Lesart aller codd. gegen Dillmann's entstellende l'ebersetzung oben S. 98.
4) Ewald, Gescb. Isr. III, 2, S. 328.
5) Ewald a. a. 0. S. 323. ,,V\'ir nähern uns hier der entscheidenden scharfen Mitle der Geschicke Israels .. in der gesammten Zeil der Heilig- Herrscbaft." Nur war für unsern fanatischen Geschichtsbelrachler diese ge¬
sammte Zeit vielmehr eine Zeit von Nicht-Heilig-IIerrscbafl (90, 73 f.) ; nur Knecblsehaft Jerusalems seit Nebukadnezar kennl er, nur Verblendung des Volkes, L'nreinheit des Gottesdienstes, aber die Milte bleibt.
106 Volkmar, Beilräge zur Erklärung des Buches Henoch.
enthält, um so sicherer hahen wir nun die nähere Bestimmung,
wie die ewig beschlossenen 70 Zeiten specieller zu fassen sind.
37 Zeiten bilden die erste Hälfte, 35 die zweite: es ist näher
die grosse 70 d. h. 72 zu verstehen '). Am Ende voo 72mal
10 Jahreo seit dem Begioo der Knechtschaft, also puncto 132
n. Chr. (886 u. c.) hat sie nun ein Ende für immer; ist das
Gericht über alle Heidenmacht nicht mit Bar Cochba vollends
gekommen? Die olfenbare Mitte aller uoserer Knechtschaft, der
Beginn der Seleuciden-Herrschaft , zeigt auch das Ende aller
Knechtschaft. Dass gerade die 10 in 70 die Jahre bestimmen,
aber hei der Rechnung von 70 selbst ein kleines Mehr voo volleo
10 Jahreo gegebeo ist (89, 72), das hat nun seine feste Be¬
stimmung
Et postea io visione vidi omnes aves coeli adveoientes:
aquilas, vultures, milvos et corvos : et aquilae ducebant
omoes eas aves (v. 2).
Etwas später (postea) sieht man in der mit Antiochus d. Gr.
begoonenen zweiten Hälfte den Hauptfeind schoo herannahen : die
Adler werden seitdem im ganzeo Orieote (Palästina) vorherr-
scheod. Aotiochus, der angeblich Grosse, wird voo Rom ge¬
demüthigt und (bei .Magnesia) 190 so gescblageo, dass das Se-
leucideo-Reich fortao in factische Abhängigkeit von Rom kommt.
Antiochus Epiphanes muss von Rom aus zur Regieruog kommen,
von Haus aus davoo abhäogig, und der blosse Befehl eioes römi¬
scheo Gesaodten nöthigte ihn zum Rückzug, zum Aufgeben aller
EroberuDgen in Aegypten. Also auch der grösste Dränger von
Palästioa in jener Mittelzeit unserer Knechtschaft war nur ge¬
leitet von Rom ! Aegypteo aher stand seit 201 nicht hlos im
Bund mit Rom d. h. io factischer Untertbänigkeit, sondern auch
in Vormuodschaft. Die andern Nachbarreiche, die io Kleinasien,
waren nur die Oieostleute von Rom. .Aquilae (post 370 a Nehu-
cadnezare inde) omnes alias ducebant.
Daher verdienen alle heidnischen Heere, die seitdem Palä¬
stina betreten, als voo deo Adlern überflügelt und von ihnen ge¬
leitet, nur noch den Vergleich mit den unreinen und räuberischen
Vögeln des Himmels. Die Palästina nächststehenden syrischen
nennt der Aeth. $ J also Krähen oder Rahen; die milvi
1) Die h. Urkunde seihst lässt 72 zählen, wo sie 70 sagt (2 Mos.
24, I), d^her auch die Einen (wie LXX) 72 mit gleichem Recht als die
Andern 70 angehen. — Auch im Jidischen Christentbum der Clementinen ist dieser Wechsel hekannilich ehenso durchgreirend als seihst in den Codd.
des N. T. Lc. X, 1. [Vgl. diese Zeitschr. Bd. IV. S. 145 ff. Red.]
2) Es ist also kein Wunder, dass man bei der bisherigen Beziehung des Endes unserer Apokal. auf die Asmonäer-Zeit die 70 Hirten durebaus nichl verstanden hat; gar nicht unterzubringen waren sie. Vgl. die endlosen,
immer wieder verworrenen und doch immer wiederkebrenden Versuche bei
und von Hoffmann , DiUmann und Hilgenreld (Apok. S. 122).
irOJB ' hat schon Dillmann aus Aegypten kommeod vermuthet;
die vultures werden in noch andern Grenzgebieten zu suchen sein,
den kleinasiatischen etwa. Genug dass sie alle in den Adlern
ihren obersten Führer habeo'). Cnd zwar köooen diese Raub¬
vögel nur die heidnischen Heere hezeichnen, voo deo Heiden-
Führern, „den Hirten" bleibend unterschieden (v. 13), wie schon
früher „die Löwen und Tiger" (Chaldäer und Verbündete) von
den wenngleich chaldäischen Hirten des Anfangs unterschieden
waren (89, 65). Die ,, Adler" sind dann näher die Heere Roms
1) Vorher (vor 218 v. Chr.) waren die Heiden durehweg (c. 87—89) verglichen mit räuberischem unreinem Gethier des Feldes (Löwen, Tigern, Wölfen, Schakalen, Ebern), so nocb 89, 72 die apri, 75 die hestiae ..
campi. Von jetzt an heissen sie aquilae, milvi, vultures, corvi v. 8. 9. 11.
12. 13. 15. Scbon bei Aufzählung aller Heiden aus Japhet waren diese aves rapaces (sisit) vultures, milvi, aquilae et corvi zu zweit gestellt hinter die Bestien (89, 10). Und zwar wird hierauf nicht blos im Anfang dureb das ausdrückliche „darnach .. ankommen" (v. 2), d. h. jetzt eintreten, auf¬
merksam gemacht, sondern aucb am Schluss der Periode; v. 16 bat sich der Kampf gegen das Horn der jungen VVidder so gesteigert, dass ,,alie" Adler, Geier, Raben und Weihen sich ,, sammeln" und selbst die ungetreuen Juden, ,,die Schafe des Feldes", zu sich ziehen: dennoch ist kein anderes Raubihier
zu diesem historiseben Kampf gezogeo. Dagegen, wo dieser nun von den
Widdern mit Gottes Hülfe niedergeschlagen ist ( v. 18 f.) und es nun zum
allgemeinen Wellgericht kommt, da werden „alle die Thiere und die
Vögel" aufgeführt; denn es ist dann auch der Sieg über alle, auch die nicht von Adlern geführten Heiden im Osten und Norden herbeigerührl, das Gericht über alles Heidenlhum von Anfang an zu halten, und über alle 70 Führer desselben , aucb über die 37 erslen Hirten (v. 22). — Dies alles isl so consequent und ausdrücklich, dass man sich nur fragen kann: wie komml es dass man dies docb noch nicbt beachtet hat? Erst Cb. G. Weisse hat, so viel icb Ende, daran erinnert, wie 89, 1 die Adler so bedeutsam die andern Raubvögel anführen; wenn er aher dabei die 12 Hirten nur bis Do¬
mitian zählen macbte, auch sofort mit dieser Vagheit der Entslehung in sehon römischer Zeil zufrieden ,, christlichen Ursprung" für das Bnch suchte, die „Lämmer", gegen welehe die jüdischen Schafe sich kehren , auf Christen deuten wollte : so batte das ja keinerlei Halt. Dagegen streitet das gesammle Detail. Zu Domitian's Zeit feblt es an jedem „Horn" Israels, da giebt es kein neues kriegerisches Auftreten gegen die Adler-Heere , und Weisse musste sich auch nur gestehen, ,,die apokalyptischen Grillen dieses phaotasti- seben Sehriftslellers" durchaus nicht zu verstehen. Er Iheilte nur mit Allen die Voraussetzung: „Jüdisches von höherer Bedeulung kann nur vorchristlich sein", und auf Grund eben dieser wurde er durch den fragelos rein jüdi¬
scben Ursprung des Buches zurückgewiesen. Die Adler können d a nacb nur zurällig als die obersten Raubthiere des Himmels oben angestellt sein. Hälte doch Weisse nur etwas näher den apokalyptischen Schriftsteller gehörl, dass gerade erst jetzt die Heiden mit Rauhvögeln verglichen werden, weil ,,die Adler" jetzt als die sie anführenden eintreten, und überhaupt beachlel, dass ein Apokalyptiker nur in Bildern reden kann, ein Traumbild nur ganz kurze Andeutungen geben kann. — Die auf vorchristliche Zeit gebannten Erklärer aber hahen, auch wenn sie so nahe wie Dlllmann eingingen, alle jene An¬
deutungen gar nicht heachteo können. Die Adler mussten elwa „die Mace¬
donier" selbst sein, im Unterschied von andern „Hellenen", wenn dann auch noch so Vieles unbegreiflich blieb.
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108 Volkmar, Beilräge iur Erklärung des Buches Henoch.
selbst, die Legionen Italiens; die „Raben" die Deere Syriens,
von Antiochien her, sei es nun das seleucidische oder das pro-
consulare Syrien; die ,, Weihen" die Heere Aegyptens, sei es das
Aegypten der bevormundschafteten Ptolemäer oder die später
directe Provioz des Adler-Reiches; die ,, Geier" kommeo erst
weit später Polästina bedrängend vor und nur unter directer
Führung der Adler (v. 13. 16), siod also wohl um so gewisser
Legionen ferner liegender Proviozeo. An die ehemals griechi¬
schen R 'cbe Kleinasieos zu denken, veranlusst schoo die Stel¬
lung bei der ersteo Aufführung (89, 10).
Die ganze Hälfte der Unterdrückung Palästinas seit 370
post Nebucadnezarem ist wesentlich eine solche durch „die Adler".
Selbst so laoge noch die seleucidischen Rahen direct geboten
über Palästina, stand üher ihnen die Adler-Macht, die Ober-
Hoheit Uber Palästina schoo damals iooe habend , weoo aurh noch
mehr aus der Feroe Palästioa bedroheod. Die ganze zweite
Hälfte der 70 UnterdrUckungszeiten (genauer die Vorbestimmuog
beachtet, die kleinere Hältte der 72) ist den Römern überwiesen,
aber auch nicht mehr! Jetzt am Schluss der 35 X 10 Jahre seit¬
dem (seit 218 V. Chr.) bis 132 n. Chr. ist ihre und nlle Heiden¬
tyrannei am Ende angekommeo.
Diese zweite Kuecbtschafts-Hälfte zerfällt aber io drei Theile:
1) so laoge die Rabeo der .Seleuciden direct regierten, von Rom
nur überflügelt (v. 2 b. ^—3), 2) die Regierung der .Schaf-Heerde durch die „Huode" der Adler-Hirteo in Palästina selbst (v. 4. 5),
3) endlich die directe Adler-Herrschaft in Palästioa mittels der
syrisclien Statthalter (v. 6 fg., bis zum Ende).
1) Et [aves, die letztgenannten corvi] coeperunt oves ilias
devorare, oculos earum rostro tundere et carnem earum
devorare (v. 2 b.).
Die Raben der Seleuciden begannen sie ,, aufzuzehren", also „aus¬
zubeuten". Darauf kam es schon dem Antiochus d. Gr. vor Allem
an , gar seit seioer Niederlage durch die Römer. Dann begaooen
diese Rabeo jeoeo Scbafen auch ,,die Augen auszuhacken", ihnen
das Licht der Augen , ja wobl, den Aufhiick zu ihrem Herrn zu
nehmen, dass sie „das Gute" nicht mehr sehen sollteo (90, 3d),
und damit zugleich ,,ilir Fleisch zu verzehren", sie hinzumetzeln.
Deutlich ist dieses devorare caroem verscbiedeo von jenem de¬
vorare, das ganz historisch treu für diese Hirten das Erste
war ').
Et oves clamabaot, nam corpora earum devorabantur.
Die .Schafe erhoben jetzt Krieg8-„Geschrei", denn es handelte
sich um die Existenz. „Ibre Leiber" selbst sollteo aufgefressen
werden, die ganze jUdische Persöolichkeit , die jüdische Existeoz
i) Vgl. F.wald (Jesch. Isr. III, 2, S. 327 f. 330 1'.
wollten die Raben-Heere des letzten jener Seleuciden-Hirten ver¬
nichten ').
Et ipse clamavi et lamentabar in somno meo de illo pastore.
Welches jüdische Herz wäre oicht „empört" und wehklagte nicht
laut beim Gedanken „jenes Hirten", des Verfluchtesten unter
Allen der frübern Zeit. Er „schreit" (empört) und „klagl" vor¬
her Dur über den ersten Zerstörer (89, 57. 67). Welcher aodere
der Spätern als jener Eiue köonte nun noch so hesooders empö-
reod sein und Klage erwecken! -) Es ist der einzige Hirt, der
seit Nebucadnezar einzeln erwähnt wird, ja der einzige von
alleo, da auch der erste Zerstörer nur allgemein unter ,, den
Löwen und allen den wilden Thieren" vortritt, denen ,,das Haus"
zuGel, als der Herr es verliess (89, 57 fg.)!
Dieser grösste Bedränger Jerusalems in der Mittelzeit hat
aber auch nucb eine besondere, io der That in diesem Zusam¬
menbange wunderbar oniioöse Eigenthümliehkeit. Der Verf. hat
(90, 1) keioe Worle gespart, iim noch ausdrücklicher als gleich
zu Aofaog (89, 72) zu erinnern, die „Hirten" sind so viel als
„Hirteo-Zeiten", alle gleicher Dauer. Ist es kein Widerspruch,
dass er nun sofort daoaeh (90, 3) doch eioen besondero Hirten
so deutlich als nur möglich hervorhebt, gaoz persönlich fassen
lässt? Der Widerspruch ist eine Mahnung. Gerade in dem gröss¬
ten Bedränger der Mittelzeit liegt auch ansgesproeheo, wie laoge
nach ewiger Voraosbestimmung von den 70 quisque suo tempore,
quisque uti priores die Weide habeo soll: 10 Jahre und
wenig darüber. Epiphanes regierte voo c. 175 bis in die
Mitte 164^). Uud wenn etwas genau verzeichnet war in den
Geschichtskalendern der Halaeha, so war es die Regierungszeit
dieses Verruchtesten *). Für den Verfasser selbst und für jüdi-
1) Selir sinnig sagt das Bild dafdr „corpora ovium devorabantur", und nur Dillmann ist es, der natiirlicb hier nun immer weniger begreirt, also auch in den Text bringen wollte „ihr Fleisch". Er selbst adnotirt „wört¬
lich : ihre Leiber".
2) 1st es'nicht Tast unbegreiRicb , dass man so ausdrückliehe Hinweisung auf die Frevel des naeh Nebucadnezar verfluchtesten Bedrängers Palästinas so ganz hat hintansetzen können? Nein, ganz natürlich, soll das vom Judas- Brief benutzte jüdische Bucb vorchristlich sein, also auf die Makkahäer- Erhebung gegen Antiochus Epiphaoes und Nachfolger ausmünden, so darf er ja nicbt in der Periode vor den 12 letzten vorkommen , gar im Anfang der vorletzten 23. Dillmann sucht nun noch an ,, Antigonus? oder Plolemaeus Lagi?" (S. 274) zu denken, selbst sich gestehend , dass das kaum zu den¬
ken sei. Die Andern aber, die nicbt ohnehin so glücklich sind in der jüdi¬
seheu Apokalyptik über alle solche Kleinigkeiten hinfliegen zu können, denken ausdrücklich an gar Nicbts: selbst der sonst so sorgsame HoR'mann wagt bier keine Adnotation.
3) S. Ewald a. a. 0. S. 361. Im Laufe des Jahres 164 starh er. L'nd ersl nacb Unterbrechung der Regierung des Vorfahren (|76), erst voa Rom aus kam er zur Regierang. Vgl. ebend. S. 332.
4) Aucb Dan. 9, 26a. betont es, dass Epiphanes nicht sogleicb seinem V orgänger nachgefolgt sei.
llo Volkmar, Beiträge zur Erklärung des Buches Henoch.
sehe Leser des Buches lag es damit schon bestimmt genug vor:
die 70 Hirteo-Zeiteo des Jeremia siod oäher 70 Epiph an es-
Zeiten, oder wie der Anfang der neueo Draogsal , der Seleu-
cideoherrschaft, Ubereiostimmend sagt, 72mal 10 Jahre post Nehuc.
In Adrian ist neu gekommen ,, jener (den Tempel sich aneignende,
auf Vernichtung des Judenthums bedachte, fluchwürdige) Hirt",
der auch der letzte war uoter jeoeo ersten Drängern der zweilen
Knechtschaftshälfte. Weist nicht Alles hin auf das Ende unter
diesem letzten der allerverderblicbsten ? In somoo meo clamavi
de illo pastore. In dieser Klage liegt auch das Omen ihres
Endes für immer.
2) Et vidi, dooec illae aves a canibus et aquilis et milvis
devorabantur, neque carnem relinquebant in iis, neque
cutem, oeque oervos, dooec cadavera earum restabant, et
ipsa cadavera earum cadebant ad terram: nam
oves minuebantur.
Die Schafe machen zusammen das Ganze der Heerde. Diese war
am Ende einem Gerippe gleich geworden, das zu Boden sank:
die Heerde war am Ende so zerstückt, wie es buchstäblich der
Fall war seit des letzten Hundes (Herodes') Tod. Da war der
jüdische Staat zerrissen und einem Gerippe gleich entseelt zu Boden
gesunken. Das war die Folge, das Eode der scheinbaren Selbst¬
ständigkeit der Heerde, weicbe mit jenem Kriegs-„Geschrei" der
Schafe gegen den empörendsten Hirten, dies Omen aller Unter¬
drückungszeit begonnen hatte (v. 3).
Die seleucidischen Reben hatten mit jenem verruchtesten der
mittlem Hirten ein Ende; sie „werden hier merkwürdig nicht
genannt", sagt Dillmann, ganz natürlich nicht mehr. Das ,, Ge¬
schrei " der Frommen hat diesen Erfolg gehaht. Dafür wird
nun die Schafheerde von ihren ,, Hunden" regiert, welche von
den noch feroer stehenden römischen Oberhirten geleitet wurden ').
Schan Judas Maccabaeus hatte sich der Raben so zu erwehren
gesucht, dass er sich an die Adler anschloss, so verbleodet, so
Gottvergesseo mit Rom Bund machte; Jonathan, Simon, Hyrcan
folgteo ihm io dieser Verblendung, und waren in ihrer geträum¬
ten Unabhängigkeit factisch nichts als Schäfer-Hunde in der Adler-
1) Dillmano sucht ( S. 274) nach 89, 46. 47 unter den Hunden „die Philister", die unter den Makl. etwa viele Feindseligkeiten gegen Israel sich hätten zu Schulden kommen lassea ; zwar schweige die sonstige Ge¬
schichte davon, aber aus Sir. 50, 26 sei etwas der Art zu scbliessen. Doch sagt Sir. nur: ,, dreierlei Volk ist mir vor Allem verbasst, die Samariter, die Philister und der tolle Pöbel von Sichem" d. h. die Samariter sind ibm dreiTach und dreimal verbasst, so wie die Philister einst der grösste Feind Israels (zu David's Zeit) waren. Der Pöbel von Sichem ist doch kein drittes Volk nebeo den Samaritern, Die Philister sind vielmehr schon im .Sten Jahrhundert aus Asien spurlos verschwunden. Aufs ausdrücklichste aucb sind
Heideo seit 90, 2 dem Verf., den Adlern nacb, Raubvögeln gleicb. Die
Hunde sind bier also die der Heerde selbst.