Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen
in Osterreich im 19. Jahrhundert
Von Georg Lehner, Mattersburg (Österreich)
Moriz Graf Dietrichstein, der seit 1826 Präfekt der k. k. Hofbi¬
bliothek war, richtete seit der Übernahme dieser Funktion sein
Augenmerk außer auf die Verbesserung der räumlichen Situation
unter anderem auch auf die Beschaffung bibliophiler Schätze aus
entlegenen Teilen der Welt'. Seit den frühen dreißiger Jahren un¬
terhielt er einen regen Briefwechsel mit dem bedeutenden Japan¬
forscher Philipp Franz von Siebold, der sich im Rahmen seiner
Werbereise an europäische Höfe Anfang 1835 in Wien aufhielt,
um auch in der k. k. Haupt- und Residenzstadt Subskribenten
für die von ihm geplanten aufwendigen Werke über Japan zu ge¬
winnen^.
Spätestens seit dem 1. Januar 1830 waren die in der Wiener
Hofbibliothek verwahrten Bestände chinesischer Provenienz der
Obhut des Konzeptspraktikanten Stephan Ladislaus Endlicher^
' Wilhelm Nbmecek: Moritz [sie!] Graf Dietrichstein (,1775-1864), Hoß)i- bliothekspräfekt (1826-1845) (ungedr. phil. Diss., Wien 1953). Zu den Bemühun¬
gen Dietrichsteins, chinesische und japanische Bücher zu erwerben, vgl. vor allem
115 und 140-144. Diese verstärkten Bemühungen zum Erwerb solcher Drucke
reichten über das Ende seiner Tädgkeit als Präfekt hinaus. Zur Bedeutung Diet¬
richsteins für die Wiener Hofbibliothek vgl. Geralt Ustrnul: Moriz Graf von
Dietrichstein-Proskau-Leslie (1826-1845). In: Geschichte der Österreichischen Na¬
tionalbibliothek. I.Teil: Die Hoßibliothek (1368-1922); ed. Josef Stummvoll (=
Veröffendichungen der Österreichischen Nationalbibliothek; N.F. 2. Reihe,
3. Bd., I.Teil; Wien 1968) 371-418, vor allem 394 und 410.
^ Zur Biographie des Philipp Franz von Siebold vgl. Hans Körner: Die
Würzburger Siebold. Eine Gelehrtenfamilie des 18. und 19. Jahrhunderts (= Le¬
bensdarstellungen deutscher Naturforscher 13; Leipzig 1967) 356-491; zum Auf¬
enthalt in Wien, ebd., 412 L
^ Zur Biographie Endlichers (1804-1849) vgl. Oesterreichische National-Ency- klopädie, oder alphabetische Darlegung der wissenswürdigsten Eigenthümlichkeiten des österreichischen Kaiserthumes, in Rücksicht auf Natur, Leben und Institutionen, Industrie und Commerz, öffentliche und Privat-Anstalten, Bildung und Wissenschaft, Literatur und Kunst, Geographie und Statistik, Geschichte, Genealogie und Biogra-
anvertraut. Endlicher oblag „die Verzeichnung der chinesischen
und der dieser Sprache nahestehenden handschriftlichen und ge¬
druckten Werke"; ferner sollte er dem Grafen Dietrichstein „Vor¬
schläge zu deren Vermehrung" unterbreiten'*. In diesem Sinne
war Endlicher, der seit 1827 an der Hofbibliothek tätig war,
Mitte der dreißiger Jahre auch in die Kontakte zwischen Diet¬
richstein und Siebold eingeschaltet^. Endlicher verfaßte für den
„Oesterreichischen Beobachter" Anfang 1835 aus Anlaß von Sie-
bolds Aufenthalt in Wien eine Würdigung der Bedeutung des Ja¬
panforschers für die Wissenschaft. Bei dieser Gelegenheit be¬
schrieb er kurz die von Siebold bereits fertiggestellten oder ge¬
planten Veröffentlichungen über Japan*.
Endlichers Beschäftigung mit dem Chinesischen blieb nicht
nur auf die Erlernung von Sprache und Schrift beschränkt. Wie
Dietrichstein behauptete, hatte Endlicher das Chinesische in nur
wenigen Wochen (!) erlernt^. Von Endlichers sinologischen Be¬
mühungen berichtet auch der Naturforscher Leopold Joseph Fit¬
zinger in der „Oesterreichischen National-Encyklopädie": „Un¬
ter der Presse befinden sich, eine Ausgabe des chinesischen Lie¬
derbuches Chiking, mit mobilen Typen und Genera plantarum
phie, so wie auf alle Haupt-Gegenstände seiner CivUisations- Verhältnisse. ( Vorzüg¬
lich der neueren und neuesten Zeit.) (Wien 1835-1837) Bd.2, S.53 und Bd.6,
S.431 ; Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebens¬
skizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kron¬
ländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt hatten ; ed. Constant von Wurzbach; Bd.4 (1858) 44-46 (in der Folge als „Wurzbach" zitiert); Allgemeine Deutsche Biographie, Bd.6 (1877) 108-110; Österreichisches Biographisches Le¬
xikon, Bd. 1 (1957) 249 und Neue Deutsche Biographie, Bd.4 (1959) 496r Zu sei¬
ner Bedeutung fiir die Botanik vgl. die friihe Würdigung durch August Neil¬
reich: Geschichte der Botanik in Nieder-Oesterreich. In: Verhandlungen des zoolo¬
gisch-botanischen Vereines in Wien 5 (1855) 23-76, vor allem 51-53.
" Ustrnul (wie Anm. 1) 416.
' Zu Endlichers Rolle in Dietrichsteins Verbindung mit Siebold vgl. neben
den Bemerkungen bei Nemecek (wie Anm.l) 115 und 140L auch Peter Pantzer:
Die Japonica der Österreichischen Nationalbibliothek In : Bonner Zeitschrift für Ja¬
panologie 3 (1981), vor allem 136-139.
* Oesterreichischer Beobachter, Nro.35 (4.2.1835) 169L [Der unter der Ru¬
brik „Wissenschaftliche Nachrichten" veröffentlichte Artikel ist mit „S. E." ge¬
zeichnet. Daß sich hinter „S. E." Stephan Endlicher verbirgL erscheint äußerst wahrscheinlich. Bei Körner (wie Anm.2) 413 Anm. 188 sind die Initialen nicht aufgelöst.]
' Diese Äußerung Dietrichsteins erwähnt Nemecek (wie Anm.l) 141. Vgl.
auch Pantzer (wie Anm.5) 134.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen ... 165
methodo naturah disposita"*. Auch in Wurzbachs biographi¬
schem Lexikon hest man über die Anßnge von EndHchers sino¬
logisoher Publikationstätigkeit: „1835 hatte er schon eine Ausga¬
be des chinesischen Liederbuches , Chiking' mit beweglichen Let¬
tern veranstaltet."^ Während das bei Fitzinger erwähnte botani¬
sche Werk tatsächlich ab 1836 erschien und eine der besten bota¬
nischen Arbeiten Endlichers überhaupt war, ist über die in den
genannten Nachschlagewerken angekündigte bzw. angespro¬
chene Veröffentlichung eines konfuzianischen Klassikers - des
Shijing („Buch der Lieder") - nichts Genaueres bekannt.
Erste Nachrichten über die chinesische Schrift hatte man in
Europa etwa in der Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten. Wenig
später unternahmen abendländische Gelehrte erste Versuche,
chinesische Sehriftzeichen zu drucken'°. Diese frühen Versuche
blieben in der Regel von der unmittelbaren Nachwelt ungenutzt
und gerieten daher rasch in Vergessenheit. Erst das 19. Jahrhun¬
dert brachte derartigen typographischen Experimenten jenes
Maß an Publizität ein, das den europäischen Druckverfahren
auch in China selbst zum Durchbruch verhelfen sollte".
Die Verfahren zur Reproduktion chinesischer Schriftzeichen
lassen sich wie folgt differenzieren: im Plattendruckverfahren er¬
folgt die Reproduktion ganzer Textseiten mittels Holz- und Kup¬
ferplatten, was sich für die europäischen Drucker chinesischer
Oesterreichische National-Encyklopädie (wie Anm.3) Bd.2 (Wien 1835) 53.
' Wurzbach 4 (1858) 45.
Einen Überblick über diese Bemühungen bietet Hartmut Walravens: Chi¬
na illustrata. Das europäische Chinaverständnis im Spiegel des 16. bis 18. Jahrhun¬
derts (Ausstellung im Zeughaus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 21.3.-23.8.1987; = Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 55; Wein¬
heim 1987) 266-270. Zu den frühesten bekannten Bemühungen, chinesische Zei¬
chen im deutschsprachigen Raum zu drucken, vgl. Johann Dill: Die Typographia Sinica an der Asien-Afrika-Abteilung der Deutschen Staatsbibliothek In: Margina¬
lien 100 (1985/4) 85-96. An der Wende zum 19. Jahrhundert unternahm der aus
Siena stammende Antonio Montucci Anstrengungen zum Druck eines chinesi¬
schen Wörterbuches; ein Plan, der allerdings nie verwirklicht wurde. Vgl. dazu Hartmut Walravens: Sinologus Berolinensis. Eine Biobibliographie. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 23 (1986) 205-223.
" Zum gesamten hier zur Diskussion stehenden Komplex vgl. als Einfiihrung
die entsprechenden Artikel im China Handbuch: ed. Wolfgang Franke, Brun¬
hild Staiger (Düsseldorf 1974) Sp. 267-274 (Art. „Druck- und Verlagswesen" von M.Gimm); Sp. 1177-1181 (Art. „Schriftkunst" von L.Ledderose (sowie Sp.1181- 1187 (Art. „Schrift und Schriftreform" von Z. Hermanova-Novotna).
Zeichen jedoch als wenig zweckmäßig erwies. Daher wurde
schon früh mit der Entwicklung beweglicher Typen für den
Druck chinesischer Zeichen begonnen.
Beim Druck chinesischer Zeichen mit beweglichen Typen ist
grundsätzlich zwischen Makrotypie und Mikrotypie zu unter¬
scheiden. In der Regel wurden vollständige Sehriftzeichen jeweils
durch eine Type wiedergegeben (Makrotypie). Daneben gab es
aber auch periodisch wiederkehrende Versuche, bestimmte
Strichkombinationen quasi als Zeichenkomponenten zu isolieren
und vielstriehige Sehriftzeichen aus den zuvor isolierten Kompo¬
nenten zusammenzusetzen und zu drucken (Mikrotypie)'^.
Ein knapper Ausschnitt aus der Geschichte des Druekes chine¬
sischer Zeichen naeh europäischen Druckverfahren soll im fol¬
genden näher dargestellt werden. Die Bemühungen, die um die
Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien unternommen wurden, und
die Beurteilung dieser Versuche durch die Zeitgenossen sollen
deutlich machen, wie man in Europa zur Zeit der „Öffnung" der
ostasiatisehen Reiche an den Druek chinesischer Zeiehen heran¬
ging. Anhand textlicher Belege soll auch ein kurzer Ausbliek auf
die Entwieklung des Druckes chinesiseher Zeiehen in Österreich
bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts gegeben werden. Im
vorliegenden Aufsatz wird ausschließlich auf gedruckte Quellen
zurückgegriffen.
Die auf Initiative Endlichers und unter seiner Aufsicht Mitte
der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts in Wien angefertigten
„mobilen Typen" wurden in der wissenschaftlichen Fachwelt
bald zum Objekt aufrichtiger Bewunderung. Anfang 1837 legte
Endlicher nämlich ein Verzeichnis der chinesischen und japani¬
schen Bestände des k. k. Münz- und Antikenkabinetts vor. Darin
gab er einen Überblick über die Geschichte der chinesischen Nu¬
mismatik „und einige Andeutungen über japanische Münzge-
schiehte, da er in bezug auf Japan seinem mit den reichsten
Hülfsmitteln ausgerüsteten Freunde von Siebold vorgreifen we-
Vgl. dazu Martin Gimm: Johann Gottlob Immanuel Breitkopfs Versuch von
1789, chinesische Zeichen mit beweglichen Typen zu drucken. In: Folia rara. Wolf- gang Voigt LXV diem natalem eelebranti ab amicis et catalogorum codicum orienta¬
lium conscribendorum collegis dedicata [...] H.Franke ... redigerunt (= Verzeich¬
nis der orientalischen Handschriften in Deutschland; Supplementband 19; Wies¬
baden 1976) 39-50, hier 39 f.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen ... 167
der konnte noch durfte."'^ Als Anhang dazu hatte Endlicher ei¬
nen Katalog der von der Wiener Hofbibliothek seit dem Ende
des 17. Jahrhunderts erworbenen chinesischen und japanischen
Bücher zusammengestellt''*. Dieses Verzeichnis dürfte vermutlich
schon zur Zeit von Siebolds Aufenthalt in Wien in Vorbereitung
gewesen sein. Über diesbezügliche Arbeiten berichtete Dietrich¬
stein in einem Brief an Siebold vom 16. Januar 1836'^.
Endlicher hatte das Verzeichnis der in der Hofbibliothek ver¬
wahrten Sinica und Japonica unter anderem auch verfaßt, „[...]
um aufmerksam zu machen, dass man in Oesterreich, welches
mit Recht darauf stolz ist, seit jeher die ausgezeichnetsten Ken¬
ner vorderasiatischer Sprachen und Litteraturen sein nennen zu
können, gegenwärtig auch die Hülfsmittel besitzt, wenigstens ei¬
nen Theil der ostasiatischen Sprachen mit in den Kreis der Stu¬
dien aufzunehmen."'* Ein Blick in das Verzeichnis zeigt, daß
Endlicher für seine asienwissenschaftlichen Studien nicht nur
nach Leiden Kontakte unterhielt. Auch das von Asienreisenden
in russischen Diensten erworbene Wissen scheint er sich zunutze
gemacht zu haben: „Dem Freiherrn von Schilling-Canstadt k.
russischen wirkl. Staatsräthe im Ministerium der auswärtigen An¬
gelegenheiten [...]", dem er das Verzeichnis widmete, verdankte
er ebenfalls Aufschlüsse über das zu beschreibende Material der
Wiener Sammlungen'^. Über die Entwicklung der für den Druck
Stephan [Ladislaus] Endlicher: Verzeichnis der chinesischen und japani¬
schen Münzen des k. k. Münz- und Antiken-Cabinetes in Wien. Nebst einer Über¬
sicht der chinesischen und japanischen Bücher der k. k. Hofbibliothek (Wien 1837) S.V. (Vorrede).
Vgl. ebd., S. 117-134 (Chinesische und mandschouische Bücher, 125 Num¬
mern) sowie 135-138 (Nr 126-189; II: Japanische und koreanische Bücher).
Nemecek (wie Anm.l) 140L Das von Endlicher veröffentlichte Verzeichnis der japanischen Bücher basierte weitgehend auf einer ihm von Siebold überlasse¬
nen Liste. Vgl. dazu Pantzer (wie Anm.5) 137.
" Endlicher (wie Anm. 13) S.VI (Vorrede).
Paul Freiherr Schilling von Canstadt (1786-1837) hatte eine Sammelexpedi¬
tion nach Zentralasien unternommen, wo er zahlreiche Handschriften und Bücher erwerben bzw. kopieren lassen konnte. In unserem Zusammenhang ist interessanL daß er 1819 in Leipzig einen Satz beweglicher mandschurischer Lettern stechen ließ (vgl. dazu Erling von Mende: Einige Bemerkungen zu den Druckausgaben des mandjurischen Neuen Testaments. In: Oriens Extremus 19 (1972) 217. Vgl.
auch die bibliographischen Angaben zur Biographie des Freiherrn Schilling von Canstadt ebd., Anm.9). Wie Endlicher schrieb, bot die „zufällige Anwesenheit"
des russischen Staatsrates in Wien Gelegenheit, „der freigiebigsten mündlichen Belehrung zu geniessen." - Endlicher (wie Anm. 13) S.V.
des relativ schmalen Bandes verwendeten chinesischen Typen
kam Endlicher in seiner Vorrede nicht zu sprechen'^.
Eine eingehende Besprechung des von Endlicher vorgelegten
Verzeichnisses verfaßte im Mai 1837 der in München wirkende
Orientalist und Historiker Karl Friedrich Neumann'^ für die in
Wien erscheinenden „Jahrbücher der Literatur"^". Ausführlich
würdigte Neumann die Verdienste des Grafen Dietrichstein um
die Erwerbung von Sinica sowie die Bemühungen Endlichers um
die Herstellung des bei der Drucklegung des Kataloges verwen¬
deten Satzes chinesischer Schriftzeichen: „[...] Es sollten über¬
dieß jedem Forscher die Mittel an Handen gegeben werden, ein
gleiches thun zu können. Es wurden deßhalb eine bedeutende
Anzahl chinesischer Charaktere verfertigt, in der Absicht, später
vermittelst derselben mehrere chinesische Texte bekannt zu ma¬
chen. Unterdessen ward nun die vorliegende Beschreibung der
chinesischen, japanischen und anderen Münzen, sammt mehre¬
ren sich darauf bezüglichen Exkursen, und das Verzeichniß der
chinesischen und japanischen Bücher der k. k. Hofbibliothek
dem Drucke übergeben. Dieses Werk [...] ist in Betracht der vie¬
len beweglichen chinesischen Charaktere, die es enthält, das er¬
ste chinesische Incunabel, welches in Deutschland gedruckt wur¬
de."^' Die nach Angaben und unter Aufsicht Endlichers entwik-
kelten chinesischen Typen fanden Neumanns Lob. Der Münch¬
ner Orientalist hob in seiner Besprechung auch die Bedeutung
dieser Entwicklung für Gelehrte mit sinologischen Interessen
hervor: „Die Charaktere wurden unter des Verfassers Aufsicht
verfertigt, und sind durchaus richtig und niedlich ausgefallen.
Wahrscheinlich wird, sobald das Bedürfniß bey dem Abdrucke
größerer Texte es erheischen würde, deren Anzahl vermehrt, und
der Gebrauch derselben keinem Gelehrten verweigert werden."^^
Vgl. Endlicher (wie Anm. 13) S.V f.
" Zur Biographie Neumanns vgl. Georg Reismüller: Karl Friedrich Neu¬
mann. Seine Lem- und Wanderjahre, seine chinesische Büchersammlung. In: Auf¬
sätze zur Kultur- und Sprachgeschichte vornehmlich des Orients. Ernst Kuhn zum 70. Geburtstage am 7. Febmar 1916 gewidmet von Freunden und Schülern (Breslau 1916) 437-456. Vgl. ferner Hans Rall: Karl Friedrich Neumann. Sinologe und Uni¬
versalhistoriker an der Universität München {1833-1852). In: Archivalische Zeit¬
schrift 75 (1979) 194-210.
2° Jahrbücher der Literatur 79 (1837) 234-258.
^' Ebd., 237.
2^ Ebd.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen 169
Neuinann würdigte die in Wien geleistete Pionierarbeit und
sprach in diesem Zusammenhang die Hoffnung aus, daß diese
Entwicklung zu einem Aufschwung der wissenschaftlichen Be¬
schäftigung mit China in den deutschsprachigen Ländern führen
könnte: „Man wird demnach durch den wissenschaftlichen Sinn
der österreichischen Regierung, durch die Hochherzigkeit und
den umsichtigen Fleiß deutscher Männer bald in den Stand ge¬
setzt seyn, in unserm Vaterlande, so gut wie in Paris, mit verhält-
nißmäßig geringen Unkosten größere chinesische Werke der ge¬
lehrten und gebildeten Welt mittheilen zu können. Nur durch die
Bekanntmachung vieler Texte aus der zahlreichen chinesischen
Literatur, theils mit, theils ohne Uebersetzungen, kann das chi¬
nesische Sprachstudium in Deutschland und in Europa im Allge¬
meinen Wurzel schlagen, und für alle Zeiten angebaut wer¬
den. "^^
Angesichts dieser Stellungnahme Neumanns zu den unter End¬
Hchers Aufsicht angefertigten Typen ist zu fragen, wie man bis
zu jenem Zeitpunkt in Europa an den Druck chinesischer Zei¬
chen heranging. Zunächst begnügte man sich (u.a. auch im
deutschsprachigen Raum) damit, die chinesischen Zeichen nicht
in den Text einzuschalten, sondern in der Regel auf eigene Seiten
zu drucken^'*. Die längsten und umfassendsten Erfahrungen mit
dem Druck chinesischer Zeichen hatte man bis dahin in Paris ge¬
macht, wo man die Zeichensätze in erster Linie für den Druck
von Wörterbüchern anfertigtet^. In den dreißiger Jahren des
19. Jahrhunderts entstand dort sogar ein Satz chinesischer Typen,
" Ebd., 237 f.
Friedrich Hirth: Western Appliances in the Chinese printing industry. In:
Journal of the North China Branch of the Royal Asiatie Society 20 (Jg. 1885;
Shanghai 1886) 165. Eine Ausnahme bildet laut Hirth die Kurtze chinesische Chronologia oder Zeit-Register aller chinesischen Kayser, von ihren also vermeinten Anfang der Welt bis hierher zu unsern Zeiten (Berlin 1696) von Christian Ment¬
zel. Zitat des Titels nach Neue Deutsche Biographie 17 (1994) 95.
Wie Carl B.Lorck: Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst Bd.2
(Leipzig 1883) 147 schreibt, wurden in Paris „nicht weniger als sechs Versuche ge¬
macht, den Chimborasso der Typographie, die Herstellung chinesischer Schrift, zu überschreiten." Diese sechs Versuche wurden von Etienne FourmonL Michel-
Ange-Andre Le Roux Des Hautesrayes (1724-1795), Jean-Abel Remusat, Hein¬
rich Julius von Klaproth, Joseph de Guignes und schließlich unter der Aufsicht Pauthiers von Marccllin le Grand unternommen. Des Hautesrayes studierte wie de Guignes bei Fourmont orientalische Sprachen und lehrte seit 1751 Arabisch am College de France. Zu Des Hautesrayes' Beziehungen zur Sinologie vgl. David
deren Anzahl durch Zerlegung der Zeichen in graphische Ele¬
mente auf ca. 7000 verringert werden konnte^*. Im Laufe der Jah¬
re erwies sich dieser Zeichensatz jedoch als äußerst unbrauchbar
und stieß mitunter auf heftige Kritik - so sprach etwa der Berli¬
ner Altaist Wilhelm Schott von der „Unvollkommenheit" und
„Disharmonie" dieser zusammengesetzten Sehriftzeichen^^. Die
königliehe Druckerei in Berlin verfügte noch Mitte der vierziger
Jahre über keinen einigermaßen befriedigenden Satz chinesischer
Typen. Dort hatte man 1838 von dem aus Pommern stammenden
und unter anderem aueh in Südehina wirkenden Missionar Karl
Friedrieh August Gützlaff „ungefähr zweitausend Matrizen" er¬
halten; weitere Typen waren in Berlin selbst angefertigt worden.
In einer Bespreehung des von Wilhelm Schott 1844 in Berlin her¬
ausgegebenen „Vocabularium Sinicum" heißt es dazu: „Ein gros¬
ser Theil der in China geschnittenen Charaktere, welche in die¬
sem Vocabular abgedruckt sind, entbehrt aller Schärfe und Sym¬
metrie; desto weniger wird man diese Eigenschaften an allen
denjenigen vermissen, welehe naeh Vorzeichnungen des Gehei¬
menraths von Olfers dureh den hiesigen Typographen Beierhaus
geschnitten sind."^^
Auch in Asien selbst war der Satz chinesiseher Zeiehen für die
„westlichen" Missionare durchaus keine Selbstverständlichkeit.
Erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden chi¬
nesisehe Zeichen in größerem Ausmaß verwendet. Die Herstel¬
lung der chinesischen Typen für den Druek von Robert Morri¬
sons chinesisch-englischem Wörterbueh war von der britischen
East India Company finanziert worden. Nach Friedrieh Hirth
standen der „foreign community" in Asien 1833 nur an drei Or¬
ten (Maeau, Malakka und Serampore bei Caleutta) chinesische
Typensätze zur Verfügung. Das seit 1832 in Guangzhou (Canton)
Mungello: Aus den Anfängen der Chinakunde in Europa 1687-1770. In: Walra¬
vens: China iUustrata (wie Anm. 10) S.75 Anm.45.
Hirth (wie Anm. 24) 164; Walravens: China iUustrata (wie Anm.lO) 267;
Lorck (wie Anm. 25) Bd.2, S. 147. Zur Geschichte des Mikrotypie-Verfahrens vgl.
unten.
Walravens: China iUustrata (wie Anm. 10) 269.
Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Jg. 20, Bd.2, Nr. 30 (August 1846) S.239. Zur bis ins späte 17. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte des Druk- kes chinesischer Zeichen in Berlin vgl. neben Dill (wie Anm. 10) auch die kursori¬
schen Bemerkungen bei Walravens: China dlustrata (wie Anm. 10) 266- 268.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen . 171
erscheinende „Chinese Repository" etwa mußte bis 1840 ohne
den Druck chinesischer Schriftzeichen auskommen^^.
Die von Neumann im Frühjahr 1837 äußerst günstig beurteil¬
ten Aktivitäten Dietrichsteins und EndHchers um den Erwerb
von Sinica und Japonica für die Wiener Hofbibliothek wurden in
Österreich auch noch Jahre später gewürdigt. Anläßlich von
Dietrichsteins siebzigstem Geburtstag schrieb Joseph von Ham¬
mer-Purgstall in der „Wiener Zeitung" unter anderem: „[...]
Nicht weniger Dank ist dem Herrn Grafen die Orientalische Li¬
teratur schuldig, indem sich unter seiner Leitung die Arabischen,
Persischen und Türkischen Handschriften mehr als verdoppelt
haben, und eine Sammlung von Chinesischen neu zugewachsen
ist."d° Diesen Aufschwung der k. k. Hofbibliothek konstatierte
auch A. Adolf Schmidl, der Herausgeber der „Oesterreichischen
Blätter für Literatur und Kunst", der bei dieser Gelegenheit auf
die damals erste Ergebnisse bringende Tätigkeit des aus Karls¬
bad stammenden Orientalisten August Pfizmaier^' hinwies: „[...]
Übrigens besaß die Hofbibliothek früher nicht einen einzigen
sanskrit, chinesischen oder japanischen Druck, durch die Sorge
des Grafen Dietrichstein hat sie jetzt darin eine Bibliothek, mit
deren Hilfe Prof. Pfitzmayer[sic!] so eben ein japanisches Wör¬
terbuch herausgibt, dessen Europa bisher noch entbehrte."^^
Graf Dietrichstein unterstützte nach dem Verzeichnis der Mün¬
zen und Bücher auch das nächste sinologische Projekt Endli-
^' Vgl. dazu Hirth (wie Anm. 24) 165 f. sowie K.T.Wu [Wu Guangqing]: The
development of printmg m Chma. In: Tien Hsia Monthly 3 (1936) 137-160; zu eu¬
ropäischen Druckverfahren vgl. ebd., 156-158.
Joseph von Hammer-Purgstall: Zur Feyer des 19. Februars 1845, als des
Siebzigsten Geburtstages Sr. Exe. des Hochgebornen Herm Moriz Grafen von Diet¬
richstein. In: Oesterreichisch-kaiserliche privilegirte Wiener-Zeitung (im folgen¬
den kurz: Wiener Zeitung), No. 57 (26.2.1845) 421. Zur Vermehrung der orientali¬
schen Handschriften durch die Bemühungen Dietrichsteins vgl. auch Ustrnul (wie Anm.l) 394 f.
Zu dessen Leben und Werk vgl. August Pfizmaier {1808-1887) und seine Be¬
deutung für die Ostasienwissenschaften ; ed. Otto Ladstatter, Sepp Linhart (Sit¬
zungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch¬
historische Klasse, Bd. 562; = Beiträge zur Kultur- und Geistesgeschichte Asiens 3, Wien 1990).
A. Schmidl: Reise-Erinnemngen In: Oesterreichische Blätter für Literatur
und KunsL 3.Jg., Nr.20 (14.2.1846) 155. Zu Schmidl (1802-1863) vgl. Wurz¬
bach 30 (1875) 199-205. Die erste Lieferung des Japanisch-Wörterbuches s. Ms.
S. 19 enthielt auch die ZDMG 6 (1852) 450-453.
ehers. 1843 erschien im Verlag der Friedrieh Beek'schen Univer-
sitätsbuehhandlung die erste Lieferung eines „Atlas von Chi-
na"dd. Bei dieser Gelegenheit wurde neuerlieh auf die von Endli¬
cher entwickelten chinesischen Typen hingewiesen. In einer in
den „Oesterreichischen Blättern für Literatur und Kunst" er¬
schienenen Bespreehung nahm August Pfizmaier zum vorgeleg¬
ten Werk Stellung: „Einer besonderen Erwähnung verdienen die
ehinesischen Lettern, welche der gelehrte Herausgeber gewiss
mit vieler aufopfernder Mühe einzeln in Letternmetall sehneiden
liess. Sie übertreffen die von Des Guignes^"* und Remusat^^ ange¬
wendeten, in Holz geschnittenen, bewegliehen Lettern um vieles
an Eleganz, und, obwohl sie den in chinesischen Originalwerken
vorkommenden kleinsten Lettern in dieser Eigenschaft nachste¬
hen, so haben doch Hrn. Prof Endlieher's Lettern vor den letzt¬
genannten den Vorzug einer viel grösseren Deutlichkeit, wodurch
sie besonders dem minder Geübten sich empfehlen."^* Endli¬
cher, seit 1840 Professor für Botanik und Direktor des Botani¬
schen Gartens der Universität Wien, widmete sich auch weiter¬
hin chinesischen Studien. Seine Erkenntnisse über die Struktur
des Chinesisehen legte er in dem Werk „Anfangsgründe der chi-
Stephan [Ladislaus] Endlicher: Atlas von China nach der Aufnahme der Je¬
suiten-Missionäre, 1. Lieferung (Wien 1843). Auch in der knappen Erörterung von Endlichers Atlas von China in Journal Asiatique, IV.Serie, Bd.4 (1844) 61 L wur¬
de Dietrichsteins Einfluß auf das Entstehen dieser Publikadon hervorgehoben.
Vater und Sohn de Guignes hatten sich intensiv mit dem Chinesischen be¬
schäftigt. Der jüngere de Guignes hatte 1813 in Paris ein chinesisch-französisches Wörterbuch herausgegeben. Vgl. Henri Cordier: Les etudes chinoises sous la revo¬
lution et l'empire. In: Toung Pao 19 (1918/19) 59-103 sowie Paul Demieville:
Aperfu historique des etudes sinologiques en France. In: Acta Asiatica 11 (1966) 56-110; wiederabgedruckt in Paul Demieville: Choix d'etudes sinologiques, 1921- 1970 (Leiden 1973) 433- 487.
Jean Pierre Abel Remusat (1788-1832) war seit Ende 1814 erster Inhaber eines Lehrstuhls für Chinesisch am College de France (des ersten Lehrstuhls für Sinologie bzw. Chinesisch in Europa überhaupt) und widmete sich seit damals ausschließlich sinologischen Studien. Er gab unter anderem Siemens de la gram¬
maire chinois, ou prineipes generaux de kou-wen ou style antique et du kouan-hoa, c'est a dire, de la langue commune generalement usitee dans l'Empire Chinois (Paris 1822) heraus und war einer der Mitbegründer des Journal Asiatique.
Oesterreichische Blätter für Literatur und Kunst, l.Jg., Nr 45 (4.9.1844) 354. Zu in Paris am Beginn des 19. Jahrhunderts unternommenen Versuchen, chi¬
nesische Zeichen zu drucken vgl. Henri Cordier: La reproduction des textes chi¬
nois en Europe au commencement du siecle. In: Toung Pao, I.Serie, Bd.7 (1896) 586-588.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen ... 173
nesischen Grammatik" vor . Diese Anfangsgründe, die sich im
wesenthchen an den Arbeiten französischer Sinologen orientier-
ten^*, erschienen „mit bemerkenswertem deutsch-chinesischen
Satz"''' in zwei Lieferungen bei Carl Gerold. Diese Arbeit Endli¬
chers war die erste Grammatik des Chinesischen in deutscher
Sprache überhaupt'*^.
Daß der Druck chinesischer Zeichen um die Mitte des
19. Jahrhunderts ein relativ aufwendiges Unternehmen war, läßt
die Besprechung von Endlichers Grammatik im 115. Band
(3. Quartal des Jahres 1846) der ebenfalls bei Carl Gerold verleg¬
ten „Jahrbücher der Literatur" erahnen. Der Rezensent, der
seine Ausführungen mit den Buchstaben „K. E. S." zeichnete,
wies auf das einleitende Kapitel hin, das Endlicher der chinesi¬
schen Schrift gewidmet hatte, und gab zwei Gründe an, warum
die Besprechung selbst ohne Sehriftzeichen auskommen mußte:
„[...] Wir wollen versuchen, den einleitenden Abschnitt über die
Sehriftzeichen der Chinesen in gedrängter Uebersicht mitzuthei¬
len, überzeugt, daß es aueh für diejenigen Leser, denen das Chi¬
nesische weit abliegt, von einigem Interesse seyn wird. Hoffent¬
lieh wird es uns gelingen, aueh ohne Anwendung von chinesi¬
schen Schriftzeichen deutlieh zu seyn; denn wir können es weder
der Verlagshandlung zumuthen, solche Charaktere bloß für vor¬
liegende Anzeige stechen zu lassen, noch den Lesern, sieh mit
solchen, dem ersten Anbliek immerhin seltsamen Strichverbin¬
dungen zu befassen.""*'
In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, daß es
damals in Wien - wo die wissenschaftliche Beschäftigung mit
China erst in ihren Anfängen steckte - abgesehen von der Druk-
kerei des Carl Gerold zumindest drei weitere Druckereien gege-
Stephan Endlicher: Anfangsgründe der chinesischen Grammatik (Wien
1845).
„L'auteur a fait un usage tres-consciencieux des tous Ies travaux anterieurs sur cette matiere [...]." In: Journal Asiatique, IV.Serie, Bd.6 (1845) 62. Die Be¬
sprechung der zweiten Lieferung von Endlichers Grammatik folgte im Journal Asiadque, IV.Serie, Bd. 8 (1846) 60.
Anton Durstmüller d.J.: 500 Jahre Druck in Osterreich. Die Entwicklungs¬
geschichte der graphischen Gewerbe von den Anfangen bis zur Gegenwart, Bd. 1
(Wien 1982) 239.
*° [Heinrich Leberecht von] Fleischer: Wissenschafthcher Jahresbericht In:
Jahresbericht der Deutschen morgeniändischen Gesellschaft für das Jahr 1846 (Leipzig 1847) 83.
Jahrbücher der Literatur 115 (1846) 184-199, hier 188.
ben hatte, die in der Lage waren, die Reproduktion chinesischer Schriftzeichen zu bewerkstelhgen:
Das von Endlicher erstellte Verzeichnis ostasiatischer Münzen
und Bücher war bei Friedrich Beck verlegt und von dem Drucker
und Schriftgießer Johann Paul Sollinger gedruckt worden. Sollin¬
ger hatte sein Handwerk zunächst bei dem berühmten Drucker
Anton Strauß in Wien erlernt und war dann zu Firmin Didot
nach Paris gegangen, um sich weitere typographische Kenntnisse
anzueignen. Nach dem Tode Strauß' galt die Druckerei Sollin¬
gers für einige Zeit als eine der besten in Wien^^^. Dietrichstein
und Endlicher wußten also den Druck des mit chinesischen
Sehriftzeichen zu versehenden Verzeichnisses in guten Händen.
Chinesische Sehriftzeichen fanden aueh in der Druckerei der
Wiener Mechitaristen Verwendung. 1843 erstmals in einer Publi¬
kation verwendet''"', blieben die chinesisehen Sehriftzeichen zu¬
mindest bis vor dem Ersten Weltkrieg im Repertoire der Mechi-
44
taristen .
In den frühen vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts begann
schließlich aueh die k. k. Hof- und Staatsdruckerei mit Beschaf¬
fung und Herstellung von umfangreichen Typensätzen nichtlatei-
niseher Schriften. Dabei wurde man in besonderem Maße auf
die vielfältigen Schriftsysteme des asiatischen Raumes aufmerk¬
sam. Alois Auer, der im Frühjahr 1841 an die Spitze der Hof-
und Staatsdruekerei'*^ berufen worden war, konnte naeh Bereit¬
stellung entsprechender finanzieller Mittel - zuerst dureh den
Wurzbach 35 (1877) 252 f.
Zur 1811 gegründeten Druckerei der Mechitaristen vgl. Mari Kristin Arat:
Die Wiener Mechitharisten. Armenische Mönche in der Diaspora (Wien/Köln
1990) 159-172, Erwähnung der chinesischen Typen ebd., 168. Auf die erstmals
1843 verwendeten chinesischen Typen hatte schon Gregoris Kalemkiar: Eine
Skizze der hterarisch-typographischen Thätigkeit der Mechitharisten-Congregation in Wien aus Anlass des 50jährigen Regierungs-Jubiläums Sr. kais. u. kön. Apostoli¬
schen Majestät Kaiser Franz Joseph I. (Wien 1898) 65 hingewiesen.
*^ Neben Kalemkiar (wie Anm.43) 95 vgl. auch: Schriftproben der Mechithari- sten-Buchdruckerei in Wien; zusammengestellt im August 1910 (Wien 1910) 53.
Zur Geschichte der Staatsdruckerei vgl. - neben den in den folgenden An¬
merkungen genannten Darstellungen aus der Feder Auers - auch Franz Stam-
prech: 175 Jahre Österreichische Staatsdruckerei. Entwicklung und Geschichte der Österreichischen Staatsdruckerei (Wien 1979); eine Zusammenfassung der wichtig¬
sten Reformen unter Auer bietet Anton Mayer: Wiens Buchdrucker-Geschichte 1482-1882; ed. von den Buchdruckern Wiens; Bd.2: 1682-1882 (Wien 1887) 166- 173.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen 175
Hofkammerpräsidenten Freiherrn von Kübeck, dann durch den
energischen Finanzminister Kari Friedrich Freiherrn von Bruck
- in den ersten zwanzig Jahren seiner Tätigkeit einen enormen
Aufschwung der Typographie in Österreich herbeiführen'**. Die¬
ser Aufschwung wurde von der zeitgenössischen Presse aufmerk¬
sam verfolgt - ein Umstand, der die k. k. Hof- und Staatsdruk-
kerei veranlaßte, zahlreiche diesbezügliche Auszüge aus den Pe¬
riodika der Jahre 1845 bis 1852 zu sammeln und diese Sammlung
der Öffentlichkeit in gedruckter Form vorzulegen. Ein Blick in
das Inhaltsverzeichnis zeigt, daß der Schwerpunkt dabei auf den
Jahren 1845 bis 1847 (Bemühungen zur Herstellung der ersten
„orientalischen" Drucke) sowie auf dem Jahr 1851 (Weltausstel¬
lung in London) liegt"*^. Das besondere Interesse der Zeitgenos¬
sen fanden die Bemühungen zum Druck chinesischer Schriftzei¬
chen. Was von Endlicher Mitte der dreißiger Jahre aus wohl nur
zum Teil privatem Interesse mit eigenen finanziellen Mitteln,
aber doch mit Unterstützung durch den Präfekten der Hofbiblio¬
thek, begonnen worden war, wurde somit in der ersten Hälfte
der vierziger Jahre von Auer unter professionellen Voraussetzun¬
gen in der Hof- und Staatsdruckerei fortgeführt. Der junge Di¬
rektor verfolgte den Plan, alle den Zeitgenossen bekannten
Schriftsysteme der Erde zu sammeln und als drucktechnische
Leistung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei trug er seine
gesammelten Erkenntnisse auch vor gelehrtem Publikum vor. Mit
Genehmigung des Freiherrn von Kübeck reiste er 1845 auf eige¬
ne Kosten nach Darmstadt"**, wo die zweite Versammlung deut¬
scher Orientalisten tagte. Am 2. Oktober 1845 hielt Auer vor die¬
ser Versammlung einen Vortrag über die unter seiner Direktion
** Alois Auer, geboren 1813 in Wels, erlernte schon früh das Buchdrucker¬
handwerk, in seinen Mußestunden trieb er Sprachstudien; in Linz unterrichtete er Französisch und Italienisch. Anfang der sechziger Jahre sah er sich zunehmend mit Vorwürfen von Seiten des Finanzministers von Plener konfrontiert und mußte 1866 seinen Abschied nehmen. Am 10.7.1869 starb er in Wien. Neben seiner Au¬
tobiographie vgl. vor allem Wurzbach 1 (1856) 85 L sowie Österreichisches Biogra¬
phisches Lexikon 1 (1957) 34 f Zu Auers Direktion vgl. auch die durchaus krid¬
schen Bemerkungen bei Lorck (wie Anm. 25) Bd.2, 422-426.
Beurtheilungen über die k. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien. [Teil lj:
Auszüge aus den Zeitungen (Wien 1852). Ein zweiter Band sollte „Briefliche Zu¬
sendungen" der Öffentlichkeit voriegen, dieser ist jedoch nie erschienen. Die Or¬
thographie der Zeitungsartikel wurde in diesem Sammelband schon von der Hof- und Staatsdruckerei vereinheitlicht.
Alois Auer: Mein Dienstleben, Bd. 1 (Wien 1860) 6.
in der Hof- und Staatsdruckerei entwickelten Typensätze . Die
in Wien unternommenen Anstrengungen zur Vermehrung der
orientahschen Typen wurden durch in Wien wirkende Personen
auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes verbreitet: „[...]
cette imprimerie, qui, sous son directeur actuel, M.Auer, a pris
un tel essor, que, pour la richesse et la multiplicite des caracteres
orientaux, eile doit etre consideree comme une des premieres de
l'Europe."^"
Dieser Reichtum an orientalischen Typensätzen berechtigte
auch zur Hoffnung, daß eine „Asiatische Gesellschaft" für
Deutschland ihren Sitz in Wien nehmen könnte, wofür sich unter
anderem auch Joseph von Hammer-Purgstall wiederholt mit
Nachdruck ausgesprochen hatte^'. Der Herausgeber der „Oester¬
reichischen Blätter für Literatur und Kunst" brachte es anläßlich
der dritten österreichischen Industrieausstellung (1845 in Wien)
auf den Punkt: „Wenn jeder filologischen [!] Gesellschaft eine
wohlgeordnete Druckerei nothwendig ist, welche Grundlage
hätte die projektirte , asiatische Gesellschaft' in Wien an der
Staatsdruckereil Welche Resultate könnte sie liefern, auf so gün¬
stigem Boden! - In der That, wenn das Gerücht wahr ist, daß
, Halle' der Sitz derselben werden sollte - man fände nicht Aus¬
drücke genug des Bedauerns, daß Wien eines Wirkungskreises
verlustig werden sollte, für den es durch seine Hilfsmittel jetzt
die erste Rolle in der Welt spielt 1"^^
[Alois Auer] : Vortrag über den Typenschnitt fremder Alphabete und über die tabellarische Behandlung des Adelung'sehen Mithridates. In: Jahresbericht der Deutschen morgeniändischen Gesellschaft fiir das Jahr 1845 (Leipzig 1846) 21- 33. - Wiederabgedruckt in Beurtheilungen (wie Anm.47) 18-26.
[Peter Joseph] Piquere: Notice necrologique sur M. Krafft. In: Journal Asia¬
dque, IV.Serie, Bd. 10 (1847) 174-176, das Zitat ebd., 176. Albrecht Krafft (1816- 1847) hatte im Auftrag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei Druckvorlagen für den
arabischen Schriftenkreis entworfen. Zu Kraffts Biographie vgl. Wurzbach 13
(1865) 99-101. Der Verfasser des Nachrufes im Journal Asiatique war Professor der französischen Sprache und Literatur an der Wiener Orientalischen Akademie;
vgl. Hof- und Staats-Handbuch des österreichischen Kaiserthumes (Wien 1847) Teil II, S.136.
Hammer-Purgstall war dafiir eingetreten, daß diese Gesellschaft ihren Sitz in Wien nehmen sollte, hatte sich damit aber nicht durchsetzen können. Zur Ver¬
wirklichung des Projektes einer asiatischen Gesellschaft für Deutschland vgl.
Holger Preissler: Die Anfänge der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft. In:
ZDMG 145 (1995) 24\-m.
[A.Adolf] Schmidl: Leistungen der Buchdruckerkunst, mit besonderer Bezie-
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen . 177
In seinen Memoiren nannte Alois Auer jene Fachleute, die die
orientalischen Typensätze für ihre wissenschaftlichen Arbeiten
benötigten. Die Entdeckung Pfizmaiers und des aus Krems stam¬
menden Anton Bollernd für die Asienwissenschaften heftete er
sich dabei auf die eigenen Fahnen: „[...] und hiebei [wurde] den
beiden einheimischen, bis dahin in tiefer Stille lebenden Orienta¬
listen Pfitzmayer [sie!] und Boller ein so reiches und dank¬
bares Feld ihrer Thätigkeit eingeräumt. [...] Beiden Männern
konnte nur der gewonnene Typenreichthum der Staatsanstalt die
Mittel gewähren, ihre Kenntnisse in der chinesisehen und japani¬
schen Sprache, sowie des Sanskrits und seiner Töchterspraehen,
der Welt kund zu geben."^'*
Unter dem Titel „Die österreichische Hof- und Staatsdrueke¬
rei" enthielt die Beilage zur „Allgemeinen Zeitung" vom 28.
März 1845 Bemerkungen über diejenigen Schriftsätze, „deren
Verfertigungs- oder Erwerbungsweise irgendein allgemeines In¬
teresse darbietet. Und da müssen wir denn vor allem des chine¬
sischen Alphabets gedenken, wovon Hr. Professor Stephan
Endlicher mehrere Tausende von Typen, deren Anschaffung
ihm einen höchst bedeutenden Aufwand von Zeit, Mühe und
Geld verursacht hatte, der Staatsdruckerei behufs Matrizenver¬
fertigung einstweilen überlassen hat. Diese Matrizenbereitung
wird auf galvanoplastischem Wege bewerkstelligt, und der¬
malen sind bereits einige Tausende zum Typenguß gediehen!"
Endlicher hatte sieh bei der Anfertigung von fremden Schriftsät-
hung auf die k. k. Staatsdruckerei [= Die dritte österreichische Gewerbs-Produk- ten-Ausstellung. III. Artikel]. In: Oesterreichische Blätter für Literatur und Kunst, 2.Jg., Nr. 120 (7.10.1845) 932. - Beurtheilungen (wie Anm. 47) 31.
" Anton Boller (1811-1869) stammte aus Krems, studierte zunächst Medi¬
zin, um sich - ähnlich wie Pfizmaier - dann der Philologie zuzuwenden. 1845 Pri¬
vatdozent für Sanskrit an der Universität Wien, wurde er 1848 in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen, 1850 zum Extraordinarius und 1855 zum Ordi¬
narius für Vergleichende Sprachwissenschaft und Sanskrit an der Universität Wien bestellt. Vgl. Österreichisches Biographisches Lexikon 1 (1957) 99r 1847 gab er eine Sanskrit-Grammadk heraus. Vgl. dazu die Besprechung von C[arl]
A[dam] Kaltenbrunner: Der erste Sanskrit-Druck in Oesterreich. In: Sonntags¬
blätter, 6. Jg., Nr4l (10.10.1847) 519-522.
Auer (wie Anm. 48) IIL War für die Entwicklung der hier erwähnten Ty¬
pen die wissenschaftliche Tädgkeit Pfizmaiers und Bollers ausschlaggebend, so soll Auer selbst den Schnitt Ubetischer Lettern angeregt haben. Zu diesem Unter¬
fangen vgl. Johannes Schubert: Typographia Tibetana In: Gutenberg Jahrbuch
1950. Festschrift zum 80jährigen Bestehen des Gutenberg-Museums in Mainz
[Mainz 1950] 290L („Die Auer-Type").
zen nicht nur auf chinesische Typen beschränkt: „Von demselben
ausgezeichneten vielseitigen Gelehrten ist die Anstalt auch mit
den Stempeln zum Guß eines Man dschu-Alphabetes bereitwil¬
lig versehen worden."^^ Etwa zur gleichen Zeit enthielten die
„Jahrbücher der Literatur" in einer Besprechung von Bearbeitun¬
gen orientalischer Werke eine Fußnote zur Hof- und Staatsdruk-
kerei, die darauf hinwies, daß Endlicher „sechstausend chinesi¬
sche Stempel", die er „für seine Grammatik und andere Arbeiten
chinesischer Literatur" benötigte, anfertigen ließ^*. Die Zahl der
von Endlicher der Hof- und Staatsdruckerei überlassenen chine¬
sischen Lettern wurde sonst jedoch von den Zeitgenossen mit cir¬
ca 12000 angegeben; sowohl anläßlich der Industrieausstellung
des Jahres 1845 in Wien" als auch von Alois Auer in seiner 1851
anonym erschienenen Geschichte der Hof- und Staatsdruckerei.
Auer betonte zudem, daß man die Typen „kostenfrei" von End¬
licher erhalten habe^*.
Die hier aufgezeigten scheinbaren Widersprüche über die An¬
zahl der von Endlicher der Hof- und Staatsdruckerei überlasse¬
nen chinesischen Typen wurden jedoch schon in der zeitgenössi¬
schen Berichterstattung aufgeklärt: „Von den Chinesischen Cha¬
rakteren, die ursprünglich auf Kosten und nach der Angabe des
Herrn Professors Endlicher in Schrift-Zeug geschnitten wur¬
den, die aber jetzt durch die Anstalt noch vermehrt wurden, be¬
sitzt sie mehr als 12.000 Stück [.. .]."^'
Die österreiehische Hof- und Staatsdruckerei. In: (Augsburger) Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nro.87 (28.3.1845) 692 (Hervorhebungen im Original). - Be¬
urtheilungen (wie Anm.47) 7 f. Zur Passage über die chinesischen Typen vgl. auch Walravens: China iUustrata (wie Anm.lO) 269 f.
5' Jahrbücher der Literatur 110 (1845, April, Mai, Juni) 47 (Text der Fußnote beginnt auf S.46) - Die Beurtheilungen (wie Anm.47) 26 L geben den Text dieser Fußnote wieder.
" Schmidl (wie Anm. 52) S.931.
[Alois Auer] : Geschichte der k. k. Hof- und Staats- Druckerei in Wien. Von einem Typographen dieser Anstalt - [1.] Geschichte der k. k. Hof- und Staats-Druk- kerei in Wien bis zum Jahre 1851 (Wien 1851) 30 (in der ebenfalls 1851 erschiene¬
nen viersprachigen Ausgabe [deutsch-englisch-französisch-italienisch] des Werkes S.lOO). Die Verfasserschaft Auers gilt nach Durstmüller (wie Anm. 39) 1,239 als höchst wahrscheinlich. Die von Auer angegebene Zahl von rund 12000 Schriftzei¬
chen geben auch Mayer (wie Anm.45) Bd.2, 168, Georg Fritz: Geschichte der
Wiener Schriftgießereien seit Einführung der Buchdruckerkunst im Jahre 1482 bis zur Gegenwart (Wien 1924) 73 sowie Stamprech (wie Anm.45) 51.
Die k. k. Hof- und Slaatsdruckerey in Wien (Schluß). Besprochen von Dr.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen ... 179
Ehe überhaupt an die Verwendung dieser chinesischen Zei¬
chen geschritten werden konnte, mußte die Ausbildung der in
der Hof- und Staatsdruckerei tätigen Setzer grundlegend refor¬
miert werden. Zu dieser Ausbildung zählten auch Sprachkurse.
Schon kurz nachdem Auer zur Leitung der Anstalt berufen wor¬
den war, hatte er den Setzern und Korrektoren den Besuch von
Italienisch- und Latein-Kursen zur Pflicht gemacht. Diese
Sprachkurse wurden zu Beginn des Jahres 1845 noch ausge-
baut*°. Die Reorganisation der Hof- und Staatsdruckerei wurde
von den Zeitgenossen ausführlich gewürdigt. Die Beilage zur
„Allgemeinen Zeitung" vom 7. Mai 1845 informierte über das
Streben, „die Hof- und Staatsdruckerei vollkommen in Verfas¬
sung zu setzen den Hauptlitteraturen [sie!] des gesammten
Orients - bemerken Sie wohl, des gesammten Morgenlandes,
nicht bloß jenes vorderasiatischen Bruehtheiles, welchem dieser
Name noch immer vorzugsweise beigelegt zu werden pflegt - ih¬
re Pressen darbieten zu können!" Für einige Mitglieder
der Hof- und Staatsdruckerei wurde im April 1845 das Angebot
um weitere orientalische Sprachen bereichert: „Und so werden
denn seit dem 15. laufenden Monats auch Vorträge über das
Sanskrit, über das Chinesische und - was unseres Wissens noch
nirgends, selbst in Holland nicht der Fall ist - über das Japani¬
sche vor einigen auserwählten Individuen der kaiserlichen An¬
stalt gehalten! Die beiden letztgenannten ostasiatischen Sprachen
lehrt Dr. und Professor Pfizmaier aus Karlsbad, welcher seit
einigen Monaten Docent des Türkischen und des Chinesischen
an der hiesigen Hochschule ist; das Sanskrit trägt Dr. Bohler
[sie!] vor, ein aus Krems gebürtiger junger Gelehrter."*' Pfiz¬
maier und Boller hatten damit und vor allem auch durch ihre
Lehrtätigkeit an der Wiener Universität „den Blick der österrei-
Hammerschmidt. In: Wiener Zeitung, No.271 (1.10.1846) 2149. Der erste Teil
war in ebd., No.270 (30.9.1846) 2141 f. erschienen.
*" Vgl. dazu Schmidl (wie Anm. 52) 932, wo es nach der Erwähnung der Kurse in Latein und Italienisch heißt: „Der Versuch gelang so guL daß jetzt ein förmli¬
cher polyglotter Unterricht ertheilt wird, lateinisch, französisch, italienisch, eng¬
lisch, böhmisch, ungarisch, türkisch, chinesisch, japanisch und Sanskrit!"
Die Wiener Hof- und Staatsdruekerei. [Teil] II. In: (Augsburger) Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nro. 127 (7.5.1845) 1011. - Beurtheilungen (wie Anm.47) 8-
12. Der 15.4.1845 wird auch von Mayer (wie Anm.45) Bd.2, S. 172 Anm.287 -
allerdings ohne Quellenangabe - als Datum des Beginns der Kurse für SanskriL Chinesisch und Japanisch genannt.
chischen Unterrichtsbehörden auf Gebiete gelenkt, welche bis dahin bei uns nicht besonders berücksichtigt waren.""
Die - abgesehen von der königlichen Druckerei in Paris - ein¬
zigartige Ausbildung der Typographen führte Auer sowohl in der
1851 erschienenen Geschichte des von ihm zu Weltruf geführten
Hauses als auch in seinen 1860 verfaßten Erinnerungen aus sei¬
nem Dienstleben nochmals an: Wie er ausführte, konnten ausge¬
wählte Mitarbeiter „gegen Entrichtung eines sehr geringen Betra¬
ges zur Bestreitung des Honorars der betreffenden Lehrer" diese
Kurse besuchen: „Der Unterricht findet Morgens, Mittags und
Abends, d. i. in den Ruhestunden statt, damit der Gang der Ge¬
schäfte nicht beeinträchtigt werde."*^
Neun Jahre später schrieb Auer: „Wie belebend und befruch¬
tend die linguistische Typographie der Anstalt auf ihr Personale
wirkte, geht aus dem Umstände hervor, daß Mehrere [sie!] der
jüngeren, intelligenteren Factoren und Schriftsetzer die Vorlesun¬
gen des Professors Pfitzmaier [sie!] im Türkischen und Arabi¬
schen, Chinesischen und Japanesischen, dann des Professors
Boller im Sanskrit, an der k. k. Universität benützten, um sich
mit Original-Alphabeten und dem Lesen in diesen Sprachen voll¬
kommen betraut zu machen."*'* Diese überaus erfreuliehe Ent¬
wicklung für die Typographie nahm jedoch wenig später ein jä¬
hes Ende: „Die Stürme des Jahres 1848 und 1849, und die darauf
folgende Ueberhäufung an Arbeit [die Staatsdruekerei hatte ab
1849/50 unter anderem die Reichsgesetzblätter in zahlreichen
Sprachen der Monarchie zu drucken - Anm. G. L.] hat wohl die
Fortsetzung dieser Vorträge vereitelt, aber die Ergebnisse der
vorhergehenden Bestrebungen sind grossentheils geblieben und
werden sich hoffentlich noeh lange fortpflanzen."*^
Wenige Tage vor dem Ausbruch der Revolution in Wien hatte
der junge Erzherzog Franz Joseph mit seinen beiden Brüdern
Ferdinand Maximilian und Karl Ludwig am 10. März 1848 die
Hof- und Staatsdruekerei zum erstenmal und gleich „für mehrere
*^ Wilhelm Anton Neumann: Über die orientalisehen Sprachstudien seit dem
XIII. Jahrhundert mit besonderer Rücksicht auf Wien ([Inaugurationsrede des
Rektors vom 17.10.1899;] Wien 1899) 49.
" Auer (wie Anm. 58) 37 f.
"^^ Auer (wie Anm. 48) 17 f.
[Alois Auer:] Geschichte der k. k. Hof- und Staats-Druckerei in Wien. Von einem Typographen dieser Anstalt - [2.] Beschreibung der k. k. Hof und Staats- Druckerei in Wien bis zum Jahre 1851 (Wien 1851) 22.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen ... 181
Stunden" besucht. Dieser Besuch bot Auer Gelegenheit, die po¬
lyglotte Typographie auch Mitgliedern des Herrscherhauses nä¬
herzubringen: „Da die Anstalt früher von dem höchsten Besuch
in Kenntniß kam, so ließ ich als Gedenkblätter dieses festlichen
Tages zur Ueberreichung an die durchlauchtigsten Prinzen ein
kleines Prachtalbum drucken, worin sich Typen- und
Sprachproben des in der Anstalt stattfindenden Unterrich¬
tes der Zöglinge befanden. Der Text an die durchlauchtigsten
Sprossen des kaiserlichen Thrones gerichtet, war in deutscher,
ungarischer, polnischer, französischer, italienischer, englischer,
lateinischer, griechischer, armenischer, hebräischer, türkischer,
persischer, chinesischer und japanischer Sprache, endlich im
Sanskrit, mit den Typen der Original-Alphabete dieser Sprachen
und der wortgetreu eingefügten Uebersetzung."**
Die Kenntnis von den orientalischen Typen der Wiener Hof-
und Staatsdruekerei war jedoch nicht nur dem Kaiserhaus und
den an deren Entstehung beteiligten und/oder interessierten wis¬
senschaftlichen Kreisen vorbehalten geblieben. Durch die Wiener
Industrieausstellung von 1845 und auch durch mehrere Zeitungs¬
artikel waren diese Typensätze einem größeren Publikum be¬
kannt geworden. In den wegen der vormärzlichen Zensur in
Hamburg erscheinenden „Sibyllinischen Bücher aus Oestreich",
die aus der Feder des Offiziers und Publizisten Karl Moering
stammten, wurde im Hinblick auf die in Preußen unternomme¬
nen Versuche, den Handel mit Ostasien zu beleben und die dies¬
bezüglich desinteressierte Haltung der österreichischen Regie¬
rung auch die hier diskutierte drucktechnische Neuerung ins
Treffen geführt: „Gebe Gott, daß Oestreich zu China und Japan
endlich in andere Beziehungen trete, als durch den Thee, die chi¬
nesischen und japanischen Typen der k. k. Hof- und Staatsdruk-
kerei."*^
Als Wien bereits ganz unter dem Eindruck der Revolution
stand, wurde der zweite Teil der von Auer herausgegebenen
„Sprachenhalle" in der Sitzung der philosophisch-historischen
Auer (wie Anm. 48) 22 f. (Zitat S.23). Auer wußte zu berichten, daß die Erz¬
herzöge die überreichten Blätter mit der „lebhaftesten Theilnahme aufgenommen hatten".
Karl Moering: SibyUinische Bücher aus Oestreich; 2 Bde. (Hamburg 1848)
2,207. Zu Moering (1810-1870) vgl. Wurzbach 18 (1868) 418-425 sowie Neue
Deutsche Biographie 17 (1994) 674f.
Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am 3. Mai
1848 näher besprochen. Diese „Sprachenhalle", von der ein er¬
ster Teil in 9 Blättern bereits 1844 erschienen war** und deren
zweiter Teil 1847 folgte*', sollte ähnlich wie die ebenfalls 1844
vorgestellte „Typenschau des gesammten Erdkreises" (7 Blätter)
alle bis dahin bekannten Schriftarten und Schriftsysteme veran¬
schaulichen. Die 1847 erschienene zweite Abtheilung der „Spra¬
chenhalle" wurde auch in der Wiener „Allgemeinen Theaterzei¬
tung" ausführlich besprochen. Im Gegensatz zum Bericht in der
„Wiener Zeitung" wurde explizit auf die darin enthaltenen Bei¬
spiele ostasiatischer Schriftsysteme verwiesen. Die Beschreibung
ging hier sogar ins Detail: „Von den Hieroglyphen sind natürlich
nur Einige abgedruckt; ebenso ist das Chinesische nur durch
dessen 214 sogenannte Schlüssel vertreten, welche gewöhnlich
und zwar an der linken Seite jeden Wortes - aus zwei Begriffen
gebildet - zu stehen kommen, und nach welchen in den Wörter¬
büchern die betreffenden Bezeichnungen aufgesucht werden kön¬
nen. - Nebst mehreren Anderen, die bisher nur in Abbildungen
von Inschriften zu finden waren, erblicken wir hier zum ersten
Male das Japanische in beweglichen Lettern dargestellt, und
zwar in zweierlei Schriftarten, mit den meisten Ligaturen und
chinesischen Zeichen in Grasschrift, welche gleichzeitig mit der
japanischen Firokana [Hiragana] verwendet werden."™ Den Be¬
mühungen um den Druck der japanischen Schriftarten, die in
der Wiener Hof- und Staatsdruekerei unternommen worden wa¬
ren, hatte die Beilage der „Allgemeinen Zeitung" schon am 25.
September 1846 einen kurzen Artikel gewidmet^'. Wenige Wo¬
chen später, am 9. November 1846, veröffentlichte die „Wiener
Vgl. dazu die Besprechung in der Wiener Zeitung, No.83 (25.3.1845) 635 f.
Eine ausführliche Besprechung brachte die Wiener Zeitung, No.246
(6.9.1847) 1909-1910. Dieser Artikel dürfte auch bei Mayer (wie Anm.45) Bd.2, 169 Anm. 282 gemeint sein, dort wird jedoch das Datum 21.9.1847 angegeben.
""^ Sprache und Schrift, eine Ehrenarbeit des Vaterlandes. In: Allgemeine Thea¬
terzeitung. Originalblatt für Kunst, Literatur, Musik, Mode und geselliges Leben, 40. Jg., No. 283 (26.11.1847) S. 1129 L
" F. M. M-ven [Ferdinand Maria Malven] : Das Japanische Typenwesen in der Hof- und Staatsdruekerei zu Wien. In: Allgemeine Zeitung, Beilage zu Nro. 268 (25.9.1846) 2140L Der Verfasser stützte seine Angaben auf Mitteilungen, die er von Pfizmaier erhalten hatte. - In den Beurtheilungen (wie Anm.47) 38 L ist ledig¬
lich der vorletzte Absatz des Artikels abgedruckt. Im Gegensatz zum Originalbe¬
richt, wo es „Firokani" und „Katakani" heißt, steht im Wiederabdruck „Firoka¬
na" und „Katakana".
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen 183
Zeitung" ein Probeblatt mit folgenden vier Schriftarten: „Chine¬
sisch mit Erklärung in Katakana-Schrift"; „Japanisch in großer
Firokanaschrift", „Japanisch in Cursiv-Firokanaschrift" sowie
„Dialekt von Jedo in kleiner Firokanaschrift". In einem beglei¬
tenden Artikel wurde Näheres über die verschiedenen Schriftar¬
ten mitgeteilt^t.
August Pfizmaier, der vom ersten Präsidenten der Akademie,
Joseph von Hammer-Purgstall, und von Alois Auer tatkräftig ge¬
fördert worden war, berichtete wie erwähnt am 3. Mai 1848 über
die in der „Sprachenhalle" aufgeführten chinesischen und japa¬
nischen Fassungen des „Vaterunser"^-'. Pfizmaier wies in seinem
Bericht, in dem er auch die Quellen für die fünf chinesischen
Fassungen aufführte, auf die Schwierigkeiten hin, die man bei
der Übersetzung des „Vaterunser" in orientalische Sprachen zu
gewärfigen habe. Vor der eingehenden Besprechung der in den
einzelnen Fassungen unterlaufenen Übersetzungsfehler sprach er
sich für die von ihm bevorzugte Übersetzungsmethode aus: „Die¬
ser Übelstände ungeachtet halte ich es im Allgemeinen doch für
zweckmässiger, das Vater-Unser wörtlich zu übersetzen, und lie¬
ber unverständlich zu werden, als durch eine freie Bearbeitung
einer unrichtigen Auslegung Raum zu geben und mit den herr¬
schenden religiösen Begriffen des Volkes sich zu identifizieren.
Namentlich in China hätte dies wenig zu bedeuten. Man würde
das Unverständliche für Sectensprache halten und von den Com¬
mentatoren die Erklärung des Sinnes erwarten."^'*
Der von Endlicher erhaltene Satz chinesischer Typen diente
den Typographen der Hof- und Staatsdruekerei als Basis für wei¬
tere Versuche zum Druck chinesischer Zeiehen. Aueh in Wien
wurde für den Druck chinesischer Zeichen mit der Mikrotypie
experimentiert: „Ein chinesischer Satz zeigt eine neue Entdek-
kung von höchstem Interesse. Nach Art der Musiknoten nach
Dr. Hammerschmidt: Japanische Typen der k. k. Hof- und Slaatsdruckerey in Wien. In: Wiener Zeitung, No.310 (9.11.1846) 2490f. Seite 2491 zeigt die Proben der unter Pfizmaiers Aufsicht entstandenen vier japanischen Schriftgattungen. - Zum Text des Artikels vgl. auch Beurtheilungen (wie Anm.47) 43-45.
Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien, philosophisch-historische Classe, Bd.l (1848) 150-171, zum Bericht Pfizmaiers vgl. ebd., 160-164. Pfizmaier selbst erwähnte (S.163) die in der Wiener Zeitung enthaltenen Probedrucke.
''^ Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien, philosophisch-historische Classe, Bd.l (1848) 161.
dem vom Director der Staatsdruekerei [...] aufgestellten typome¬
trischen Systeme aus circa 400 Puncten und Strichen zusammen¬
gestellt, werden bei 80.000 Zeichen gebildet. Obschon die Mühe
des Zusammenreihens in Anschlag gebracht werden muss, so
stellt sich doch der Nutzen von Gutenberg's Erfindung der Beweg-
lichmachung der Schriftzeichen unserer 26 Buchstaben bei der
großen Anzahl der Zeichen der Chinesen (!) als ungleich wichti¬
ger dar."^^
Die von Auer angesprochene „Mühe des Zusammenreihens"
chinesischer Sehriftzeichen im Mikrotypie-Verfahren wird durch
einen Artikel der „Oesterreiehisehen Reichszeitung" vom 20.
März 1851 illustriert: „Die Worte , bewegliche Typen' sind leicht
niedergeschrieben, der Begriff, dass die Typen beweglieh sind,
ist ein einfacher, und Tausende, die jenen Kunstdruck sehen, ge¬
hen ohne ihm eine Minute Nachdenken zu widmen, über densel¬
ben hinweg; und doch welche Mühe und Kunstgeschicklichkeit
liegt in der unscheinbaren Arbeit verborgen! Bekanntlich besitzt
die chinesisehe Spraehe keine einzelne [sie!] Buchstaben, jedes
Wort hat sein eigenes Zeiehen. So verschieden nun aueh diese
Zeiehen sind, so ist es dennoch gelungen, dieselben auf eine An¬
zahl gleichartiger Elemente zurückzuführen und dureh die gehö¬
rige Verbindung dieser einzelnen Elemente die sämmtlichen chi¬
nesisehen Zeiehen herzustellen. Während aber alle unsere Worte
aus etwas mehr als zwanzig Buchstaben gebildet sind, bedurfte
es für das Chinesische über vierhundert versehiedene Formen.
(...) Aus dieser Masse verschiedenartiger Stücke, von denen je¬
des einzelne mit der höchsten Genauigkeit gearbeitet sein muss,
wird nun der ,Satz' hergestellt. Wie schwierig diese Arbeit ist,
mag man daraus abnehmen, daß ein chinesisches Wortzeichen,
welehes vielleicht einen halben Zoll im Quadrate beträgt, oft aus
30 bis 40 einzelnen Stücken zusammengesetzt ist."^*
Der „Humorist" berichtete am 24. April 1851 auf ähnliche
Weise - die Anzahl der für die Mikrotypie isolierten Zeiehen-
[Alois Auer :] Geschichte der k. k. Hof- und Staats-Druckerei in Wien. Von einem Typographen dieser AnstaU - [3.] Uebersicht der von der Wiener k. k. Hof- und Staatsdruekerei [sie!] in London ausgestellten Gegenstaenäe aller graphischen Kunstzweige (Wien 1851) 5.
Zitiert nach Beurtheilungen (wie Anm. 47) 80f. 1 Zoll entspricht 2,615 Zen¬
timeter.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen 185
komponenten wurde darin jedoch mit 300 angegeben^^. Die aus¬
führhchen Berichte der Wiener Presse über die chinesischen und
japanischen Typen im Vorfeld der Londoner Weltausstellung
spiegeln das Bewußtsein von der Weltgeltung der Hof- und
Staatsdruekerei wider. Doch auch in London war der Wiener
Entwicklung eine entsprechende Würdigung gewiß. So hieß es in
„The Morning Chronicle" vom 2. Juni 1851: „[...] We notiee par¬
ticularly, amidst the varied riches of the Imperial printing-office
of Vienna, a system of type for composing the 80,000 signs of the
Chinese language by means of about 400 points and strokes; the
composition appears, however, to us to be a work requiring a
great amount of care to avoid the chance of errors, which a slight
alteration of the position of any one of the points would cause."^*
Im 1860 veröffendichten ersten Band der Erinnerungen aus
seinem Dienstleben gedachte Auer dieser unter Aufsicht von Au¬
gust Pfizmaier entwickelten Methode und nahm bei dieser Gele¬
genheit auch auf die in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten
vor sich gegangene „Öffnung" der ostasiatischen Reiche Bezug:
„Da der japanische Druck bei den berühmten Sinologen des
Auslandes großen Beifall fand, so schreckte die Anstalt auch
nicht vor der unendlichen Schwierigkeit zurück, unter Mitwir¬
kung Pfitzmaier's[sic!] den Versuch zu machen, die nach Begrif¬
fen zusammengesetzten Schriftzeichen der Chinesen in einfache
Zeichen aufzulösen und hienach bewegliche Typen zu formen,
oder wenigstens den Weg dazu anzubahnen und die Möglichkeit
zu zeigen, daß der europäische bewegliche Letternsatz auch für
chinesische Bücher angewendet werden könne. Die hierorts ge¬
machten Versuche haben diese Möglichkeit dargethan, und es
dürfte diese Frage bei dem in jüngster Zeit stattgefundenen welt¬
historischen Aufschlüsse dieses ungeheuren Reiches von China
vielleicht noch von Wichtigkeit werden."''
Diese Ausführungen Auers über die mit dem Satz chinesischer
Schriftzeichen verbundenen Mühen warfen vermutlich schon von
Anfang an die Frage nach den Kosten des Druckes mit den
orientalischen Typensätzen auf Der von Karl Friedrich Neu¬
mann schon 1837 erwähnte Aspekt, daß der unter der Aufsicht
" Humorist, 15. Jg., No. 112 (24.4.1851) 447. Wiederabgedruckt in: Beurthei¬
lungen (wie Anm.47) 89.
Zitiert nach Beurtheilungen (wie Anm.47) 94.
Auer (wie Anm. 48) 12.
Endlichers entstandene Satz auch anderen Forschern zur Verfü¬
gung gestellt werden könnte, wurde später von Auer in abgewan¬
delter Form wieder aufgegriffen. Für jene Autoren, die ihre
sprachwissenschaftlichen Werke auf eigene Kosten drucken lie¬
ßen, wurde durch seine Initiative „von der vorgesetzten Hofstelle
die humane Genehmigung erwirkt, daß der schwierigste Schrift¬
satz für solche Werke in orientalischen und überhaupt fremden
Sprachen nicht höher als zu sechs Gulden C. M. per Druckbogen
berechnet wurde, während sonst das Doppelte und Dreifache,
und nach Umständen auch Vier- und Fünffache in Anrechnung
kommen müßte."*° Die Folge dieser allem Anschein nach ge¬
schickten und für die Wissenschaft günstigen Preispolitik waren
zahlreiche Aufträge ausländischer Gelehrter.
Die von der Hof- und Staatsdruekerei unternommenen An¬
strengungen zum Druck chinesiseher Zeichen erweckten aueh in
der englischspraehigen Presse Ostasiens Interesse - so wurden
die hervorragenden Fortsehritte der österreichischen Typogra¬
phie im Gefolge der auf der Londoner Weltausstellung von der k.
k. Hof- und Staatsdruekerei ausgestellten Exponate am 29. No¬
vember 1851 aueh in einem Artikel des in Shanghai erscheinen¬
den „North China Herald" entsprechend gewürdigt*'.
Annähernd zwanzig Jahre später, anläßlich der Anknüpfung
diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und
China, erregten die typographischen Fähigkeiten der Hof- und
Staatsdruekerei in Beijing große Aufmerksamkeit. Dieser Um¬
stand wurde der Öffentlichkeit zu einer Zeit wieder ins Bewußt¬
sein gerufen, als an China weniger wissenschaftliehe Leistungen
als kriegerische Ereignisse interessierten. Während der unter
dem Begriff „Boxeraufstand" subsumierten Unruhen in China
veröffentlichte Karl von Scherzer im Sommer 1900 in der „Neuen
Freien Presse" Erinnerungen an die Zeit des Aufenthaltes der
k.u.k. ostasiatisehen Expedition in Beijing (Sommer 1869)*^. Da¬
mals war das vom Generaldirektor der Chinese Imperial Mari-
Ebd., 12.
" Der Artikel aus dem North-China-Herald vom 29.11.1851 wurde in den Be¬
urtheilungen (wie Anm.47) 121 f. abgedruckt.
Karl von Scherzer: Aus meinem Aufenthalte in Peking. In: Neue Freie
Presse, Nr 12896 (19.7.1900) 14-16. Zu Scherzer (1821-1903) vgl. Wurzbach 29 (1875) 227-238. Scherzer fungierte bei der Ostasiatischen Expedition als Erster Beamter.
Zur Geschichte des Druckes chinesischer Zeichen 187
time Customs, dem Briten Sir Robert Hart, angeregte tongwen-
guan, „eine Art Collegium für fremdländische Literatur", gerade
im Aufbau begriffen. Im tongwenguan wurden neben Fremdspra¬
chen vor allem westliche Wissenschaften gelehrt. Für dieses Insti¬
tut waren unter anderem auch „eine reichhaltige Sammlung von
Prachtwerken der Staatsdruekerei, sowie mehrere von der kaiser¬
lichen Akademie der Wissensehaften veröffentlichte Publicatio¬
nen österreichischer Gelehrter (Endlicher, Pfizmaier, Boller, Dr.
Müller)*^ in chinesischer Sprache, welche ich im Namen un¬
serer Regierung dem Prinzen Kung als Präsidenten des Tsung-li
Yamen mit der Bitte zu überreichen mir erlaubte, dieselben als
Nucleus einer internationalen Bibliothek annehmen und
der von Sir Robert gegründeten , Vereinigten Literatur-Halle' ein¬
verleiben zu wollen."*'* Scherzer wußte über „das Aufsehen und
die Bewunderung" zu berichten, welche „die in Wien von
österreichischen Gelehrten in chinesischer Sprache ver¬
öffentlichten Werke unter den eingeborenen und fremdländi¬
schen Sinologen in Peking hervorriefen, noch gesteigert durch
meine Mittheilung, daß die Autoren ihre Studien ausschließlich
in ihrer Heimat machten [.. .]."*^
Diese positiven Reaktionen auf die erfolgreichen Bemühungen
der Wiener Hof- und Staatsdruekerei brachten laut Scherzer ei¬
nem der „Erfinder" dieser Typensätze eine späte Anerkennung:
„[...] veranlaßten mich, bei meiner Rückkehr von der Mission ei¬
nen Bericht über die in China so viel bestaunten Arbeiten von
österreichischen Gelehrten an den damaligen Ministerpräsiden¬
ten Ritter v. Schmerling zu erstatten und dabei der so wenig gün¬
stigen Lage eines der Sprachforscher, des so verdienstvollen Dr.
A. Pfizmaier, zu erwähnen. Diese Anregung hatte zur glücklichen
Der vierte der hier von Scherzer genannten Gelehrten ist wohl der Linguist Friedrich Müller (1834-1898); im Gegensatz zu Endlicher und Pfizmaier hat er sich - ähnlich wie Boller - nicht hauptsächlich mit dem Chinesischen beschäftigt.
Müller hatte an der Auswertung des linguistischen Materials der Novara-Weltum¬
segelung mitgearbeitet und wurde 1869 als Nachfolger Bollers ordentlicher Pro¬
fessor des Sanskrit und der Sprachvergleichung an der Universität Wien; er gih als Hauptvertreter der linguistischen Ethnographie. Vgl. Österreichisches Biogra¬
phisches Lexikon 6 (1975) 414L
Scherzer (wie Anm. 82) 15. Vgl. dazu Karl Scherzer : Fachmännische Be¬
richte über die k. u. k. österreichisch-ungarische Expedition nach Indien, Siam, Chi¬
na und Japan (2. Aufi., Stuttgart 1873) 350.
Scherzer (wie Anm. 82) 15.
Folge, daß das Ministerium des Innern jenen [sie!] greisen Aka¬
demiker bis an dessen Lebensende eine namhafte Jahresdotation
zu gewähren sich bewogen fand."**
Pfizmaier, der wesentlichen Anteil an der Herstellung chinesi¬
scher Typen in Österreich selbst genommen hatte, beschäftigte
sieh in seinen Abhandlungen mehrmals mit chinesischer und ja¬
panischer Schrift. In einer 1871 in den „Denkschriften der kaiser¬
liehen Akademie der Wissenschaften in Wien" erschienenen Ab¬
handlung wies er auf die „bereitwillig zugestandene Benützung"
eines auf Veranlassung der niederländischen Regierung angefer¬
tigten Satzes chinesiseher Typen hin: „Diese ausgezeichnete, die
gebräuchlichsten chinesischen Sehriftzeichen - gegen 7000 an
der Zahl - in zierlicher und correeter Form enthaltende Samm¬
lung ist auch insoferne von hohem Werth, als die Zeiehen, naeh
Classen und Strichen geordnet, zum Behufe der Drucklegung
nieht schwer aufzufinden sind und mit japanischer Sylbenschrift
sieh verbinden lassen."*'
Seit sich Philipp Franz von Siebold Anfang der dreißiger Jahre
des 19. Jahrhunderts zur Aufarbeitung seiner aus Japan nach Eu¬
ropa gebrachten Sammlungen in Leiden niedergelassen hatte,
war diese Stadt zum Zentrum der wissenschaftlichen Beschäfti¬
gung mit Ostasien in den Niederlanden geworden. Unter der Lei¬
tung des langjährigen Siebold-Mitarbeiters Johann Joseph Hoff¬
mann, der seit 1851 an der dortigen Universität Chinesisch und
Japanisch unterrichtet hatte, entwickelte man in den Jahren vor
1860 einen Satz chinesiseher Typen, der später lange Zeit in Ge¬
braueh stand**. Die aus den Niederlanden bezogenen chinesi¬
sehen Typen fanden in Wien fortan in der Setzerei von Adolf
Holzhausens Universitätsbuehdruckerei Verwendung.
Ebd. Anton Ritter von Schmerling (1805-1893) stand von 1860-1865 der
österreichischen Regierung als „Staatsminister" vor, ab 1871 war er Präsident des Herrenhauses des Österreichischen Reichsrates. Sein jüngster Bruder Moriz von S. (1822-1882) war von 1870-1876 Ministerialrat im k. k. Ministerium des Innern.
Vgl. Wurzbach 30 (1875) 172-188 sowie Österreichisches Biographisches Lexikon, 48. Lieferung (1992) S.234L
August Pfizmaier: Gedichte aus der Sammlung der Zehntausend Blätter. In:
Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, philoso¬
phisch-historische Classe, Bd. 21 (1872) 108.
Herbert Franke: Sinologie im 19. Jahrhundert In: Ladstätter/Linhart (wie Anm. 31) S.31L