Dem fragenden Blick ant- wortet der Meister: „Rein emotionale Gründe, keine ra- tionalen.“
Beim Druck der Auflage wird Wunderlich mit Hanke weiterarbeiten, in dessen Steindruckerei in Ringgen- berg bei Interlaken.
Nur fünf Farben gedruckt, neben- und übereinander:
fürs Auge das Spektrum ei- ner multifarbigen Palette.
Ein Druck „nur“? Ein Gemälde auf Papier!
Ein weiter Weg von den frühen Schwarzweiß-Litho- graphien des Dreißigjähri- gen, von der Neubildung der menschlichen Figur nach der Alleinherrschaft des Ab- strakten, des Informellen, von den ersten tastenden Ausbrüchen in die Farbe An- fang der sechziger Jahre bis zum reifen, wahrhaft maleri- schen Alterswerk. Die tech- nische Vollkommenheit ist sich gleichgeblieben.
Hubert Fichte, der jung verstorbene Hamburger Schriftsteller („Die Palette“), hat als erster die frühe, im Ex-
periment gewonnene, aufse- henerregende Perfektion der Lithographiertechnik Paul Wunderlichs analysiert und gültig beschrieben (nur zwei Sätze aus der FAZ, 1962):
„Durch das tropfenartige Auftragen dünner Tinte, aus der – während des Trocknens auf dem Stein – die Farbpar- tikel unregelmäßig ausfallen, erzielt er gallertige Grauwer- te, die vor Wunderlich in der Lithographie nicht produ- ziert worden sind . . . Als er- ster verwendet Wunderlich Blanc de neige, halbtranspa- rentes Schneeweiß, welches, über Schwarz gedruckt, milchglasartigen Schimmer erzeugt . . .“
Solche „Kunstfertigkeit“
bringt dem Künstler aber zwiespältigen Ruf; Weltruf immerhin. Können ist heute wenig gefragt bei der Kunst- kritik. Und so versteckt Wun- derlich (der nicht erst seit sei- nen Pariser Jahren – 1960/63 – Mona Lisa „in der Hosenta- sche“ zeichnen kann) seine technische Virtuosität, setzt sie scheinbar nur spielerisch
ein. Das ist es wohl, was sei- nen Figurationen oft solche ironische Distanziertheit, ja einen Hauch von Hochmut verleiht. Auch diesem herme- tischen Selbstporträt.
Ältere Leser des Deut- schen Ärzteblattes erinnern sich vielleicht: ein kunstvolles Spiel mit dem seit 1959/60 sich formenden neuen Men- schenbild in der Malerei war schon Wunderlichs „Kleine Anatomie“, acht Blätter ei- ner Mappe, unmittelbar nach dem Erscheinen 1963 von H. E. Roemer-Hoffmann im eben gegründeten Feuilleton der „Ärztlichen Mitteilungen – Deutsches Ärzteblatt“ do- kumentiert: phantastische Abwandlungen der Anato- mie des Menschen, „Zerglie- derungen“, gehauchte An- deutungen von Eros und Thanatos.
Das Deutsche Ärzteblatt hat seither Wunderlichs Le- ben und Werk begleitet; Paul Lüth hat darüber geschrieben (1966), Jens Christian Jensen (1980), Fritz J. Raddatz (1991). Die intensive Be- schäftigung mit der (gefähr- deten) Körperlichkeit des Menschen teilt Paul Wunder-
lich mit dem Arzt, und so ist es eben nicht verwunderlich, daß diese Affinität etliche
„medizinische“ Blätter her- vorgebracht hat: zur Anato- mie bereits 1961, zur Radio- logie, zur Zahnmedizin, zur Intensivmedizin, zur Neuro- logie, zur Anästhesiologie, zur Gynäkologie. Und dazu (vielleicht ungewollt) witzig:
ein HNO-Arzt, der sich mit dem Stethoskop an Mona Lisa heranmacht . . .
Inzwischen arbeitet der Maestro an ganz anderen Werken, mit ganz anderen Werkstoffen; an Bronze- und Steinskulpturen, Möbel- stücken, Spielfiguren, Ge- schirr und Bestecken, Klein- plastiken, Pastellen, Gou- achen, Gemälden, Schmuck, figurativen Objekten, Groß- figuren für den Garten in der Provence . . .
Paul Wunderlich dazu:
„Wer seine Technik gefunden hat (oder einfach übernom- men!) und bei ihr bleibt, ist tot. Wer seine Technik ver- gißt und Neues sucht, der lebt.“
Paul Wunderlich lebt. Er wird am 10. März 1997 sieb- zig. Ernst Roemer
A-607 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 10, 7. März 1997 (59)
V A R I A FEUILLETON
Existiert bis jetzt nur als Probe-Andruck: Wunderlichs jüngstes Selbstporträt
„Im Profil“ Foto: Ernst Hanke
Der Maler und Holzbild- hauer Rudolf Heltzel, dessen Atelier über der Elisabeth- Kirche in Berlin-Schöneberg seit Jahrzehnten „Kommuni- kationsort für Menschen“ ist, wurde im Januar 90 Jahre alt.
Der in Böhmen geborene Künstler Rudolf Heltzel lebt seit frühester Kindheit in Berlin und ist über Deutsch- land hinaus vor allem durch Sakralkunstwerke in katholi- schen und evangelischen Kir- chen bekannt.
Der „malende Fontane“, der außerdem „plein air“
aquarelliert, reist seit der
„Wende“ durch die neuen Bundesländer und „notiert“
halbvergessene Brandenbur- gensia: Feldsteinkirchen, her-
renlose Herrensitze, entle- gene Spreewälder Winkel – aber auch immer wieder Ber- liner Stadtlandschaften.
Eine Geburtstagsausstel- lung findet im April und Mai in der Heimat des Künstlers in D`é`c´in (Tetschen) in Böh- men – auf Initiative des Deutschlandhauses Berlin – statt. In Brandenburg wird Heltzel mit einer Ausstel- lung im Schloß Neuhaus (Lübben/Spreewald) geehrt werden. Religiöse Kunst wird eine Schau des Krippen- museums in Telgte/Westfalen im Sommer zeigen. Re- gelmäßig werden Heltzels Werke außerdem in mehre- ren Berliner Krankenhäusern ausgestellt. Bernd Juds