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Archiv "Die Impfsituation in den alten Bundesländern" (17.10.1991)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DIE ÜBERSICHT

11111111111111111•111 Klemens Stehr

und Ulrich Heininger

Die Impfsituation in den alten

Bundesländern

I

mpfungen in der Bundesre- publik erfolgen auf freiwilli- ger Grundlage. Es gibt keine Pflichtimpfungen, wohl aber

„empfohlene Impfungen"

entsprechend § 14 des Bundesseu- chengesetzes. Dieser Terminus be- sagt, daß derjenige, der sich einer empfohlenen Impfung unterzieht, im postvakzinalen Schadensfall An- spruch auf staatliche Erstattung von Behandlungskosten und ande- ren notwendigen Hilfsmaßnahmen hat (sogenannter Aufopferungsan- spruch). Die einzige Pflichtimpfung war die Pockenschutzimpfung. Die Impfpflicht gegen Pocken wurde 1979 aufgehoben, nachdem die WHO die Pocken weltweit als ausge- rottet erklärt hatte.

Das Impfwesen fällt unter die Zuständigkeit der Länder. Dadurch haben wir bis in die heutige Zeit in den einzelnen Bundesländern ver- schiedene Impfempfehlungen, was sich in der Vergangenheit in mehrfa- cher Hinsicht als abträglich für das Impfen ausgewirkt hat.

Impfhindernisse

Die wichtigsten Impfhindernisse bestanden vor allem in der Verunsi- cherung der Ärzte durch die Diffe- renzen in den länderspezifischen Impfempfehlungen. Diese wichen häufig stark von den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission des BGA ab und waren auch nicht im- mer kongruent mit den Empfehlun- gen der Impfkommissionen kompe- tenter Fachgesellschaften. Eine min- destens ebenso starke impfhemmen- de Wirkung ging von der Verunsi- cherung der Eltern aus, die bei Orts-

Impfungen sind Präventivmaßnah- men mit hervorragenden Kosten- Nutzen-Relationen. Dennoch wer- den sie nur unzureichend einge- setzt. Uneinheitliche Impfempfeh- lungen in den verschiedenen Bun- desländern, jahrelange Diskussio- nen um vermeintliche Nebenwir- kungen ohne Unterscheidung von zeitlichen und ursächlichen Zu- sammenhängen, sowie mangeln- de Kenntnis neuer Entwicklungen haben zu einer tiefgreifenden Ver- unsicherung von Ärzten und Laien geführt. Verstärkte Aufklärung, Vereinheitlichung der Impfemp- fehlungen, Intensivierung der ärzt- lichen Ausbildung und bessere Honorierung der Impfleistung sol- len diesen Mißständen entgegen- wirken.

wechsel von einem Bundesland in ein anderes mit zum Teil sehr vom bisherigen Impfschema abweichen- den Vorstellungen konfrontiert wur- den. So kommt es auch heute nicht selten vor, daß sich verunsicherte El- tern in einem Bundesland an das Bundesgesundheitsamt oder die Deutsche Gesellschaft für Kinder- Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendli- che (Direktor: Prof. Dr. med. Klemens Stehr) der Friedrich-Alexander-Universität Erlan- gen-Nürnberg

heilkunde wenden mit der Bitte, ih- nen einen Arzt namhaft zu machen, der die in einem anderen Bundes- land begonnen Impfungen am neuen Wohnsitz (mit abweichenden Impf- empfehlungen) nach dem alten Schema zu Ende führt. Diese Situa- tionen sind auch rechtlich sehr frag- würdig und unsicher, weil in vielen Fällen der impfende Arzt sich nicht mehr darauf stützen kann, eine emp- fohlene Impfung durchzuführen.

Da diese vielfältigen Verunsi- cherungen zu einem immer stärke- ren Impfhindernis heranwuchsen und zum Stagnieren der Durchimp- fungsraten führten, sind in jüngster Zeit Gegenreaktionen erfolgt. Die erste wichtige Entwicklung war eine enge Kontaktnahme der mit Impffra- gen befaßten Gremien mit unseren Nachbarländern, vor allem der Schweiz, Österreich und Frankreich.

Sodann haben sich die verschiede- nen Impfausschüsse beziehungswei- se Kommissionen für Infektionsfra- gen innerhalb der Pädiatrie zusam- mengeschlossen zu einer einzigen Kommission für Infektionen und Impffragen. In dieser Kommission sind vertreten:

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde, die Deutsche Ge- sellschaft für Sozialpädiatrie, die Paul-Ehrlich-Gesellschaft sowie die Deutsche Gesellschaft für Pädiatri- sche Infektiologie. Diese Kommissi- on ist der Akademie für Kinderheil- kunde und Jugendmedizin e. V. zu- geordnet. Sie verzichtet ausdrücklich darauf, einen eigenen Impfplan her- auszugeben. Stattdessen erarbeitet sie Grundlagen und Richtlinien, die sie durch ihre Mitglieder in der Stän- digen Impfkommission des Bundes- gesundheitsamtes (STIKO) vertritt.

A-3528 (76) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991

(2)

Die STIKO gibt Empfehlungen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, soweit nicht wie bisher die Länder abweichende Richtlinien haben.

Abbildung I: Einstel- lung der westdeut- schen Bevölkerung zu Impfungen 1987 (S. Ley, 4)

Einstellung zu Impfungen

Gemeinsames Ziel ist es, die Impfempfehlungen der STIKO so zu gestalten, daß sie als Richtlinien für den Öffentlichen Gesundheitsdienst wie für den niedergelassenen Arzt in der Bundesrepublik brauchbar sind.

Auf Anregung der Kommission für Infektionen und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- heilkunde und Jugendmedizin hat der Deutsche Ärztetag im Mai 1991 beschlossen, die Wiedereinführung des Impfkurses als Pflichtveranstal- tung in die ärztliche Ausbildungsord- nung zu fordern. Ein weiterer Be- schluß des Ärztetages bittet die Bun- desländer, sich einheitlich den Impf- empfehlungen der STIKO anzu-

~Indifferent 39%

Positiv 25%

~Sehr positiv 9%

Eß] Negativ 27%

Tabelle 1: Impfaktivität bei den Kassenärzten in Westfalen-Lippe 1985 (Triebold, 11)

Fachgebiet Anzahl Impfungen

Kinderärzte 331 = 16 % 299 200

=

65% Allgemeinärzte 1210

=

58,5% 126 794 = 27%

Internisten 526 = 25,4% 42137 = 8%

schließen. Wir hoffen, daß auf die- sem Wege bald einheitliche Impf- empfehlungen in Deutschland beste- hen werden.

Der nächste Schritt sollte die Er- arbeitung eines europäischen Impf- planes sein. Unsere Nachbarländer haben schon heute durch Einbringen ihrer Erfahrungen Anteil an der Ge- staltung unserer Impfempfehlungen.

Eine europäische Übereinkunft dürfte auf wissenschaftlicher Basis nach heutiger Erkenntnis durchaus realisierbar sein.

Die Finanzierung der Impfun- gen war bis in die späten siebziger Jahre häufig mit Schwierigkeiten verbunden. Seit 1980 haben die ge- setzlichen Krankenkassen in Bayern und nachfolgend auch alle anderen Krankenkassen in der Bundesrepu- blik die Kosten für alle empfohlenen Impfungen übernommen.

Der Kosten-Nutzen-Effekt ist für Impfungen sehr günstig. Werden

alle von der STIKO empfohlenen Impfungen einschließlich Auffrisch- impfungen des Erwachsenen zeitge- recht durchgeführt, so entfallen pro Jahr und pro Person Kosten in Höhe von etwa 10,- DM auf die Leistungs- träger. Leider werden trotz vollstän- diger Kostenübernahme durch die Kassen bis heute nur etwa ein Drittel der erforderlichen Impfungen durch- geführt. Daraus resultieren die zum Teil lebensbedrohenden Impflücken in unserer Bevölkerung, auf die noch näher einzugehen ist.

Voraussetzungen für die Akzeptanz einer Impfung

Die Impfmotivation der Bevöl- kerung ist ungenügend. Das belegt die von Sigrid Ley 1987 durchgeführ- te Umfrage nach Einschätzung des

Wertes einer Impfung sehr ein- drucksvoll ( 4). Nur rund ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung steht Impfungen positiv gegenüber, die restlichen zwei Drittel verhalten sich indifferent bis negativ (Abbil- dung 1). Folgende Voraussetzungen ermittelte die Autorio für die Akzep- tanz einer Impfung:

..,.. Die Erkrankung muß als ge- fährlich gesehen und erlebt werden.

.... Es muß ein Erkrankungsrisi- ko bestehen.

.... Wirksame Heilmittel müssen fehlen.

..,.. Unter den Vorbeugungsmaß- nahmen muß die Impfung bekannt und akzeptiert sein.

Ein besonders wichtiges Ergeb- nis der Ermittlungen war, daß 85 Prozent der Befragten den Arzt als denjenigen angaben, nach dessen Rat und Empfehlungen sie sich bei Impffragen am ehesten richten wür- den. Wir müssen uns also fragen:

Wird der Arzt dieser Schlüsselrolle im Impfwesen gerecht?

Die von Triebold 1987 durchge- führten Erhebungen (11) im Bereich der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe geben darüber in einigen Aspekten Auskunft: Danach

impfen Kinderärzte am häufigsten.

Obwohl sie nur 16 Prozent der nie- dergelassenen Ärzte darstellen, wer- den von ihnen 65 Prozent der Imp- fungen geleistet. An zweiter Stelle Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991 (79) A-3529

(3)

686 (81,5%)

%A Gruppe III

148 (17,5%)

8 (1%) 0

200- 100 - 700- 600- 500- 400- 300-

Zi Gruppe 1 Gruppe II

ungeschützt nicht sicher geschützt immun bzw.

weitgehend geschützt

Immunstatus 6-7 jähriger Kinder vor Boosterung mit d-Impfstoff

Gesamtkollektiv n=842

<0,01 0,01-0,09 ( .E/m1 S.) Antikörpergehalt

Abbildung 2: Diph- therie-Antikörperspie- gel bei 6- bis 7jähri- gen Kindern vor Boosterung mit d- Impfstoff (Naumann et al, 5)

Allgemeinärzte 105 I. Jahr Influenza 47 %

Tetanus 14 %

DT 10 %

Polio 5,0%

Tollwut 3,4%

Tabelle 2: Zahl und Art der Impfungen pro Arzt und Jahr bei Kinderärz- ten, Allgemeinärzten und Internisten (Triebold, 11)

DT, DPT, Polio oral, MM, MMR, BCG, FSME, Virus Hepatitis B, Influenza, Toll- wut

Kinderärzte 904 I. Jahr

80 I. Jahr Influenza Tetanus Hepatitis B

65 % 17 %

5 Internisten

stehen die Allgemeinärzte, die mit 58,5 Prozent die größte Gruppe nie- dergelassener Kollegen sind. Von ih- nen werden 27 Prozent der Impfun- gen ausgeführt. Die dritte Stelle neh- men die Internisten mit acht Prozent Impfungen ein, obwohl sie 25,4 Pro- zent der praktizierenden Ärzteschaft repräsentieren (Tabelle 1). Die von den anderen Fachgruppen durchge- führten Impfungen fallen zahlenmä- ßig kaum ins Gewicht.

Bei der Aufschlüsselung der von den einzelnen Disziplinen vorge- nommenen Impfungen wird deut- lich, wo die Impflücken zu suchen sind. Wie die Tabelle 2 zeigt, impfen nur die Kinderärzte mit 904 Impfun- gen im Jahr ein einigermaßen ausge- wogenes Programm, während bei Allgemeinärzten und Internisten ei- ne große Lücke vor allem bei den Auffrischungsimpfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyeli-

tis zutage tritt. Diese sollten nach Impfplan der STIKO alle zehn Jahre stattfinden. Die Zahlen der bei den Kassenärztlichen Vereinigungen 1989 abgerechneten Impfleistungen machen deutlich, daß von den zwei Dritteln der nach Impfplan durchzu- führenden, aber nicht vollzogenen Impfungen ein beträchtlicher Anteil in das Jugend- und Erwachsenenal- ter fällt. In diesen Altersgruppen be- stehen schon heute in der Bundesre- publik gravierende Lücken im Impf- schutz. Bereits 1981 haben Pilars de Pilar und Spiess darauf hingewiesen, daß von unserer Bevölkerung im Al-

ter von 1 bis 17 Jahren 4 Prozent, im Alter von 18 bis 22 Jahren bereits 21 Prozent und in der Altersgruppe der 22- bis 25jährigen sogar 32 Prozent ohne sicheren Diphtherieschutz le- ben (6). Jüngere Erhebungen dersel- ben Autoren zeigen, daß von den Personen älter als 18 Jahre 35,2 Pro- zent ohne schützende Diphtheriean- tikörper gefunden werden, weitere 32,2 Prozent haben einen fraglichen Schutz und nur 32,6 Prozent sind ge- gen eine Diphtherieerkrankung si- cher geschützt (7).

Naumann, Weber und Renate Enners (5) zeigten in einer 1990 ver-

öffentlichten Untersuchung bei 6- bis 7jährigen Schulkindern in Hannover, daß trotz vollständiger Immunisie- rung im Säuglings- und Kleinkindes- alter bereits bei Schuleintritt 18,5 Prozent keinen sicheren Diphtherie- schutz haben (Abbildung 2). Die von der STIKO empfohlene Auf- frischungsimpfung vor Schuleintritt führte bei fast allen Kindern (98 Pro- zent) zu schützenden Antikörperti- tern (Abbildungen 3 und 4). Sie ist be- reits mit dem Td-Impfstoff auszufüh- ren.

Die hier als Beispiel hervorgeho- bene unzureichende Wiederimpfung gegen Diphtherie führte dazu, daß in den vergangenen Jahren in den alten Bundesländern immer wieder lokale Diphtherieepidemien aufflackerten, bei denen fast nur Erwachsene er- krankten mit einer durchschnittli- chen Letalität von 20 Prozent.

Geht man von der Zahl der ver- kauften Impfdosen aus, so wird nur bei der DT-Poliomyelitis-Impfung der Kinder eine annähernd 100pro- zentige Durchimpfung erreicht. Gro- ße Lücken bestehen bei folgenden Impfungen (dabei beziehen sich die Prozentzahlen durchgeführter Imp- fungen auf die nach dem Impfplan der STIKO erforderlichen Impfun- gen = 100 Prozent):

A-3530 (80) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991

(4)

Keuchhusten:

Diphtherie-Tetanus- Auffrischungsimpfungen bei Erwachsenen:

Masern/Mumps (MM

+

MMR):

Röteln (MMR):

Röteln

(Mädchen und Frauen):

Poliomyelitis (Erwachsene):

Influenza:

14%

6%

88%

60%

28%

38%

18%

Die Zahlen machen wiederum deutlich, daß neben der Pertussis- Impfung besonders die Impfungen der Jugendlichen und Erwachsenen (Td, Polio, Röteln) äußerst unzurei- chend durchgeführt werden. Somit wird verständlich, daß anstelle von jährlich 30 Millionen nach Impfplan empfohlener Impfungen nur etwa zehn Millionen durchgeführt wer- den, obwohl die dazu notwendigen Geldmittel von den Krankenkassen bereitgestellt sind.

Eine Kontrolle der Impfbücher bei den Patienten der Universitäts- klinik für Kinder und Jugendliche in Erlangen, die wir in mehrjährigen Abständen durchführen, kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen:

Bei der letzten Erhebung im Jahre 1988 ermittelten wir bei drei- jährigen Kindern eine ausreichende, über 90prozentige Durchimpfung ge- gen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus. Diese hohe Durchimp- fungsrate bestätigt, daß niedergelas- sene Ärzte und Öffentlicher Ge- sundheitsdienst gemeinsam durch- aus in der Lage sind, eine ausrei- chende Durchimmunisierung der Bevölkerung zu erreichen. Wenn da- gegen in unserer Erhebung die BCG- Impfung nur 80 Prozent, die Keuch- hustenimpfung nur 29 Prozent, die Masern-Mumps-Impfung nur 47 Prozent und die Rötelnimpfung im Kleinkindesalter nur 41 Prozent er- reichen, so sind diese Impflücken schon bei Kleinkindern beachtlich.

Zu annähernd gleichen Ergeb- nissen kam Konhäuser 1987 (3) nach Kontrolle der Impfbücher von Schul- anfängern in Oberfranken (Tabelle 3). Auch die Schüler in der 4. bis 5.

Jahrgangsstufe in Bayern zeigen kei-

Diphtherie - Antikörper

%,_~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~-.

20 ... nach Impfung n;659 ..

~ vor Impfung n;842

15

10

5

Abbildungen 3 (oben) und 4 (rechts): Graphische und tabellarische Darstellung der Diphtherie-Antikör- perspiegel bei 6-und 7jährigen Kindem vor und nach Boosterung mit d-Impfstoff (Nau- mann et al, 5)

Diphtherie-Antikörper

I

bei Schulanfängern (6.-7. Lebensjahr) 1989

'---"---~---'

n=842 davon 839 (99,6%)

vor 4 bis 5 Jahren lege artis geimpft 3 (=0,35%) nicht geimpft

n=686 mit sicher schützender Immunität (81,5%) (;::.0,1 I.U. /ml)

Ergebnis der Antikörper-Kontrolle 4-6 Wochen nach Wiederimpfung mit 1x51.U. Di-Toxoid:

n=539 davon

11 (2,0%) ohne AK-Anstieg 17 (3,2%) AK-Anstieg 2-fach

511 (94,8%) AK-Anstieg 4-fach und höher

ne besseren Durchimpfungsraten (1 ). Besonders bemerkenswert er- scheint in der Tabelle 4 die gegen- über Schulanfängern bereits absin- kende Zahl vollständig gegen Diph- therie immunisierter Kinder zu sein.

Gründe für

die unzureichende Immunisierung

In Diskussionen nach Vorträgen lassen sich folgende Gründe für die unzureichende Immunisierung fest- stellen:

.,._ nicht einheitliche Impfemp- fehlungen,

..". Diskussion um Nebenwir- kungen trotz gründlicher wissen- schaftlicher Abklärung und eindeuti- ger Empfehlung der Impfung durch die STIKO,

.,._ unvollständige Kenntnis über neue Entwicklungen im Impf- wesen, wobei der seit Jahren fehlen- de, obligate Impfkurs in der ärztli- chen Ausbildung diesen Mangel ver- stärkt.

So werden zum Besipiel immer noch Kleinkinder im 2. Lebensjahr nur gegen Masern und Mumps ge-

A-3532 (82) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991

(5)

impft, obwohl die STIKO seit 1984 generell für Buben und Mädchen die kombinierte Masern-Mumps-Rö- teln-Impfung im Alter von 15 Mona- ten empfiehlt.

Auch die uneingeschränkte, seit Jahren bestehende Empfehlung zur Impfung aller Mädchen gegen Rö- teln mit Eintritt ins Adoleszentenal- ter wird nur unzureichend verwirk- licht. Nach den Verkaufszahlen 1989 bis 1990 werden nur etwa 28 Prozent eines Jahrgangs einschließlich der erwachsenen Frauen gegen Röteln geimpft. Nach Kontrolle der Impfbü- cher im Einzugsbereich unserer Kli- nik waren es 1988 nur 14 Prozent.

Die im Jahre 1989 im alten Bundes- gebiet zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen von den einzelnen Arztgruppen abgerechneten Impflei- stungen ergeben für einen Jahrgang (ungefähr 670 000 Adoleszenten) ei- ne Durchimpfung von 16 Prozent.

Wird berücksichtigt, daß in die- ser Zahl die geimpften Privatpatien- ten sowie die Impfungen des Offent- liehen Gesundheitsdienstes nicht ent- halten sind, ergibt sich eine gute An- näherung an die Durchimpfungsrate von 28 Prozent, ermittelt nach Ver- kaufszahlen. Anhand dieser Erhe- bungen wird verständlich, daß die Zahl jüngerer Frauen ohne Rötelnim- munität nach den Untersuchungen von Spiess und Pilars de Pilar derzeit noch 5 bis 9 Prozent beträgt (8).

In einer geimpften Bevölkerung ergeben sich erwünschte und zum Teil auch sehr unerwünschte Ent- wicklungen, die man aber durch rich- tiges Vorgehen mildern oder verhin- dern kann. Eine epidemiologische Wirksamkeit im Sinne der Verhü- tung von Epidemien ist bereits deut- lich, wenn die Durchimpfungsrate etwa 60 Prozent beträgt. Ein wirkli- cher Impfschutz im Sinne eines Indi- vidualschutzes ist aber erst gegeben, wenn die Durchimpfungsrate über 90 Prozent erreicht.

In Bevölkerungen mit niedrigen und damit unzureichenden Durch- impfungsraten sowie vor allem auch lückenhaften Auffrischungsimpfun- gen im Jugend- und Etwachsenenal- ter verschieben sich Erkrankungen vom Kindesalter ins Erwachsenenal- ter. Diese Entwicklung wird darüber hinaus nachhaltig gefördert durch

die heute häufig vorhandenen Klein- familien und ist durchaus uner- wünscht. Sie kann durch gewissen- hafte und konsequente Einhaltung des Impfkalenders weitgehend ver- hindert werden. Dieses erfordert ei- ne enge Zusammenarbeit aller Ärzte auf dem Gebiet der antiinfektiösen Prävention unter Einschluß der Kol- leginnen und Kollegen des Öffentli- chen Gesundheitsdienstes.

Letztere haben für den Impf- schutz der Bevölkerung wichtige Aufgaben zu erfüllen. Dazu zählen unter anderem die Kontrolle der Durchimpfungsraten anhand der Impfbücher vor allem in Kindergär- ten und Schulen, die Aufdeckung vorhandener Impflücken und die Mitwirkung bei ihrer Schließung vor allem bei Adoleszenten, die bisher

Tabelle 3: Durchimpfungsrate bei 8918 Schulanfängem*) BCG

Poliomyelitis Tetanus Diphtherie Masern Mumps Röteln

nach Konhäuser 1987 (3)

78,43%

93,54%

95,05%

93,54%

55,46%

56,00%

38,83%

*) Regierungsbezirk )berfranken 1985/86 nach Impibüchern

nur schwer für den niedergelassenen Arzt erreichbar sind. Die unter- schiedlichen Landesstrukturen Öf- fentlicher Gesundheitsdienste haben darüber hinaus eine Beteiligung bei der Grundimmunisierung der Bevöl- kerung möglich gemacht. In Zukunft ist eine noch engere Zusammenar- beit mit Praxen und Kliniken wün- schenswert und notwendig für das Erreichen des gemeinsamen Zieles einer vollständigen Immunisierung.

Neue Entwicklungen

Abschließend ist es zweckmäßig, auf einige neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Impfungen hinzu- weisen. Seit Mitte vorigen Jahres hat sich der Impfkalender der Ständigen Impfkommission des Bundesgesund- heitsamtes in folgenden Punkten ge- ändert.

..,.. Für alle Kinder ab dem 3.

Lebensmonat wurde die dreimalige Impfung gegen Hämophilus influen- zae Typ B (HIB) empfohlen. Sie kann simultan mit den Impfungen gegen Poliomyelitis und Diphtherie- Pertussis-Tetanus (DPT) durchge- führt werden.

..,.. Eine Wiederimpfung für alle Buben und Mädchen ab dem 6. Le- bensjahr gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) wird zur Schließung der Impflücken empfohlen. I>

Tabelle 4: Impfstatus der Schüler in der 5. (oder 4.) Jahrgangsstufe in Bayern 1988

Impfstatus bekannt: 86 098

darunter Mädchen: 42 885

darunter geimpft gegen:

Tuberkulose (BCG) 31,6%

Poliomyelitis (ausreichend geimpft*) 91,5%

Tetanus (ausreichend geimpft*) 90,0%

Diphtherie (ausreichend geimpft*) 84,5%

Masern 54,8%

Mumps 55,0%

Röteln (nur Mädchen)

57,9%

modifiziert nach: Bericht über das Bayerische Gesundheitwesen für das Jahr 1988 (1)

*) voller Grundschutz einschließlich notwendiger Auffrischimpfungen

Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991 (85) A-3535

(6)

..,.. Der Stand der wissenschaftli- chen Diskussion um die bisher über- schätzten bleibenden Komplikatio- nen der Pertussisimpfung führte da- zu, daß die DPT-Impfung wieder für alle Kinder ab dem 3. Lebensmonat empfohlen wurde (9, 10). Die Be- schränkung der Pertussisimpfung auf die ersten beiden Lebensjahre wurde aufgehoben.

Auch auf dem Gebiet der Zu- sammenarbeit von Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereini- gung (KBV) wurden in jüngster Zeit wesentliche Fortschritte im Hinblick auf das Impfwesen erzielt. Die KBV und die Verbände der Ersatzkassen haben eine neue Impfvereinbarung getroffen, die am 1. Juli 1991 in Kraft getreten ist (2). ..

Die wesentlichen Anderungen gegenüber der bisherigen Regelung lassen sich in folgenden Punkten zu- sammenfassen:

1) Die Impfzeitpunkte und Impfintervalle sollen sich nach den Empfehlungen der Ständigen Impf- kommission des Bundesgesundheits- amtes (STIKO) richten.

2) Die Schutzimpfung gegen Pneumokokken-Infektionen bei Ri- sikopatienten ab dem 3. Lebensjahr wurde neu aufgenommen.

3) Der Inhalt der Impfleistung, dessen Umfang je nach Erfordernis vom Arzt festgelegt wird, urnfaßt ge- mäߧ 4:

- die Information über den Nutzen der Impfung

- Hinweise auf mögliche Nebenwir- kungen und Komplikationen - Empfehlungen über Verhaltens-

maBnahmen im Anschluß an die Impfung

- Aufklärung über Eintritt und Dauer der Schutzwirkung sowie über das Erfordernis von Wieder- holungs- oder Auffrischimpfungen - Erhebung von Impfanarnnese, ein-

schließlich Befragung über das Vorliegen von Allergien

- Erfragen von aktueller Befindlich- keit zum Ausschluß akuter Er- krankungen

- Eintrag der erfolgten Impfung im Impfpaß beziehungsweise Ausstel- len einer Impfbescheinigung.

4) Die Vergütung der Impflei- stung wird deutlich angehoben.

5) Seit dem 1. Juli 1991 ist die Polio-Schluckimpfung auch dann be- rechnungsfähig, wenn sie als weitere Impfleistung im Rahmen einer Arzt- Patienten-Begegnung durchgeführt wird.

6) Hinsichtlich der Vorgabe der Abrechnungsnummern für Impflei- stungen gelten für alle in der Verein- barung genannten Impfungen nur noch zwei Nummern, und zwar die Nr. 8900 für die 1. Impfung und die Nr. 8901 für jede weitere Impfung im Rahmen eines Arzt-Patienten-Kon- taktes.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die sachge- rechte Aufklärung der Patienten be- ziehungsweise der Eltern über Nut- zen und Risiko einer Impfung ein- schließlich deren Dokumentation für Arzt und Patient durch die jüngste Rechtsprechung zunehmende Be- deutung erhält. Für alle gängigen Impfungen wurden daher von Stehr, Meyer und Weissauer Merkblätter zum Aufklärungsgespräch entwik- kelt, die sich in der Praxis als sehr zeitsparend und als Nachweis einer angemessenen Aufklärung des Pa- tienten bewährt haben. Sie können vom Perimed-Verlag 8520 Erlangen, Weinstraße 70, bezogen werden.

Literatur

1. Bayerische Staatsministerien des Innern und für Arbeit und Sozialordnung: Bericht über das bayerische Gesundheitswesen für das Jahr 1988. Band 96, Seite 161, München 1989

2. Kassenärztliche Bundesvereinigung: Durch- führung von Schutzimpfungen gegen über- tragbare Krankheiten. Persönlich mitgeteilt durch Dr. Krimmel am 22. 5. 1991 3. Kohnhäuser, G., Regierung von Oberfran-

ken, persönliche Mitteilung 1987

4. Ley, S.: Impfverhalten in der Bevölkerung- Impfmotivation und Impfbarrieren. In: Imp- fen nützt - Impfen schützt. Hrsg. Bundes- vereinigung für Gesundheitserziehung e V, Bonn/Bad Godesberg 1987, S. 207-211 5. Naumann, P., Weber, H. G.; Enners, R.:

Neues zur Diphtherie-Schutzimpfung. Vor- getragen auf dem 16. Symposium der Deut- schen Gesellschaft für Infektiologie, Schloß Reisensburg, 9.-12. Mai 1990 (Dtsch. med.

Wschr., im Druck)

6. Pilars de Pilar, C. E.; Spiess, H.: Diphtherie- und Tetanusantikörper bei Kindern und jungen Erwachsenen. Dtsch. med. Wschr.

106 (1981) 1341-1345

7. Spiess, H.; Pilars de Pilar, C. E.: Impf- schutzdauer und notwendige Auffrischimp- fungen: Toxoidimpfungen. Vorgetragen auf dem Symposium "Neue Schutzimpfungen - A-3536 (86) Dt. Ärztebl. 88, Heft 42, 17. Oktober 1991

Impfempfehlungen, Aufklärung, Wider- stände", Deutsches Grünes Kreuz, 31.5.-1.6. 1991, München

8. Spiess, H.: Niedersächsisches Ärzteblatt 4 (1991) 6-9

9. STIKO: Arbeitsergebnisse der 26. und 27.

Sitzung der Ständigen Impfkommission des Bundesgesundheitsamtes. Bundesge- sundhbl. 34 (1991) 189-190

10. STIKO: Bewertung der Pertussis-Impfung.

Bundesgesundhbl. 34 (1991) 298

11. Triebold, K: Niedergelassener Arzt und ak- tive Schutzimpfungen. In: Impfen nützt - Impfen schützt. Hrsg. Bundesvereinigung für Gesundheitserziehung eV, Bonn/Bad Godesberg 1987, S. 153-160

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Klemens Stehr Dr. med. Ulrich Heininger Universitätsklinik

mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche Loschgestraße 15 W-8520 Erlangen

Kindliche

~ercholester.ün~e

Im 3. Lebensjahr sollte eine all- gemeine Cholesterinuntersuchung durchgeführt werden; bei Kindern mit Cholesterin-Werten oberhalb 200 mg/dl wird zur Erstellung eines Lipidprofiles geraten. Hyperchole- sterinämie ist einer der sehr wichti- gen Risikofaktoren für koronare Herzkrankheiten. 32 Prozent der Kinder mit Gesamtcholesterinni- veaus

>

200 mg/dl hatten ein Famili- enmitglied mit Myokardinfarkt vor dem 55. Lebensjahr, 85 Prozent hat- ten ein abnormales Lipoproteinmu-

ster. htn

Garcia, R. E., D. S. Moodie: Lipoprotein Profiles in Hypercholesterolemic Children.

A. Journ. Dis. Children 145 (1991) 147-150.

Cleveland Clinic Foundation, Care Clinic Center, 9500 Euclid Ave, Cleveland, OH 44195-5223, USA.

Referenzen

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