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Archiv "„Gesundheit jetzt – in sozialen Brennpunkten“: Am Rand der Gesellschaft" (26.10.2007)

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A2918 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 43⏐⏐26. Oktober 2007

P O L I T I K

D

er Schein der warmen Herbst- sonne mildert die Trostlosig- keit der Umgebung kaum. Beherr- schend ist das Grau der fünf Wohn- blocks mitten in einem Mainzer In- dustriegebiet, das nur hier und da durchsetzt ist mit spärlichem Grün.

Fast proper wirkt da der Pavillon am Rand des Geländes, in dem sich an diesem Tag zwölf Bewohner der Zwerchallee zum Frauenfrühstück treffen. Einmal im Monat kommt man hier zusammen, um zu bespre- chen, was anliegt.

An diesem Septembermorgen ha- ben sich auch einige Männer und Kinder der Gruppe angeschlossen.

Eine heftige Diskussion ist im Gange. Eine Hausmeisterfirma will die Bewohner zwingen, ihre Keller zu räumen, weil in einem der Räume Kanister mit einer brennbaren Flüs- sigkeit entdeckt wurden. Die Früh- stücksteilnehmer sind aufgebracht, denn wer, wie Christine S., mit Mann und vier Kindern im Alter zwischen sieben und 20 Jahren auf 72 Quadrat- metern lebt, ist auf weiteren Stau- raum angewiesen.

Die zierliche 45-Jährige mischt sich engagiert ins Gespräch. Seit 1999 lebt sie in der Zwerchallee. Der jüngste Sohn ist dort geboren, ihr

Ehemann dort aufgewachsen. Dabei ist die Siedlung nur als Zwischenlö- sung gedacht. Die Stadt Mainz bringt hier vorwiegend Familien unter, die aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Wohnung verloren haben.

Eine Betontreppe führt hinauf in den ersten Stock des fünfgeschossi- gen Hauses. Christine S. und ihre Fa- milie haben das Möglichste getan, um aus der Wohnung ein Zuhause zu machen. Der relativ große Flur be- herbergt eine Küchenzeile, das Wohnzimmer dient gleichzeitig als Elternschlafzimmer. Jeweils die bei- den Mädchen und die beiden Jungen teilen sich ein Zimmer. Ein Bad gibt es nicht, lediglich eine Toilette mit Waschbecken. Zum Duschen muss die Familie in den Keller gehen. „Für die Kinder ist das hier nichts“, sagt Christine S. Die Autobahnbrücke, die an der Siedlung vorbeiführt, so- wie die Züge auf der benachbarten Bahnstrecke verursachten Lärm und Staub, Ratten tummelten sich bei den Gleisen. „Das ist richtiggehend ge- sundheitsschädlich.“

Doch Christine S. wirkt trotz ih- rer Lebensumstände alles andere als resigniert. Sie kümmert sich um Ge- meinschaftsbelange in der Siedlung.

An diesem Tag hat sie das Frauen-

„GESUNDHEIT JETZT – IN SOZIALEN BRENNPUNKTEN“

Am Rand der Gesellschaft

Für die Bewohner ist die Siedlung in der Mainzer Zwerchallee die letzte Rettung vor einem Leben auf der Straße. Mit einem Projekt zur Gesundheits- förderung will ein privater Verein die Familien errei- chen und Eigeninitiative wecken.

Gesund und preiswert:Christine S. berei- tet im Pavillon das Essen vor.

Fotos:Christian Tschira

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frühstück mit vorbereitet, bringt mittags gemeinsam mit der Nichte ihres Mannes Pamela W. (25) wie- der Ordnung in die Küche. „An Hal- loween machen wir ein Fest für die Kinder“, erzählt Christine S. „Wir basteln zusammen und machen auch eine Weihnachtsfeier.“ Seit der Verein in der Siedlung arbeite, seien die Familien enger zusammen- gerückt. „Wir sitzen zusammen, trinken Kaffee, reden. Früher ging hier jeder seine eigenen Wege.“

Der Verein, den Christine S.

meint, trägt den Namen „Armut und Gesundheit in Deutschland“. Auf In- itiative des Mainzer Sozialmedizi- ners Prof. Dr. med. Gerhard Trabert hat er im Jahr 2003 in der Zwerch- allee unter dem Motto „Gesundheit jetzt – in sozialen Brennpunkten“ ein Projekt zur Gesundheitsförderung ins Leben gerufen. Es richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendli- che, bezieht aber deren Familien mit ein. In den vergangenen vier Jahren hat der Verein Impfaktionen und ge- meinsam mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Kampagne „Ich geh zur U, und Du?“

durchgeführt. Bei dem Projekt geht es vor allem darum, mit Informatio- nen zur gesunden Ernährung, der Förderung von Bewegung und Ent- spannung sowie allgemeinen Ge- sundheitsinformationen den Folgen von Armut für die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in der Zwerchallee entgegenzuwirken.

„Wir vermitteln Gesundheitsthe- men, aber nicht in eigenen Veran-

staltungen“, sagt Projektkoordina- torin Gisela Bill. „Das bringt nichts.“ Um die Leute zu erreichen, müsse man nicht nur deren Bedürf- nisse kennen, sondern die Informa- tionen in attraktive Rahmenveran- staltungen einbinden. Dass der An- satz funktioniert, zeigt sich beim Aufräumen nach dem Frühstück.

Christine S. und Pamela W. unter- halten sich über die Kinder – die 25- jährige Pamela ist alleinerziehend, zurzeit ohne Partner und in einem Ein-Euro-Job beschäftigt. Pamela erwähnt dabei, dass sie seit gerau- mer Zeit keinen Frauenarzt mehr aufgesucht hat und „sich auch nicht mehr die Dreimonatsspritze ab- holt“. „Das kannst du doch nicht machen“, leitet Christine S. ihre

Standpauke ein. Ob sie fruchtet, ist ungewiss. Doch, so Sozialarbeiterin Bill, man hat mit dem gemeinsamen Frühstück zumindest einen Raum geschaffen, in dem man über solche Themen diskutieren kann. Vieles von dem, was dort zur Sprache kom- me, werde später in die Familien hineingetragen – egal, ob es dabei um Verhütung, Alkohol, Rauchen oder Gewalt in der Erziehung gehe.

Eine Idee, die ebenfalls aus der mo- natlichen Frühstücksrunde stammt, war die einer Ernährungsberatung.

„Die Frauen wollten wissen, wie man sich gesund, lecker und preis-

wert ernähren kann“, sagt Bill. Eine Ernährungsberaterin der AOK hat dann bei einer der nächsten Früh- stücksrunden Tipps gegeben und ist dabei – das ist Bill besonders wichtig – auf die Situation der Betroffenen eingegangen. Denn viele in der Sied- lung leiden an Bluthochdruck, Dia- betes oder Übergewicht.

„Es gibt hier Familien“, sagt Chris- tine S., „die haben Probleme, zum Arzt zu gehen.“ Angesichts von Pra- xisgebühr und Zuzahlungen wird of- fenbar mancher Arztbesuch verscho- ben, wenn nicht gar versäumt. Die Folgen der Zuzahlungspolitik stehen zahlreichen Bewohnern der Zwerch- allee buchstäblich ins Gesicht ge- schrieben. Wie Christine S. fehlen vielen auch jüngeren Bewohnern die Schneidezähne. Die Zuzahlung zum Zahnersatz ist zu teuer, ein Umstand, an dem auch die Sozialarbeiter von

„Armut und Gesundheit“ nichts än- dern können.

Stolz ist man in der Zwerchallee hingegen auf einen speziellen Ent- spannungsraum, den das Projekt mit- hilfe des Vereins „Herzenssache“ des Südwestrundfunks realisieren konn- te. Er soll den Kindern, die in sehr be- engten Verhältnissen leben, eine Rückzugsmöglichkeit eröffnen. Das Haus, das auch die städtische Kin- dertagesstätte beherbergt, liegt am Rand der Siedlung und grenzt an eine stillgelegte Industrieanlage. Der

„Snoezelenraum“ befindet sich in ei- ner leer stehenden Wohnung. Auf die

schmutzig-gelbe Etagentür hat je- mand ein Hakenkreuz geritzt. Doch schließt man die Tür zum Entspan- nungsraum hinter sich, taucht man ein in eine Landschaft aus weißen Kissen, Lichteffekten und Musik.

Doris Pfeiffer-Meierer ist begeis- tert von dem heilpädagogischen Kon- zept des Snoezelenraums, das aus den Niederlanden stammt. Die Sozial- pädagogin betreut dort Kinder aus der Siedlung im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren. „Wer mitmachen will, macht mit“, sagt die 55-Jährige. „Ent- spannung kann nur freiwillig passie- ren.“ Die Kinder genössen es, sich Besprechen, was

anliegt:Einmal im Monat treffen sich Bewohner der Zwerchallee zum gemeinsamen Früh- stück.

Man hat zumindest einen Raum geschaffen,

in dem man vieles diskutieren kann.

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A2922 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 43⏐⏐26. Oktober 2007

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einmal in ruhiger Umgebung allein zu fühlen, zu erspüren, was ihnen gut- tue, ihre eigene Fantasiewelt aufzu- bauen. Viele Kinder hätten psychi- sche Probleme, stammten aus kon- fliktbeladenen Elternhäusern. „Es ist sehr individuell, was hier oben pas- siert“, sagt die Sozialpädagogin. „Es gibt Kinder, die schlafen hier ein.

Manche bleiben 40 bis 50 Minuten im Raum.“ Immer dürfen sie sich ei- nes der Objekte, wie den Sternentep- pich oder die leuchtenden Glasfaser- ketten, aussuchen, ein Musikstück wählen, um dann auf ihre individuel- le Reise zu gehen.

Doch wie viele soziale Projekte steht und fällt die Arbeit der enga- gierten Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter mit der Finanzierung. Drei Jahre lang hat die Aktion Mensch das Projekt gefördert. Inzwischen ist die Förderung ausgelaufen. Die Stelle von Bill finanziert zurzeit der Verein Armut und Gesundheit, der von Spenden lebt, die von Pfeiffer-Meie- rer unter anderem das rheinland-pfäl- zische Bildungsministerium. Die Stelle eines Sozialpädagogen, der dreimal wöchentlich mit den Jungen und jungen Männern gekocht oder Sport getrieben hat, musste entfallen.

„Dabei sind die jungen Männer, die nichts zu tun haben, immer das größ- te Problem“, sagt Bill. Seit deren Freizeitprogramm zusammengestri- chen wurde, habe die Gewaltbereit- schaft wieder zugenommen. „Es wird wieder mehr gekifft, Schläge- reien nehmen zu.“

Ein weiteres Problem sei auch die Fluktuation in der Siedlung. „Vier Jahre lang ist in unserem Gemein- schaftscontainer nichts geklaut oder zerstört worden.“ Einige Männer aus der Siedlung hatten maßgeblich am Bau mitgewirkt. „Jetzt sind hier viele neue Familien, und vorgestern haben einige Mädchen erstmals was in die Balken geritzt. Man merkt, die sind noch nicht eingebunden, und die alten Bewohner haben sich fürchterlich aufgeregt.“ Es sei eben wichtig, die Fähigkeiten der Be- wohner zu fördern, ihnen zu zeigen, dass sie etwas bewegen und verän- dern können. „Ein positives Selbst- konzept ist ein wichtiges Zeichen von Gesundheit“, findet Bill. I Heike Korzilius

S

chätzungsweise eine Million Frauen auf der Welt werden dieses Jahr mit der Diagnose Brust- krebs konfrontiert. Während ehe- mals vor allem die weibliche Bevöl- kerung der westlichen Industrie- nationen betroffen war, hat sich das Mammakarzinom inzwischen zu ei- ner globalen Erkrankung entwickelt:

Epidemiologen beobachten eine deut- liche Zunahme in Asien, Afrika, Ost-

europa und Lateinamerika. Inzwi- schen gehen Schätzungen davon aus, dass im Jahr 2020 bereits 70 Prozent aller Brustkrebsfälle in den Entwick- lungsländern auftreten werden.

Dieser Trend war für die US- Organisation „Susan G. Komen for the Cure“ Anlass, Ende September in Budapest eine internationale Konferenz für Ärzte, Patientinnen und Wohlfahrtsgruppen zu organi- sieren. Die 1982 gegründete Stif-

tung gilt als eine der weltweit größ- ten Brustkrebshilfe-Organisationen und kann auf etwa 80 000 freiwilli- ge Mitarbeiter – auch in Deutsch- land – zählen. Die Vorträge der De- legierten aus 30 Nationen machten deutlich, wie sehr die finanziellen Möglichkeiten eines Landes über Leben und Tod der (weiblichen) Be- völkerung entscheiden. Stiftungs- gründerin Nancy Brinker brachte es in Budapest auf den Punkt mit ihrer Aussage: „Armut ist ein bekanntes Karzinogen.“

Mit Bedacht hatte man Ungarn als Veranstaltungsort ausgewählt, gilt der Staat doch als Vorzeigemodell für eine erfolgreiche Präven- tionsarbeit. Dort wird jeder Frau im Alter zwischen 45 und 65 Jahren jährlich ei- ne kostenlose Mammografie ermöglicht, sogar die Fahrt- kosten zur Untersuchung werden den Frauen ersetzt. In der ungarischen Todesursa- chenstatistik der Frauen fiel Brustkrebs daraufhin vom ersten auf den dritten Platz.

Von einer solch umfassen- den Betreuung ist man in Indien weit entfernt. In Puna, wo 3,5 Millionen Frauen le- ben, gibt es nur ein einziges medizinisches Zentrum, das eine umfassende Brustkrebs- behandlung anbietet. Es ver- wundert daher nicht, dass die Hälfte aller indischen Brustkrebspatientin- nen überhaupt keine Therapie er- hält. In der Ukraine sind zwar flächendeckend Mammografie-Ge- räte vorhanden, aus Mangel an Filmmaterial müssen die Ärzte aber von Fall zu Fall entscheiden, ob sie die erforderliche Frontal- und Sei- tenaufnahme anfertigen, oder ob sie es bei einer Einstellung belassen, um doppelt so viele Frauen in den MAMMAKARZINOM

„Armut ist ein Karzinogen“

Im Jahr 2020 werden 70 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs auf der Welt in Entwicklungsländern leben.

Brustkrebs „erobert“ die Welt:

Titelgeschichte des TIME-Magazins vom 15. Oktober 2007

Referenzen

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