A946 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 14⏐⏐6. April 2007
B R I E F E
EUROPÄISCHE UNION
Brüssel hat weitrei- chende Pläne in der Gesundheitspolitik (DÄ 7/2007: „Mut zu Visionen“ und „In- terview mit dem EU- Gesundheitskom- missar Markos Kyprianou“ von Petra Spielberg).
Unheil aus Brüssel
Frau Spielberg, Brüsseler Korres- pondentin des DÄ, informiert uns darüber, dass die EU-Kommission ei- ne „europäische Gesundheitsstrate- gie“ angestoßen haben soll. Dies be- weise, dass Brüssel „in der Gesund- heitspolitik langfristig mitmischen will“. Gegenwärtig sei die Kommis- sion dabei, hierfür einen Zehnjahres- plan (sic!) aufzustellen . . . Skepsis bezüglich eines Zehnjahresplans für ein Gebilde von 27 Staaten wird in dem Beitrag nicht deutlich. Kein Ge- danke etwa an gescheiterte Planwirt- schaften mit problematischen Fünf- jahresplänen und der damit verbun- denen Gängelei von Bürgern (und Ärzten), die gern freier wären als nur Objekte eines monströsen Planungs- begehrens von Kommissaren, welche sich vielleicht tatsächlich nur profi- lieren, vielleicht an dem geplanten Monstrum aber auch bereichern wol- len. Die Autorin fragt nicht nach bzw.
mit der Skepsis von uns Ärzten, wel- che in den letzten Jahren zentralisti- sche Regelungswut kennengelernt haben und denen wohl weiteres Un- heil nun aus Brüssel droht. Fröhlich fragt sie vielmehr den Kommissar Kyprianou danach, wann er konkret einen Vorschlag für eine Regelung des Markts der Gesundheitsdienst- leistungen vorlegen werde, „noch un-
ter deutscher Ratspräsidentschaft?“.
Auf die Frage, welche Themen ihm noch auf den Nägeln brennen, erfah- ren wir u. a., dass bei Herrn Kypria- nou auch die „Bekämpfung“ psychi- scher Erkrankungen auf der Agenda ganz oben steht, unter denen bereits ein Drittel der EU-Bevölkerung leide.
Die Menschen leiden seelisch freilich gerade unter dem Brüsseler und dem davon abgeleiteten Berliner Globali- sierungs-Dirigismus . . .
Wilfried Meißner,Straße der Jugend 91, 08228 Rodewisch
RATIONIERUNG
Ein Ausstieg aus der Fortschrittsfalle ist nicht in Sicht (DÄ 1–2/2007: „Rationie- rung im Gesund- heitswesen: Grenzen für den Fortschritt“
von Norbert Jachertz und Sabine Rieser).
Unumgänglich
Es ist zu begrüßen, dass das DÄ sich derart ausführlich mit den Ergebnis- sen unserer Gesprächsrunde „Ge- rechte Verteilung knapper Gesund- heitsressourcen“ auseinandergesetzt hat. Hierbei gilt es den Mut zu be- wundern, das heiße Eisen der Ratio- nierung sogar im Titelbild aufzuneh- men und damit in die breite Diskussi-
on zu stellen. Für unsere Gesprächs- runde im September 2006 in Cade- nabbia mit Ärzten, Politikern, Ethi- kern, Theologen, Kostenträgern, Ge- sundheitsökonomen, Juristen u. a.
war es offenkundig, dass das deut- sche Gesundheitssystem in Analogie zu anderen fortschrittlichen Ländern eine Rationierung (ob implizit oder explizit) langfristig wird nicht umge- hen können. Nach Ausschöpfung al- ler Möglichkeiten der Rationalisie- rung wird bei den Kostenträgern ein Defizit bleiben, das zumindest eine Priorisierung, wenn nicht Rationie- rung von Gesundheitsleistungen ver- langen wird. Hier frühzeitiger die Gesichtspunkte der Verteilungsge- rechtigkeit zu diskutieren, war das Anliegen dieser 5. Cadenabbia- Tagung der Reihe „Medizin, Ethik, Recht“ zusammen mit der Konrad- Adenauer-Stiftung. Ziel dieser Ta- gungen ist es, im breiten gesellschaft- lichen Diskurs Brennpunkte aktueller Gesundheitspolitik zu fokussieren.
Themen waren bislang: Klinische Sterbehilfe, Grenzen der Gesundheit, Last und Chancen des Alters und der Wandel im Arzt-Patienten-Verhältnis.
Um diese Diskussionen einer breite- ren Öffentlichkeit als den eingela- denen Teilnehmern der Symposien zugänglich zu machen, wurden sie sämtlich im Herder-Verlag publiziert.
Auch diese aktuelle Veranstaltung wird bei Herder voraussichtlich im
Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich
die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns zudem Kürzungen vorbehalten. Die Chance zur Veröffentlichung ist umso größer, je kürzer der Brief ist. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.
Das Leser-Forum
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geschrieben hat. DÄ
ANONYM
A947
B R I E F E
August 2007 unter unserem Namen in Buchform vorliegen.
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Volker Schumpelick, Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik der RWTH Aachen, Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen
Kein Beweis
Im Artikel wird auf den Beitrag des Medizinethikers Groß verwiesen, der als Beispiel für die Rationierung im Gesundheitswesen in Großbritannien Dialysevergleichszahlen zwischen Deutschland und England anbietet.
Demnach kämen in Deutschland auf 100 000 Einwohner rund 700 Dialy- sepatienten und in England rund 100.
Dazu ist Folgendes zu sagen:
England ist nicht gleich Großbri- tannien.
Auf 100 000 Einwohner kommen in Deutschland circa 80 Dialysepati- enten.
Die Zahlen für Großbritannien oder auch für England sind mir nicht bekannt. Bei behaupteten rund 100 Dialysepatienten wäre das folglich kein Beweis für die Rationierung
„auf der Insel“.
Dr. Michael Millington-Herrmann, Dialysezentrum Schöneberg-Tempelhof, Rubensstraße 125, 12157 Berlin
Volkswirtschaftliche Dummheit
„Wie reagiert man als Arzt mit volkswirtschaftlichen Kenntnissen auf diesen Artikel?“, habe ich mich gefragt. Dabei fiel mir ein Kernsatz eines Bankers auf der Investoren- tagung „Health 2002“ in Berlin ein, dass soziale Bedürftigkeit ein nicht vom Markt zu nehmender Nachfra- gegigant sei, was jeden Investor hell- hörig werden lassen solle. Was steckt hinter dieser Aussage, und wie steht sie mit dem Artikel in Verbindung?
Der Fortschritt des Gesundheits-
„marktes“ wird getrieben von der Rendite, nicht von der Suche nach menschheitsbeglückenden Möglich- keiten . . . Die GKV wird ausschließ- lich aus der Lohnsumme derjenigen finanziert, die nach Abzug von Steu- ern und Kapitalertrag entlohnt wer- den. Ihre Beiträge ersetzen aber End- verbraucherpreise. Der Patient ist demnach nicht nur König Kunde, sondern auch Steuerzahler gegen-