Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 15⏐⏐13. April 2007 [71]
B E R U F
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ie meisten Karriereberater stimmen in einem Punkt über- ein: Die Karriereplanung sollte ganz- heitlich unter Berücksichtigung an- derer Lebensbereiche erfolgen. Un- ter dem Stichwort Work-Life-Bal- ance werden Wege diskutiert, die Menschen, die beruflich sehr stark belastet sind, helfen sollen und zu ei- nem ausgewogenen Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben führen. Ziel ist die Harmonie zwi- schen den Bereichen Beruf/Karrie- re, Familie/Freizeit, Gesundheit/ Kör- per und Sinn/Kultur. Doch die zeitli- che, psychische und physische Be- lastung gerade junger Klinikärzte macht die Verwirklichung dieser Balance oft unmöglich.Die Frage lautet: Ist die Situation so, wie sie ist, weil die beruflichen Zwänge unauflösbar sind, oder muss der Arzt „nur“ seine Einstellung än- dern? Letzteres behauptet Jörg-Peter Schröder, selbst Arzt. Er beschreibt als Gegenentwurf zum „stressgeplag- ten und karrieresüchtigen Alphatier“, für den das Leben aus harter Arbeit und Leistungsdruck besteht, den kreativen „Omega-Faulpelz“, der auf anderen anstrengungsfreien Wegen zum Erfolg kommt. Solche Strategi- en lassen sich aber nur im entspre- chenden gesellschaftlich-beruflichen Umfeld realisieren.
Frühzeitig die Weichen stellen
Solange sich dieses Umfeld nicht än- dert, zeigen Äußerungen junger Ärz- te, wie „Ich sehe meinen Partner kaum. Was passiert, wenn sich Nach- wuchs einstellt? Kennt mich mein Kind dann nur vom Foto?“, die Problematik der „Balance-Frage“ in aller Schärfe. Wichtig ist: Sie muss gestellt werden, bevor der Arzt Ge- fahr läuft, in die Tretmühle zu gera- ten. Ist er erst einmal in die beruf- lichen Zwänge eingebunden, ist es schwer, sich daraus zu befreien.Der Weg zur Work-Life-Balance beginnt mit Selbstverständlichkeiten.
Angehende Ärzte sollten sich nicht nur berufliche Ziele setzen, sondern zugleich private und persönliche. Ge- lingen kann dies mit dem Entwurf einer Lebensvision, eines Lebens- ziels – die Lebens- und Karrierepla- nung wird an einem übergeordneten Wert ausgerichtet: Bedeutende fa- miliäre und berufliche Entscheidun- gen reflektiert der Arzt im Hinblick auf diesen Leitstern: „Dient diese Entscheidung meiner Lebensvision?“
Das Prinzip, Entscheidungen an einem Leitstern auszurichten, ist der rote Faden, der den Arzt in die Rich- tung der angestrebten Balance leitet:
Karriereziele orientieren sich dann ebenso an der Lebensvision wie Frei- zeit- oder Gesundheitsziele. Das Mo- natsziel ist am Jahresziel, das Wo- chenziel am Tagesziel ausgerichtet.
Das Ziel auf der jeweils übergeordne- ten Ebene bietet Orientierung.
Vision und Ziele muss jeder Arzt individuell für sich formulieren. Im Zusammenhang damit steht das Nachdenken, was Erfolg überhaupt ist: Wohlstand und Reichtum? Macht und Einfluss? Gesundheit und Zufrie- denheit mit der eigenen Leistung?
Ethisch legitimiertes Handeln? Ist derjenige erfolgreicher, der seine Zie- le verwirklicht, ohne anderen zu schaden? Diese Fragen bilden bei der Formulierung des Lebensplanes das Fundament – auf der Karriereebene kommt hinzu, die Instrumente und Werkzeuge der Zielplanung zu nut- zen. Sie helfen bei der Zielbestim- mung, der Prioritätensetzung und der Umsetzung. Folgendes Vorgehen bie- tet sich an:
>In der Phase der Zielfindung geht es um die Frage „Was will ich?“
– bezogen auf Berufs- und Privatle- ben. Entscheidend ist, nicht nur an die beruflichen Ziele zu denken. Der Arzt unterscheidet jeweils zwischen
Haupt- und Nebenzielen, also etwa Muss- und Kann-Zielen, sowie zwi- schen lang- (fünf Jahre und mehr), mittel- (bis fünf Jahre) und kurzfristi- gen Zielen (ein Jahr).
>Bei der persönlichen und beruf- lichen Situationsanalyse prüft der Arzt, welche Fähigkeiten, Stärken und Schwächen auf der Habenseite stehen: „Welche Erfolge habe ich er- reicht, für welche Menschen bin ich bedeutsam?“ Ihm wird bewusst, über welche Fähigkeiten, Talente und Ver- anlagungen er verfügt und in welchen Bereichen er sich weiterentwickeln muss. Diese Weiterentwicklung kann fachliche, aber auch soziale und emo- tionale und damit Persönlichkeitsfak- toren betreffen.
>Aus Zielfindung und Bestands- aufnahme leitet der Arzt die konkre- ten Handlungsziele ab: Welche Maß- nahmen muss ich ergreifen, um mit- hilfe meiner Fähigkeiten die berufli- chen und privaten Ziele zu verwirkli- chen? Schließlich geht es an die Um- setzung.
Prioritäten ändern sich
In die Planung fließen absehbare Er- eignisse – etwa Hochzeit, Einschu- lung der Kinder, Hypothekenentlas- tung – ebenso ein wie die Erwartun- gen und Wünsche der Bezugsperso- nen des Arztes. Aber Achtung: Dieses Vorgehen darf nicht in einen Pla- nungsfetischismus ausarten. Wichti- ger als die penible Befolgung dieses Schemas ist der Wille, den Lebens- und Karriereplan zu reflektieren und sich immer wieder Zielklarheit zu verschaffen. Das gebietet schon die Entwicklung auf der Zeitachse: Im Laufe des Berufslebens ändert der Arzt seine Prioritäten – mal rückt der Karriereaspekt in den Vordergrund, mal die Familienplanung oder der Gesundheitsaspekt. Der Arzt achtet darum auf die Flexibilität der Lebens- und Karriereplanung, die er kontinu- ierlich wiederholt und zumindest bei einschneidenden Veränderungen und Lebensentscheidungen überdenkt.Wer nun einwendet, man könne sich auch zu Tode planen, muss wis- sen: Sinnvolle Planung heißt Vorbe- reitungszeit verdoppeln, um Ausfüh- rungszeit zu reduzieren. I Alfred Lange, Praxiscoach E-Mail: a.lange@medicen.de