A1896 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 2629. Juni 2007
T H E M E N D E R Z E I T
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n Papier hat die österreichi- sche Regierung nicht gespart, um darzulegen, warum ausländi- sche Studierende in der Alpenrepu- blik nur begrenzt willkommen sind.600 Seiten umfasst das Paket, das der österreichische Wissenschafts- minister Johannes Hahn dem Bil- dungskommissar der Europäischen Union (EU), Jan Figel, Ende Mai überreichte. Mindestens drei Mona- te werden die Brüsseler Beamten benötigen, um den Papierberg durchzuarbeiten. Erst dann steht fest, ob das Konvolut die Kommis- sion davon überzeugen konnte, von einer Klage gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) abzusehen. Damit hatte Fi- gel der österreichischen Regierung gedroht, sollte die diskriminierende Quotenregelung für ausländische Studierende in den humanmedizini- schen Studiengängen an den Uni- versitäten Wien, Graz und Inns- bruck bestehen bleiben.
Die Hochschulen hatten die Zu- gangsbeschränkung zum vergange- nen Wintersemester eingeführt.
Seither sind von den 1 500 Studien- plätzen im Fach Medizin 1 125 Be- werbern aus dem eigenen Land vor- behalten. Studierende aus anderen EU-Ländern haben Anspruch auf 300 Plätze. Die übrigen 75 Medizin- studienplätze sind für Abiturienten aus Nicht-EU-Ländern vorgesehen.
Die Kontingentierung soll vor al- lem verhindern, dass zu viele An- wärter aus Deutschland an die öster- reichischen Fakultäten strömen.
Denn die Deutschen zieht es gerade- zu in Scharen ins Nachbarland. An der Medizinischen Universität Graz beispielsweise hat sich der Anteil der deutschen Studierenden allein zwischen 2004 und 2005 um 2 992 Prozent (von 13 auf 402) erhöht.
Wien und Innsbruck verzeichneten
im selben Zeitraum eine Zunahme um 351 (von 70 auf 316) bezie- hungsweise 554 Prozent (von 35 auf 229). Selbst Studiengebühren in Höhe von rund 380 Euro pro Se- mester konnten die Bewerber aus Deutschland nicht abschrecken.
Grund für den Ansturm war die Aufhebung der bisherigen Zugangs- beschränkungen zum Medizinstu- dium. Deutsche Abiturienten bei- spielsweise durften bis Juli 2005 in Österreich nur dann mit dem Studi- um beginnen, wenn sie grundsätz- lich auch in Deutschland einen Stu- dienplatz in Medizin nachweisen konnten. Unter diese zehn Jahre währende Praxis zog der EuGH vor zwei Jahren einen Schlussstrich.
So einfach gaben sich die öster- reichischen Universitäten allerdings nicht geschlagen. Nach einer Über- gangsphase von einem Jahr ohne Zu- gangsbeschränkungen führten sie in Abstimmung mit der österreichi- schen Regierung zum Wintersemester 2006 die aktuelle Quotenregelung ein. Sie soll vorerst bis zum Winter- semester 2008 gelten. Das eigentli- che Problem ist aus Sicht des öster- reichischen Wissenschaftsministers
weniger der große Zulauf von Stu- dierenden aus dem Ausland. Hahn stört vielmehr, dass von den deut- schen Medizinern letztlich kaum ei- ner in der österreichischen Versor- gung landet. Der überwiegende Teil bricht sein Studium entweder ab oder kehrt nach dessen Beendigung dem Gastland den Rücken. Einer Studie zufolge sehen 81 Prozent der deut- schen Medizinstudenten ihre berufli- che Zukunft nicht in Österreich.
Ohne eine Zugangsbeschränkung stünden der Alpenrepublik somit mittel- bis langfristig viel zu wenige Ärzte zur Verfügung, meint Hahn.
Um die Versorgung sicherzustellen, benötige das Land bis 2030 jährlich 1 000 bis 1 500 neue Ärzte. Würden die drei österreichischen Hochschu- len Bewerber aus dem Ausland un- eingeschränkt zum Medizinstudium zulassen, blieben nur 350 bis 400 Absolventen pro Jahrgang übrig, die auch tatsächlich in Österreich arbei- ten wollen, so die Berechnungen des Ministeriums.
Für den Minister wirft die Ange- legenheit zudem die grundsätzliche Frage nach der Grenze zwischen den nationalen und den europäi- schen Zuständigkeiten auf. Mit ihrem Vorgehen gegen die öster- reichische Quotenregelung über- schreitet die Kommission nach An- sicht von Hahn ihre Kompetenzen.
Denn bislang ist die Bildungspolitik ebenso wie die Gesundheitspolitik Sache der einzelnen Staaten.
Für seine Argumentation hat der Minister bereits Verbündete gefun- den. Belgien, das sich mit Zulas- sungsbeschränkungen beim Medi- zinstudium gegen den Ansturm von Bewerbern aus Frankreich wehrt und deshalb ebenfalls Ärger mit Brüssel hat, hat sich der Stellung- nahme Österreichs angeschlossen.
Auch Portugal und Luxemburg he- gen nach Aussage des Ministeriums Sympathie für die Position Öster- reichs. Ob das ausreicht, Kommis- sar Figel dazu zu bewegen, das Vertragsverletzungsverfahren einzu- stellen, ist fraglich. Denn für ihn steht fest: Diskriminierende Rege- lungen beim Hochschulzugang in- nerhalb der EU sind nicht mit dem europäischen Recht vereinbar. n Petra Spielberg
MEDIZINERAUSBILDUNG IN ÖSTERREICH
Kampf um die Quote
Der Streit zwischen Österreich und der EU-Kommission um die Quoten- regelung für Medizinstudienplätze wirft auch die Frage nach der Grenze zwischen nationalen und europäischen Zuständigkeiten auf.
Sorge um die Ge- sundheitsversor- gung:Österreichs Wissenschaftsminis- ter Hahn (r.) über- reicht EU-Kommis- sar Figel die 600 Seiten umfassende Stellungnahme zur Quotenregelung.
Foto:bmvf