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Archiv "Ikebana - Flower Power aus Fernost" (10.10.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin S

chließen Sie einmal die Au-

gen und lassen Sie die Blu- menarrangements an sich vorüberziehen, die bei den letz- ten großen Veranstaltungen vor dem Rednerpult, auf der Bühne und auf den Tischen gestanden haben. Das waren nicht mehr unsere vertrauten runden Sträu- ße, geformt aus vielen bunten, gleichartigen Blumen, allenfalls noch mit etwas Schleierkraut dazwischen, sondern aufregen- de asymmetrisch aufgebaute Gestecke, bei denen sich knorri- ge Äste aus einer Frühlingswie- se erheben oder einzelne quer- gesteckte steife Blumen rechts und links herausragen und ein unruhiges Bild ergeben.

Als ich nach fünf Jahren Leben in Japan mit einer Ahnung von japanischer Kunst nach Deutschland zurückkam, er- kannte ich plötzlich, daß man im öffentlichen Rahmen in Deutschland überraschender- weise nur noch nach japani- schen Ikebana-Regeln gesteck- te Blumenarrangements sieht.

Das ist wirklich revolutionie- rend, denn man stelle sich ana- log vor, wir säßen plötzlich alle auf Tatamimatten oder hätten uns angewöhnt, vor Betreten öf- fentlicher Gebäude die Schuhe auszuziehen und durch Rathaus und Krankenhäuser in Puschen zu schlurfen.

Wieso sich die japanische Blu- mensteckkunst so rasant durch- gesetzt hat, kann ich nur vermu- ten; bedeutet sie für die Flori- sten eine größere Herausforde- rung und interessantere Aufga- be als die überkommene euro- päische?

Was ist aber „Ikebana" wirklich?

„Ike" bedeutet „leben, existie- ren, belebt sein", aber auch

„wiederbeleben, Leben ge-

Flower Power aus Fernost

Die Blüten der Zen- Weisheit öffnen sich der westlichen Welt

ben"; im engeren Sinne heißt es auch „Blumen arrangieren"

oder „am Leben halten". „ba- na" (oder hana) heißt einfach

„Blume". Die gleichen Schrift- zeichen können auch „seika"

oder „shöka" gelesen werden:

Bezeichnungen für bestimmte historische Ikebana-Schulen, bzw. Steckarten. „Ikebana"

heißt also einfach „belebte Blu- men" oder „arrangierte Blu- men" — aber es bedeutet eine im zenbuddhistischen Sinne „be- lebte Blume". Denn die Ikebana- Kunst ist wie fast alle traditionel- len japanischen Künste eine Zen-Kunst und lebt nach dessen Gesetzen.

Ikebana war, wie alle zenbud- dhistisch geprägten Kunstfor- men, im Keime schon mit dem Buddhismus von China nach Ja- pan gebracht worden. Sowohl in China als auch in Japan wurden zu jener Zeit von Priestern in buddhistischen Tempeln Blu- men zeremoniell in schwere chi- nesische bronzene Gefäße ge- steckt und am Altar dargebracht.

Es waren vor allem einzelne Lo- tusblüten, das Symbol für Bud- dha und Reinheit. Daraus ent- wickelte sich in Japan der „Rik- ka"-Stil, zu dem immer ein auf- rechter Mittelzweig gehört: das Symbol der Wahrheit (shin).

Nach und nach kamen weitere

Ein kunstvolles Ikebana-Gesteck im tra- ditionellen japanischen Berg- und Tal- stil, der Nageire genannt wird

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 41 vom 10. Oktober 1984 (83) 2991

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

lkebana: Belebte Blumen

Zweige hinzu, die — nach be- stimmten Regeln gesteckt — den vier Himmelsrichtungen zuge- ordnet wurden. Rikka kann auch die vier Jahreszeiten darstellen:

der höchste Zweig repräsentiert den Winter, der niedrigste den Herbst, der rechte den Frühling und der linke den Sommer. Die jeweils davon im Augenblick ak- tuelle Jahreszeit wird noch zu- sätzlich durch eine diese kenn- zeichnende Blüte betont.

Die Tradition des Rikka

Im auch jetzt noch praktizierten Rikka werden neun Zweige von bestimmter Länge und Richtung verwendet. Sie überkreuzen sich dabei nie und bieten daher ein gradliniges, klares Bild. Gan- ze Landschaften können in Rik- ka-Kompositionen dargestellt werden, wobei jede Blütenart ei- ne bestimmte Landschaftskom- ponente symbolisiert: zum Bei- spiel bedeuten Narzissen Was- ser, ein Pinienzweig einen Berg, Ahorn und Chrysanthemen ein Tal und übereinander angeord- nete Kiefernzweige früh- lingshafte Nebelschwaden. Der aufrechte Mittelzweig „shin" ist immer besonders auffallend ge- bogen und knorrig, bei großen Rikka schon ein richtiger großer Ast. Diese alten, von Regen und Wind gepeitschten, verwitterten Äste werden von den Rikka- Künstlern in den Bergen und Wäldern zusammengesucht.

Die Insellandschaft Japans, zu- sammengesetzt aus 3325 Inseln, wird geprägt durch schroffe Berghänge an stürmischen Kü- sten, und ein solcher altehrwür- diger, moosbedeckter Zweig vermittelt dem Japaner beson- ders eindringlich die Atmosphä- re seiner Heimatnatur.

Besonders große, prächtige Rik- ka werden auch jetzt noch bei besonderen Anlässen in buddhi- stischen Tempeln angefertigt.

Sie können bis zu vier Meter hoch und zwölf Meter breit sein.

Die Ikebana-Lehrerin Christa Hoffmeister beim Gestalten eines Arrangements nach der Moribana-Regel, aufrechter Grundstil

Der Rokkakudo-Tempel in Kyoto bewahrte die Tradition des Rik- ka bis heute.

Abgesehen von den wenigen Blumenkunstschulen, die den Rikka-Stil rein bewahrten, wan- delte sich jedoch diese steife, zeremonielle Art des Blumen- steckens relativ schnell mit der Entwicklung und dem Ausreifen des japanischen Zen-Buddhis- mus aus dem überlieferten chi- nesischen Buddhismus. Es ent- standen in der Blumenkunst ver- schiedene Stilarten und Schu- len von Shoka, Seika oder Mori- bana. Allen gemeinsam blieb aber die Dreiteilung des Ge- stecks: dem aufrechten höch- sten Zweig „shin", der Himmel oder Wahrheit symbolisierte, ge- sellten sich ein mittlerer Zweig

„so" (oder soe) und ein unterer Zweig „gyo" zu. Der mittlere Zweig wird meistens als Mensch gesehen, der zwischen Himmel und Erde steht. Es gibt aber auch die Deutung, daß der unte- re Zweig „Erde und Materie"

auch den Menschen einschließt und der mittlere Zweig den hel- fenden Bodhisattva darstellt, der zwischen Himmel und Mensch vermittelt.

Blumenkunst und Teezeremonie

Einen wesentlichen Einfluß er- hielt die Blumenkunst durch die Teezeremonie, die als reinste und konsequenteste Ausprä- gung zenbuddhistischer Gei- steshaltung alle mit ihr verbun- denen Kunstformen wie die Gar- tenkunst, die Architektur und eben die Blumenkunst sehr prägte. Für die Teezeremonie wurden bestimmte Teehäus- chen gebaut: niedrige, strohge- deckte Hütten, die aus mög- lichst unbearbeiteten Materia- lien wie Holz, Stroh, Bambus und Reismatten erstanden, um Naturnähe und Einfachheit zu symbolisieren.

In diesem Teehaus, das mei- stens etwas abseits vom täg- lichen Getriebe in einem beson- ders zur Konzentration und Be- sinnung anregenden Garten liegt, wurde für Kunstwerke wie ein Blumengesteck, Wandbild oder einen Bonsai eine beson- dere Nische in einer der Wände eingelassen (tokonoma). Die dort aufgestellten Blumen sol- len als einzige Dekoration des Raumes die lebende Natur hin- einbringen und — in ihrer jahres- zeitlichen Bezogenheit — auf die Vergänglichkeit in der Natur hin- weisen. Diese Blumengestecke müssen natürlich im Einklang mit den Gedanken und der At- mosphäre der Teezeremonie stehen. Wichtig hierfür ist die Beachtung von „wabi" und „sa- bi": der wichtigen Begriffe von

„einfach-schlicht, sich-selbst- genug-sein" oder auch „Ar- mut". Dazu kommen die sich im 15. bis 17. Jahrhundert entwik- kelnden Stilelemente Andeu- tung, Asymmetrie und gewollte Unvollkommenheit, die allen vom Zen geprägten Kunstfor- men zu eigen wurden.

In diese einfachen Hütten, in de- nen in irdenem Geschirr grüner Tee dargeboten wurde, paßten nicht die zeremoniellen steifen Rikka-Gestecke in prächtigen 2992 (84) Heft 41 vom 10. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Ikebana: Belebte Blumen

bronzenen Vasen. Es entwickel- te sich also ein natürlicherer Stil: „Nage-ire-bana", in dem die „Chabana" (Teeblume) nicht mehr aufrecht steif in eine Vase gestellt wurde, sondern locker

„hineingeworfen" wurde (nage- ireru). Anstelle der kostbaren bronzenen Gefäße nahm man einfache Bambusvasen oder ge- flochtene Hängeampeln, aus de- nen die Blumen wie natürlich

„herauswuchsen".

Gelassenheit und innere Ruhe

In der Ausübung der Blumen- kunst waren schon bei ihrem Übergang vom buddhistischen Tempel in die Teehäuser neben die Zen-Priester der Hochadel und die Kriegerschicht der Sa- murai getreten, ebenso wie in der Teezeremonie und der Bon- saigestaltung. Später wurde die Ikebana-Kunst auch von den rei- chen Bürgern übernommen.

„Ka-di5", der Weg der Blumen- kunst, ist einer der „Wege", über die der Mensch zur zen- buddhistischen Wahrheit gelan- gen kann. Dazu gehören neben dem umfassendsten Weg der Teekunst ChadZi auch Kendö:

der Weg des Schwertfechtens, Kyudö: der Weg des Bogen- schießens oder Judö: der sanfte Weg der Selbstverteidigung.

Durch diszipliniertes Erlernen der Regeln und des Handwerks jedes dieser Künste unter der strengen Anleitung eines Zen- Meisters kann der Schüler sei- nen Geist so formen, daß er zur Aufnahme der Wahrheit fähig wird, er kann sozusagen sein in- neres Empfangsgerät dafür auf die richtige Wellenlänge einstel- len.

Auch wenn er dieses hohe Ziel nicht erreicht, geht bei einem ernsten Bemühen um den Blu- menweg die ihm zugrunde lie- gende zenbuddhistische Hal- tung und die dazu gehörende

„Belebte Blumen"

heißt Ikebana im Japa- nischen. Diese Blu- mensteckkunst ist wie fast alle traditionellen japanischen Künste ei- ne Zen-Kunst Foto oben: Halbmond-Gefäß Moribana, auseinan- dergezogene Form, Va- riation im geneigten Stil; Foto unten: Hohes Gefäß, Nageire, Kaska- denstil, Variation im geneigten Grundstil;

alle Fotos: Bohnert- Neusch

Stille, Reinheit, Einfachheit, Wahrhaftigkeit, Konzentration und Versenkung in das „Blu- menherz" der Pflanze unbewußt in ihn über und gibt ihm Gelas- senheit und innere Ruhe auch im hektischen Alltag. Das ist wohl auch der wesentlichste Grund, weshalb im modernen Japan, in dem die Menschen kaum noch äußere Bewegungs- freiheit haben, das Blumenstek- ken so verbreitet ist.

Es gibt jetzt in Japan dreitau- send Ikebana-Schulen, die die überlieferten und neuen Arten der Ikebana-Stile lehren. Dazu halten alle großen Firmen für ih- re Angestellten Kurse ab. Jedes gutbürgerliche Mädchen — und dazu zählen sich 95 Prozent — lernt die Kunst des Blumenstek- kens vor der Hochzeit. Die größ- ten Schulen sind Ikenobö, So- getsu-Ryfi und Ohara-Ryili.

Schauen Sie sich doch mal bei der nächsten Veranstaltung die Blumengestecke aufmerksamer an. Haben Sie das Empfinden, daß diese außer dramatischer Schönheit auch stille Harmonie ausstrahlen, eine in sich ruhen- de überhöhte Natürlichkeit? Nur dann sind sie aus dem echten Ikebana-Geist geboren.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. Dr. Ulrike Thiede An der Ronne 184 5000 Köln 40

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 41 vom 10. Oktober 1984 (87) 2993

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