DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
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uch die Bundesländer ha- ben mit Kritik an dem von Bundesarbeitsmini- ster Norbert Blüm vorgelegten Gesetzentwurf für eine Struk- turreform im Gesundheitswesen nicht gespart. Zwar begrüßen die Minister der unionsgeführ- ten Länder den Entwurf „im Grundsatz", die SPD-regierten Länder hingegen lehnen das Re- formpaket völlig ab.Gleichwohl halten alle Län- der eine durchgreifende Reform für dringend erforderlich. Die SPD-geführten Länder bekla- gen vor allem: Das Maßnah- menpaket der Koalition gehe einseitig „auf Kosten der sozial Schwachen, der Kranken und der Behinderten" ; die Finanzie- rungsrechnung der Blüm-Admi- nistration sei „unsolide und un- seriös".
Die Sonderkonferenz der Sozial- und Gesundheitsminister der Länder vermißt Ansätze zur Lösung der Organisations- und Strukturprobleme der Krankenversicherung, insbeson- dere einen der unterschied-
Reform-Politik
Länder pochen auf Kompetenzen
lichen Mitgliederstruktur ent- sprechenden Risikoausgleich, auch kassenartenübergreifend.
Ferner plädieren die Länder da- für, den Finanzausgleich für die Krankenversicherung der Rent- ner für bestimmte Risikogrup- pen (Arbeitslose, Behinderte und mitversicherte Familienan- gehörige) zu erweitern. Ziel:
Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und gleiche Startbe- dingungen zu schaffen. Auch die Regionalisierung — unter Einbeziehung der Ersatzkassen
— dürfe nicht weiter tabu blei- ben.
Die Bundesländer erinnern an einen Grundsatz, der beim Bonner Reform-Geschäft in Vergessenheit zu geraten droht:
Nach der Kompetenzverteilung reklamieren sie eine grundsätz-
liehe Zuständigkeit für die Ge- sundheitspolitik. Einschneiden- de Eingriffe in Aufsichtsbefug- nisse und Letztverantwortung der Länder könnten deshalb nicht hingenommen werden.
Der „Casus belli" ist dann heraufbeschworen, wenn der Bund die Länder zu Zahlmei- stern degradieren will. Die Länderzuständigkeiten dürften nicht durch bundeseinheitliche Steuerungsinstrumente ersetzt werden. So pochen die Bundes- länder auf die alleinige Zustän- digkeit bei der Krankenhauspla- nung. Eine „parallele" Pla- nungskompetenz durch den Bund und die Kassenverbände werde nicht hingenommen Die stationäre Krankenversorgung und die Weiterentwicklung des Finanzierungsrechtes könnten nicht durch „bundeszentralisti- sche" Vorschriften ersetzt wer- den. Minister Blüm muß also beim „Gesundheitsreformge- setz" nicht nur mit dem Wider- stand der Verbände, sondern auch mit dem der Länder rech- nen. HC
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ngeblich gibt die Phar- maindustrie 5 Milliarden DM pro Jahr für Wer- bung aus. Diese Zahl kursiert, seit der Bundesarbeitsminister im Januar an die Koalitionsfrak- tionen ein Papier schickte, in dem Argumente für die Struk- turreform zusammengestellt sind. Dort wird behauptet, daß die Pharmaindustrie „für ge- sundheitspolitisch oft fragwürdi- ge Werbe- und Verkaufsförde- rungsmaßnahmen mit rund 5 Milliarden DM mehr ausgibt als für Forschung (rund drei Mil- liarden)".Dr. Blüm (oder wer immer ihm die Unterlagen zusammen- gestellt hat) hat sich vertan. Je- ne fünf Milliarden kommen zu- sammen, wenn der Gesamtum- satz der Pharma-Industrie (21 Milliarden DM) zugrunde gelegt wird und wenn die Ausgaben für wissenschaftliche Information (12,3 Prozent vom Gesamtum- satz), Werbung (4,4 Prozent)
Pharma
Werbekosten
und Vertrieb (8,7 Prozent) ad- diert werden. Doch Vertrieb (Lagerhaltung und Versand) ist nicht Werbung; auch die wissen- schaftliche Information kann nicht schlechthin mit Werbung gleichgesetzt werden, umfaßt sie doch zum Beispiel auch die Er- fassung von Nebenwirkungen und echte wissenschaftliche Hil- fen für die verschreibenden Ärzte.
Der Gesamtumsatz der In- dustrie schließlich geht Blüm im Zusammenhang mit der Struk- turreform nichts an. Denn hier sind, neben verschreibungs- pflichtigen Humanarzneimit- teln, auch freiverkäufliche sowie Tierarzneimittel und eine Viel- zahl weiterer Produkte enthal- ten; er umfaßt Inlandsabsatz
und Export. Der Markt, der Blüm interessieren müßte — das, was zu Lasten der Kassen ver- kauft wird —, beläuft sich auf rund neun Milliarden DM.
Es wäre in der Tat nützlich zu wissen, wie hoch die Kosten für Werbung und wissenschaft- liche Information sind, die auf diesen Neun-Milliarden-Markt entfallen. Leider können weder das Bundesarbeitsministerium noch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie mit harten Zahlen aufwarten.
Beim Recherchieren sind uns zwei überraschende Größen aufgefallen: das effektive Phar- ma-Anzeigenvolumen in der ärztlichen Fachpresse macht et- wa 200 Millionen DM aus; das wird manchen, der hier einen Milliarden-Markt vermutet, überraschen. Die
Ausgaben für die rund 13 000
Pharmavertre- ter liegen hingegen bei 1,5 Mil- liarden DM. Auch das dürfte manchen überraschen. NJDt. Ärztebl. 85, Heft 10, 10. März 1988 (1) A-553