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Archiv "Erkrankungen der Niere (2): Zystische Nierenerkrankungen Klassifikation und neue Aspekte" (25.10.1990)

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(1)

ZUR FORTBILDUNG

Klaus Zerres

und Rüdiger Waldherr

Die Fortschritte der Molekulargenetik haben für das Verständnis und die Klassifikation zystischer Nierenerkrankungen bedeutende Erkennt- nisse geliefert. Klinik, Morphologie, Genetik und differentialdiagnosti- sche Abgrenzung der wichtigsten Zystennierenformen werden erörtert, Möglichkeiten und Limitationen einer indirekten Genotyp-Diagnostik aufgezeigt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine frühzeitige Dia- gnosestellung unabhängig vom Ausmaß der Nierenveränderungen möglich.

Erkrankungen der Niere (2)

Zystische

Nierenerkrankungen Klassifikation

und neue Aspekte

ystische Nierenerkran- kungen spielen in der In-

a",

neren Medizin, in der Pädiatrie, in der (gynäko- logischen) Pränataldia- gnostik, in der Humangenetik sowie in der Pathologie eine bedeutende Rolle. Etwa zehn Prozent aller er- wachsenen und kindlichen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zeigen unterschiedliche Formen zy- stischer Nephropathien. Gynäkolo- gen werden nicht selten im Rahmen der pränatalen Ultraschalldiagnostik mit Nierenfehlbildungen konfron- tiert. In humangenetischen Bera- tungsstellen sind Zystennieren oder Fehlbildungssyndrome mit Nierenzy- sten ein häufiger Beratungsgrund.

Für Pathologen ist die Einordnung zystischer Nierenveränderungen be- ziehungsweise der klinischen Dia- gnose „Potter-Syndrom" (Tabelle 1) ein tägliches Problem. Unsere Kenntnisse über die Genetik und Pathogenese zystischer Nierener- krankungen sind nach wie vor man- gelhaft. Molekulargenetische Fort- schritte der letzten Jahre ermögli- chen unter bestimmten Vorausset- zungen eine frühzeitige Diagnose- stellung und geben neue Gesichts-

punkte für eine pathogenetisch ori- entierte Klassifikation (Tabelle 2).

1. Autosomal

rezessive polyzystische Nephropathie

Die exakte Häufigkeit der au- tosomal rezessiven polyzystischen Nephropathie (ARPN) (früher: in- fantile polyzystische Nierenerkran- kung, Zystenniere Typ I nach Potter) ist unbekannt Schätzungen reichen von 1:10 000 bis 1:40 000 entspre- chend einer Heterozygotenfrequenz von 1:50 bis 1:100 (1, 2). Multiple Al- lelie (die Existenz mehrerer mutier- ter Allele eines Genortes, die meist zu einer unterschiedlichen Ausprä- gung einer Krankheit führen) könnte einerseits die Vielfalt der Verlaufs- formen, andererseits auch die Beob- achtung erklären, daß bei Geschwi-

Institut für Humangenetik (Direktor:

Prof. Dr. med. Peter Propping), Rhei- nische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn;

Pathologisches Institut (Direktor:

Prof. Dr. med. Herwart F. Otto) Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

stern oft ein ähnlicher klinischer Verlauf vorliegt. Nach dem primären Manifestationsalter können eine pe- rinatale, neonatale, infantile und ju- venile Form unterschieden werden (3), wenn auch diese Trennung im Einzelfall willkürlich ist und es häu- fig zu Überschneidungen kommt. In seltenen Fällen offenbart sich die ARPN erst im Erwachsenenalter (4).

Eine frühzeitige pränatale Manife- station kann in Form eines Oligohy- dramnionsyndroms (Potter-Sequenz,

„renal non-function sequence") mit extremer zystischer Nierenvergröße- rung in Erscheinung treten (5).

In typischen Fällen sind die Nie- ren bilateral symmetrisch vergrößert, die Nierenform ist erhalten (Abbil- dung 1). Das Parenchym zeigt ra- diär angeordnete, fusiform-zystisch (Durchmesser 1 bis 2 mm) erweiterte Sammelrohre in Rinde und Mark (Abbildung 2). Diese charakteristi- schen Veränderungen haben zur äl- teren Bezeichnung „Schwammniere"

geführt. Obligat lassen sich bei der ARPN Leberveränderungen im Sin- ne einer kongenitalen Fibrose (chol- angiodysplastische Fibrose) nach- weisen (Abbildung 3). Das Fehlen ei- ner kongenitalen Leberfibrose Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 (55) A-3323

(2)

Tabelle 1: Nomenklatur und Definitionen

Im weiteren Sinne klinische Bezeichnung für cha- rakteristische phänotypische Veränderungen wie

„Potter-Facies" mit Hypertelorismus, Verbreite- rung und Abflachung der Nasenwurzel, Epican- thus, Lidwinkelwangenfalte, Mikrognathie, tief- sitzende dysplastische Ohrmuscheln und „plum- pe" Hände, Klumpfüße, Gelenkkontrakturen, als Folgezustand eines lang anhaltenden Fruchtwas- sermangels unterschiedlicher, meist jedoch renaler Ursache (bilaterale Nierenagenesie, erbliche poly- zystische Nierenerkrankungen, Nierenveränderun- gen im Rahmen von Fehlbildungssyndromen).

In jedem Fall ist die Abklärung der Ursache, zum Beispiel als Basis einer genetischen Beratung, not- wendig.

Potter-Syndrom:

(Potter-Sequenz,

„renal nonfunction sequence", Oligo- hydramnion-Sequenz)

Mißverständliche Bezeichnung für „Potter-Syn- drom" bei Nierenagenesie beziehungsweise -apla- sie.

Die Bezeichnung sollte aufgegeben werden, da sie sehr häufig zu Verwechselungen mit der Zystennie- ren-Klassifikation von Potter führt.

Potte -Syndrom:

Rein morphologisch deskriptive Klassifikation zysti- scher Nierenveränderungen.

Wenn möglich, sollte immer eine weitergehende Klassifikation unter Einbeziehung klinischer, ana- mnestischer und genetischer Parameter in ein eini- germaßen definiertes Krankheitsbild erfolgen (sie- he Text).

Zystische Nieren- veränderungen Typ Potter 1—IV:

schließt die Diagnose einer ARPN aus. Der Nachweis einer cholangio- dysplastischen Leberfibrose ist mit- hin ein wichtiges Klassifikationskri- terium.

Etwa 90 Prozent der Kinder mit ARPN versterben bereits im frühen Neugeborenenalter im allgemeinen infolge respiratorischer Komplika- tionen (Lungenhypoplasie, Atem- notsyndrom). Mit zunehmendem Überlebensalter imponieren Zysten unterschiedlicher Größe. Eine Ab- grenzung von anderen Formen zysti- scher Nephropathien, zum Beispiel der autosomal dominanten polyzysti- schen Nephropathie, ist dann häufig ohne Kenntnis der Familienanamne- se und der Lebermorphologie nicht mehr möglich. Erleben die Patienten mit ARPN das frühe Kindesalter, prädominieren klinisch zumeist die Folgeerscheinungen der kongenita- len Leberfibrose mit portaler Hyper- tension. Die Variabilität der klini- schen Symptomatik wird jedoch da- durch untermauert, daß bereits im Neugeborenenalter schwere Leber- manifestationen auftreten können, andererseits adulte Patienten mit

Tabelle 2: Klassifikation zysti scher Nierenerkrankungen (vereinfacht)

autosomal rezessive polyzystische Nephropathie

autosomal dominante polyzysti- sehe Nephropathie

zystische Nierendysplasien zystische Nephropathien bei Fehl- bildungssyndromen

familiäre juvenile Nephro- nophthise

medulläre zystische Nieren- erkrankung

medulläre Schwammniere multilokuläre zystische Nephropathie

erworbene zystische Nephropathie einfache Nierenzysten (solitär oder multipel)

extraparenchymatöse Zysten

asymptomatischer Leberbeteiligung und chronischer Niereninsuffizienz bekannt sind.

Radiologisch sind die Nieren ty- pischerweise vergrößert, im Späturo- gramm zeigt sich eine feine radiäre Streifung, die kontrastmittelgefüll- ten Sammelrohren entspricht. So- nographisch ist eine erhöhte Echoge- nität des Parenchyms feststellbar.

Entgegen früherer Auffassungen ist dieses Bild für die ARPN nicht pa- thognomonisch und vor allem von frühmanifesten Formen der autoso- mal dominanten polyzystischen Nephropathie gelegentlich nicht zu unterscheiden. Mit zunehmendem Lebensalter verliert sich das zu- nächst relativ uniforme Bild, und es treten Zysten unterschiedlicher Grö- ße auf; eine Abgrenzung zur autoso- mal dominanten polyzystischen Ne- phropathie ist hier im allgemeinen nicht mehr möglich.

Das Wiederholungsrisiko für Geschwister betroffener Personen liegt bei 25 Prozent (autosomal re-

zessiver Erbgang). Die Pathogenese der ARPN ist unbekannt. Eine Gen- Lokalisation ist bislang nicht erfolgt, damit eine molekulargenetische Prä- nataldiagnostik noch nicht möglich.

Sicher ist lediglich, daß die Genmu- tation nicht derjenigen der autoso- mal dominanten polyzystischen Nephropathie auf dem Chromosom 16 entspricht (6).

Ultrasonographisch kann ledig- lich in einem Teil der schweren Ma- nifestationsformen der Nachweis vergrößerter Nieren bei erhöhter Echogenität in der ersten Schwan- gerschaftshälfte erbracht werden (5).

Dies muß bei der genetischen Bera- tung berücksichtigt werden. Diese Form der Zystenniere tritt niemals im Rahmen von komplexen Fehlbil- dungssyndromen oder Chromoso- menanomalien auf. Assoziierte Fehl- bildungen sowie der Nachweis ande- rer erkrankter Familienmitglieder außerhalb der Geschwisterreihe müssen in der Regel an der Diagno- se einer ARPN zweifeln lassen. I>

A-3324 (56) Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990

(3)

2. Autosomal

dominante polyzystische Nephropathie

Die autosomal dominante poly- zystische Nephropathie (ADPN) (frühere, zum Teil nicht vollständig synonyme Bezeichnungen: adulte polyzystische Nierenerkrankung, Zy- stennieren Typ III nach Potter) ge- hört mit einer Inzidenz von 1:1000 zu den häufigsten monogen erblichen Erkrankungen überhaupt (7). Das typische klinische Manifestationsal- ter liegt beim Erwachsenen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, wenn auch bereits im Kindes- oder Neuge- borenenalter ausgeprägte Manifesta- tionsformen beobachtet werden kön- nen. Andererseits gibt es Patienten, die erst im 7. bis 8. Lebensjahrzehnt eine Niereninsuffizienz entwickeln.

Zirka 50 Prozent der Anlageträger erreichen bis zum 60. Lebensjahr das Stadium der terminalen Niereninsuf- fizienz (8). Auch hier zeigt sich also, wie bei der ARPN, ein großes Mani- festationsspektrum. Die typischen klinischen Symptome sind Hyperto- nie, Flankenschmerzen, symptomati- sche Harnwegsinfektionen, Makro- hämaturie, Nephrolithiasis und die Entwicklung einer progredienten chronischen Niereninsuffizienz. Dar- über hinaus weist ein großer Teil der Patienten extrarenale Manifestatio- nen auf: zumeist symptomlose Le- berzysten (40 bis 50 Prozent), asym- ptomatische Pankreaszysten (5 bis 10 Prozent) und Milzzysten (5 Prozent).

Hirnbasisarterienaneurysmata kön- nen angiographisch bei bis zu 40 Pro- zent der Patienten nachgewiesen werden.

Neben der chronischen Nieren- insuffizienz sind Hirnbasisarteriena- neurysmarupturen die häufigste To- desursache von ADPN-Patienten, vor allem bei unbehandeltem Blut- hochdruck. Herzklappenverände- rungen können sowohl klinisch als auch autoptisch in einem hohen Pro- zentsatz (bis zu 50 Prozent) beob- achtet werden (9, 10). Eine gehäufte Assoziation mit Hernien (Inguinal- hernien, Umbilicalhernien) sowie Dickdarmdivertikeln dürfte jedoch ein sekundäres Phänomen darstel- len. Pathoanatomisch sind die Nie-

Abbildung 1: Autoso- mal rezessive polyzy- stische Nephropathie („feinporige

Schwammniere") mit deutlicher Nierenver- größerung bei erhal- tenem Nierenaufbau

ren vergrößert (Abbildung 4), wobei im Frühstadium nicht selten eine asymmetrische Vergrößerung über Jahre hinaus vorliegen kann. Die Zy- sten sind von variabler Größe und in allen Nephronabschnitten (Glome- ruli, proximale und distale Tubuli, Sammelrohre) lokalisiert.

Radiologisch imponiert oft eine Distorsion des Kelchsystems sowie eine Unregelmäßigkeit der Nieren- begrenzung durch Zysten unter- schiedlicher Größe bei allgemeiner Nierenvergrößerung. Sonographisch können bis zum Alter von 20 Jahren etwa 90 Prozent und bis zum Alter

Abbildung 2: Mikroskopisches Bild der au- tosomal rezessiven polyzystischen Nephro- pathie mit fusiformen, von den Sammelroh- ren ausgehenden Zysten in Rinde und Mark.

HE-Färbung, Originalvergrößerung x25

Abbildung 3: Kongenitale Leberfibrose mi portaler Fibrose und dysplastischen erwei- terten Gallengängen. Masson Trichrom-Fär- bung, Originalvergrößerung x40

von 30 Jahren nahezu alle Anlage- träger identifiziert werden (11). Der autosomal dominante Erbgang be- deutet, daß statistisch 50 Prozent der Kinder Anlageträger sind und damit im Laufe ihres Lebens ebenfalls Symptome entwickeln (vollständige Penetranz). Durch Kopplungsunter- suchungen konnte gezeigt werden, daß der Genort für den überwiegen- den Teil der Patienten (95 Prozent) mit ADPN auf dem kurzen Arm des Chromosoms 16 (PKD1-Gen) lokali- siert ist (12). Durch Identifizierung polymorpher benachbarter Marker ist heute in geeigneten (informati- ven) Familien eine indirekte Geno- typ-Diagnostik möglich (12, 13).

Nach Erstellung eines Stammbau- mes, Identifizierung erkrankter Fa- milienmitglieder sowie Festlegung der zu untersuchenden Personen wird eine DNA-Extraktion aus Leu- kozyten durchgeführt. Mit Hilfe des Southern-Blot-Verfahrens erfolgt der spezifische Nachweis der jeweili- gen Marker.

Mit der Kopplungsanalyse, das heißt einem Vergleich der Marker- muster in der Regel betroffener und nicht betroffener Personen, kann ei- ne Zuordnung von Zystennierenmu- tation und speziellen Markern vorge- nommen werden. Diese Information ist dann diagnostisch verwertbar, wenn die Zuordnung von Mutation und Marker eindeutig (informativ) ist. Durch Einsatz mehrerer Kopp- lungsmarker ist eine präsymptomati- sche und pränatale Diagnostik heute in mehr als 98 Prozent der informati- ven Familien mit gesicherter Dia- gnosestellung bei anderen Familien- angehörigen möglich (14, 15, 16).

Die Methode erlaubt aber nicht eine Diagnostik bei unklaren Fällen, sie A-3326 (58) Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990

(4)

A-3328 (60) Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 kann lediglich in Familien mit ein-

deutig erkrankten Familienmitglie- dern bei Angehörigen mit unklarer Symptomatik zu einer Diagnosesi- cherung beitragen (Abbildung 5).

Vor einer unkritischen Anwen- dung der Methode muß gewarnt werden. Eine pränatale Diagnostik ist nur dann indiziert, wenn vorab ei- ne eingehende humangenetische Be- ratung der Eltern unter Hinweis auf alle möglichen Konsequenzen erfolgt ist. Unserer Erfahrung nach nimmt nur ein kleiner Teil der Patienten ei- ne Pränataldiagnostik in Anspruch.

Die Pathogenese der ADPN ist unbekannt. Diskutiert werden eine Tubuluszellhyperplasie und tubuläre Obstruktion, eine abnorme Basal- membranzusammensetzung mit ver- änderter tubulärer Compliance so- wie eine intratubuläre Sekretion. Ei- gene Untersuchungen (15) an früh-

3. Zystische Nierendysplasien

Die Nierendysplasie (Typ Potter II, multizystische Nierendysplasie entsprechend Typ Potter IIA, hypo- plastische Nierendysplasie entspre- chend Typ Potter IIB) ist primär pa- thoanatomisch definiert. Sie ist cha- rakterisiert durch eine fehlerhafte Entwicklung des Nierengewebes mit Störung der Nierenarchitektur. Dia- gnostisches Kriterium ist eine korti- ko-medulläre Differenzierungsstö-

Abbildung 4: Autoso- mal dominante poly- zystische Nephropa- thie mit starker Nie- renvergrößerung und zahlreichen, das ge- samte Parenchym durchsetzenden Zy- sten variabler Größe

manifesten Fällen machen eine tu- buläre Obstruktion als primäre Ursa- che weitgehend unwahrscheinlich und haben gezeigt, daß die ADPN in einem relevanten Prozentsatz der Fälle, vielleicht bei allen Patienten mit der PKD1-Mutation bereits in utero in Form von glomerulären und tubulären Mikrozysten beginnt rung variabler Ausprägung, die auf einer gestörten Interaktion von Ure- terknospe und metanephrogenem Blastem beruht. Sie äußert sich in Störungen des Sammelrohrsystems (Ureterknospe) mit Auftreten primi- tiver Gangzysten und Störungen des metanephrogenen Blastems mit ab- normer Differenzierung (primitive Glomeruli und Tubuli, Knorpelher- de und andere Veränderungen).

Die Nierendysplasie tritt unila- teral oder bilateral auf, sie kann die gesamte Niere oder nur einen Teil

Abbildung 5: Stamm- baum einer Familie mit autosomal domi- nanten Zystennieren.

Drei weibliche Fami- lienmitglieder sind erkrankt (I, 2; II, 2;

III, 1). Nachweis der Kopplung des DNA- Markers E mit dem Genort (PKD1) für die autosomal domi- nante polyzystische Nephropathie

des Parenchyms (segmentale Nieren- dysplasie) erfassen. Das morphologi- sche Spektrum der Nierendysplasie reicht von soliden bis zu zystischen Veränderungen (Abbildungen 6, 7) variabler Größe und Ausdehnung (multizystische Nierendysplasie).

Die Induktion von Nierengewe- be setzt den Kontakt der Ureter- knospe mit dem metanephrogenen Blastem voraus. Unterbleibt dieser Kontakt (Folge einer Störung vor der 5. SSW), bleibt die Induktion von Nierengewebe aus, es resultiert eine Nierenagenesie Eine frühe Störung des Harnabflusses (Obstruktion) nach erfolgtem Kontakt geht mit ei- ner Nierendysplasie einher. Nach weitgehend abgeschlossener Diffe- renzierung des Nierengewebes wird sich die Störung auf die spät entwik- kelnden subkapsulären Nephronge- nerationen beschränken, und es kann zur Ausbildung kortikaler Zy- sten kommen (Typ Potter IV). Nach diesen Vorstellungen ist es verständ- lich, daß man auch in hydronephroti- schen Nieren Differenzierungsstö- rungen im Sinne einer Nierendyspla- sie gelegentlich nachweisen kann. In gleicher Weise können auch asym- metrische Befunde bei unterschied- lich wirkenden Störungen auf beide Nieren erklärt werden. Es ergibt sich damit ein Spektrum morphologi- scher Nierenveränderungen, das von der Agenesie/Aplasie bis zur Hydro- nephrose reicht (Abbildung 8). Der Schweregrad der zu beobachtenden Nierenveränderung ist abhängig von der Manifestationszeit und vom Grad der obstruktiven Komponente.

Nur in wenigen Fällen ist eine Ob- struktion nicht nachweisbar. Hier wird eine harnabflußunabhängige Differenzierungsstörung der Ureter-

(5)

Nach nahezu abgeschlossener Nierenentwicklung

Kortikale Nierenzysten

1

Zeitpunkt der Störung

Vor Kontakt von meta- nephrogenem Blastem und

Ureterknospe

Unmittelbar nach Kontakt von metanephrogenem Blastem und Ureterknospe

Ausmaß der Nierenveränderung

Agenesie/

Aplasie

Hypoplastische/

multizystische Nierendysplasie

Bei vollständig abgeschlossener Nierenentwicklung

Hydronephrose

Abbildung 8: Spek- trum der Nierenver- änderungen bei di- staler Hamwegsob- struktion in Abhän- gigkeit vom Zeit- punkt der Störung im Rahmen der Nieren- entwicklung knospe („ureteral bud"-Theorie) dis-

kutiert. Die Pathogenese der Nieren- dysplasien ist damit wahrscheinlich heterogen.

Klinisch wird bei bilateraler Be- teiligung und weitgehend fehlender Nierenfunktion ein Oligohydram- nionsyndrom (Potter-Phänotypus) beobachtet. Bei asymmetrischen oder unilateralen Manifestationsfor- men können in Abhängigkeit vom Ausmaß der Veränderung klinische Symptome (zunächst) vollständig fehlen. Einseitige Prozesse können sich dann im Kindesalter zum Bei- spiel durch rezidivierende Harn- wegsinfektionen, Enuresis und ande- re Symptome manifestieren.

Die humangenetische Beurtei- lung zystischer Nierendysplasien bie- tet häufig große Probleme. Da diese Form der zystischen Nephropathie nicht selten im Rahmen von komple- xen Fehlbildungssyndromen auftritt, muß ein solches Syndrom (mit ent- sprechendem Erbgang) zunächst ausgeschlossen werden (Tabelle 3).

Nach Ausschluß eines Fehlbildungs- syndroms ist bei schweren bilatera- len Manifestationsformen zu beden- ken, daß statistisch in fast zehn Pro- zent der Fälle bei Verwandten er- sten Grades oft asymptomatische

Abbildung 6: Bilate- rale asymmetrische multizystische Nie- rendysplasie mit ge- störter Nierenarchi- tektur und multiplen Zysten bei Hamröh- renobstruktion

Abbildung 7: Mikroskopischer Aspekt der Nierendysplasie mit Störung der Nierenar- chitektur, Zysten variabler Größe und primi- tiven, von konzentrisch geschichteten me- senchymalen Zellen umgebenen erweiter- ten Kanälchen. Masson Trichrom-Färbung, Originalvergrößerung x25

Harntraktfehlbildungen (insbeson- dere eine unilaterale Nierenagene- sie) nachgewiesen werden können (17). Aus diesen Gründen sollte in jedem Falle eine sonographische Un- tersuchung der Eltern und Geschwi- ster erfolgen. Andererseits ergibt sich daraus, daß bei klinisch asym- ptomatischen oder oligosymptomati- schen Fällen das Risiko schwerer Manifestationsformen des gesamten Fehlbildungsspektrums in der Nach- kommenschaft unter Umständen mit Entwicklung eines Oligohydram- nionsyndroms erhöht ist. Empirisch beträgt das Wiederholungsrisiko nach der Geburt eines Kindes mit Oligohydramnionsyndrom und Dys- plasie/Agenesie etwa fünf Prozent;

dieses Risiko erhöht sich erheblich bei Hinweisen auf eine positive Fa- milienanamnese (Ultraschallunter- suchung!) und kann im Einzelfall bis zu 50 Prozent betragen (18). Die pränatale Diagnostik ist ultrasono- graphisch durch die Störung der Nie- rengesamtarchitektur bereits zu ei- nem frühen Schwangerschaftszeit- punkt (1. Trimenon) möglich.

4. Zystische Nephropathien im Rahmen von

Fehlbildungssyndromen

Zystische Nierenveränderungen finden sich im Rahmen von komple- xen Fehlbildungssyndromen in un- terschiedlicher Häufigkeit und Ma- nifestationsform (Tabelle 3). Bei der Mehrzahl der Syndrome werden Nierendysplasien in variabler Aus- Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 (61) A-3329

(6)

Tabelle 3: Wichtige Fehlbildungssyndrome mit zystischen Nierenveränderungen

Nierenbeteiligung Genetik Leitsymptome

Syndrom

Roberts-Syndrom Mikro- bis Phokomelie autosomal rezessiv

Lippenspalte Hämangiome

Wachstumsretardierung

Typ II

Adenoma sebaceum Oligophrenie Krampfanfälle

tuberöse Sklerose verschiedene Formen

Angiomyolipome

autosomal dominant, in ca.

80% der Fälle Neumutationen;

variable Expressivität, unvollständige Penetranz branchio-oto-renales-

Syndrom

Präaurikularfisteln Halsfisteln Taubheit Nierendysplasie

Typ II bei 6% der Heterozygoten

autosomal dominant

Chromosomenstörungen (z. B. Trisomie 10p, 13, 18, XXY, Tiiploidie u. a.)

je nach Chromosomenstö- rung typische weitere Fehl- bildungen

faziale Dysmorphie

verschiedene Formen (Einzelzysten, Rindenzy- sten)

meist de-novo-Chromoso- menstörung, gelegentlich als Folge einer familiären Translokation

v. Hippel-Lindau- Syndrom

Angiomatosis retinae zerebelläre Hämangio- blastome

Zysten variabler Ausprägung Hypernephrome

autosomal dominant mit un- vollständiger Penetranz und variabler Expressivität Jeune-Syndrom (asphyxie-

rende Thoraxdystrophie)

enger Thorax kurze Extremitäten hypoplastische Becken- knochen

Typ II

Nephronophthise- ähnlich

autosomal rezessiv

Laurence-Moon-Bardet- Biedl-Syndrom

Obesitas Oligophrenie Polydaktylie Retinopathie

Typ II

Hypoplasie u. a.

autosomal rezessiv

Meckel-Syndrom okzipitale Enzephalozele zystische Nephropathie Polydaktylie

Typ II

„Meckel-Niere"

autosomal rezessiv

oro-facio-digitales Syndrom I

hyperplastische Frenula Zungenspalte

Lippen-Kiefer- Gaumenspalte Zahn- und Kiefer- anomalien

Typ Ill-ähnlich (Rinden)-zysten

X-chromosomal dominanter Erbgang mit Letalfaktor für Knaben

Prune-belly-Syndrom Bauchwanddefekt Hamtraktfehlbildungen Kryptorchismus

Spektrum Typ II bis Hydronephrose

autosomal rezessiv?

short-rib-Polydaktylie- Syndrom (mehrere Typen)

kurze Rippen kurze Extremitäten Polydaktylie

Typ II autosomal rezessiv

Vertebralanomalien Analatresie

Tracheo-Ösophagealfisteln Radiusdys- bzw. -aplasie

bei 50% der Fälle Spektrum Typ II

(Aplasie-Hydronephrose)

nicht erblich;

nur einzelne Geschwister- beobachtungen

VATER-Assoziation

Zellweger-Syndrom (zerebro-hepato-renales Syndrom)

Muskelhypotonie

hohe Stirn, flaches Gesicht Hepatomegalie

verschiedene Formen autosomal rezessiv

A-3332 (64) Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990

(7)

prägung mit oder ohne zystische Veränderungen vorgefunden. Be- reits aus diesem Grunde muß bei Vorliegen einer Nierendysplasie ein komplexes Fehlbildungssyndrom im- mer ausgeschlossen werden. Nach unseren Erfahrungen ist das autoso- mal rezessiv vererbte Meckel-Syn- drom eines der häufigsten Fehlbil- dungssyndrome mit zystischen Nie- renveränderungen. Die Nierenmit- beteiligung ist beim Meckel-Syn- drom obligat. Hinzutreten können Polydaktylie, Cholangiodysplasie der Leber, Gehirnfehlbildungen (Enze- phalozele. usw.), Gesichtsanomalien („Potter-Facies", Lippen-Kiefer- Gaumenspalte), Darmanomalien, Pankreaszysten, Genitalanomalien und anderes.

Das morphologische Spektrum der Nierenbeteiligung kann jedoch erheblich variieren, reicht von typi- schen Formen der Nierendysplasie bis zu zystischen Veränderungen, die einer ADPN ähneln können. Eine Obstruktion der ableitenden Harn- wege liegt im allgemeinen nicht vor.

Für die humangenetische Beratung ist wichtig, daß es oligosymptomati- sche Meckel-Fälle mit alleiniger Nie- renbeteiligung gibt, während Ge- schwisterkinder das Vollbild eines Meckel-Syndroms zeigen (19). Hier kommt der pathoanatomischen Be- schreibung der Nierenveränderun- gen für die genetische Beratung eine große Bedeutung zu.

5. Weitere Formen zystischer

Nierenerkrankungen

Zystische Nierenveränderungen können, außer bei den bisher vorge- stellten Formen, bei vielen anderen, teils genetischen, teils nicht geneti- schen Nierenerkrankungen beobach- tet werden (Tabelle 2). Die juvenile Nephronophthise ist eine 1951 erst- mals von Fanconi et al. beschriebene autosomal rezessive, chronisch skle- rosierende interstitielle Nephropa- thie (20). Knapp zehn Prozent aller chronisch niereninsuffizienten Kin- der leiden an einer Nephronophthi- se. Der klinische Verlauf ist schlei- chend. Polyurie und Polydipsie sowie Anämie und Minderwuchs sind die

häufigsten Symptome. In fortge- schrittenen beziehungsweise termi- nalen Stadien sind an der Mark-Rin- dengrenze von distalen Tubuli aus- gehende Zysten variabler Größe nachweisbar. Extrarenale Organbe- teiligungen können in Einzelfällen vorgefunden werden wie geistige Re- tardierung, Retinitis pigmentosa, Le- berfibrose, Knochenanomalien (Zapfenepiphysen, periphere Dyso- stosen usw.), zerebelläre Ataxie und Kolobom („Nephronophthise-Kom- plex") (21).

Ein klinisch und pathoanato- misch weitgehend identisches, in Eu- ropa außerordentlich seltenes Krankheitsbild manifestiert sich im Erwachsenenalter, wird autosomal dominant vererbt und als medullär- zystische Nierenerkrankung bezeich- net (22). Extrarenale Organmanife- stationen sind nicht nachweisbar.

Die medulläre Schwammniere wird überwiegend im Erwachsenenalter beobachtet und ist charakterisiert durch eine zystische Erweiterung der Sammelrohre im Papillenbereich.

Klinisch ist sie entweder asymptoma- tisch (zufälliger Nachweis im intrave- nösen Pyelogramm) oder geht mit ei- ner Nephrolithiasis und rezidivieren- den Harnwegsinfektionen einher.

Männer erkranken häufiger als Frauen, die Erkrankung ist in 80 Prozent der Fälle bilateral. Familiä- re Häufungen sind bekannt, ein ein- heitlicher Erbgang liegt jedoch nicht vor (23).

Die multilokuläre zystische Nie- renerkrankung ist eine seltene, zu- meist einseitige Veränderung, die in jedem Lebensalter beobachtet wer- den kann Sie steht der multizysti- schen Nierendysplasie nahe, wenn auch Fehlbildungen der ableitenden Harnwege hier nicht vorkommen Im Kindesalter muß sie vom zystischen multilokulären Nephrom als benigner Nephroblastomvariante abgegrenzt werden. Die erworbene zystische Nephropathie stellt eine zystische Veränderung dar, die sekundär bei entzündlichen glomerulären und tu- bulointerstitiellen Prozessen im Ver- lauf der chronischen Niereninsuffi- zienz und unter Dialysetherapie bei etwa 50 Prozent der Fälle auftritt (24). Im Extremfall kann sie einer ADPN ähneln.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über die Verfasser.

Anschriften der Verfasser:

Privatdozent

Dr. med. Klaus Zerres Institut für Humangenetik der Universität Bonn Wilhelmstraße 31 W-5300 Bonn 1

Prof. Dr. med. Rüdiger Waldherr Pathologisches Institut

der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 220/221 W-6900 Heidelberg

FÜR SIE REFERIERT

E. Coli-0157:

H7-Kolitis

Abdominelle Krämpfe, blutige Durchfälle und kein oder nur gering- gradiges Fieber kennzeichnen die hämorrhagische Kolitis, die durch das Shiga-ähnliche Toxin von Esche- richia coli 0157:H7 hervorgerufen wird. Histologisch erinnert das Krankheitsbild an die ischämische Kolitis mit Blutung, fokaler Nekrose und entzündlicher Infiltration der oberflächlichen Mukosaschichten, während die tiefen Krypten erhalten bleiben. Daneben wird aber auch ei- ne granulozytäre Infiltration wie bei einer infektiösen Kolitis, gelegent- lich sogar die Ausbildung von Pseu- domembranen beobachtet. Bevor- zugte Lokalisation der Mukosaver- änderungen ist das rechtsseitige Ko- lon. Routinestuhluntersuchungen er- lauben keine Differenzierung von der üblichen Coliflora des Darms.

Bei epidemischem Auftreten hä- morrhagischer Kolitiden sollte ge- zielt nach dem E.-coli-0157:H7-To- xin gefahndet werden.

Griffin, P. M., I. C. Olmstead, R. F. Petras:

Escherischia coli 0157:H7-associated coli- tis. A clinical and histological study of 11 cases. Gastroenterology 99:142-149, 1990 Enteric Disease Branch, Division of Bacte- rial Diseases, Center for Infectious Dis- ease, Centers for Disease Control, Atlanta, Georgia, USA

Dt. Ärztebl. 87, Heft 43, 25. Oktober 1990 (67) A-3333

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