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Archiv "Frühdiagnostik und Therapie von Hörstörungen beim Säugling und Kleinkind: 21. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ vom 27. bis 30. November in Köln" (09.05.1997)

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ie Veranstaltung beschäftigte sich unter anderem mit den modernen Möglichkeiten nachhaltiger Verbesserungen der Früherkennung frühkindlicher Schwerhörigkeit und Ertaubung. Die Prinzipien der konservativen Thera- pie, aber auch moderne chirurgische Therapiemöglichkeiten wurden vor- gestellt.

Rückstand in der Früherkennung

Hans Peter Zenner, Tübingen, gab eine Einführung, in der er vor allem auf den Rückstand in der Früherkennung der frühkindlichen Schwerhörigkeit in Deutschland hin- wies.

Sprache ist das wichtigste Kom- munikationsmittel des Menschen.

Um Sprache zu erlernen, müssen Säuglinge und Kleinkinder hören können. Eine frühkindliche Schwer- hörigkeit muß spätestens mit dem sechsten Lebensmonat behandelt werden, da sonst eine lebenslängliche Sprachentwicklungsstörung und kon- sekutiv eine Beeinträchtigung kogni- tiver Fähigkeiten drohen. Hörfähig- keit und Sprachfähigkeit sind so eng miteinander verknüpft, daß eine voll- ständige Abhängigkeit des spontanen Spracherwerbs von der Hörfähigkeit besteht.

Die Sprachentwicklung ist dabei an die Plastizität des Gehirns gebun- den, die für die Sprachentwicklung in den ersten Lebensjahren am ausge- prägtesten ist. Wird eine frühkindli- che Schwerhörigkeit zu spät erkannt, so kann die verspätete Therapie die bereits eingetretene Sprachentwick- lungsstörung nicht mehr vollständig

kompensieren. Die Folge ist eine le- benslange Benachteiligung des Kin- des in sozialem Leben, Schule und Beruf.

Neuere Statistiken haben er- neut gezeigt, daß in Deutschland die Diagnostik der frühkindlichen Schwerhörigkeit im Schnitt im Al- ter von 19,5 Monaten beginnt und 7,2 Monate benötigt, so daß die Diagnose im Schnitt mit 2,27 Jahren und nicht mit sechs Monaten gestellt wird.

Früherkennung hörbeeinträchtigter Kinder

Richard Michaelis, Tübingen, be- richtete, daß bis zum Ende des ersten Lebensjahres in der menschlichen Entwicklung der Erwerb der Symbol- oder Einwortsprache beginnt. Die Sprachfähigkeit ist dabei zeitlich sehr eng und essentiell an die vollständige Ausbildung des auditiven Systems ge- bunden, um sich überhaupt ent- wickeln zu können. Ohne auditori- schen Stimulus wird das zentrale audi- torische System nur unvollständig ausgebildet. Das Fehlen synaptischer Verbindungen sowie der Untergang auditorischer Kerngebiete ist be- schrieben und bewirkt lebenslange Defizite.

Die Sprach- und Sprechfähigkeit – so Michaelis – hat sich nämlich als Ergebnis der evolutionären Entwick- lung hin zum Menschen samt den dafür notwendigen morphologischen und neurobiologischen Systemen her- ausgebildet. Die menschliche Sprache ist dadurch die bisher komplizierteste neuronale Fähigkeit des menschli- chen Gehirns geworden. Sie bildet die

Voraussetzung für die menschliche Kommunikation, Sozialisation und die Fähigkeit zu denken. Entgegen der sonstigen biologischen Strategie, Funktionsabläufe mehrfach abzusi- chern, ist der Erwerb der Sprach- fähigkeit ausschließlich auf das volle Funktionieren der Fähigkeit, hören zu können, angewiesen.

Ist diese insuffizient oder fällt sie ganz aus, kann sich Sprache nur unvollkommen oder überhaupt nicht entwickeln. Außerdem ist ein neuro- biologisch vergleichsweise sehr en- ges zeitliches Fenster vorgegeben, in dem sich Sprache entwickeln muß, um voll funktionsfähig werden zu können. Alle Ärzte, die Säuglinge betreuen, sollten daher an Hör- störungen denken, ihre Symptome vor allem in der Sprachentwicklung kennen und über die Möglichkeiten einer frühen Diagnosestellung infor- miert sein.

Gegenwärtiger Stand ist es je- doch, daß Institutionen, die die Mög- lichkeit einer Diagnostik bieten, nicht genutzt werden, auch wenn der El- ternverdacht auf eine Hörstörung be- steht. Von ärztlicher Seite wird bei Elternverdacht zu oft beruhigt, ohne daß ein suffizienter Hörtest durchge- führt wird.

Von Risikokindern wird nur eine Minderzahl schließlich zur audiologi- schen Untersuchung vor dem siebten bis neunten Lebensmonat geschickt.

Ernüchternd muß festgestellt werden, daß selbst bei Familien, in denen ei- ne erbliche Hörbeeinträchtigung be- kannt ist und bei denen deshalb hin- zugeborene Kinder schon früh mittels konventioneller Screening-Untersu- chungen (zum Beispiel mit Klangkör- pern nach Ewing) getestet worden waren, einigen Kindern ein normales

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Frühdiagnostik und Therapie von Hörstörungen

beim Säugling und Kleinkind

21. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer „Fortschritt und

Fortbildung in der Medizin“ vom 27. bis 30. November in Köln

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Hörvermögen bestätigt wurde, die dann später doch einen Hörverlust zeigten.

Nach dem ersten Lebensjahr wird bei hörbeeinträchtigten Kindern die Chance, eine normale Sprache zu erwerben, bereits geringer. Nach Be- endigung des zweiten Lebensjahres nimmt sie sogar sehr deutlich ab.

Zuverlässige und unzuver- lässige Screeningmethoden

Henning Hildmann, Bochum, er- klärte, daß die bisherigen Screening- untersuchungen, wie sie insbesondere bei der U5 vorgesehen sind, sich nicht bewährt haben. Statt dessen muß eine objektive Screeninguntersuchung auf den Neugeborenenstationen geburts- hilflicher Abteilungen zum Kind kommen. Als hochspezifischer Test steht die Bestimmung click-evozier- ter-transitorischer otoakustischer Emissionen (TEOAE) zur Verfü- gung.

Thomas Lenarz, Hannover, be- richtete über ein deutlich vereinfach- tes Bestimmungsverfahren der TEO- AE, welches im Rahmen einer Screeninguntersuchung lediglich die Existenz oder die Abwesenheit von TEOAE als ja/nein-Antwort anzeigt („Screening-TEOAE“). Die so ver- einfachte Untersuchungstechnik hat eine hohe Spezifität, indem sie, wie Henning Hildmann, Bochum, beton- te, diejenigen Kinder erkennt, bei de- nen die gesuchte Hörstörung nicht vorhanden ist. Lassen sich keine TEOAE finden, so soll der Säugling unverzüglich dem Hals-Nasen-Oh- ren-Arzt oder Phoniater und Pädau- diologen zur weiteren Diagnostik vor- gestellt werden. Risikogeburten dage- gen sollten dem Phoniater und Pädau- diologen ausnahmslos zur Hördia- gnostik vorgestellt werden.

Säuglinge und Kleinkinder kön- nen jedoch ihren Hörverlust auch erst in den ersten 12 bis 24 Lebensmona- ten entwickeln. Aus diesem Grund sollte das TEOAE-Screening im Al- ter von 12 und 24 Monaten wiederholt werden.

Stefan Gesenhues, Essen, betonte als Vertreter der Allgemeinmedizin noch einmal deutlich, daß es die ge- genwärtig vorgegebenen Strukturen

sind, die eine rechtzeitige Früherken- nung der kindlichen Schwerhörigkeit verhindern. Wenn schließlich, so Zen- ner, mit durchschnittlich 19,5 Mona- ten die Diagnostik beginnt, so waren es in der Regel die Eltern, die den Verdacht hatten, daß ihr Kind schwer- hörig ist.

Gesenhues wies darauf hin, daß die gegenwärtig strukturell vorge- sehenen, beobachtenden Screening- untersuchungen auf Grund ihrer In- suffizienz trotz bestehendem Eltern- verdacht Arzt und Eltern eine falsche Sicherheit vortäuschen können. Viel- mehr müsse bei jedem Elternverdacht eine Überweisung des Kindes zu einer pädaudiologischen oder hals-nasen- ohrenärztlichen Untersuchung erfol- gen, bei der unter anderem eine fre- quenzspezifische Ableitung der OAE („große OAE-Ableitung“) zu erfol- gen habe.

Pädaudiologische Diagnostik

Die bei positivem Elternver- dacht, Risikogeburten sowie negati- vem „kleinen“ OAE-Screening nach Überweisung an den Phoniater oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt zur Verfü- gung stehende pädaudiologische Dia- gnostik wurde von Martin Ptok, Han- nover, ausführlich dargestellt. Diese hat zum Ziel, frequenzspezifisch Art und Ausmaß der Hörbeeinträchti- gung zu ermitteln. So werden zum Beispiel anders als beim kleinen OAE-Screening bei Pädaudiologen oder HNO-Ärzten breitbandige Ab- leitungen transitorisch evozierbarer otoakustischer Emissionen („große OAE-Ableitung“) durchgeführt. Die Sensitivität der TEOAE mit einem Breitspektrum bis 8 000 Hz ist mit 98 Prozent sehr hoch, die Spezifität be- trägt 73 Prozent. Zusätzlich können die Distorsionsprodukte otoakusti- scher Emissionen gemessen werden.

Die breite klinische Anwendung hat gezeigt, daß man in der Regel am zu- verlässigsten die Distorsionsprodukte 2F1-F2mit einem Sondenmikrofon im äußeren Gehörgang registrieren kann.

Die Messung akustisch evozier- ter Potentiale (AEP) mittels der brainstem evoked response audiome-

try (BERA) ermöglicht eine topodia- gnostische Zuordnung der Schwer- hörigkeit. Zur Abklärung einer peri- pheren Schwerhörigkeit eignen sich die Messungen der cochleären Mikro- phonpotentiale (CM), des compound action potential (CAP) sowie des Nervensummenpotentials (SP). Die Hirnstammaudiometrie beurteilt die Funktion der Hörschnecke und der unteren Hörbahn und stellt den

„Goldstandard“ der objektiven Prüf- methoden für diese Stationen der Hörverarbeitung dar. Anders als die Ableitung der breitbandigen, fre- quenzspezifischen TEOAE kann die BERA auch zur frequenzspezifischen Abschätzung der Hörschwelle ver- wendet werden.

Bei der Stapediusreflex-Messung wird der akustikofaziale Reflex, der im Hirnstamm mit dem Nervus cochlearis als afferentem Schenkel und dem Ner- vus facialis als efferentem Schenkel verschaltet ist, gemessen. Bestimmt man die Stapediusreflexschwellen für Sinustöne, weißes Rauschen und Schmalbandrauschen, so kann man aus den gewonnenen Werten eine fre- quenzspezifische subjektive Hör- schwelle abschätzen, wobei 73 Prozent der Schätzwerte innerhalb eines Feh- lers von ± 10 dB liegen. In phonia- trisch-pädaudiologischen Abteilungen und Praxen stehen darüber hinaus re- flex- beziehungsweise reaktions- schwellenaudiometrische Verfahren im freien Schallfeld zur Verfügung, die in der Ergänzung zu den genannten objektiven Verfahren eine exakte dif- ferentialdiagnostische und topodia- gnostische Abklärung als Vorbedin- gung für spezifische therapeutische und/oder rehabilitative Maßnahmen ermöglichen.

Sie erfordern erhebliche Kenntnis- se und Erfahrung. Namentlich zu nen- nen sind die Zuwendungsaudiometrie, die Spielaudiometrie mit operanter Konditionierung mit und ohne visueller positiver Verstärkung, das n-alternative forced choice procedure oder auch der BOEL-Test. Die Bewertung der Reak- tion kann mit einem oder zwei Beob- achtern als observer based behavioural testing oder bedingt automatisiert etwa mittels Krip-O-Gramm, multi-channel infant reflex audiometry oder auch über die Herzfrequenz mittels EKG-

Ableitung erfolgen. !

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Verdacht auf frühkindliche Schwerhörigkeit

Michaelis legte dar, wann ein Verdacht auf frühkindliche Schwer- hörigkeit geäußert werden muß und dann eine Überweisung zur päd- audiologischen Untersuchung zu fol- gen hat. Drei Ansätze sind möglich:

¿ Die Eltern haben den Verdacht, daß eine Hörminderung vorliege.

Dazu schildern die Eltern

1 das Kind reagiert nicht auf Lärmquellen, die es nicht beobachten konnte

1 das Kind reagiert nicht auf den es von hinten ansprechenden El- ternteil

1 das Kind reagiert nicht, zum Beispiel beim Spielen, auf akustische Reize

1 das Kind gibt wenig Laute von sich. Um das Ende des ersten Lebensjahres erfolgen keine weiteren Entwicklungsschritte im Spracher- werb.

À Durch Überprüfung des Sprach- erwerbs anhand von „Meilenstein“- Werten zur normalen Entwicklung auch mit geringerem Zeitaufwand läßt sich ein Überblick über die sprachliche Entwicklung eines Säug- linges und Kleinkindes gewinnen. So- weit sie für die Beurteilung der Hör- fähigkeit Bedeutung haben, sind für die Sprachentwicklung folgende Da- ten festgelegt:

1 6. Monat: Spontanes, variati- onsreiches Vokalisieren, für sich al- lein, aber auch im Dialog durch ver- traute Erwachsene oder Geschwister

1 9. Monat: Spontanes Vokali- sieren mit längeren Silbenreihungen, meist mit dem Vokal A (wa – wa – wa – ra – ra – ra )

1 15. Monat: Mama, Papa 1 18. Monat: Symbolsprache (zum Beispiel Wau-Wau für Hund, Ham-Ham für Essen), Pseudosprache (reiche Artikulation in einer Sprache, die nicht verständlich ist, aber doch inhaltsreich erscheint). Pseudospra- che zeigen Kinder oft beim „Telefo- nieren“

1 24. Monat: Zweiwortsprache, variationsreich, lebhafte, anhaltende Artikulation („Mundwerk geht den ganzen Tag“).

Á Screening von Risikokindern: Ri- sikokinder, bezogen auf ihre Hör-

leistungen, sind vor allem folgende Kinder:

1Frühgeborene mit einem Ge- burtsgewicht unter 1500 g

1 alle Kinder, die als Neuge- borene auf einer Intensivstation be- handelt werden mußten

1 alle bleibend behinderten Kinder, unabhängig von der Ursache

1 alle Kinder mit einer syndro- malen Erkrankung, vor allem, wenn zur Grunderkrankung eine Gehörbe- einträchtigung gehört

1 Kinder, bei deren Eltern oder Geschwistern eine Hörstörung be- kannt ist

1 Kinder mit der Symptomatik einer „minimal-zerebralen Dysfunk- tion“ (MCD), Hyperaktivität oder Aufmerksamkeitsstörung (attention deficit disorder ± hyperactivity) = ADD.

Konservative Therapie, Rehabilitation

und Frühförderung

Die konservative Therapie, Re- habilitation und Frühförderung früh- kindlicher Hörstörungen wurden von Ptok vorgestellt. Ziel einer Therapie ist es, die Schwerhörigkeit zu beseiti- gen oder zumindest das Ausmaß zu verringern. Ist eine Therapie nicht möglich, muß eine Rehabilitations- maßnahme durchgeführt werden. Ge- nerell werden medizinische, elterliche und sonderpädagogische Maßnah- men unterschieden.

Konservative medizinische Maß- nahmen umfassen so verschiedene Therapieformen wie die Behandlung der chronischen Tubenventilations- störung mit konsekutiver Schallei- tungsschwerhörigkeit, die innen- ohraktive Infusionstherapie bei aku- ten Innenohrschwerhörigkeiten, die Hörgeräteversorgung bei peristieren- den Innenohrschwerhörigkeiten und die Wahrnehmungsförderung bei zentralen Hörstörungen. Dabei er- fordert die Hörgeräteversorgung von Säuglingen und Kleinkindern außer- ordentlich viel Erfahrung und sollte wegen der erheblichen Konsequen- zen für den gesamten weiteren Le- bensweg des Kindes nur in pädaudio- logischen Einrichtungen mit entspre- chender Kompetenz durchgeführt

werden. Dabei sind für Säuglinge und Kleinkinder HdO-Geräte die ge- bräuchlichsten. Sie sollten bei ange- borenen Hörstörungen spätestens mit dem sechsten Lebensmonat ange- paßt werden. In der Regel sind nicht- linear verstärkende Geräte mit Dy- namikkompressionsschaltungen not- wendig. Neuerdings stehen volldigi- tale Hörgeräte zur Verfügung, für die Erfahrungen bei Kindern noch nicht in ausreichendem Umfang vorliegen.

Es ist allerdings anzunehmen, daß in Zukunft immer mehr Hörgeräte mit volldigitaler Technologie eingesetzt werden.

Bei den sonderpädagogischen Fördermethoden war früher der ge- meinsame Sonderunterricht Basis ei- ner Förderung. Heute wird die Förde- rung zunehmend auf das jeweilige Kind und seine gesamte Entwicklung sowie das Umfeld abgestimmt. We- sentliche Grundideen sind die Reha- bilitation (Ermöglichung von Chan- cen auf den Erwerb individueller Kompetenzen), Individualisierung (das schwerhörige Kind findet als In- dividuum in seinen Lebens-, Bil- dungs- und Entwicklungsmöglichkei- ten Berücksichtigung), Behindertene- manzipation (nicht die Grenzen und Defizite, sondern die Möglichkeiten, trotz der Behinderung, stehen im Vor- dergrund), die Elternemanzipation (auch wenn Fachleute eingeschaltet sind, tragen die Eltern eine wesentli- che Verantwortung), die Ausnutzung technischer Möglichkeiten (Hörgerä- te, Übertragungsanlagen, Computer zur Visualisierung von Sprachlauten, Kombination verschiedener Hilfsmit- tel) sowie die Integration in den All- tag (die Förderung richtet sich nach dem Lebensrhythmus des Kindes, der Lebensrhythmus soll sich nicht nach der Förderung richten). Wesentliches Element ist auch die Hörspracherzie- hung, die als Prozeß verstanden wird, an dessen Ende die Lautwahrneh- mung Teil der Persönlichkeit des hör- geschädigten Kindes geworden ist.

Eine Gegenposition hierzu beziehen die Vertreter der Gebärdensprache.

Die Frühförderung wird, regio- nal unterschiedlich, in verschiedenen Formen angeboten:

1 Hausspracherziehung (eine pädagogische Fachkraft kommt in die Wohnung der Eltern)

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1 Frühförderung in einer be- sonderen Einrichtung (Mutter und Kind besuchen die Einrichtung in re- gelmäßigen Abständen)

1 Frühförderung in einer lo- gopädischen Praxis

1 Wechsel der Fördergruppen- maßnahmen

1 Familientreffen in regelmäßi- gen Abständen.

Operative Therapie kindlicher Hörstörungen und Ertaubung

Zenner ging auf die operative Therapie kindlicher Hörstörungen und Ertaubung ein. Sie kann beim Paukenerguß, bei chronischer Mittel- ohrentzündung, bei kindlicher Oto- sklerose sowie bei angeborenen Schwerhörigkeiten, wie etwa bei Miß- bildungen, indiziert sein. Dabei sind für die tägliche praktische Medizin die Ergebnisse von Longitudinalstu- dien wichtig, die zeigen, daß frühkind- liche Paukenergüsse bis zum 18. Le- bensjahr nachweisbare Sprachent- wicklungsstörungen zur Folge haben können, wenn sie nicht adäquat be- handelt werden.

Mit einer Sprachentwicklungs- störung ist zu rechnen, wenn eine Schwerhörigkeit, bedingt durch beid- seitige Paukenergüsse, insgesamt län- ger als drei Monate pro Jahr bestan- den hat. Für die Erstellung einer Jah- reshörbilanz werden die Zeitab- schnitte der Schwerhörigkeit sum- miert.

Beim Paukenerguß können Adenotomie, Parazentese und Einla- ge von Paukenröhrchen, bei chroni- scher Mittelohrentzündung sowie bei beidseitiger Mittelohrmißbildung ei- ne Tympanoplastik und bei juveniler Otosklerose eine Stapesplastik indi- ziert sein.

Neu sind erheblich verbesserte Materialien für Paukenröhrchen so- wie für den Ersatz von Mittelohr- knöchelchen bei Tympanoplastik und Stapesplastik. Für eine neuarti- ge, operative Vorgehensweise bei beidseitiger Mittelohrmißbildung so- wie inoperabler beidseitiger chroni- scher Mittelohrentzündung stehen zudem knochenverankerte Kno- chenleitungsimplantate (BAHA, bo-

ne anchored hearing aid) zur Verfü- gung.

Bei beidseitiger Ertaubung im Kindesalter (Gehörlosigkeit) sind Cochlear-Implantate (elektronische Innenohrprothesen) aus dem experi- mentellen Stadium herausgewachsen und stellen eine forschungsbegleitete Therapie dar, die die Eingliederung der ursprünglich Gehörlosen in die Welt der Hörenden zum Ziel hat.

Beim Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Operation muß stets bedacht werden, daß frühkindliche Schwer- hörigkeit zu erheblichen Sprachent- wicklungsstörungen führt, die in der Schule oft kostspieligen Sonderunter- richt erfordern können sowie bei Er- wachsenen zu Einschränkungen der beruflichen Karrieremöglichkeiten mit entsprechendem persönlichen und volkswirtschaftlichen Schaden führen können.

In der abschließenden allge- meinen Diskussion herrschte Einig- keit unter den geladenen Gästen und den Hörern, daß die Strukturen zur Früherkennung frühkindlicher Schwerhörigkeiten in Deutschland nachhaltig verbessert werden müssen.

Ziel muß die Absenkung des Zeit- punktes der Erkennung von zur Zeit 2,2 Jahren auf sechs Monate sein. Nur dann können die heute dramatisch verbesserten Therapiemöglichkeiten zur Behebung der Schwerhörigkeit und konsekutiv zur Ausreifung des auditorischen Systems während der Plastizitätsphase des Gehirns genutzt werden, um die Sprach- und kognitive Entwicklung der hörgeschädigten und gehörlosen Kinder nachhaltig zu verbessern.

Schlußfolgerungen

Zur Vorbereitung einer Konsen- suskonferenz, die detaillierter auf die nachhaltige Verbesserung der Früher- kennung kindlicher Schwerhörigkeit eingehen wird, wurden folgende Schlußfolgerungen formuliert:

¿ Neugeborene sollen ausnahmslos mittels des „kleinen“ OAE-Screen- ing-Verfahrens untersucht werden.

Säuglinge mit negativem Testergebnis sind dem Pädaudiologen oder HNO- Arzt zur „großen“ Ableitung breit- bandiger und frequenzspezifischer

transitorisch evozierbarer otoakusti- scher Emissionen (TEOAE) sowie gegebenenfalls zu weiterer pädaudio- logischer Diagnostik zu überweisen.

À Alle Risikokinder sind zur päd- audiologischen Diagnostik zu über- weisen.

Á Bei Elternverdacht reicht die Dia- gnostik des Primärarztes grundsätz- lich nicht aus, eine Hörstörung auszu- schließen. Vielmehr sind die Kinder dem HNO-Arzt oder Pädaudiologen zur definitiven Diagnostik vorzustel- len. Wird bei rezidivierenden Pauken- ergüssen trotz adäquater konservati- ver Therapie in einer Jahreshörbilanz ein Zeitraum von drei Monaten er- reicht, ist eine Parazentese, nicht sel- ten auch eine Adenotomie sowie möglicherweise das Einsetzen von Paukenröhrchen zwingend erforder- lich, da sonst irreversible Sprachent- wicklungsstörungen drohen.

à Gelingt eine frühzeitige Erken- nung frühkindlicher Schwerhörigkeit bis zum sechsten Lebensmonat, kön- nen die heute erheblich verbesserten Therapiemöglichkeiten zu einem op- timalen Zeitpunkt der Plastizität des Gehirns zur Ausbildung des zentralen auditorischen Systems mit nachfol- gend verbesserter Sprachentwicklung angewendet werden. Hierzu zählen insbesondere

1 bei Mittelohrschwerhörigkei- ten: verbesserte Implantatmaterialien bei hörverbessernden Mittelohrope- rationen sowie knochenverankerte Knochenleitungshörgeräte (BAHA erst ab etwa drei Jahren)

1 bei Innenohrschwerhörigkei- ten: erheblich verbesserte Hörgeräte bis hin zum voll digitalisierten Hör- gerät, ein Wandel in den sonder- pädagogischen Konzepten sowie eine weitere Verbesserung der Frühförde- rung in Deutschland

1 bei Gehörlosigkeit: Cochlear- Implants bei Kindern als forschungs- begleitete Therapie in einem der deutschen Cochlear-Implant-Centren (CIC) mit nachfolgender sonder- pädagogischer Rehabilitation bis hin zur Einschulung in eine Regelschule.

Professor Dr. med. Dr. med. h. c.

Hans Peter Zenner Universitäts-HNO-Klinik 72076 Tübingen

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