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bwohl in Deutschland die Inzi- denz der Tuberkulose rückläufig ist, bleibt die Infektionskrankheit aufgrund der sich ändernden Epide- miologie und der zunehmenden Resi- stenzentwicklung von M. tuberculosis (Osteuropa) gegenüber Antituberku- lostatika weiterhin eine Bedrohung.Bei Infektionen mit resistenten Erre- gern sind die Heilungschancen stark vermindert und die Mortalität erhöht.
Trotz dieser Gefährdung für die Bevöl- kerung sind die Krankenkassen immer seltener bereit, die Kosten für die sta- tionäre Akutbehandlung bis zur Spu- tumkonversion zu übernehmen.
In einem Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. Januar 2000 (Az.: S 9 KR 195/97) wurde einer Krankenkasse zugestanden, dass sie nur für die Kosten der stationären Akutbehandlung auf- kommen muss. Für die folgende wei- tere, auch aus seuchenhygienischen Gründen notwendige Absonderung des Patienten mit einer nachgewiesenen of- fenen Lungentuberkulose muss nach dem Urteil des Sozialgerichts das Sozi- alamt die Kosten übernehmen, obwohl dieser Patient nachweislich eine andere Person infiziert hat. Dieses Urteil hat zu einer erheblichen Verunsicherung bei
den Kostenträgern und Leistungser- bringern geführt.
Nach der Rechtslage (§ 39 SGB V) sind die Krankenkassen für die vollsta- tionäre Akutbehandlung bei Patienten mit offener Lungentuberkulose zustän- dig. Wenn eine Unterbringung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nur noch zum Zwecke der Absonderung notwendig ist, sind die Kosten aus öf- fentlichen Mitteln zu bestreiten (§ 69 IfSG), soweit nicht durch anderweitige gesetzliche Vorschriften oder aufgrund Vertrages Dritte zur Kostentragung verpflichtet sind. Wer die öffentlichen Mittel aufzubringen hat, bleibt der Re- gelung durch die Länder vorbehalten, soweit dies nicht bundesgesetzlich gere- gelt ist.
Die Länder haben dafür Sorge zu tragen, dass zur Absonderung die not- wendigen Räume, Einrichtungen und Transportmittel zur Verfügung stehen.
Dies bedeutet für einen Patienten mit offener Lungentuberkulose, bei dem nur noch aus seuchenhygienischen Gründen eine Absonderung erforder- lich ist, dass die Länder für die entspre- chenden Einrichtungen sorgen müssen und auch verpflichtet sind, die Kosten für die Unterbringung zu übernehmen.
Dies hat jedoch in einigen Bundes- ländern zu erheblichen Problemen ge- führt, da die Länder bisher weder die im IfSG vorgesehenen Einrichtungen ge- schaffen haben noch sich an den Kosten für die Absonderung der Erkrankten beteiligen.
❃ Sobald nur noch eine Absonde- rung aus seuchenhygienischen Gründen zum Schutz vor Infektionen der Bevöl- kerung notwendig ist, sollten die Ko- sten für die medizinische Versorgung (Medikamente, Laboruntersuchungen, medizinisches Personal) auch während der Absonderungsphase von den Kran- kenkassen weiter übernommen werden.
❃ Eine Entlassung eines Patienten mit einer offenen Lungentuberkulose aus einer stationären Einrichtung wegen einer ungeklärten Kostenübernahme wäre nur dann zu verantworten, wenn si- chergestellt werden kann, dass der Pati- ent in seinem Lebensumfeld keinen Kontakt mit tuberkulinnegativen Perso- nen, insbesondere Kleinkindern hat und die Antituberkulotikatherapie ohne Un- terbrechung fortgeführt wird. Dies setzt aber eine strenge ambulante Überwa- chung voraus, die bei der jetzigen Perso- nalsituation des öffentlichen Gesund- heitswesens nur noch in den wenigsten Fällen möglich ist. Außerdem ist oft die Compliance bei diesen Patienten (Alko- holkranke, unzureichende Sprachkennt- nisse) schlecht.
Aufgrund der nach dem IfSG gefor- derten, aber zur Zeit noch fehlenden Einrichtungen zur Absonderung der Pa- tienten mit offener Lungentuberkulose besteht dringender Handlungsbedarf.
Die Bundesländer sind aufgefordert, möglichst bald die im IfSG vorgesehe- nen Einrichtungen zu schaffen und eine verbindliche Regelung bei der Kosten- übernahme zu finden, um damit die ge- setzlich geforderten Vorgaben zu erfül- len. Außerdem muss eine Regelung mit den Krankenkassen getroffen werden.
Prof. Dr. med. Hans Schweisfurth Dipl.-Mediziner Michael Prediger Dr. med. habil. Werner Bär
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Hans Schweisfurth 3. Medizinische Klinik – Pneumologie Carl-Thiem-Klinikum
Thiemstraße 111, D-03048 Cottbus Telefon: 03 55/46-13 22, Fax: 03 55/46-11 30 E-Mail: H.Schweisfurth@ctk.de
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A2562 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 40½½½½5. Oktober 2001
T H E M E N D E R Z E I T
Offene Lungentuberkulose
Dringender
Handlungsbedarf
Die Übernahme der Kosten für die Absonderung der Patienten nach dem Infektionsschutzgesetz ist nicht geklärt.
Resistenz-Probleme der Tuberkulose in Europa
Resistenzen gegen Tuberkelbazillen entwickeln sich vor allem bei Patienten, die entweder keine voll wirksame Standardtherapie erhalten, die mit einer Medika- mentenkombination über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten durch- geführt werden muss, oder die die Medikamente nicht regelmäßig und über die volle Behandlungsdauer einnehmen. Resistente Erreger können weiter übertra- gen werden. Nach Angaben des Robert Koch-Institutes gibt es eine Reihe von Ländern und Regionen, in denen sich besonders rasch Resistenzen ausbreiten.
Gefährdet ist besonders Osteuropa; vor allem in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben sich die Erkrankungszahlen in den letzten zehn Jahren verdop- pelt; multiresistente Tuberkulose-Erreger breiten sich daher mehr und mehr aus.