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Archiv "Medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten: Es ist Zeit, sich von alten Strukturen zu lösen" (18.09.2009)

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A 1826 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 38

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18. September 2009

MEDIZINISCHE VERSORGUNG IN LÄNDLICHEN GEBIETEN

Es ist Zeit, sich von alten Strukturen zu lösen

Die Versorgung auf dem Land ist eine Herausforderung. Dort sind Ärzte knapp, viele Patienten alt, Entfernungen groß. Akteure im Gesund- heitswesen suchen Auswege – mal mehr, mal weniger im Konsens.

D

er Luftkurort Waren in Meck- lenburg-Vorpommern ist ein attraktives Urlauberziel an der Müritz. Weniger attraktiv ist die medizinische Versorgung in der ländlichen Region mit etwa 21 000 Einwohnern. Sie hat die gleichen Probleme wie viele andere Gegen- den in Ostdeutschland: mehr ältere Patienten, weniger Ärzte, weite Wege im Krankheitsfall.

Die AOK Mecklenburg-Vorpom- mern hat daher in der Müritz-Regi- on gemeinsam mit dem Pro-Mobil- Versorgungszentrum ein Pilotpro- jekt zur ambulanten, wohnortnahen Behandlung älterer Menschen ge- startet. Unter der Koordination des ortsansässigen, geriatrisch geschul- ten Allgemeinmediziners Dr. med.

Dieter Hotzelmann kümmert sich ein interdisziplinäres Behandlungs- team des Versorgungszentrums um

betagte Patienten. Seit knapp einem Jahr arbeiten Arzt, Psychotherapeu- ten, Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialstationen und Pflegedienste Hand in Hand. Ein Fahrdienst holt die Patienten ab und bringt sie nach der Behandlung wieder nach Hau- se. Je nach persönlicher Belastbar- keit erhalten die Patienten an einem Therapietag zwei bis drei Heilan- wendungen.

Das Netzwerk, das in einem Umkreis von 40 Kilometern um Waren agiert, kümmert sich vor al- lem um allein lebende Senioren und Ältere, die nach einer Krank- heit oder einem Unfall erst wieder im Alltag zurechtkommen müssen.

Auch gegen die zunehmende Ver- einsamung der betagten Patienten richtet sich das Projekt, denn sie verschlimmert ihren Zustand oft noch. Ziel ist es, die Selbstständig-

keit in der häuslichen Umgebung zu erhalten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden und Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern. 140 Patienten haben das Programm bis heute angenommen.

Friedrich-Wilhelm Bluschke, Vorstandsvorsitzender der AOK Mecklenburg-Vorpommern, hat die Initiative kürzlich in Berlin beim 1. Greifswalder Symposium zur medizinischen Versorgung im ländlichen Raum vorgestellt. Dort diskutierten Wissenschaftler, Ver- treter von Krankenkassen sowie Entscheidungsträger von Kassen- ärztlichen Vereinigungen, Verbän- den und aus der Politik gemeinsam neue Versorgungsansätze.

Bluschke beschrieb, dass die Auswirkungen der Arbeit in Waren nicht nur für das Lebensgefühl der Patienten immens seien: Der Me- dikamentenbedarf vieler Beteilig- ter sei zurückgegangen, einige Pa- tienten hätten nach der Therapie

„sogar ihren Rollator wieder weg- gestellt“. Darüber hinaus habe das Projekt einen weiteren Effekt:

„Wir entlasten damit die Hausärzte in ihren Praxen.“ Die Müritz-Ini- tiative läuft so erfolgreich, dass es seit einigen Wochen auch im Raum Stralsund ein solches Angebot der AOK gibt.

Beim Greifswalder Symposium kamen neben solch konkreten Mo- dellprojekten nahezu alle Ansätze zur Sprache, die derzeit diskutiert werden, um Problemen bei der me- dizinischen Versorgung auf dem Land entgegenzutreten: mobile Dienstleister, Telemedizin, Medizi- nische Versorgungszentren.

Der Tenor der Veranstaltung, die auf Einladung der Lehrstühle für Allgemeine Betriebswirtschaftsleh- re und Gesundheitsmanagement so- wie Allgemeine Volkswirtschafts- lehre und Finanzwissenschaft der Universität Greifswald zustande kam, war überraschend eindeutig:

Nahezu alle Redner betonten, dass es an der Zeit sei, sich von alten Strukturen zu lösen, sich zu vernet- zen und umzudenken.

Die Greifswalder Wissenschaft- ler verdeutlichten dies anhand von aussagekräftigem Datenmaterial.

Distanzen zu überwinden, sehen sie Gemeinsam aktiv:

Gruppengymnastik als möglicher ge- sundheitsfördernder Ansatz für ältere Pa- tienten im ländlichen Raum. Die Aktivität stärkt die Älteren körperlich und psy- chisch, im besten Fall wird der Haus- arzt durch weniger Arztkontakte und Hausbesuche entlas- tet.

Foto: Superbild

P O L I T I K

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18. September 2009 A 1827 als Grundproblem bei der Versor-

gung an. Prof. Dr. Steffen Fleßa betonte, dass es zwar „zahlreiche innovative Versorgungsoptionen“

wie etwa die Telemedizin gebe, die Frage sei allerdings, wer das Ange- botschaos ordne. Fleßa forderte, es müsse eine zeitnahe, koordinierte Umsetzung von Projekten geben.

Die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV), vertreten durch ihre Vorstände, Dr. med Andreas Köhler und Dr. med. Carl-Heinz Müller, räumte ein, dass Strukturen und Rahmenbedingungen der Si- tuation angepasst werden müssten.

Ansätze wie etwa die Substitution von Ärzten durch Pflegekräfte seien allerdings die „falsche Lösung“, sagte Köhler. Vielmehr müsse dafür gesorgt werden, dass der Arzt zum Patienten komme.

„Wir könnten weiter sein“

Dr. rer. pol. Rudolf Kösters, Präsi- dent der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft (DKG), stellte sich ge- gen die zuweilen geäußerte Forde- rung, Krankenhäuser unter 400 Bet- ten zu schließen. Dies hätte für die medizinische Versorgung gravie- rende negative Auswirkungen.

Die Beiträge und Forderungen der Referenten wurden überwie- gend konstruktiv diskutiert, zumal es viel Selbstkritisches zu hören gab. So befand AOK-Chef Blusch- ke: „Wir wissen das alles schon lan- ge. Vielleicht hätten wir schon viel, viel weiter sein können.“

Allerdings zeigte sich auch, dass noch einige Hürden genommen werden müssen, um andere Versor- gungsstrukturen auf den Weg zu bringen. Das gilt insbesondere bei der Frage nach dem Einsatz von speziell ausgebildeten Kranken- schwestern oder Medizinischen Fachangestellten, die in unterver- sorgten Regionen den Hausarzt ent- lasten sollen.

So stoßen neben der möglichen Substitution ärztlicher Leistungen zu hohe Anforderungen an Assis- tenzkräfte auf Kritik. Das gilt zum Beispiel für das vom Institut für Community Medicine der Universi- tät Greifswald entwickelte Konzept AGnES (arztentlastende, gemein- denahe, E-Health-gestützte, syste-

mische Intervention). Das Greifs- walder Modell sieht vor, dass die Medizinischen Fachangestellten vor Einsätzen ein Curriculum mit etwa 600 Stunden absolviert haben müssen.

Dies sieht vor allem die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung kri- tisch: „Wir brauchen AGnES schon heute, und wir brauchen sie breit“, sagte KBV-Vize Müller. Die Helfe- rinnen müssten schnell an die neuen Aufgaben herangeführt werden.

Auch an anderer Stelle kritisierte Müller, die Forderung der Wissen- schaftler nach Evalution: „Während uns die Ärzte weglaufen, können wir nicht evaluieren.“

Dass eine Überprüfung der Mo- delle grundsätzlich wichtig sei, um wirkungsvolle Lösungen für die Praxis zu erarbeiten, betonte jedoch vor allem der Greifswalder Wissen- schaftler Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann: „Es wird viel vorge- schlagen, aber nicht belegt. Wir brauchen aber verlässliche Daten.“

Bislang könne noch zu wenig Ver- sorgungsforschung betrieben wer- den, weil die notwendigen Daten nicht vorlägen.

Hoffmann appellierte an die Ärz- teschaft, Misstrauen zu überwinden und die Forschung zu unterstützen:

„Wenn Sie nicht mitmachen, ma- chen die Konzepte andere. Und das will keiner.“ Gleichzeitig lobte der Greifswalder die Fortschritte: „Die KVen reden mit den Kassen, Wis- senschaftler mit Ökonomen. Das war nicht immer so.“

Kritik: Falscher Nachwuchs Ganz ohne Provokationen kam auch dieses Symposium nicht aus.

„Sie züchten sich primär Wissen- schaftler heran, aber keine Ärzte“, monierte Dr. med. Wolfgang Eckert, Vorstandsvorsitzender der KV Meck- lenburg-Vorpommern. Die Zulas- sungsbeschränkungen zum Medi- zinstudium seien viel zu hoch.

DKG-Chef Kösters teilte diese An- sicht. „Das Auswahlverfahren für das Studium muss endlich verän- dert werden“, sagte er vor dem Hin- tergrund des Ärztemangels in Deutschland. Auch die Reduktion der Studienkapazitäten im Jahr 2002 bezeichnete Kösters als Fehler. ■ Nora Schmitt-Sausen

„Es darf keine weitere Reform im Gesundheitswe- sen geben, die sich nicht daran orientiert, was an Problemen auf die Gesundheitsversorgung auf- grund der demografischen Entwicklung zukommt.“

Das hat Prof. Dr. med. Fritz Beske vom gleichna- migen Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel (igsf) Ende August bei der Vorlage seiner

„Morbiditätsprognose 2050“ gefordert. Darin wird für Brandenburg, Schleswig-Holstein sowie die gesamte Bundesrepublik die Entwicklung der Morbidität für 22 Krankheiten hochgerechnet.

„In gut zehn Jahren erreichen die geburten- starken Jahrgänge die Gruppe der Alten. Die Aus- wirkungen für das Gesundheitswesen werden gravierend sein“, warnte Beske. Deshalb müsse man eine gesicherte Versorgung heute schon pla- nen: „Lösungen sind nicht kurzfristig aus dem Boden zu stampfen.“

Insgesamt wird die Bevölkerung bis 2050 von 82,2 auf 68,8 Millionen Menschen zurückgehen.

Die Altersgruppe der über 65-Jährigen wird je- doch von 16,5 auf 22,8 Millionen zunehmen.

Nach den Berechnungen des igsf wird allein bei fünf der ausgewählten 22 Krankheiten die Anzahl

der Erkrankten bis 2050 je 100 000 Einwohner um mehr als 100 Prozent zunehmen: bei Lungen- entzündungen um 198 Prozent, bei der Makula- degeneration um 169, bei Demenz um 144, bei Oberschenkelhalsfrakturen um 125 und bei Herz- infarkt um 109 Prozent.

Steigerungen zwischen 50 und 100 Prozent sind demnach für Schlaganfall, Glaukom, Darm- krebs, Prostatakrebs, Lungenkrebs, Schwerhörig- keit und Osteoporose zu erwarten. Nach Beskes Hochrechnungen werden im Jahr 2050 zudem circa 51 Prozent der Gesamtbevölkerung an Hy- pertonie leiden, circa 42 Prozent an Arthrose.

Hausarztverträge oder Chronikerprogramme allein werden die Probleme nicht lösen, ist Beske überzeugt. Auch auf stetig steigende Steuergelder brauche man nicht zu hoffen: „Das Gesundheits- wesen wird für sich selbst Lösungen finden müs- sen.“ Zwar sei nicht vorhersehbar, welche Entlas- tungen Prävention und medizinischer Fortschritt bringen könnten. „Es ist aber genau so wenig vor- hersehbar, was an neuen, behandlungsfähigen Krankheiten hinzukommen kann und wie sich ei- ne bessere Gesundheitsversorgung auswirkt.“ Rie

BESKE: MORBIDITÄTSANALYSE BIS 2050

P O L I T I K

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