Deutsches Ärzteblatt
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19. Juli 2010 A 1401STUDIEN IM FOKUS
Gallenwegstumoren sind bei Dia - gnose meist fortgeschritten und las- sen sich häufig nur palliativ behan-
deln. Doch dafür gibt es bislang kei- ne anerkannte Standardtherapie. Oft wird Gemcitabin verordnet, auch kombiniert mit Cisplatin. Britische Onkologen verglichen in einer ran- domisierten Multicenterstudie Mo- no- und Kombinationstherapie.
Zunächst als randomisierte Pha- se-II-Studie (ABC-01) angelegt, wurde die Studie nach einem positi- ven Signal beim progressionsfreien Überleben nach den ersten 86 Pa- tienten zu einer Phase-III-Studie (ABC-02) erweitert. Insgesamt 410 Patienten mit lokal fortgeschritte- nen oder metastasierten Tumoren von Gallengang, Gallenblase oder Ampulla choledochi wurden rando- misiert: Sie erhielten entweder acht dreiwöchige Zyklen von Cisplatin (25 mg/m2) plus Gemcitabin (1 000 mg/m2) jeweils an den Tagen
1 und 8 oder sechs vierwöchige Zy- klen von Gemcitabin in derselben Dosierung jeweils an den Tagen 1, 8 und 15. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben.
Nach median 8,2 Monaten Fol- low-up und 327 Todesfällen zeigte sich ein signifikanter Vorteil für die Kombinationstherapie (median 11,7 versus 8,1 Monate, HR 0,64;
p < 0,001). Auch beim progressi- onsfreien Überleben war die Kom- bination signifikant besser (median 8,0 versus 5,0 Monate; p < 0,001), ebenso bei der Tumorkontrollrate (81,4 Prozent versus 71,8 Prozent, p = 0,049). Unter Cisplatin plus Gemcitabin gab es mehr Neutrope- nien, nicht aber mehr Infektionen.
Fazit: Dies sei die erste Phase-III- Studie, in der mit ausreichender sta- tistischer Power bei fortgeschritte- nen Gallenwegstumoren ein signifi- kanter Vorteil der Kombination aus Gemcitabin und Cisplatin belegt GALLENWEGSTUMOREN
Cisplatin plus Gemcitabin schlägt Gemcitabin allein
Eine sehr strikte Blutdruckkontrolle senkt bei Typ-2-Diabetikern nicht die Rate kardiovaskulärer Ereignis- se, wie die ACCORD-Studie (Ac- tion to Control Cardiovascular Risk in Diabetes blood pressure trial) be- legt. In der Studie wurden 4 733 Typ-2-Diabetiker entsprechend dem Standard behandelt (Blutdruckziel- wert: < 140 mmHg systolisch) oder die Behandlung intensiviert (Ziel- wert: < 120 mmHg systolisch). Der primäre Endpunkt setzte sich zu- sammen aus der Rate nichttödlicher Myokardinfarkte und Schlaganfälle und kardiovaskulär bedingter To- desfälle. Die mittlere Beobachtungs- zeit betrug 4,7 Jahre.
Die Blutdruckzielwerte wurden erreicht: Sie lagen bei Standardthe- rapie nach einem Jahr durchschnitt- lich bei 133,5 mmHg, bei intensi- vierter Behandlung bei 119,3 mmHg.
Die Rate kardiovaskulärer Kompli- kationen betrug im ersten Jahr 1,87 (intensivierte Behandlung) und 2,09 Prozent (Standardtherapie) und unterschied sich damit nicht signifikant (HR 0,88, 95 Prozent CI 0,73–1,06, p = 0,20). Die Gesamt- todesrate lag bei 1,28 und 1,19 Pro- zent pro Jahr zugunsten der Stan- dardtherapie (HR 1,07, 95 Prozent CI 0,85–135, p = 0,55), und auch die Rate kardiovaskulärer Todesfäl- le war mit 0,52 Prozent pro Jahr bei intensivierter Therapie keinesfalls günstiger als bei konventioneller mit 0,49 Prozent (HR 1,06; 95 Pro- zent CI 0,74–1,52, p = 0,74).
Auch bei den sekundären End- punkten gab es keine signifikanten Unterschiede – mit Ausnahme des Schlaganfalls mit einer jährlichen Rate von 0,32 (intensivierte Thera- pie) gegenüber 0,53 (Standard) Pro-
zent (HR 0,59, 95 Prozent CI 0,39–0,89, p = 0,01). Allerdings gab es in der intensiviert behandelten Gruppe signifikant mehr schwere Nebenwirkungen (3,3 versus 1,3 Prozent).
Fazit: Bei Typ-2-Diabetikern wirkt sich eine Blutdrucksenkung bis in den niedrig normalen Bereich nicht günstig auf die kardiovaskuläre Er- eignisrate aus. Priv.-Doz. Dr. Fried- helm Späh von der Helios-Klinik in Krefeld kommentiert: Bei der Blut- druckkontrolle von Typ-2-Diabeti- kern vollziehe sich derzeit ein Para- digmenwechsel: Passé sei nach Vor- liegen der ACCORD-Daten die Zielvorgabe „the lower the better“.
Es bleibe auf Basis der aktuellen Daten deshalb vorerst beim Ziel ei- ner Senkung des Blutdrucks unter 135 mmHg systolisch bei Typ- 2-Diabetikern. Christine Vetter The ACCORD Study Group: Effects of intensive blood-pressure control in Type 2 Diabetes Mellitus. NEJM 2010; 362: 1575–85.
TYP-2-DIABETES
Paradigmenwechsel bei der Blutdruckkontrolle
Kaplan-Meier-Kurven für das Gesamtüberleben bei fortgeschrittenen Gallenwegstumoren unter Gemcitabin allein oder in Kombination mit Cisplatin. Nach Valle et al. NEJM 2010; 362: 1278 (Fig. 2A)
GRAFIK
M E D I Z I N R E P O R T
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19. Juli 2010 Große Studien zur Wirkung von Fi-braten auf kardiovaskuläre Risiken hatten uneinheitliche Ergebnisse. In einer Metaanalyse von 18 pro - spektiven, randomisierten placebo - kontrollierten Studien mit 45 058 Teilnehmern wurden die Daten zur Wirkung von Fibraten (Bezafibrat, Clofibrat, Etofibrat, Fenofibrat, Gem - fibrozil) auf das kardiovaskuläre Risiko erneut untersucht. Als kardio - vaskuläre Ereignisse wurden Koro - narereignisse, Schlaganfall, Herzin - suffizienz, koronare Revaskulari sa - tionsmaßnahmen, Gesamtsterblich-
keit, kardiovaskuläre Sterblichkeit, nichtvaskuläre Sterblichkeit, plötzli- cher Tod, neu auftretende Albumin - urie und arzneimittelbezogene uner- wünschte Wirkungen berücksich- tigt. In den 18 Studien waren 2 870 bedeutende kardiovaskuläre Ereig- nisse, 4 552 Koronarereignisse und 3 880 Todesfälle aufgetreten.
Eine Behandlung mit Fibraten senkte das relative Risiko für bedeu- tende kardiovaskuläre Ereignisse um zehn Prozent und für Koronarereig- nisse um 13 Prozent (Tabelle). Die Lipidsenker hatten jedoch weder auf
das Schlaganfallrisiko, noch auf die Gesamtmortalität Einfluss. Fibrate reduzierten das Risiko für die Pro- gression einer Albuminurie um 14 Prozent. Schwere unerwünschte Effekte gab es unter Fibraten nicht häufiger, allerdings einen Anstieg des Serumkreatins (p < 0,0001).
Die meisten Studien mit Fibraten wurden allerdings nicht bei gleich- zeitiger Behandlung mit Statinen durchgeführt, heute eine weit ver- breitete klinische Praxis. Es sei also offen, so Prof. Dr. Klaus G. Parho- fer (München), ob der beobachtete Nutzen auch in der derzeit häufigs- ten klinischen Situation, nämlich in Kombination mit Statinen, nach- weisbar ist. Es gebe aber nur weni- ge Gründe, die gegen einen solchen Nutzen sprechen würden.
Parhofer setzt Fibrate eher zu- rückhaltend ein. Infrage kommen sie bei Hochrisikopatienten mit schweren kombinierten Fettstoff- wechselstörungen als Kombinati- onspartner zu Statin, allerdings werde die Kombination mit Niko- tinsäure tendenziell bevorzugt.
Weiterhin zieht er Fibrate bei kom- binierten Fettstoffwechselstörun- gen bei einer Unverträglichkeit von Statinen als Alternative in Betracht.
Und schließlich können Fibrate bei Patienten mit schweren Hypertri- glyceridämien (eventuell auch kom- biniert mit anderen triglyceridsen- kenden Ansätzen) eingesetzt werden.
Fazit: Eine Therapie mit Fibraten kann das Risiko für bedeutende kar- diovaskuläre Ereignisse insbeson- dere durch eine Verminderung von koronaren Ereignissen mäßig stark senken. Sie könnten vor allem für Patienten mit kombinierten Dysli- pidämien oder hohem Risiko sinn- voll sein. Dr. rer. nat. Susanne Heinzl Jun M et al. Effects of fibrates on cardiovas- cular outcomes: systematic review and meta- analysis. Lancet 2010; 375: 1875-85 ARZNEIMITTELWIRKUNGEN
Verringern Fibrate das kardiovaskuläre Risiko?
TABELLE
Wirkungen der Fibrate auf kardiovaskuläre Ereignisse (nach Jun et al.) Ereignis
Bedeutende kardio- vaskuläre Ereignisse Koronare Ereignisse Nichttödliche Koronarereignisse Gesamtsterblichkeit
Kardiovaskuläre Sterblichkeit
Plötzlicher Tod Nichtvaskulärer Tod Schlaganfall
Koronare Revaskularisation Herzinsuffizienz Albuminurie Retinopathie
Fibrat
1355/9975 1871/21503
Placebo
1515/9969 2681/23164
Relatives Risiko (95 %KI) 0,90 (0,82–1,00) 0,87 (0,81–0,93) 0,81 (0,75–0,89) 1,00 (0,93–1,08) 0,97 (0,88–1,07) 0,89 (0,74–1,06) 1,10 (0,995–1,21) 1,03 (0,91–1,16) 0,88 (0,78–0,98) 0,94 (0,65–1,37) 0,86 (0,75–0,98) 0,63 (0,49–0,81)
p-Wert
0,048
< 0,0001
< 0,0001 0,918 0,587 0,190 0,063 0,687 0,025 0,759 0,028
< 0,0001 werden konnte, so Prof. Volker Hei-
nemann, München. In einer Sub- gruppenanalyse erbrachte die Kom- bination aus Gemcitabin und Cis- platin sowohl bei Gallenwegstumo- ren als auch bei Gallenblasenkarzi-
nomen eine vergleichbare Effekti- vität. Die kaum erhöhte Toxizität und die niedrige Platindosis machen das Regime auch ambulant gut um- setzbar. Damit habe die ABC-02- Studie einen Therapiestandard etab-
liert, auf dem jetzt weiterführende Studien aufbauen können.
Josef Gulden
Valle J et al.: Cisplatin plus gemcitabine ver- sus gemcitabine for biliary tract cancer. NEJM 2010; 362: 1273–81 und 1335–7.