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DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS

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Academic year: 2022

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DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS

Titel der Diplomarbeit / Title of the Diploma Thesis

„Christliche Lebenswelten“ in den Donauprovinzen der pannonischen Diözese

vom 3. bis zum 7. Jahrhundert

verfasst von / submitted by

Florian Oppitz BA

angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the degree of

Magister der Theologie (Mag. theol.)

Wien, 2019 / Vienna, 2019

Studienkennzahl lt. Studienblatt / degree programme code as it appears on the student record sheet:

A 190 313 020

Studienrichtung lt. Studienblatt / degree programme as it appears on the student record sheet:

Lehramtsstudium UniStG

UF Geschichte, Sozialkund, Polit.Bildg. UniStG UF Katholische Religion UniStG

Betreut von / Supervisor: ao. Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Dr. Rupert Klieber

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2

Vorwort

Die Anfänge dieser Diplomarbeit gehen auf das Sommersemester 2015 zurück, als der Autor dieser Arbeit bei Herrn Professor Klieber am Institut für Kirchengeschichte das Seminar

„Christliche und jüdische Lebenswelten im Alpen-Donau-Raum“ absolvierte und sein Interesse für die Thematik der Lebenswelten geweckt wurde. Insbesondere durch die Fachkombination aus katholischer Religion und Geschichte, Sozialkunde & Politischer Bildung auf Lehramt sowie durch das Studium der Klassischen Archäologie mit dem Fokus auf die „Frühchristliche Archäologie“ bot sich eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema an. Laut dem ursprünglichen Konzept sollten die „Frühchristlichen Lebenswelten“ in Rätien, Noricum ripense und Pannonien untersucht werden, wobei sich bald herausstellte, dass der Untersuchungsraum zu groß war. Es stellte sich die Frage, wie eine sinnvolle Eingrenzung des Themenbereichs möglich wäre. Da der Bereich von Noricum mediterraneum bereits in einer anderen Diplomarbeit behandelt wurde und vor allem die Gegenüberstellung verschiedener Provinzen ratsam erschien, fiel die Entscheidung zugunsten eines Vergleichs zwischen den Donauprovinzen der pannonischen Diözese (Noricum ripense, Pannonia prima, Pannonia Valeria und Pannonia secunda). Die Donau, an der alle behandelten Provinzen liegen, bildet somit den gemeinsamen Nenner: Einerseits stellt sie eine bedeutsame Verbindungsroute dar, andererseits war sie durch ihre Funktion als Grenzlinie zu verschiedenen Stämmen für die römische Bevölkerung auch stets mit Gefahr verbunden. Über die Bedeutung der Donau für das Christentum soll in der Arbeit noch berichtet werden.

An dieser Stelle möchte sich der Autor recht herzlich bei dem Betreuer dieser Diplomarbeit, Herrn Professor Rupert Klieber bedanken, der immer helfend zur Seite stand und auch in weniger produktiven Phasen eine Auseinandersetzung mit dem Thema und der Arbeit äußerst geduldig gefördert hat.

Ein großer Dank gilt in diesem Vorwort auch der Familie, insbesondere den Eltern, die den Verfasser zu jedem erdenklichen Zeitpunkt unterstützt haben und mit Rat und Tat zur Seite gestanden sind. Ohne sie wären das Studium und das Verfassen dieser Diplomarbeit nicht möglich gewesen. Ebenso möchte sich der Autor bei seinen Freunden, Kollegen und Weggefährten bedanken, die stets ein offenes Ohr für ihn hatten.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ... 2

1. Einleitung ... 6

a. Einführende Überlegungen... 6

b. Die Perspektive Lebenswelten ... 7

i. Die Alltagsgeschichte als Chance für die Wissenschaft ... 7

ii. „Christliche Lebenswelten“ im Rahmen dieser Arbeit ... 8

c. Definition & Zielsetzung ... 8

i. Geographische und zeitliche Eingrenzung... 8

ii. Methodik ... 9

iii. Forschungsfelder und Hauptfragen ... 9

d. Anmerkungen zur Quellensituation... 9

e. Die „Frühchristlichen Lebenswelten“ und ihre Erforschung ... 11

f. Das historische Umfeld des Untersuchungsgebiets ... 12

i. Die Geschichte der Provinz Noricum ... 12

ii. Die Geschichte der Provinz Pannonia ... 14

iii. Pagane Kulte und monotheistische Strömungen aus dem Osten ... 16

g. Die Anfänge des Christentums ... 17

2. Tödliche Verfolgungen? Die Martyriumsberichte als wichtige Quellen für die „Frühchristlichen Lebenswelten“ ... 21

a. Verlauf und Verbreitung der Verfolgungen ... 21

b. Die Literaturgattung Martyrium ... 23

c. Das pannonische Beispiel der Passio Quirini ... 25

d. Die Passio Floriani als einziger literarischer Beleg eines christlichen Martyriums in Noricum ripense ... 26

e. Auswertung der Martyriumsberichte von Pannonia secunda ... 29

f. Vergleichende Bemerkungen über Verbreitung und Gefahren von Verfolgungen für christliche Gläubige ... 30

g. Zusammenfassung ... 32

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3. Das Verhältnis zwischen christlichen und paganen Gläubigen nach der

„Konstantinischen Wende“. Tempelstürme oder friedliche Koexistenz?

... 33

a. Die sogenannten Tempelstürme und das Problem ihrer Beweisbarkeit ... 34

b. Im Tode vereint? Ein Blick auf die Belegungs- und Beigabensituation in spätantiken Friedhöfen ... 36

c. Literarische und epigraphische Zeugnisse zum Verhältnis von paganen und christlichen Gläubigen ... 38

d. Zusammenfassung ... 42

4. Der Kampf um den „wahren Glauben“. Innerchristliche Glaubensstreitigkeiten und die Rolle der christlichen Basis ... 42

a. Verbreitung und Niedergang des „Arianismus“. Eine historische Einleitung ... 44

b. Archäologische Quellen ... 45

c. Literarische Quellen der Blütephase des „Arianismus“. Der Brennpunkt Sirmium als Zentrum der Glaubensstreitigkeiten in Pannonien ... 46

d. Literarische Quellen zur Renaissance heterodoxer Strömungen. Ausblick auf Ufernoricum zu Zeiten Severins ... 50

e. Zusammenfassung ... 52

5. Gemeindeleben und Strukturen. Wie sah das Gemeindeleben im frühen Christentum aus? ... 54

a. Sprache und Herkunft der christlichen Bevölkerung ... 54

b. Die christlichen Kultbauten und das Problem der archäologischen Identifizierung .... 55

i. Exkurs: Die Kleinfunde als Belege christlicher Verbreitung? ... 59

ii. Exkurs: Inschriften ... 64

c. Ämter und Gottesdienste in den frühchristlichen Gemeinden ... 65

d. Tod, Totenkult und Friedhöfe ... 68

e. Pilgertum und Wallfahrten ... 71

i. Wallfahrten und Pilgerwesen in Noricum ripense ... 71

ii. Wallfahrten und Pilgerreisen in Pannonien ... 72

iii. Regionale Wallfahrten als „Normalfall“ ... 74

f. Zusammenfassung ... 74

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6. Das Ende der römischen Herrschaft – Bruch oder Kontinuität der

„Christlichen Lebenswelten“? ... 75

a. Archäologische Beiträge zur Kontinuitätsforschung ... 76

b. Allgemeine Anmerkungen und weiterführende Überlegungen ... 80

c. Zusammenfassung ... 81

7. Ergebniskapitel ... 82

8. Tabellen, Bilder und Verzeichnisse ... 85

a. Tabellen ... 85

i. Tabelle 1: Auflistung sämtlicher bekannter Märtyrer und Märtyrerinnen (unter Märtyrer geführt) aus NR, PP, PV und PS ... 85

ii. Tabelle 2: Belege für frühchristliche Lebenswelten in NR, PP, PV und PS ... 88

iii. Tabelle 3: Bekannte Bistümer und Bischöfe in NR, PP, PV und PS ... 92

b. Abbildungen ... 94

c. Abbildungsnachweis ... 97

d. Literaturverzeichnis ... 98

e. Quellenverzeichnis und verwendete Editionen ... 124

i. Hagiographische und historiographische Werke sowie Konzilstexte und Rechtsquellen .. 124

ii. Passionen ... 128

iii. Inschriften ... 131

iv. Altes und Neues Testament ... 131

f. Abkürzungsverzeichnis ... 131

Abstract ... 133

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1. Einleitung

a. Einführende Überlegungen

Die Moderne und die damit verbundenen Errungenschaften auf der Ebene des Individuums brachten die herkömmlichen gesellschaftlichen Ordnungen und Weltansichten ins Wanken und riefen ein radikales Umdenken hervor. Stark von den Individualisierungstendenzen betroffen waren mitunter auch die Religion bzw. im Speziellen das auf dem Prinzip der Gemeinschaft aufbauende Christentum. Neben den hohen Kirchenaustrittszahlen und dem Mangel an Priesterkandidaten dominieren heute vor allem Missbrauchsskandale die öffentlichen Diskussionen. Hinzu kommen Geschlechterbilder, die von einem großen Teil der heutigen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werden. Dies führt dazu, dass Christsein zunehmend schwieriger wird, da man aufgrund einer bereits großteils kirchenfeindlichen Bevölkerung diversen Anfeindungen ausgesetzt ist.

Generell befinden sich Religion und Kirchlichkeit in einer Zeit des Umbruches. Die Frage, was einen Christen bzw. eine Christin ausmacht, kann nicht einfach und eindeutig beantwortet werden. Eine gläubige Person muss nicht mehr zwingend mit einer religiösen Institution wie der katholischen Kirche in Verbindung stehen. Viele sehen den religiösen Glauben als eine zutiefst persönliche Sache. Insofern wäre es schwierig, eine Antwort auf die Frage nach den Formen der heutigen „Christlichen Lebenswelten“ zu geben. Muss eine christliche Person sonntags in die Kirche gehen? Müssen christliche Gläubige getauft sein? Könnte es nicht auch sogenannte „anonyme Christen“ geben, die viel mehr durch ihre Handlungen und Lebensweise christlich sind als durch erhaltene Sakramente oder Gottesdienstbesuche?

Bereits Karl Rahner erkannte im 20. Jh. die „Zeichen der Zeit“ und rüttelte mit dieser Idee an der Struktur des katholischen Christentums1.

Die Frage nach dem, was Christ-Sein bzw. Christin-Sein ausmacht, war stets abhängig von den Parametern der jeweiligen Zeit. In dieser Arbeit soll ein Blick auf die spätantike christliche Basis geworfen werden. Eine Antwort auf die Frage, was eine Person zu einem Christen oder Christin machte, kann freilich nicht geliefert werden. Es kann allerdings der Umgang der frühen Christen und Christinnen miteinander und mit nicht christlichen Gläubigen untersucht werden, und das könnte einen Blick auf die „Frühchristlichen Lebenswelten“ vermitteln.

1 Vgl. Rahner 1965.

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7 b. Die Perspektive Lebenswelten

Im Fokus dieser Arbeit werden die „Frühchristlichen Lebenswelten“ stehen. Deshalb soll nun im folgenden Abschnitt das Konzept der Lebenswelten und die Bedeutung des Begriffs der

„Christlichen Lebenswelten“ im Rahmen dieser Arbeit erläutert werden.

i. Die Alltagsgeschichte als Chance für die Wissenschaft

Während in der früheren Geschichtsschreibung vor allem die politische Geschichte im Mittelpunkt stand, finden sich in den letzten Jahrzehnten neue Ansätze2, darunter auch Forschungen, die sich vor allem mit dem Alltag der Menschen beschäftigen. Die Alltagsgeschichte, die zunehmend mit dem Begriff der Lebenswelten gleichgesetzt wird, betrifft allerdings nicht nur die „einfachen“ Leute, sondern alle Menschen und eröffnet neue Perspektiven für die Forschung3. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt die zunächst resignierende Haltung zahlreicher angesehener Historiker gegenüber diesem neuen Wissenschaftszweig. Dabei liefert die Alltagsgeschichte mittlerweile unverzichtbare Einblicke in das Leben der breiten Bevölkerung. Sie tritt mitunter auch mahnend gegen das lineare Fortschrittsdenken in Erscheinung und leistet einen wichtigen sozialen Beitrag, indem sie der in der Geschichtsschreibung oft stummen Masse eine Stimme gibt 4. Insofern darf nie der Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen bzw. Macht und Politik fehlen, da diese unmittelbar mit den Lebenswelten zusammenhängen. Dies ist insofern von großer Relevanz, als die noch zu besprechende Quellenlage ein recht uneinheitliches und schwer zu interpretierendes Bild bietet. Einen wichtigen Punkt im Rahmen dieser Arbeit bringt Altermatt zur Sprache, wenn er konstatiert, dass „darauf [zu] verzichten [sei], generalisierende Interpretationsmodelle aufzustellen, die für sich in Anspruch nehmen, allgemeingültige Theorien zu besitzen5.“

Bis sich die Konzepte der Lebenswelten im theologischen bzw. überhaupt im Bereich der deutschsprachigen Kirchengeschichte etablieren konnten, vergingen zahlreiche Jahre. Dies hat mitunter auch mit der oftmals fehlenden historischen Ausbildung zahlreicher Theologen und Theologinnen zu tun. Die Alltagsgeschichte soll allerdings auch in der Theologie bisherige Modelle oder Ansätze nicht ersetzen, sondern sie ergänzen. Sie „nimmt auch die Frauen und

2 Altermatt 1993, 15.

3 Klieber 2010, 12. 17.

4 Klieber 2010, 11f.

5 Altermatt 1993, 30f.

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8

Männer der ‚gläubigen Basis‘ der Konfessionen als geschichtliche Subjekte ernst und untersucht ihre religiösen Denk- und Handlungsmuster6.“

ii. „Christliche Lebenswelten“ im Rahmen dieser Arbeit

In dem vorliegenden Werk umfasst der Begriff „Christliche Lebenswelten“ das Alltagsleben der christlichen Basis, und es wird untersucht, welche Rolle der christliche Glaube dabei einnahm. Es soll festgestellt werden, inwiefern das Leben durch das Christentum geprägt war bzw. welche Einflüsse und Auswirkungen auf den Alltag spürbar waren. Notwendigerweise müssen dabei auch die Lebenswelten der nichtchristlichen Bevölkerung betrachtet werden, da es sich um ein komplexes und zusammenhängendes Gefüge handelt. Im Fokus steht dabei nicht das Schicksal einzelner Personen, selbst wenn exemplarisch hagiographische Schriften behandelt werden, sondern die Gesamtheit der christlichen Bevölkerung. Die Ereignisgeschichte kann ebenfalls nur zu Zwecken des besseren Verständnisses gestreift werden.

c. Definition & Zielsetzung

i. Geographische und zeitliche Eingrenzung

Der Untersuchungsraum wird von den Donauprovinzen der pannonischen Diözese7 (Dioecesis Pannoniae, später Diözese Illyricum), das sind Noricum ripense (NR), Pannonia prima (PP), Pannonia Valeria (PV) und Pannonia secunda (PS), gebildet, die insgesamt Noricum, Pannonia und Dalmatia umfasst8 (s. Abbildung 1). Das Untersuchungsgebiet ist im Norden durch die Donau als gemeinsames Element begrenzt und reicht vom westlichsten Ort Boiotro (Passau) bis hin zur östlichsten Siedlung Bassianae (Donji Petrovci), kurz gesagt von der östlichen Grenze des heutigen Bayerns bis zur Vojvodina Serbiens. Alle vier Provinzen haben die Lage am Donaulimes und damit die Nähe zur umkämpften Grenze gemeinsam. Im Süden liegen die Provinzen Noricum mediterraneum, Pannonia Savia (PSA), Dalmatia und Moesia Superior. Als Untersuchungszeitraum wird die Phase von der zweiten Hälfte des 3.

Jahrhunderts bis zum Ende des 6. bzw. Anfang des 7. Jahrhundert festgelegt. Die Anfänge sind mit dem Beginn zuverlässiger Quellen für die „Christlichen Lebenswelten“ verbunden, da davor keine konkreten Aussagen über die christliche Basis getroffen werden können. Das Ende soll nicht mit dem Untergang der römischen Herrschaft festgesetzt werden, sondern

6 Klieber 2010, 13. 15f.

7 Im Zuge der diokletianischen Verwaltungsreform wurden die römischen Provinzen neu geordnet und in die größeren Verwaltungseinheiten (Diözesen) eingegliedert. Vgl. Scheuermann 1957, 1053–1062, besonders 1055f.

8 Bratož 2011b, 211. 239.

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auch die Untersuchung in Hinblick auf eine Kontinuität des romanisierten Christentums ermöglichen.

ii. Methodik

Anhand materieller und schriftlicher Quellen sollen die für das Konzept der „Christlichen Lebenswelten“ relevanten Fragen, die im folgenden Kapitel präsentiert werden, untersucht werden. Dabei gilt es, keinen der beiden Quellenstränge zu bevorzugen und die vorliegenden Belege einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Im Idealfall können sich schriftliche und materielle Quellen gegenseitig stützen und ergänzen. Allerdings lässt die Quellenlage nur in den seltensten Fällen sichere Rückschlüsse zu. Hierbei muss es das Ziel sein, keine spekulativen Thesen aufzustellen. Vielmehr sollen verschiedene Deutungsweisen aufgezeigt und dem/der Leser/Leserin auf diese Weise selbständige Analysen ermöglicht werden.

iii. Forschungsfelder und Hauptfragen

Die Arbeit wird in fünf Phasen untergliedert. Am Anfang wird die Zeit der sog.

Christenverfolgungen untersucht und es werden Rückschlüsse auf die Anfänge bzw. die Lebensbedingungen der ersten christlichen Gläubigen gezogen. Die veränderte gesetzliche Stellung des Christentums bildet die Voraussetzung für den nächsten Themenbereich, der das Verhältnis zwischen paganen und christlichen Gläubigen beleuchtet. Ein großes Interesse gilt auch dem innerchristlichen Streit um den sog. Arianismus und dessen Einfluss bzw. Nicht- Einfluss auf das Alltagsleben der christlichen Basis. Danach soll, vor allem anhand der Vita Sancti Severini, versucht werden, Einblicke in das Gemeindeleben zu gewinnen, bevor abschließend die Kontinuitätsfrage des Christentums nach dem Ende der römischen Herrschaft gestellt wird. Einige Fragen begleiten durch die ganze Arbeit, ohne dass ihnen eigene Kapitel gewidmet werden. Es handelt sich dabei um Fragen, die an keinen bestimmten Ort oder eine der Phasen gebunden sind, sondern sie haben für den gesamten Untersuchungsraum und für den gesamten Zeitraum Relevanz: Welche Intensität erreichte das

„christliche Leben“? Inwieweit begann es den Alltag zu prägen? Was kennzeichnete die christliche Basis bzw. was kennzeichnete die „Frühchristlichen Lebenswelten“? Alle gesammelten Ergebnisse sollen im letzten resümierenden Kapitel noch einmal präsentiert werden. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, sämtliche Bereiche der „Frühchristlichen Lebenswelten“ abzudecken, sondern anhand verschiedener Akzente Einblicke in das Alltagsleben zu gewähren.

d. Anmerkungen zur Quellensituation

Im Rahmen dieser Arbeit wird eines immer wieder vor Augen geführt werden: Die vorliegende Quellensituation lässt oft keine sicheren bzw. nur regional sehr begrenzte

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Schlüsse zu. Die Ursachen dafür liegen zunächst am Untersuchungszeitraum, der über 1500 Jahre zurückliegt. Im Laufe von vielen Jahrhunderten sind sowohl bedeutende schriftliche als auch materielle Quellen verloren gegangen. Es hängt aber auch mit der unterschiedlichen Quantität der Quellen innerhalb des Forschungsraumes zusammen. Insbesondere für städtische Regionen, z.B. um Sirmium, liegen aufgrund der größeren politischen Bedeutung wesentlich mehr Informationen vor. Dies führte in der Forschungsgeschichte einerseits zu einer intensiven Auswertung jeder noch so kleinen Quelle, hatte auf der anderen Seite einen negativen Nebeneffekt. Oftmals wurde das Material überinterpretiert. Diese Problematik hatte zur Folge, dass Funden und Befunden ein christlicher Kontext zugewiesen wurde, den sie gar nicht hatten, bzw. dass aus schriftlichen Quellen etwas herausgelesen wurde, was gar nicht darin stand. Dies hat maßgeblich dazu beigetragen, das frühe Christentum anders erscheinen zu lassen, als es wirklich gewesen ist. Für viele Bereiche und Objekte hat erst in jüngerer Vergangenheit ein kritisches Umdenken stattgefunden, das Abstand von bisherigen Forschungsmeinungen genommen hat. In diesem Kontext muss auch die noch immer gängige Praxis hinterfragt werden, entlang heutiger Staatsgrenzen zu forschen. Es sind zahlreiche Beiträge zum Christentum in Österreich und Ungarn erschienen, in denen keine Rücksicht auf spätantike Strukturen genommen wurde. Gewiss ist diese Vorgehensweise bis zu einem gewissen Grad verständlich, wenn sie für ein breites Zielpublikum ausgerichtet ist, z.B. bei einer Ausstellung im eigenen Land. Dennoch negieren diese Ansätze kontextabhängig Zusammenhänge, die sich nicht an die Grenzen moderner Staaten halten. Die Auswahl des Untersuchungsraums in dieser Arbeit könnte somit gewissermaßen als Gegenthese gesehen werden, schließlich befindet sich das Forschungsgebiet auf dem Boden sechs verschiedener Staaten (Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Serbien). Eine speziell auf die „Frühchristlichen Lebenswelten“ konzentrierte Arbeit, die nicht an heutige Staatsgrenzen gebunden ist, wurde bislang noch nicht veröffentlicht. Insofern ist es ein Ziel dieser Arbeit, zur Erfüllung des Desiderats der Forschung beizutragen.

Für die nun zu präsentierenden Untersuchungen konnte vereinzelt auf aufschlussreiche Schriftquellen zurückgegriffen werden, die einen guten Einblick in die Lebenswelten gewähren. An dieser Stelle sei auf diverse Martyriumserzählungen, Berichte über die Glaubensstreitigkeiten und Heiligenviten, besonders auf die Vita Sancti Severini, verwiesen.

Sie können in einem regionalen Bereich wichtige Informationen über das Alltagsleben liefern.

Daneben werden zahlreiche archäologische Studien zu Rate gezogen, die materielle Quellen auswerten und Erkenntnisse bieten, die über jene der Schriftquellen hinausgehen. In dieser Arbeit können lediglich Schlaglichter auf einzelne Orte und Zeitpunkte geworfen werden,

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ohne dabei den Anspruch einer Allgemeingültigkeit zu erheben. Denn trotz der großen Bedeutung der „Frühchristlichen Lebenswelten“ ist das Alltagsleben in seiner Vielfalt häufig nicht fassbar.

e. Die „Frühchristlichen Lebenswelten“ und ihre Erforschung

In den bisherigen Forschungen zum frühen Christentum im Untersuchungsraum spielten die

„Christlichen Lebenswelten“ nur eine untergeordnete Rolle. Viele Werke konzentrierten sich auf historische Verläufe (Glaubensstreitigkeiten), hagiographische Schriften (Viten, Martyriumsberichte etc.) oder archäologische Funde, ohne dabei konkrete Rückschlüsse auf die Lebenswelten zu ziehen. Zahlreiche Forschungsarbeiten bilden, obwohl sie das zentrale Thema dieser Arbeit nicht primär erfassen, wichtige Ressourcen für die folgenden Untersuchungen. Wie weit die Anfänge der Erforschung des frühen Christentums bereits zurückreichen9, zeigt beispielsweise die 1804 von József Koller veröffentlichte Geschichte des Bistums von Pécs, in der er auch Teile der Grabkammer von Pécs beschreibt10. Ein Pionier der frühchristlichen Forschungen ist Jacques Zeiller, der mit seinen Untersuchungen zu „Les origines chrétiennes dans les provinces danubiennes de l'empire romain“11 ein noch immer bedeutsames Werk für die Donauprovinzen schuf. Die 1930er Jahre waren besonders für den ungarischen Teil des Forschungsgebiets fruchtbringend. Hier konnten Lajos Nagy12, András Alföldi13, Tibor Nagy14 oder Zoltán Kádár15 erste archäologisch und historisch wichtige Arbeiten vollenden, die zu Standardwerken für das frühchristliche Ungarn werden sollten. Die österreichischen Gebiete wurden vergleichsweise spät erforscht. Rudolf Noll konnte 1954 mit dem Buch „Frühes Christentum in Österreich. Von den Anfängen bis um 600 nach Chr.16“ einen essenziellen Beitrag zur Erforschung des frühen Christentums liefern. In den letzten Jahrzehnten entstanden vor allem im Rahmen von Ausstellungen und dazugehörigen Katalogen17 sowie in Limesführern zahlreiche Beiträge, die sich wiederholt mit dem frühen Christentum in Österreich beschäftigten. An dieser Stelle sind stellvertretend Peter Barton18, Reinhard Harreither19, Renate Pillinger20, Andreas Pülz21 und Hannsjörg Ubl22

9 Für die Forschungsgeschichte zum frühen Christentum in Ungarn vgl. Nagy 2015, 19–36.

10 Koller 1804, 25f.

11 Zeiller 1918.

12 Nagy 1938.

13 Alföldi 1938.

14 Nagy 1939.

15 Kádár 1939.

16 Noll 1954.

17 Dimt 2004; Humer 2014; Straub 1982.

18 Barton 1992a; Barton 1992b; Barton 2011.

19 Harreither 1996; Harreither 1999; Harreither 2004; Harreither 2015.

20 Pillinger 1986; Pillinger 1993; Pillinger 1997; Pillinger 2011.

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zu nennen, die sich vermehrt mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben. Die Forschungen in Ungarn sind in den letzten Jahrzehnten untrennbar mit einigen Forscher und Forscherinnen verbunden. Neben Edit Thomas23 hat vor allem Endre Tóth24 die Erforschung des frühchristlichen Ungarn geprägt. Für die letzten Jahre ist u.a. auf Rajko Bratož25, Dorottya Gáspár26 oder auch Levente Nagy27 zu verweisen, der gemeinsam mit Renate Pillinger das Projekt „Frühes Christentum in Ungarn“ geleitet hat28. Branka Migotti29 konnte für die kroatischen Gebiete des Untersuchungsraums wichtige Ergebnisse erzielen.

f. Das historische Umfeld des Untersuchungsgebiets

Bevor nun die „Christlichen Lebenswelten“ in den Mittelpunkt rücken, soll zunächst noch kurz das Umfeld skizziert werden, in dem sich das Christentum etablieren und verbreiten konnte. Dies ist insofern von Bedeutung, als „Christliche Lebenswelten“ nicht absolut zu sehen sind, sondern stets in Beziehung zur Geschichte und zu anderen Kulturen und Religionen stehen. Deshalb müssen bei der Untersuchung der „Christlichen Lebenswelten“

auch stets andere Gruppierungen und die Rahmenbedingungen beachtet werden. Beginnend mit einer knappen historischen Hinführung zum Untersuchungsraum, sollen auch die vor dem Christentum vorhandenen religiösen Gruppierungen angeführt werden.

i. Die Geschichte der Provinz Noricum

Die Bevölkerung Noricums30 dürfte vor der römischen Eroberung recht heterogen zusammengesetzt gewesen sein. Ohne genauer auf die demografische Entwicklung eingehen zu können, kamen zu einer älteren, bereits in der prähistorischen Zeit im Gebiet ansässigen Bevölkerung (Hallstatt-Kultur) keltische Stämme hinzu. In der Regel wurden die Einwohner als Angehörige der Taurisker und Noriker bezeichnet31. Unter der Führung der keltischen Stämme etablierte sich im 2. Jahrhundert v. Chr. in dem Gebiet das Regnum Noricum. Mit den Römern, die vor allem an den reichen Eisen- und Goldressourcen interessiert waren, entwickelte sich in der folgenden Zeit ein friedlicher Handel32. Die Eingliederung in das Römische Reich wird in der Regel mit dem Alpenfeldzug von Kaiser Augustus 15 v. Chr. in

21 Pülz 2014a; Pülz 2014b; Pülz 2015.

22 Ubl 1982a; Ubl 1982b; Ubl 1994; Ubl 1997.

23 Thomas 1974; Thomas 1978; Thomas 1980b; Thomas 1981; Thomas 1982.

24 Tóth 1994; Tóth 2001; Tóth 2003; Tóth 2016; Tóth 2017.

25 Bratož 1983; Bratož 1990; Bratož 1996; Bratož 2002; Bratož 2004a; Bratož 2004b; Bratož 2011b;

26 Gáspár 1971; Gáspár 1990; Gáspár 1998; Gáspár 2002, Gáspár 2007.

27 Nagy 2015; Nagy 2016a; Nagy 2016b; Nagy 2016c; Hudák – Nagy 2009; Hudák – Nagy 2016.

28 Vgl. Nagy 2015.

29 Migotti 2002; Migotti 2012; Migotti 2015a; Migotti 2015b.

30 Vgl. mit weiterer Literatur Alföldy 1974; Alföldy 1989; Fischer 2002; Šašel Kos 2002; Zimmermann 2017.

31 Alföldy 1974, 14.

32 Alföldy 1974, 28–34.

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Verbindung gebracht und dürfte großteils ohne Waffengewalt vor sich gegangen sein33, da es kaum historische oder archäologische Belege für Kampfhandlungen gibt34.

Spätestens seit Kaiser Claudius wurde die Region als Provinz verwaltet, wobei die genauen Grenzen heute nicht mehr eindeutig feststellbar sind. Während das Gebiet im Westen etwa bis Kufstein reichte, wurde im Norden die Grenze mit dem Inn und der Donau markiert und beinhaltete die Gebiete des heutigen Salzburg, Teile Bayerns, Oberösterreichs und Bereiche Niederösterreichs bis Zeiselmauer. Im Osten und Süden umfasste die Provinz zudem Teile Sloweniens und der Steiermark sowie Kärnten35. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die genaue Grenzziehung, besonders für die Frühphase der Provinz, keinesfalls sicher bestimmt werden kann36. In der Folge kam es auch immer wieder zu Grenzverschiebungen.

Dies lässt sich z. B. an der Stadt Poetovio (Pettau/Ptuj) zeigen, die in tetrarchischer Zeit von Pannonien zu Noricum kam37, was eine Folge der Verwaltungs- und Provinzreform von Kaiser Diokletian war. Noricum wurde in zwei unterschiedliche Verwaltungseinheiten unterteilt. Im Norden entstand die Provinz Noricum ripense (Ufernoricum), deren Hauptaugenmerk auf der Grenzverteidigung lag, im Süden Noricum mediterraneum (Binnennoricum), welches von Pannonien zusätzlich das Gebiet von Poetovio bekam. Die für diese Arbeit relevante Provinz Ufernoricum wies mit Lauriacum (Enns) ein Legionslager auf, welches gemeinsam mit Ovilava (Wels) die Verwaltung vorzunehmen hatte. Weitere Zentren, die zumindest zu bestimmten Zeiten wichtig und bekannt waren, sind u.a. Favianis (Mautern), Aelium Cetium (St. Pölten) und Iuvavum (Salzburg)38. Ein gutes Zeugnis für das Ende der Provinz liefert die Vita Sancti Severini39 von Eugippius, die das Leben des hl. Severin u.a. in Noricum ripense behandelt. Das römische Leben hielt sich im Gebiet Ufernoricums vergleichsweise lange, so dass sogar noch nach dem Jahr 476 und dem offiziellen Untergang des Weströmischen Reiches vereinzelt Spuren zu finden sind. Mit dem von Odoaker, dem König von Italien, 488 angeordneten Abzug der romanischen Bevölkerung aus dem Gebiet, endet auch inoffiziell die römische Kultur40. Ob dies tatsächlich so ist, wird noch im Kapitel

33 Zur Diskussion über eine friedliche Eroberung s. Zimmermann 2017.

34 Zimmermann 2017, 93; Fischer 2002, 15.

35 Fischer 2002, 18–20.

36 Tóth 1980, 80.

37 Kovács 2016, 147; Ragolič 2014, 323; Soproni 1980, 57f.

38 Fischer 2002, 83f. 87-91.

39 Allg. vgl. Bratož 1983; Lotter 1968; Noll 1973; Straub 1982; Pohl – Diesenberger 2001; Régerat 1998;

Rosenberger 2011.

40 Fischer 2002, 131–133.

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über die Kontinuität des Christentums nach dem Ende der römischen Herrschaft ein Thema sein.

ii. Die Geschichte der Provinz Pannonia

Vor Ankunft der Römer war im Gebiet des späteren Pannonien41, dessen Grenzen sich im Laufe der Zeit immer wieder verschoben haben und teilweise nicht genau ausgemacht werden können, die autochthone Bevölkerung der Illyrer ansässig, bei denen es sich um indo- germanische Stämme gehandelt haben dürfte42. Bereits im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr.

siedelten sich per Migration auch keltische Stämme an, die die Region in ihrer weiteren Geschichte mitprägen sollten43. Die Römer konnten zwar schon im 2. Jahrhundert v. Chr.

kurzfristig Siscia (Sisak/PSA) einnehmen44, dennoch gelang eine vollständige Besetzung des Gebiets frühestens unter Kaiser Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.). Zunächst wurde das Gebiet vermutlich in Illyricum superius im Norden und Illyricum inferius im Süden unterteilt, die Umbenennung in Pannonia und Dalmatia folgte zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt45. Schon vor der römischen Eroberung war der Name Pannonia für das Gebiet bekannt und stammt ursprünglich von der Sammelbezeichnung Pannonii für die dort ansässigen illyrischen Stämme. Geographisch gesehen wies die Region drei markanten Flüsse auf. Im Norden stellte die Donau (Danuvius) nicht nur das Ende der Provinz dar, sondern auch den Übergang zu den

„Barbaren“ und war somit die Grenze zum Feind. Zwei weitere Flüsse, die die Region durchflossen und gewissermaßen eine Verbindung mit dem benachbarten Noricum herstellten, waren die Drau (Dravus) und die Save (Savus)46. Heute befinden sich auf der Fläche der ehemaligen Provinz Teile Österreichs (Teile der Oststeiermark und Niederösterreichs, Wien und das Burgenland), die wesentlichen Regionen Ungarns sowie einzelne Gebiete der Slowakei, Sloweniens, Kroatiens und Serbiens47.

Vermutlich infolge der Dakerkriege (102/103 bzw. 105/106 n. Chr.) wurde Pannonien in Pannonia superior und Pannonia inferior unterteilt, wodurch man sich bessere Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber den Quaden bzw. Sarmaten erhoffte. In Oberpannonien (Westen) befanden sich mit Vindobona (Wien), Brigetio (Komárom, Szőny) und dem Statthaltersitz in Carnuntum (Bad Deutsch-Altenburg) drei Legionslager, in

41 Vgl. mit weiterer Literatur Barkóczi 1980; Borhy 2014; Kovács 2014; Kovács 2016; Lengyel – Radan 1980;

Mócsy 1974; Šašel 1989; Šašel Kos 2003; Šašel Kos 2004.

42 Über das Illyricum s. Kovács 2014, 1–4.

43 Szabó 2014, 11–22.

44 Barkóczi 1980, 86f.

45 Borhy 2018, 161; Kovács 2014, 40-57.

46 Borhy 2018, 158.

47 Borhy 2018, 157; Barkóczi 1980, 85.

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Niederpannonien (Osten) gab es mit Aquincum (Budapest), welches ebenfalls als Statthaltersitz zum municipium erhoben wurde, ein Legionslager48. Weitere für diese Arbeit relevante Orte sind zudem Cibalae (Vinkovci), Gorsium (Tác), Mursa (Osijek), Savaria (Szombathely), Scarbantia (Sopron?) Sirmium (Sremska Mitrovica) und Sopianae (Pécs)49. Die Bedeutung Pannoniens wuchs durch die Schlüsselposition der Provinz. Einerseits war sie, wie bereits erwähnt, ein Bollwerk gegen eindringende „barbarische“ Stämme50, andererseits war sie mehr oder weniger das zentrale Bindeglied zwischen westlicher und östlicher Reichshälfte, was für die folgenden Ausführungen noch von Bedeutung sein wird. Im Rahmen dieser wachsenden Bedeutung ist auch die Etablierung Sirmiums als Kaiserresidenz im 3. Jahrhundert zu verstehen. Weitere Umstrukturierungen Pannoniens gab es in der ersten Tetrarchie (293–305/6 n. Chr.): Zuerst wurden die beiden Provinzen in Pannonia prima (superior) und Pannonia secunda (inferior) umbenannt, schließlich folgte eine zusätzliche Unterteilung: Aus der ersten Provinz wurde südlich der Drau die Provinz Pannonia Savia, aus der zweiten wurde im Norden die Provinz Pannonia Valeria herausgelöst, sodass es nun eine Vierteilung gab51.

Das Ende Pannoniens als römische Provinz ist in Verbindung mit den Hunneneinfällen an der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert n. Chr. zu suchen. Vermutlich wurden Teile der Provinz (PV) im frühen 5. Jahrhundert freiwillig an die Hunnen abgetreten, allerdings ist über das Ende des römischen Pannonien vieles im Unklaren. Es dürfte wiederholt zu Ansiedlung

„barbarischer“ Stämme und diversen Einfällen gekommen sein, wobei die Region um Sirmium vermutlich am spätesten betroffen war; 441 soll die Provinz zu Attilas Hunnenreich gekommen sein52. In späterer Zeit kam sie erneut zum (ost-)römischen Reich53. Dennoch dürfte nach dem letzten Nachweis römischer Administration 455 kein vollständiger Abzug der romanischen Bevölkerung erfolgt sein54 und es zumindest eine Siedlungskontinuität, wie sie auch heute noch in Wien und Budapest sichtbar ist55, bzw. ein teilweises Fortleben der Kultur,

48 Barkóczi 1980, 93f.; Borhy 2018, 164.

49 Póczy 1980, 255–269.

50 Borhy 2014, 132–138.

51 Borhy 2018, 167f.; Kovács 2016, 17–22.

52 Heinrich-Tamáska 2018, 178f.

53 Barkóczi 1980, 116-120.

54 Borhy 2018, 172.

55 Visy 2000, 18.

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möglicherweise bis zum Anfang des 6. Jahrhunderts, gegeben haben, wie an verschiedenen archäologischen Funden sichtbar wird56.

iii. Pagane Kulte und monotheistische Strömungen aus dem Osten Vor der Verbreitung des Christentums war die religiöse Landschaft Pannoniens bereits durch eine Vielzahl von Kulten gekennzeichnet gewesen57. Während es kaum Hinweise gibt, dass in römischer Zeit traditionelle einheimische Gottheiten weiterhin verehrt wurden und frühere Praktiken fortgesetzt wurden58, waren in römischer Zeit in der Provinz Pannonien zahlreiche Kulte und Götter anzutreffen, die im gesamten römischen Reich verbreitet waren. Besondere Bedeutung kam den Hauptgöttern Iuppiter, Iuno und Minerva zu, ferner ließen sich Belege für die Verehrung von so gut wie allen bekannten Göttern, Schutzgeistern oder Personifikationen im Imperium Romanum sowie auch des Kaisers finden59. Bis in das 2. Jahrhundert folgten die pannonischen Kulte dem Trend der griechisch-römischen Götterwelt60. Es gab allerdings kleine regionale Eigenheiten: Eine spezielle Vorliebe der pannonischen Bevölkerung lag in Fruchtbarkeitsriten in Verbindung mit Sonne und Mond61 bzw. in der Feier des in Pannonien mehrmals nachgewiesenen Iuppiter-Festes am 11. Juni62. Eine Änderung trat mit der Verbreitung der orientalischen Kulte63 ein, wie z.B. dem Mithras-, dem Iuppiter Dolichenus-, dem Sol- oder auch dem Isis-Kult, die sich schnell verbreiteten und auch in Pannonien rasch Fuß fassen konnten. Besonders beliebt war der Mithras-Kult, der in ganz Pannonien auftrat.

Allein in Aquincum wurden mehr als zehn Kultstätten für ihn nachgewiesen64. Für Iuppiter Dolichenus gab es in Pannonien bei Gorsium ein Zentrum der Verehrung, was vermutlich mit der Ansiedlung von Syriern unter den Severern zu tun hat65. Somit findet man vor der Etablierung des Christentums in Pannonien, die vergleichsweise relativ spät erfolgte66, bereits Spuren östlicher und monotheistischer Religionen vor, die gewissermaßen Vorboten der christlichen Religion waren.

56 Borhy 2018, 172 s. Kapitel 6 zur Kontinuitätsfrage.

57 Vgl. mit weiterer Literatur Fitz 1998; Gschaid 2003; Lazar 2011; Szabó 2006; Szabó 2011; Tóth 1991.

58 Tóth 2011, 89–93.

59 Szabó 2000, 95–97.

60 Szabó 2000, 97; Borhy 2014, 101f.

61 Thomas 1980a, 178.

62 Tóth 2011, 87–89.

63 Vgl. die grundlegenden Werke von Wessetzky 1961; Kádár 1962; Selem 1980.

64 Tóth 2000, 103–107.

65 Borhy 2014, 101f.

66 Borhy 2014, 105.

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Für die Betrachtung von Noricum67 muss die gesamte Provinz herangezogen werden, um ein repräsentatives Bild zu erhalten. In römischer Zeit waren vor allem die römischen Götter tonangebend, sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Zugewanderten. Große Bedeutung hatten hier aber auch orientalische Kulte, wie der des Mithras oder des Iuppiter Dolichenus. Stellvertretend für letzteren Kult ist der Schatzfund von einem Tempel in Mauer an der Url zu nennen. Auffallend ist, dass die orientalischen Kulte besonders im Militär beliebt waren und so vermutlich auch in die Donauprovinzen gebracht wurden68. Dieser Umstand spielte bei der Verbreitung des Christentums eine Rolle.

Die zahlreichen Truppenverlegungen der in den Donauprovinzen stationierten Legionen führten möglicherweise auch dazu, dass jüdische Bevölkerungsgruppen mit in das Gebiet von Pannonien und Noricum kamen69, die meisten von ihnen vermutlich Ende des 2. bzw. Anfang des 3. Jhs70. In dieser Arbeit ist vor allem das Verhältnis zum Christentum relevant. Die rechtliche Situation verschlechterte sich mit der „Konstantinischen Wende“ für die jüdische Bevölkerung, was wohl mit dem Aufstieg des Christentums verbunden werden muss. So durften Juden mit Androhung der Todesstrafe keine christlichen Frauen heiraten. Bischof Ambrosius, der auch auf den Untersuchungsraum einen gewissen Einfluss hatte, bezeugt in einem Brief an Kaiser Theodosius I. eine generelle Judenfeindlichkeit71. Im jüdischen Leben lassen sich gewisse „synkretistische“ Tendenzen erkennen, die auch in der Verwendung paganer Motive kein Problem sehen72.

g. Die Anfänge des Christentums

Nachdem nun die historischen und religiösen Rahmenbedingungen im Untersuchungsraum abgesteckt wurden, soll in einem nächsten Schritt versucht werden die Anfänge des Christentums in den Donauprovinzen von Pannonien73 und in Noricum ripense74 zu beleuchten. Da es hierbei kaum glaubhafte Ansatzpunkte und sichere Indizien gibt, muss dieser Abschnitt kurzgehalten werden.

67 Vgl. mit weiterer Literatur Alföldy 1974; Fischer 2002, 123–125; Kenner 1989; Leitner 2007; Scherrer 1984;

Scherrer 1992; Scherrer 2008.

68 Fischer 2002, 123–125.

69 Schön 1994, 110.

70 Lange – Dávid 2014, 68.

71 Ambr. ep. 40,6.10; Lange – Dávid 2014, 70f.

72 Lange – Dávid 2014, 73.

73 Allgemein vgl. Bratož 1990; Bratož 1996; Bratož 2004b; Bratož 2011b; Buzov 2009; Buzov 2010; Buzov – Lalošević 2016; Gáspár 1998; Gáspár 2002; Heinrich-Tamáska 2016b; Kovács 2016; Migotti 2015a; Pillinger 2011; Pülz 2014a; Thomas 1980b; Thomas 1982; Tóth 1994; Tóth 2001; Tóth 2016.

74 Allgemein vgl. Barton 1992a; Barton 1992b; Barton 2011; Harreither 1999; Harreither 2004; Noll 1954; Noll 1976; Pillinger 1986; Pillinger 1993; Pillinger 1997; Pülz 2014b; Pülz 2015; Ubl 1982b; Ubl 1994.

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Aufschluss über die Verbreitung des Christentums in Pannonien könnte die Apostelgeschichte geben, in der Paulus berichtet, dass er „von Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien überall das Evangelium Christi zur Erfüllung gebracht75“ hat. Diese Passage darf allerdings nicht wörtlich genommen werden. Nach Wilckens handelt es sich dabei nicht um die Eckpunkte der paulinischen Missionsreise, sondern um eine heilsgeschichtliche Konzeption.

Weder die Apostelgeschichte noch die Paulusbriefe würden eine Missionsreise in Illyrien oder in Jerusalem vermuten lassen76. Hingegen sieht Lohse in der Aussage von Paulus eine gewisse symbolische Beschreibung: Vom Ausgangspunkt des Evangeliums (Jerusalem) wurde die frohe Botschaft bis an die Grenzen des Römischen Reiches (Illyrien) gebracht77. Michel wiederum hält eine gewisse geographische Beschreibung für nicht unwahrscheinlich, doch sei unklar, ob bei „bis nach Illyrien“ das Gebiet ein- oder ausgeschlossen wird78. Wenn auch Paulus selbst nicht in Illyrien gewesen sein dürfte, könnten bereits andere Missionare im Raum der Provinz Pannonien gewirkt haben79. Allerdings gibt es dafür keine sicheren Anhaltspunkte. Insofern kann diese Stelle keine handfesten Informationen für die ersten Spuren des Christentums in Pannonien liefern. Es liegt dennoch nahe, dass aufgrund der geographischen Nähe der Missionsgebiete des Paulus ein baldiger Kontakt mit Pannonien stattgefunden hat, selbst wenn es keine systematische Missionierung war. Ein erster Kontakt könnte auch durch den Apostel Petrus bzw. durch den von ihm gesandten Epaenetus und seinen Nachfolger Andronicus erfolgt sein, die der Legende nach die ersten Bischöfe Pannoniens gewesen sein sollen. Während dieser Erzählung in der Forschung normalerweise wenig Glauben geschenkt wird, hält Gáspár erste pannonische Bischöfe in den 50er Jahren des 1. Jahrhunderts für möglich80.

Generell dürfte sich das Christentum nicht durch eine strukturierte Missionierung etabliert haben, sondern durch zugereiste Christen und Christinnen aus dem Osten, wie z.B. Händler, Soldaten oder Reisende, die ihren Glauben an die einheimische Bevölkerung weitergegeben haben. Exemplarisch kann dafür die cohors II Italica civium Romanorum voluntariorum miliaria genannt werden. Von der normalerweise in Syrien stationierten Truppe wurden zum zusätzlichen Schutz im Vierkaiserjahr 69 n. Chr. einzelne Einheiten nach Carnuntum gesandt, wie ein Grabstein beweist. Diese Kohorte ist für die Christianisierung der Region insofern

75 Röm 15, 19, zitiert nach: Katholische Bibelanstalt 2016, 1309.

76 Wilckens 2003, 119f.

77 Lohse 2003, 395f.

78 Michel 1978, 460.

79 Lohse 2003, 396.

80 Gáspár 1989/1990, 99–104.

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von Bedeutung, als schon in der Apostelgeschichte der Centurio Cornelius erwähnt wird, der von Petrus getauft wurde. Es ist durchaus plausibel, dass sich weitere Christen in den Truppen befanden. Ein weiteres Beispiel für eine mögliche Verbreitung des Christentums durch Militärtruppen stellt die im Legionslager Carnuntum stationierte legio XV Apollinaris dar, die 62 n. Chr. gegen Osten zog, u.a. um bei der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes mitzuhelfen, und erst nach etwa zehn Jahren zurückkehrte – eventuell mit christlichen Soldaten81. Zusätzlich dürfte auch eine vexillation der legio XII fulminatrix/fulminata aus dem schon früh christlich geprägten Gebiet um Melitene später in Carnuntum stationiert gewesen sein82. Zwar lassen sich bei den erwähnten Legionen, die in Carnuntum zumindest kurzfristig stationiert waren, keine Christen mit Sicherheit identifizieren, doch liegt die Vermutung nahe, dass das Militär am Aufstieg des Christentums in der Region stark beteiligt war. Natürlich ist für das 1. Jahrhundert noch von keinen größeren christlichen Gemeinden auszugehen. Doch könnte es sich bereits um einzelne Personen und vielleicht kleinere Gruppen gehandelt haben.

Dieser Verdacht erhärtet sich durch eine etwa einhundert Jahre später entstandene Legende.

Mit größter Wahrscheinlichkeit lassen sich Christen erstmals im 2. Jahrhundert und dem sogenannten Regenwunder83 definitiv fassen. Die wundersame Errettung einer römischen Legion, möglicherweise die bereits bekannte legio XII fulminata, durch ein plötzlich einsetzendes Unwetter – sowohl bei zahlreichen paganen römischen Geschichtsschreibern, wie z. B. Cassius Dio84, als auch bei vielen christlichen Kirchenhistorikern wie Tertullian85 oder Eusebius86 überliefert – wurde auf der einen Seite den paganen Göttern, auf der anderen Seite aber dem christlichen Gott zugeschrieben. Ohne genauer auf die Diskussion über das Regenwunder einzugehen, hat ein Bezug auf den christlichen Gott nur Sinn, wenn christliche Soldaten in der Legion waren, die um ein Wunder beten hätten können87. Damit kann man mit dem sog. Regenwunder, vermutlich 171 n. Chr.88, im heutigen Niederösterreich erstmals das Vorhandensein von Christen nachweisen.

81 Harreither 1999, 9.

82 Barton 1992a, 14.

83 Kovács 2008, mit Literatur und Quellenangaben.

84 Cass. Dio hist. rom. LXXI, 8–10.

85 Tert. apol. V, 6.; Tert. Scap. 4.

86 Eus. hist. eccl. V, 5.

87 Noll 1954, 19–22; Ubl 1997, 16–20.

88 Kovács 2008, 403.

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Ebenso wie in Pannonien lassen sich in Noricum ripense ganz konkrete Erzählungen über eine frühe christliche, ja sogar evangelistische Missionierung finden. So ist noch heute am Stadtturm von Enns folgende Inschrift verankert:

Aspicis exiguam nec magni nominis urbem Quam tamen aeternus curat amatque Deus.

Haec de Lauriaco reliqua est, his Marcus in oris Cum Luca Christi dogma professus erat89.

Die Erzählung der Missionierung durch Lukas und Markus ist nicht nur am Stadtturm zu finden, der zwischen 1564 und 1586 erbaut wurde, sondern auch in einer Passauer Urkundenfälschung aus dem Ende des 10. Jahrhunderts. Eine andere Tradition berichtet von den Heiligen Syrus und Eventius, die nach Lauriacum gesandt wurden. Allerdings basieren alle diese Legenden auf Fälschungen und erfundenen Konstruktionen. Eine christliche Missionierung in Noricum ripense bereits im ersten Jahrhundert erscheint äußerst unwahrscheinlich, da es keinerlei Hinweis darauf in einer authentischen Quelle gibt90. Ebenso wie in Pannonien wird in Noricum ripense die Verbreitung des Christentums durch das Militär, Reisende und Händler stattgefunden haben.

Zusammenfassung: Ungeachtet teilweise gegenteiliger Angaben ist sowohl für die pannonischen Provinzen als auch für Noricum ripense eine frühe und geplante Missionierung auszuschließen. Die Erzählungen über Lukas und Markus bzw. Syrus und Eventius sind auf spätere Fälschungen zurückzuführen und haben keinen Wahrheitsgehalt. Ebenso zweifelhaft bleibt es, ob der Apostel Paulus bzw. einer seiner Mitarbeiter tatsächlich Pannonien erreicht hat. Die erste verlässliche Quelle als Beweis für die Anwesenheit von Christen und Christinnen, die sowohl für Pannonien als auch Ufernoricum herangezogen werden darf, ist das sog. Regenwunder unter Marc Aurel. Wann genau es tatsächlich die ersten christlichen Gläubigen gegeben hat, lässt sich nicht sagen. Doch ist es sehr wahrscheinlich, dass das Christentum zunächst vor allem durch Berufsgruppen wie Soldaten oder Händler bzw. andere Reisende aus dem Osten verbreitet wurde.

89 Übersetzt nach Egger 1950: „Du siehst die kleine kaum berühmte Stadt, doch sorgt für sie und liebt sie ewig Gott. Sie ist der Rest von Lauriacum, hier hat einst Markus mit Lukas Christi Wort verkündet.“

90 Noll 1954, 17f.

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2. Tödliche Verfolgungen? Die Martyriumsberichte als

wichtige Quellen für die „Frühchristlichen Lebenswelten“

Die ersten relativ zuverlässigen Berichte über die frühen Christen und Christinnen in den Donauprovinzen der pannonischen Diözese stammen aus dem Ende des 3. bzw. Anfang des 4.

Jahrhunderts und haben verschiedene Martyrien zum Inhalt91. Sie erlauben einen Einblick in den Alltag der frühchristlichen Gemeinden in Zeiten, in denen das Christentum noch keine erlaubte Religion war und durch Verfolgungen bedroht wurde. Trotz der lebensweltlichen Perspektive, aus der verschiedene Rückschlüsse auf soziale Zustände, Berufe und Strukturen gewonnen werden können, ist größte Vorsicht bei der Deutung jener Berichte angebracht, da sie von christlichen Gläubigen aus einer theologischen Perspektive geschrieben wurden und keine authentischen historischen Tatsachenberichte sind. Dies soll an späterer Stelle noch genauer ausgeführt werden. In den letzten Jahren sind in der Forschung Zweifel bezüglich der Intensität und der Ausmaße der Verfolgungen aufgekommen, womit die Frage nach der Bedrohung für die christliche Bevölkerung neu zu untersuchen ist. Waren die frühchristlichen Gemeinden einer permanenten Bedrohung ausgesetzt oder stellen die Martyrien Ausnahmen dar? Welche Rückschlüsse können für den Alltag im Zeitalter der Verfolgungen gezogen werden? Wieviel Fiktion bzw. wieviel Wahrheit steckt in den Martyriumsberichten?

Um die Geschichte der christlichen Märtyrer und Märtyrerinnen nachvollziehen zu können, bedarf es zunächst eines Überblicks über die Rahmengeschichte und die Literaturgattung.

Anschließend sollen vor allem anhand zweier Beispiele – Passio des hl. Florian für Noricum ripense und Passio des hl. Quirinus für Pannonien bzw. allgemeine Rückschlüsse aus der Martyriumsliteratur – die „Christlichen Lebenswelten“ zur Zeit der Verfolgungen nähergebracht werden.

a. Verlauf und Verbreitung der Verfolgungen

Nach den Verfolgungen92 unter den Kaisern Decius und Valerian wurde das Christentum 260 erstmals von Gallienus geduldet, die Bestätigung folgte 272 durch Aurelian93. Im folgenden vierzigjährigen Frieden dürfte sich das Christentum im ganzen Reich stark ausgedehnt haben.

Vermutlich gab es nun Gläubige in allen Bevölkerungsschichten. Nachdem es immer wieder

91 Allgemein vgl. Aubreville 2010; Boyarin 1999; Bratož 1990; Bratož 2004b; Bratož 2004a; Flach 1999; Buzov Lalošević 2016; Eckhart 1981; Jarak 1996; Klieber 2015; Kovács 2016; Merkt 2015; Moreau 2014; Moss 2013; Pesthy-Simon 2017; Pillinger 1986; Portmann 1990; Rizos 2016; Thomas 1974; Thomas 1978; Tóth 2010.

92 Vgl. Keresztes 1983; Davies 1989; Bratož 2004b; Demandt 2007. Die Gründe für die Verfolgungen sind nicht vollends geklärt. Sie hatten sicherlich zum Zweck, das Römische Reich innerlich zu stärken, und betrafen teilweise nicht nur das Christentum. Es scheint plausibel, den Anlass der Verfolgungen im Zusammenhang mit dem Kaiserkult zu sehen. Vgl. Aubreville 2010; Flach 1999.

93 Demandt 2007, 56. 527.

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Konflikte mit Christen und Christinnen gegeben hatte, v.a. bei der Durchführung des Staatsopfers, erließ Kaiser Diokletian 303 vier Edikte, mit denen sie zu den paganen Kulten zurückgeführt werden sollten. Als Folge von christlichen Widerstandsaktionen wurden die Maßnahmen verschärft, und es wurde ein Opfergebot erlassen. Die Lage eskalierte94. Das Märtyrertum erlebte daraufhin im Christentum in den Verfolgungszeiten unter Diokletian und Galerius einen Höhepunkt. Die immer mehr zum Ideal gewordene Rolle des/der Blutzeugen/Blutzeugin war attraktiv, wurde man doch durch den Tod nicht nur Vorbild für die Christengemeinde und in der Regel auch verehrt, sondern gelangte, dem Glauben nach, unmittelbar zu Gott95.

Erst mit dem Toleranzedikt des Galerius 311 und der „Mailänder Vereinbarung“ 313, die Religionsfreiheit gewährte, wurden die Christenverfolgungen, die seit jeher stark regional unterschiedlich ausgeprägt waren, endgültig beendet96. Eine besondere Problematik liegt in der Quellenlage. Die meisten Informationen stammen von christlichen Autoren, von denen keine objektive Berichterstattung zu erwarten ist97. Die archäologischen Quellen sind oft rar, so sind nur knapp zwanzig Inschriften mit Märtyrernamen bekannt. Aufgefundene Gedenkstätten und Reliquiare können aufgrund fehlender Hinweise in der Regel nicht mit konkreten Personen verbunden werden. Deshalb sind die hagiografischen Schriften des Breviarium Syriacum (362/411) und des Martyrologium Hieronymianum (erstmals Mitte 5.

Jahrhundert) trotz oft unklarer Beiträge die wichtigsten Quellen98.

Während in Noricum ripense mit Florian nur ein Märtyrer namentlich bekannt ist99, handelt es sich bei Pannonien um eine grundlegend unterschiedliche Situation, wobei zwischen Nord- und Südpannonien unterschieden werden muss. Es ist kein einziger namentlich belegter Märtyrer aus der Provinz Valeria bekannt. Lediglich diverse Ziegelritzzeichnungen aus Brigetio versuchte man, ohne hinreichende Belege, im Rahmen einer Märtyrerverehrung zu sehen100. Für Pannonia prima ist Quirinus der einzige erwähnte Märtyrer. Aus Pannonia secunda sind hingegen zahlreiche Märtyrer und Märtyrerinnen bekannt, fast alle mit einer Verbindung zur Stadt Sirmium. Diese Diskrepanz innerhalb der pannonischen Provinzen konnte bislang nicht überzeugend geklärt werden: Tóth führt die hohe Zahl der Märtyrer und

94 Demandt 2007, 70f.

95 Klieber 2015, 207–209.

96 Demandt 2007, 86; Bratož 2004b, 116.

97 Bratož 2004b, 116; Demandt 2007, 70.

98 Bratož 2004b, 116f.

99 Pillinger 1986, 7.

100 Jarak 1996, 265; Thomas 1982, 260f.

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Märtyrerinnen in den südlicheren Teilen auf den Einfluss von Kaiser Galerius zurück, der zeitweise in Sirmium residierte und den er als Anreger der diokletianischen Verfolgung sieht101. Gegen diese Meinung, die dem Bericht von Laktanz102 folgt, stellt sich Bratož, der Diokletian als Urheber der Verfolgungen betrachtet, womit eine Konzentration von Martyrien um Sirmium nicht zu erklären wäre103. Thomas hingegen nimmt an, dass eine grundlegende Missionierung in den pannonischen Gebieten über der Drau erst nach 313 stattfand104. Dafür, dass es für die Provinz Valeria keine überlieferten Märtyrerlegenden gibt, sieht Bratož historische Gründe: Durch den dauerhaften Verlust der Gebiete nach 380 konnte sich kein dauerhafter Martyriumskult ausbilden105. Dennoch kann man annehmen, dass es keine dermaßen massiven Verfolgungen wie in Pannonia secunda gegeben hat, da sich sonst zumindest vereinzelt Indizien finden lassen würden. Da Sirmium die Hauptstadt von Pannonia secunda und der pannonischen Diözese sowie Kaiserresidenz war, scheint es nur logisch zu sein, dass die Anzahl der überlieferten Hinrichtungen von christlichen Gläubigen hier am höchsten ist. Dies könnte vor allem administrative Gründe gehabt habe, da Verurteilungen, wie gleich am Beispiel zweier Martyrien deutlich wird, hochrangigen Beamten, in der Regel den Statthaltern, oblagen. Ein ähnliches Bild findet sich bei Tomis, der Hauptstadt von Scythia minor, wo ebenfalls die meisten Hinrichtungen der Provinz festzustellen sind.

b. Die Literaturgattung Martyrium

Generell müssen Schriften über Märtyrer und Märtyrerinnen mit größter Sorgfalt gelesen werden. Es handelt sich hierbei in der Regel keineswegs um authentische Augenzeugenberichte, sondern vielmehr um hagiographische Erzählungen, die zwar eine/n Märtyrer/in und deren/dessen Leben zum Inhalt hatten, die aber zur Erbauung und Ermutigung zu einem guten christlichen Leben dienten. Hierbei war es nicht von Bedeutung, ob sich jede Einzelheit im Leben des/der Heiligen tatsächlich so abgespielt hatte bzw. ob die Person tatsächlich gelebt hatte106, wie eindrucksvoll das Beispiel des kynokephalen Christophorus107 zeigt. Die Erzählungen der Martyrien sollten nach Pesthy-Simon „as interesting as possible“ gemacht werden, weshalb nicht nur Christus, sondern auch Motive anderer „Helden“ der Vergangenheit aus jüdischer, römischer, griechischer, ägyptischer und

101 Tóth 1994, 244f.

102 Lact. mort. pers. 10f.

103 Bratož 2004b, 131.

104 Thomas 1982, 262f.

105 Bratož 2004b, 122.

106 Pesthy-Simon 2017, 83.

107 Zu den Deutungsversuchen siehe Kost 2015; Rosenfeld 1937; Saintyves 2008; Zwierzina 1909.

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karthagischer Geschichte herangezogen wurden, um das Leben der Märtyrer/Märtyrerinnen auszuschmücken108.

Durch die kritischen Betrachtungen der Martyriumserzählungen, die vor allem in den letzten Jahrzehnten verstärkt aufkamen und die die Legenden größtenteils als literarische Produkte entlarvten, müssen notwendigerweise auch die Ausmaße der Verfolgungen erneut beleuchtet werden. Klieber geht von einigen hundert orthodoxen Märtyrern und Märtyrerinnen aus, wobei die meisten Mitglieder der Gemeinde verschont blieben. Die Berichte um ihren Tod sind vor allem in den Jahren nach der Verfolgung entstanden und sind im Kontext der Auseinandersetzung des sich ausbildenden Christentums mit der paganen Welt und dem Judentum109, allerdings auch mit sich selbst und seinen sich aufspaltenden Strömungen zu sehen. Insofern dienten die Erzählungen der Ermutigung, dem Glauben treu zu bleiben bzw.

ihn anzunehmen, und es sollte die Identität der Gruppe gestärkt werden, indem u.a. auch regionale Bezugspersonen bzw. Vorbilder geschaffen wurden110. Einen radikalen Ansatz im Umgang mit den Martyriumserzählungen vertritt Moss, die bereits mit ihrem Titel „The Myth of Persecution. How early Christians invented a story of martyrdom“ eine klare Position bezieht und das Märtyrertum in den Bereich der Fiktion drängt. Sicherlich ist Moss in vielen Punkten rechtzugeben, wenn sie u.a. hinterfragt, wie sehr es sich wirklich um spezifische Christenverfolgungen gehandelt hat bzw. ob ein wahrer Kern in vielen Martyriumsgeschichten vorhanden ist, dennoch schießt sie über das Ziel hinaus111. Bereits Merkt hat daraufhin gewiesen, dass die von Moss gebrauchten Begriffe von Mythos und Erfindung unpassend sind, und er plädiert für den von Boyarin benutzten Diskursbegriff für das Martyertum112. Ohne genauer auf die Diskussion eingehen zu können, bleibt festzuhalten, dass die Martyriumserzählungen ohne Zweifel keine historischen Tatsachenberichte, sondern vielmehr literarische Erzählungen sind, die das historische Geschehen deuten113. Dass bereits in der Spätantike Betrüger und Betrügerinnen bzw. Irrtümer in der Märtyrer-/Märtyrerinnen- Verehrung vorhanden waren, zeigt die Vita Sancti Martini114. Für die Auswertung der Erzählungen bedeutet das, dass die literarischen Werke dechiffriert werden müssen. An Glaubwürdigkeit können Martyriumsrerzählungen gewinnen, wenn sie wie im Fall der nun zu

108 Pesthy-Simon 2017, 96.

109 Klieber 2015, 210f.

110 Merkt 2015, 195f.

111 Vgl. Moss 2013.

112 Merkt 2015, 205; Boyarin 1999, 94.

113 Merkt 2015, 205.

114 Sulp. Sev. Vit. Mar. 11. In dieser Arbeit wird die Edition von Huber-Rebenich 2010 herangezogen. Die neueste Ausgabe mit umfassenden Informationen bietet in englischer Sprache Burton 2017.

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präsentierenden Beispiele des hl. Florian oder des hl. Quirinus archäologisch zumindest teilweise untermauert werden können. Dies soll nun im Folgenden gezeigt werden.

c. Das pannonische Beispiel der Passio Quirini

Exemplarisch für Pannonien soll die Passio des Quirinus115 vorgestellt werden. Dies geschieht aufgrund der guten Quellenlage, bei der ansatzweise literarische und archäologische Belege verbunden werden können, aber auch weil das Martyrium des Quirinus ein Beispiel für eine Hinrichtung in Pannonien ist, die nicht in Pannonia secunda stattfand und literarisch mit dem norischen Beispiel vom hl. Florian zusammenhängt. Nach dem Martyrologium Hieronymianum erlitt Quirinus am 4. Juni 308116 seinen Tod in Savaria117. Laut der Passio Quirini – neben diesen beiden erwähnten Quellen berichten auch Prudentius118 und das Chronicon des Hieronymus119 über die Hinrichtung – war er Bischof von Siscia (PSA) und wurde zuerst vom Praeses Maximus in Siscia, dann vom Praeses Amantius in Savaria (PP) verhört. Trotz mehrmaliger Versuche, ihn vom Glauben abzubringen, weigerte er sich, weshalb er in Savaria zum Tod verurteilt und mit einem Mühlstein um den Hals in einen Bach geworfen wurde120. Die Passio, die auf dem Chronicon fußt, gilt aufgrund von Beschreibungen der Begräbnisstätte von Quirinus121 als zuverlässig und wird in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert. Quirinus, der vermutlich letzte namentlich bekannte Märtyrer in Pannonien, starb um das Jahr 308. Er ist der bekannteste pannonische Märtyrer im Westen während des Mittelalters, u.a. auch, weil seine Reliquien bereits im 4./5. Jahrhundert nach Rom gebracht wurden122.

Aufgrund der genauen topografischen Beschreibungen zum Martyrium des Quirinus ist es möglich, archäologische Rückschlüsse zu ziehen. In der Erzählung wird erwähnt, dass Quirinus im Theater von Savaria verurteilt wurde und von einer Brücke in einen nahegelegenen Bach namens Sybaris gestürzt wurde123. Dieses Gewässer wird heute mit dem Bach Perint identifiziert124. Archäologische Untersuchungen brachten Brückenpfeiler im

115 Vgl. allgemein Gáspár 2002; Jarak 1996; Thomas 1981; Tóth 2003; Pillinger 1986; Editionen: AA SS Iun. I (1868) 373-375; Ruinart 1859, 522–524.

116 Das Sterbejahr ist umstritten. Vgl. Tabelle 1.

117 Jarak 1996, 278f.

118 Prud. Lib. Per. VII, 6-10.

119 Hier. chron. a. Abr., 229e.

120 Thomas 1981, 7f.

121 Die topographischen Angaben in der Passio konnten teilweise archäologisch bestätigt werden, wenngleich das Grab noch nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnte.

122 Jarak 1996, 278-280; Pillinger 1986, 11f.; Buzov – Lalošević 2016, 1266.

123 Thomas 1981, 9f.

124 Buzov – Lalošević 2016, 1271.

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